Thesenpapier zu einerDiskussionsveranltung im April in der Reihe »Gegen das Ritual 1. Mai« & zum Seminar »Antikapitalismusphantasien der Nazis«

Was ist Faschismus? – Versuch einer Definition

 

Faschismus ist ein Begriff, der die gemeinsamen Merkmale der bisher bekannten (historischen) Formen von Faschismus zusammenfassen soll. Es muss klar sein, dass er nur das Gemeinsame, nicht das Besondere oder den Unterschied der jeweiligen historischen Formen des Faschismus (Nationalsozialismus, italienischer »Fascismo« oder spanische »Falange«) bezeichnet. Mit unserer Faschismus-Definition können wir z.B. den Nationalsozialismus noch nicht ausreichend erklären oder beschreiben.

 

  1. Gemeinsam ist allen Formen des Faschismus, dass es sich um Massenbewegungen handelt, die von Mitgliedern aller Schichten (wenn auch nicht gleichermaßen) getragen wird. Gemeinsam ist ihnen auch der Kampf gegen den bürgerlich-demokratischen Staat und seine etablierten Vertreter einerseits, Marxismus, Klassenkampf und Arbeiterbewegung andererseits.

  2. Der Führerkult ist für den Faschismus unerlässlich. Mussolini, Hitler, Franco, sie alle waren uneingeschränkte Herrscher. Einerseits handelt es sich beim Führer um ein Verhältnis, nämlich ein Verhältnis zwischen den Massen, die ihn durch ihr Verhalten erst zum Führer machen und ihm seine Macht geben, andererseits taugt nicht jedes Individuum für die Führerrolle. Es kommt also auch darauf an, welche persönlichen, charakterlichen Eigenschaften der jeweilige Führer mitbringt und im Wechselspiel mit der Gefolgschaft entwickelt. Der Führer ist nicht der große Verführer, sondern derjenige, in dem sich alle Wünsche, Sehnsüchte, Bedürfnisse der ihm folgenden Massen konzentrieren. Er spricht laut das aus, was seine Anhänger sich nicht öffentlich auszusprechen wagen.

  3. Voraussetzung für den Faschismus ist eine bereits vorher existierende Ausrichtung der Massen und des Staates auf kriegerische Expansion, Eroberung, Unterwerfung anderer Staaten. Der Faschismus führt diese Bewegung nur weiter, macht den Krieg »total«.

  4. Jeder Faschismus braucht einen inneren und äußeren Feind. Der Grund dafür ist, dass der Faschismus dadurch von seinen Widersprüchen (Fortbestehen der Klassen, der Ausbeutung, der Ungleichheit), ablenkt. Nur gegen diesen »gemeinsamen« Feind bildet sich die »Einheit« des Volkes als Gegenstück. Allerdings muss dieser Feind nicht immer rassistisch, biologisch oder kulturell begründet sein (auch die kulturell begründeten Unterschiede können als unüberwindbar dargestellt werden). Im Nationalsozialismus waren der Hauptfeind im Innern und Äußern die biologisch definierten Juden, die eine »Gegenrasse« sein sollten. »Politische« Feinde des Faschismus sind zwangsläufig diejenigen, die die Spaltung der Gesellschaft in Klassen mit verschiedenen und direkt gegensätzlichen Interessen betonen, d.h. die Kommunisten und Sozialisten, sowie klassenkämpferisch ausgerichtete Gewerkschaften.

  5. Worin besteht der Unterschied zwischen Rassismus und Antisemitismus? Antwort: Die Juden werden von den Nazis immer als heimliche, mächtige, schlaue, intellektuelle Weltherrscher bezeichnet, während alle anderen »Rassen« von Natur aus minderwertig sein sollen und daher von den deutschen Ariern beherrscht werden dürfen und müssen. In der Rassenhierrarchie der Nazis tauchen die Juden gar nicht auf. Sie stehen außerhalb, werden nicht als Menschen angesehen. Der Antisemitismus hat neben der Sündenbockfunktion eine weitere Funktion: Die Juden stehen für Kapitalismus und Kommunismus gleichermaßen. Dadurch können die Nazis ihren Antikapitalismus, der das Privateigentum an den gesellschaftlichen Produktionsmitteln und damit den Kapitalismus nicht antastet, als einzig wahren Antikapitalismus verkaufen und auf die Arbeiterbewegung einschlagen.

    Hinzu kommt der Hass der Nazis auf das Denken und Kritisieren. Denn Denken und Kritik bringt die angeblich heile Volksgemeinschaftswelt durcheinander. Die Psychoanalyse gilt ihnen als die »jüdische Wissenschaft« schlechthin, weil sie Selbstzweifel fördert und Selbsterkenntnis zum Ziel hat. Die Nazis haben davor und den damit möglicherweise verbundenen Veränderungen panische Angst. Ebenso hassen sie den Kritiker, der das scheinbar geschlossene Weltbild ins Wanken bringt.

    Sind die Juden durch beliebige andere missliebige Gruppen zu ersetzen? Nein, weil die Eigenschaften des Objektes die Projektionen erlauben müssen (eine Gruppe, die nicht scheinbar einige Vorurteile bestätigt oder im Gegenteil alle Vorurteile widerlegt, macht die Projektion sehr viel schwerer.) Die Juden hatten zum Beispiel aufgrund des christlichen Zinsverbotes im Mittelalter die Rolle des Geldverleihers inne. Unter anderem dadurch entstand die Verbindung von Juden und Geld, die für den Antikapitalismus der Nazis eine besondere Rolle spielt. Dass die Juden zwangsweise die Position einnehmen mussten, weil ihnen andere Erwerbsmöglichkeiten verwehrt wurden, dass sie selbst Unterdrückte waren und Opfer von Pogromen, interessiert die Nazis natürlich nicht. Um den Antisemitismus verstehen zu können, muss man sich allerdings genauer mit der Geschichte der Juden und des Antisemitismus befassen. Aktuell ist der Antisemitismus der Nazis nicht mehr so offen, aber dennoch weit verbreitet. Er wird eher versteckt als Antiamerikanismus (»USrael«). Die Argumentation und Ideologie der Nazis als Ganze, zielt auch weiterhin auf die Juden (wenn auch in der Öffentlichkeit die Juden weniger genannt werden als »die Ausländer«).

  1. Ist heute noch angesichts der Globalisierung genannten Weltverhältnisse des Kapitalismus ein Faschismus in einem Land denkbar? Was Deutschland betrifft, so wurden die ökonomischen Ziele des NS auf weitgehend friedlichem Wege, d.h. durch stärkere Wirtschaftskraft, erreicht.

    Zudem ist eine autarke Wirtschaft mit angeschlossenen unterworfenen Wirtschaftsräumen bei der heute erreichten weltweiten Arbeitsteilung undenkbar. Einwand: Das alles unterstellt, dass es keine große Wirtschaftskrise mehr gibt. Was aber, wenn eine Krise vom Ausmaß der Weltwirtschaftskrise hereinbricht?

    Angenommen, der Faschismus wäre heute ökonomisch für den Kapitalismus eher schädlich als nützlich (also anders als der Nationalsozialismus), welche Funktion / Wirkung haben dann die heutigen Nazis und welche Gefahr geht von Ihnen aus?

    a) Mit den Neonazis wird Demokratie- und Grundrechteabbau legitimiert.

    b) In den sog. »national befreiten Zonen« werden die Verlierer des Kapitalismus zusammen-gehalten. Dort bieten die Neonazis Freizeitprogramme an, geben wenigsten emotional das Gefühl aufgehoben/dadei zu sein, wenn die Leute es schon nicht ökonomisch sind.

    c) Das Wechselspiel von bürgerlicher Mitte und Nazis funktioniert nur mit den Nazis.

    d) Die Nazis terrorisieren alle, die nicht in ihr Weltbild passen. Um sich davor zu schützen, sind Teile der Linken gezwungen ihre sonstige politische Arbeit zu vernachlässigen und sich ausschließlich mit dem Abwehrkampf gegen die Nazis zu beschäftigen.

 

 

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