Nazi-Antikap im O-Ton  (Beispiele) - zum Seminar »Antikapitalismusphantasien der Nazis«

Zöberlein: »Der Befehl des Gewissens«

Roman/1938/München/Eher-Verlag/Zentralverlag der NSDAP (1939 - 230.000 Auflage)

→ Kritische Anmerkungen (plus Kritik an diesen Anmerkungen) zu diesem faschistischen Dokument im Anhang →

Tryptichon
Tryptichon aus Theweleits »Männerphantasien«

Situation der Textstelle:

Hans Krafft, ist mit seinen Kameraden aus dem Weltkrieg zurückgekommen, und fühlt sich betrogen, nicht nur vom Vertrag von Versailles, sondern auch von der angeblichen Revolution nach 1918. In der Form des bürgerlichen Bildungromans wird das Suchen nach politischer Orientierung und innerer Festigkeit geschildert. Aus der Rückschau des siegreichen Nationalsozialismus wird im Rückblick eine Entstehungs- und Rechtfertigungsgeschichte konstruiert. Zur Hauptperson wird mit Hans Krafft nicht ein Arbeiter, sondern ausgebildeter Bauingenieur gewählt. Kraffts Vater ist selbständiger Handwerker im Abstieg.

Zeitpunkt der Diskussion: Unmittelbar nach der blutigen Niederschlagung der Räte-Republik, an der Krafft und seine Kriegskameraden sich beteiligten. Hanns Krafft hat diese zusammengetrommelt, um über den Sozialismus zu reden. Berta, die Tochter des Wirts, gspäter Kraffts Braut, ist als einzige Frau dabei.

Es ist gerade allerlei über den Sozialismus gerätselt  worden: ist er vor allem anti-national, ist er nur Volksbetrug? Berta hat als letzte scheinbar naiv eingeworfen: »Sozialismus ist ein Fremdwort«

{Seite 279-286:}

«Sie waren einigermaßen beschämt, dass eine Frau ihnen erst das Nächstliegende sagen musste. Nur der Endreß behauptete: »Das ändert gar nichts an meinem Urteil«. Und Paul wendete sich zu Hans um »Du, Hans, bist doch sonst so ein eifriger Sozialist. Du kommst jetzt dran«

Hans ist doch etwas davon betroffen, wie verschieden das große Schlagwort vom Sozialismus in ihren Köpfen herumspukt. Als er ans Glas klopft, hat er sofort eine gespannt lauschende Gemeinde um sich. »So gut, als ihr überzeugt seid, dass national sein unbedingt zu einem anständigen Menschen gehört, genau so fanatisch sind die anderen davon überzeugt, dass sozial sein eine Lebensnotwendigkeit ist. Seht ihr, das ist es, was mir schon so viel zu denken gegeben hat.

Ich habe ebenfalls versucht, dem auf den Grund zu kommen, was Sozialismus eigentlich ist. Fräulein Berta hat uns heute den ersten Schlüssel zur Lösung des Rätsels gegeben. Wir haben es mit einem Fremdwort zu tun. Ich kenne aber noch kein passendes Wort, das uns diesen Begriff verdeutscht hätte. Man könnte also meinen, Sozialismus ist etwas, das es früher nicht gegeben hat, das erst zu uns wie eine Seuche hereingeschleppt worden ist.«

»Eine Seuche! Sehr gut!« rief der Christian dazwischen.

»Freilich, was wir bisher davon erfahren haben, war nicht erbaulich. Daher schließlich eure kategorischen Verdammungsurteile: Schwindel, Verrat, Utopie, Feind, Diebstahl!«

»Ist es vielleicht nicht so?« tat Endreß empört.

»Nein, das sind alles nur oberflächliche Urteile aus Wirkungserscheinungen, die wir um uns sehen. Die aber noch gar nichts erkennen lassen, solange wir nicht klar überblicken, wer eigentlich mit diesem Begriff für seine Zwecke operiert.«

»Na, da bin ich neugierig«, meinte Paul kribbelig gespannt und sah verwundert zu, wie Hans ein Messer aus der Tasche zog, die Klinge öffnete und es dann emporhob, dass jeder es sehen konnte, als er sagte: »Ein Beispiel! Der Begriff, was ein Messer ist, ist euch doch geläufig?«

»Natürlich!« antworteten sie verwundert.

»Mit einem Messer kann man vielerlei anfangen. Man kann Brot schneiden, Späne machen, Bleistifte spitzen, Äpfel abschälen; lauter nützliche Dinge. Wenn ein Künstler ein Messer in die Hand bekommt, kann es ihm einfallen, dass er aus einem Stück Holz einen Christuskopf damit herausschnitzt. [..] Da fasst Hans das Messer plötzlich beim Griff und fragt:« In der Hand des Mörders aber ..?«

Er lässt das Messer auf den Tisch fallen. »Was kann das Messer dafür? - Und ebenso frage ich: Was kann der Sozialismus dafür, wenn er missbraucht wird von Gaunern, Idioten und Verbrechern? Könnte nicht derselbe Sozialismus in der Hand ehrlicher Menschen Frieden und Segen bringen?

Der Begriff ist an sich tot. Leben und Gestalt gibt ihm erst der Mensch dadurch, wie er ihn anwendet.

Betrachten wir uns doch einmal, was der Mensch aus dem Sozialismus machen könnte. Nicht jeder! Aber für unsere Betrachtung stellen wir uns einen Menschen vor, der von Natur aus die besten Gaben mitbekommen hat. Keinen Dummkopf! Denn Dummheit ist eine Strafe der Natur. Sie will nicht, dass Minderwertige zur Herrschaft kommen, und macht sie daher dumm. Angewandte Dummheit ist schließlich das schwerste Verbrechen an gesunden Menschen. Aber das nur nebenbei.

Nehmen wir den Kern heraus aus dem Wort. Lassen wir den »Ismus« weg, dann bleibt das Wörtchen »sozial«. Durch richtigen wahren Sozialismus soll schließlich einmal die soziale Frage gelöst werden. Das habt ihr sicher schon irgendwo gehört?

Ein beistimmendes Raunen ging um die Tische.

»Wer aber wünscht die Lösung der sozialen Frage? Man sagt, die Armen, die Entrechteten, die Unterdrückten und Ausgebeuteten, die sich in den sozialistischen Parteien oder Gewerkschaften zur Abwehr zusammenschließen. Das stimmt nicht, das ist nur ein Teil. Die Lösung dieser Frage wünschen alle, die Not leiden

Und um ganz auf den Grund zu kommen, müssen wir jetzt erst noch wissen, was Not ist. Paul, weißt du, was Not ist?«

»Na, hör mal! Da fragst Du mich« lachte Paul sorglos.

»Not ist etwas Furchtbares« flüsterte Berta vor sich hin, doch haben es alle vernehmen können.

Da sagte Krafft langsam und schwer in die erwartungsvolle Stille: »Not - ist der Mangel an allem, was der Mensch zum Leben braucht. Der Mangel an Nahrung, an Kleidung, an Wohnung - und auch an Bildung, die man die Not an Schönem, die Not an Kultur nennen kann.

Die ärgste Not aber ist der Hunger!! - Denn ohne Nahrung können wir überhaupt nicht leben.

Wenn ich also die soziale Frage lösen will, dann muss ich zuerst die ärgste Not, die es gibt, beseitigen durch Nahrung. Wer aber erzeugt unsere Nahrung?

Der Bauer! Wenn er den Acker sät, Vieh züchtet, Gemüse und Obst anbaut, dann löst der Bauer den Kernpunkt der sozialen Frage. Würde der Bauer streiken, dann würde er die soziale Not zur Katastrophe verschärfen. Es heißt ja: Wenn kein Bauer das Feld bestellt, verhungert die Welt. Arbeitet er, dann ist der Bauer der erste, der allererste Sozialist im Staate, weil er die grundlegendste Voraussetzung des Sozialismus - des Mittels zur Lösung der sozialen Frage - beiträgt.

Fragt aber unsere Bauern, ob sie Sozialisten sein wollen. Sie werden entsetzt ein Kreuz schlagen, als wolle sie der Teufel zur Sünde verleiten. Denn sie sehen unter Sozialismus nur Brand, Raub, Mord und Plünderung.

Da habt ihr die Begriffsverwirrung. Nicht Demonstrationen, Streik und Aufruhr ist Dienst am Sozialismus, wie die roten Proletarier meinen, weil dadurch keine Nahrung und keine Güter entstehen, sondern zerstört werden. Denkt an das Messer, dann seht ihr, dass nicht die gütigen Hände weitschauender Menschen mit dem Begriff Sozialismus operieren, sondern Verbrecher! Die genau das Gegenteil von Sozialismus meinen - nicht das Leben fördern, sondern vernichten.

Der Bauer kann sich aber sträuben wie er will, dem wahren Begriff nach ist er Sozialist, und seine Arbeit ist wahrer Sozialismus.« [...]

»Gehen wir einen Schritt weiter. Neben der Nahrung braucht der Mensch zuallererst Kleidung, um sich gegen die rauhe Natur zu schützen. Solange er nicht genug Kleidung hat, plagt ihn die soziale Not. Er friert, wird krank, stirbt vor der Zeit.

Wer macht aber unsere Kleidung? Der Handwerker, Schneider, Schuster, Weber und Gerber, heutzutage allerdings vorherrschend die Industrie. Alle, die das tun, sind also Sozialisten. Die Maschinen und Fabriken, die benützt werden, sind soziale Einrichtungen.

Fragt aber einmal die Handwerksmeister und die Herren Fabrikbesitzer, ob sie sich als Sozialisten fühlen. Sie werden entrüstet auf ihren Bürgerstolz und ihr Nationalbewußtsein hinweisen, und erklären, dass sie nichts gemein haben mit dem Sozialismus, sondern seine geschworenen Feinde sind. Und doch dienen sie dem Sozialismus, sie wissen es nur nicht.

Wer Wohnungen baut, löst ebenfalls seinen redlichen Teil an der sozialen Frage mit, ob es der Architekt oder der Unternehmer, der Bauhandwerker oder der Hilfsarbeiter ist. Sie dienen alle mit ihrer Arbeit dem Sozialismus, wenn sie sich auch untereinander als Todfeinde betrachten und im Sozialismus nur den Kampf um höhere Löhne sehen«

Krafft musste tief Atem holen und im Kreis umherblicken, wo ihn lauter verwundert fragende Augen ansahen. Und in dem gespannt horchenden Schweigen begann er den Faden seiner Betrachtung weiterzuspinnen. Sie spürten alle, wie das Herz mitschwang in seinen Worten, als er erneut begann:

»Ist nun der Mensch nicht mehr hungrig, friert er nicht mehr, und hat er ein Dach über dem Kopf, so ist für ihn die soziale Frage noch lange nicht gelöst. Er ist noch nicht satt. Denn das unterscheidet uns ja vom Tier, dass wir nicht genug haben, wenn der Körper satt und geborgen ist.

Unbändig und gewaltig regt sich die Seele im Menschen, dass er sich nach Liebe sehnen und nach einem Glauben hungern muss.

Und sein Geist sucht nach dem Schönen und nach der Freude in dieser Welt. Denn der Mensch will die Welt um sich begreifen - und sich selbst.

Um das zu können, braucht er die Bildung. Er muss lesen, schreiben, rechnen, zeichnen, singen und tausenderlei anderes können. Dazu braucht er den Lehrer, den Seelsorger, den Künstler. Und weil er nie genug davon bekommt, sondern immer weiter vordringen will, braucht er auch den Forscher, den Gelehrten, den Erfinder.

Sie alle arbeiten ja, um unser Leben erst wirklich lebenswert und schön zu machen. Es wäre traurig öde und freudlos um uns hier, wenn sie nicht wären und uns das Unausgesprochene im Menschen und seiner Umwelt begreiflich nahe bringen würden. Und was sie tun, ist das erhabenste Stück am Sozialismus. Auch sie sind Sozialisten, auch wenn sie sich heute noch so entsetzt gegen diese Bezeichnung verwahren...

Hat der Mensch das alles, dann muss er daran denken, sich zu schützen und seine sozialen Errungenschaften gegen andere, die sie ihm neiden, zu verteidigen. Dazu wird er Soldat - wie wir.«

Das verstanden sie restlos! Sie nickten gläubig zu ihm hin und konnten kaum erwarten, dass er weiterfuhr.

»Und aus der Gemeinschaft aller Schaffenden eines Volkes entsteht schließlich der Staat und der Staatsmann. Und mit ihm das Gesetz mit Richter und Henker.

Die Technik steht im Dienst am Menschen zu seiner sozialen Besserstellung mit ihrer gesamten Industrie.

Und der Kaufmann sorgt für die Verteilung der sozialen Güter, dass nicht die einen Not leiden müssen, während andere im Überfluss ersticken. Die Menschen haben zu diesem Zweck ein einfaches Tauschmittel erfunden, das Geld. Auch das Geld und die Banken sind ursprünglich nichts anderes gewesen als eine notwendige soziale Einrichtung.

Ihr seht also, nicht mit Geld an sich kann man die soziale Frage lösen. Es muss erst eine produktive Arbeit dahinterstecken, die ja dem Tauschmittel Geld erst eine Geltung gibt.

Und so geht die Kette ringsum im Volk von einem zum anderen. Alle sind nötig, Mann und Weib, Land und Stadt, Äcker und Fabriken, damit ein gesunder Sozialismus lebendig wird..«

Als Krafft einen Atemzug lang nachdachte, warf Christian schnell ein. »Dann gäbe es überhaupt nur noch Sozialisten. Das müsste ja das Paradies auf Erden sein!«

»Augenblick. Ich bin noch nicht ganz fertig«, entgegnete Krafft und stellte lächelnd die Frage: »Wer ist kein Sozialist?«

Sie schüttelten verwundert die Köpfe, und fragten sich selbst gegenseitig: »Kein Sozialist! Wer soll jetzt noch kein Sozialist sein?«. Da sagte Krafft schneidend scharf in ihr Raten hinein.

»Jeder, der diese von der Natur gegebene Lösung der sozialen Frage stört! Der Wucherer, der Ausbeuter, der Volksverhetzer und Volksverdummer, der Saboteur, der Verräter, der Parasit, der Faulenzer, der Dieb, der Räuber, der Mörder- kurzum der Verbrecher!

Wer nicht mithilft, durch seine ehrliche Arbeit die soziale Frage zu lösen, wer bewusst oder durch Dummheit andere daran hindert, der ist ein Verbrecher am Volk. Denn wenn alle so wären, gingen wir miteinander grauenhaft zugrunde. Wie? Das haben wir in den letzten Wochen gesehen, als Verbrecher sich in München zu Staatsmännern aufgeworfen hatten.«

Freudige Erregung geht durch ihre Reihen, weil das Bild sich jetzt gerundet hat. Ein gewaltiges Bild, vor dem sie alle noch in tiefes Staunen versunken sind. Und Hans ist es selber warm ums Herz geworden, dass er weiterspricht: »Denkt einmal nach, welcher vernünftige Mensch könnte, wenn er sich das überlegt, noch von sich sagen, dass er ein Gegner des Sozialismus sein will? Er könnte genau so gut sagen, ich bin ein Gegner des Lebens«

Denkt noch einmal an das Messer! Und betrachtet euch das sozialistische Gerede unserer Tage, dann habt ihr ein grandioses Beispiel, wie eine gute Idee vergewaltigt wird, um mit ihr den eigentlichen Gegensatz heraufzuführen. Nicht ein geordnetes Leben, sondern das Chaos.

Denn wenn nicht alle, die leben wollen, eisern zusammenstehen und arbeiten, sondern einander würgen, beißen und erschlagen, dann gehen wir alle elend zugrunde. Ihr genau so gut als Bürger wie die roten Proletarier.

Da stehen wir heute!

Die soziale Frage hat es zu allen Zeiten schon gegeben. sie ist nicht erst eine Erfindung des Juden Karl Marx. Er hat nur aus etwas Selbstverständlichem eine politische Theorie, ein Fremdwort, gemacht zum Irreführen der Menschheit. Damals, als die Satten darauf vergaßen, dass die Hungrigen auch leben wollen.

Sozialismus ist schon seit Bestehen der Welt unter den Völkern geübt worden als Sitte und Gebot. Nur einer gerechten, vernünftigen Anwendung verdanken große Völker ihre Blüte, ihre hohe Kultur und ihren Wohlstand. Die soziale Not war zu allem großen Geschehen auf dieser Erde der Anlass, ob das die Not des Körpers oder eine Not des Geistes und der Seele gewesen ist.

Und jetzt verstehe ich auch den Krieg! Jetzt kann ich verstehen, dass ganze Völker sich erheben, vom Vaterland singen und in den Tod gehen. Die soziale Not treibt sie; denn sie ersehnen ja im Kampf nichts anderes als die Freiheit ihres Volkes und des Landes, in dem ihr Brot wächst: Ihrer Nation.

Es ist um Krafft her immer noch so andächtig still wie in einer Kirche, dass er beinahe verwirrt davon wird, als er mit der Hand wie erwachend über die heiße Stirn fährt und beinahe entschuldigend stammelt: »Kameraden, es ist mir selber unbegreiflich, wohin ich da mit meinen Gedanken gekommen bin. Ich kann es selbst noch nicht recht fassen.

Aber seht doch: Deutsch fühlen und sozialistisch handeln ist kein Gegensatz, sondern eins.

Und bedenkt nur! Wir Frontsoldaten und heute so verachteten freiwilligen Landsknechte, wir standen doch in den vergangenen Jahren und in den letzten Tagen mitten in den heißesten Brennpunkten der Auseinandersetzung zwischen den Völkern draußen und den Menschen im eigenen Land. Wir haben mehr gesehen und erfahren als die, die nicht in diesem brausenden Hochofen der Front und in der Schmiede des Kampfes gewesen sind. Wir wissen mehr vom Leben und Sterben als andere. Denn wir mussten ja so unendlich tief in die Zusammenhänge schauen, die dem Spießer immer ein Rätsel bleiben werden.

Und daher glaube ich, dass gerade aus uns Soldaten - trotz Tod und Teufel - einmal doch noch der wahre Sozialismus kommen wird.«

 


1.
Anmerkungen und Fragen zum Text Zöberlein.

1. Darstellungsform:

Der Text beginnt als eine Art platonischer Dialog, endet aber als Verkündung, die auf Verzückung stößt, keine Überprüfung mehr nötig hat. Anklänge an die biblische Abendmahlserzählung sind unverkennbar (und die Umsitzenden wandten sich zueinander und fragten sich ...) Ebenso die bildmäßige Unterstützung der bekannten Triptychen aus der NS-Zeit: Bauer - Arbeiter - Soldat als ewiger Wesenheiten. (ein Beispiel-Bild wird noch eingescannt und verlinkt)

Kennzeichnend der Beschlagnahme-Nationalismus. Jeder einzelnen Gruppe wird, ohne dass sie selbst zu Wort kommt, auf den Kopf zugesagt, dass sie »eigentlich« sozialistisch sind. Genau im Ggensatz zu Marxens: »Sie tun das, aber wissen es nicht«. Marx setzt auf allmähliche Bewusstwerdung, Zusichkommen. Zöberlein genügt es, an Stelle der Markierten zu wissen. Zöberlein geht fast platonisch vom »Mangel« aus, der Not, dem Leiden, nicht vom Wollen und Ausgreifen. Das teilt er mit Gansel und der herrschaftskonformen Linken - entsprechend werden ihm die einzelnen Produzentengruppen, wie auch Gansel, bloße Objekte der Etikettierung. Niemals Subjekt.

2. Gedanklicher Fundus:

Zöberlein/Krafft gehen ausschließlich von der Produktion aus, die als solche vieler Einzelner dargestellt wird. Die Frage nach Eigentum, Zusammenarbeit und Vermittlung entfällt.

3. Abbé Sieyes:

Zöberlein fällt hinter Adam Smith zurück, weil er den Warencharakter der geleisteten Arbeit in keinem Punkt berücksichtigt. In der großen gedanklichen Linie folgt Zöberlein der Uraltfabel des Menenius Agrippa vom Bauch und den Gliedern. Im Besonderen der Fragestellung »Qu'est-ce que le Tiers-État? Rien. Que devrait-il être? Tout.« Der Blick auf die Produktivität sondert dann die Unproduktiven als Klasse ab und aus: Adel und Klerus, die nur verbrauchen, nichts produzieren.

Das erlaubt dann in Gedanken, die Produzierenden über den Markt zusammenzuschließen, den marktförmigen vernünftigen Diskurs, Gericht, Parlament usw.

Zöberlein erreicht den Marktgesichtspunkt gar nicht.

4. Volksgemeinschaft versus Störer.

Das Nationale ist das Primäre und Gegebene. Das Produzieren ohne bewusste Vermittlung über die einzelnen Produzenten ist dann nur Nachvollzug des Nationalen. Da empirisch das alles natürlich nicht funktioniert, kein selbstregulierender Ausgleich stattfindet, ist die Figur des Störers unentbehrlich. Seine Ausschaltung ist deshalb unerlässlich.

5.

Nicht eine Klasse wird ausgegliedert, sondern individuelle Verbrecher. Die Summe der Störer wird hier im Roman nocht nicht unter der Rubrik »Juden« zusammengefasst. Trotzdem ist die vereinheitlichende Substanzialisierung für den Fortgang des Romans und der entsprechenden Politik nötig, um eine einheitliche Menschengruppe zu schaffen, gegen die eine Parodie des Klassenkampfs veranstaltet werden kann.

6. »Antikapitalistische Sehnsucht«.

Gansel übernimmt in seinem Aufruf vom Dezember 2006/ Deutsche Stimme voll die Position Strassers. Zugleich unverkennbar Grundelemente von Zöberleins Deduktion. Nation als das Primäre, die Wirtschaft als das Sekundäre. Das ergibt sich aus der Lektüre. Schwierigkeiten beim Aufmarsch gegen G8 treten allerdings auf, weil Gansel notgedrungen von »Völkern« sprechen muss, seinem eigentlichen Gedankengang nach aber nur vom deutschen Volk als Bezugsgruppe träumt.

Ganz ohne imitierten Internationalismus geht Anti-G8 nicht.

Gansel kann sich nicht auf Handwerker an sich - Arbeitslose an sich beziehen. Den Handwerker sieht er als im Absinken begriffen - »absinkender Mittelstand« - das Proletariat/Prekariat muss er scharf von Randguppen abgrenzen. Ein Gedanke, der bei Zöberlein höchstens in der Hetze gegen die »Faulenzer« auftaucht.

7. Angriff auf die staatstragende Linke.

Gansel wie Zöberlein verweisen mit Recht auf die Unfähigkeit der offiziellen Linken, die Gruppen, die sie angeblich vertreten, als Subjekt anzusehen.

Im französischen Wahlkampf hat allenfalls Besancenot überhaupt sich bezogen auf die realen Kämpfe der Gruppen. In Deutschland hat die WASG, die aus den Montagsdemos zum großen Teil hervorgegangen war, nichts eiligeres zu tun, als sich von dieser BASIS organisatorisch zu trennen.

8. Chancen der Gansel-Taktik.

Es kann der Gansel-NPD zwar kurzfristig gelingen, einige Unzufriedene auf ihre Seite zu ziehen. Aber zum Subjekt können sie diese noch weniger erheben als die Staats-Linke. Die historische Chance der Zöberlein-NSDAP bestand in der zweitweiligen Mobilisierung der Volksgemeinschaftler und der Unterstützung von Staatsgewalt durch Massenmobilisierung.

 

2.
Anmerkungen zu den Anmerkungen.

Im ersten Punkt der Anmerkungen heißt es: »Jeder einzelnen Gruppe wird, ohne dass sie selbst zu Wort kommt, auf den Kopf zugesagt, dass sie »eigentlich« sozialistisch sind. Genau im Ggensatz zu Marxens: »Sie tun das, aber wissen es nicht«. Marx setzt auf allmähliche Bewusstwerdung, Zusichkommen. Zöberlein genügt es, an Stelle der Markierten zu wissen.«

Die Marxstelle dagegen, auf die angespielt wird, lautet im Zusammenhang:  »Die Menschen beziehen also ihre Arbeitsprodukte nicht aufeinander als Werte, weil diese Sachen ihnen als bloß sachliche Hüllen gleichartig menschlicher Arbeit gelten. Umgekehrt. Indem sie ihre verschiedenartigen Produkte einander im Austausch als Werte gleichsetzen, setzen sie ihre verschiednen Arbeiten einander als menschliche Arbeit gleich. Sie wissen das nicht, aber sie tun es. Es steht daher dem Werte nicht auf der Stirn geschrieben, was er ist. Der Wert verwandelt vielmehr jedes Arbeitsprodukt in eine gesellschaftliche Hieroglyphe. Später suchen die Menschen den Sinn der Hieroglyphe zu entziffern, hinter das Geheimnis ihres eignen gesellschaftlichen Produkts zu kommen, denn die Bestimmung der Gebrauchsgegenstände als Werte ist ihr gesellschaftliches Produkt so gut wie die Sprache. Die späte wissenschaftliche Entdeckung, daß die Arbeitsprodukte, soweit sie Werte, bloß sachliche Ausdrücke der in ihrer Produktion verausgabten menschlichen Arbeit sind, macht Epoche in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit, aber verscheucht keineswegs den gegenständlichen Schein der gesellschaftlichen Charaktere der Arbeit. Was nur für diese besondre Produktionsform, die Warenproduktion, gültig ist, daß nämlich der spezifisch gesellschaftliche Charakter der voneinander unabhängigen Privatarbeiten in ihrer Gleichheit als menschliche Arbeit besteht und die Form des Wertcharakters der Arbeitsprodukte annimmt, erscheint, vor wie nach jener Entdeckung, den in den Verhältnissen der Warenproduktion Befangenen ebenso endgültig, als daß die wissenschaftliche Zersetzung der Luft in ihre Elemente die Luftform als eine physikalische Körperform fortbestehn läßt.« [K1, S.88]

Man könnte sagen, auch Marx weiß hier etwas, was sein Objekt (die Menschen) nicht weiß, nur dass es ihm, anders als Zöberlein, nicht genügt. Er setzt gerade nicht auf »allmähliche Bewusstwerdung, Zusichkommen«, sondern konstatiert, erstaunlich wenig missvergnügt, die Zähigkeit des Verkennens, welches eben nicht durch die Reibung mit der Macht des Faktischen, oder des wissenschaftlichen Fortschritts, nach und nach zermürbt wird, sondern allein durch die Anstrengung des Begriffs im Massenmaßstab & in revolutionärer Absicht überwunden werden kann. Es ist Marx, der dem Proletariat zurechnet, »eigentlich« Subjekt der revolutionären Herbeiführung des Communismus zu sein. Er weiss aber auch, dass das Proletariat erst noch »wirklich« dieses Subjekt werden muss (Das Proletariat ist revolutionär oder es ist nichts).

Der Gegensatz Zöberleins zu Marx liegt an dieser Stelle eher darin, dass es Zöberlein ist, der auf allmähliche Bewusstwerdung setzt, nämlich darauf, dass diejenigen, die für ihn bereits Sozialisten sind, weil sie gleichsam Arbeiter (!) sind am Bau der (Volks-) Gemeinschaft, dies nur noch erkennen & sich eingestehen, dann Partei ergreifen und die »Gemeinschaftsschädlinge« bekämpfen (in der Konsequenz: »ausmerzen«) müssen und alles wird gut. Für Marx sind Proletariat wie Kapital dagegen (um im Bild zu bleiben:) Arbeiter am Bau des Kapitalismus. Dass sie ausserdem bereits am Bau der Zukunft (nach dem Kapitalismus) werkeln, haben »Traditionsmarxisten« schon viel zu lange überbetont. Solange dabei nur Reproduktion des Kapitalverhältnisses und immer wieder gesellschaftliche Regression herauskommt, ist alles communistische Potential der gesellschaftlichen Produktion und Kooperation NICHTS.

Zöberlein verherrlicht das Bestehende (für ihn: romantische Herkunft plus Elektrifizierung minus Verunreinigungen durch »Gemeinschaftsschädlinge«), Marx verwirft es als Vorgeschichte (die nur der Möglichkeit nach Tendenzen zum Communismus enthält).

 

Im dritten Punkt der Anmerkungen heißt es: »Der Blick auf die Produktivität sondert dann die Unproduktiven als Klasse ab und aus: Adel und Klerus, die nur verbrauchen, nichts produzieren.«

[Zöberlein:] »Jeder, der diese von der Natur gegebene Lösung der sozialen Frage stört! Der Wucherer, der Ausbeuter, der Volksverhetzer und Volksverdummer, der Saboteur, der Verräter, der Parasit, der Faulenzer, der Dieb, der Räuber, der Mörder- kurzum der Verbrecher! Wer nicht mithilft, durch seine ehrliche Arbeit die soziale Frage zu lösen, wer bewusst oder durch Dummheit andere daran hindert, der ist ein Verbrecher am Volk.«

In Anlehnung an Horkheimer/Adorno (Juden als Gegenrasse) müsste man das Zöberleinsche Vorgehen eher als »Aussondern der Unproduktiven als GEGENKLASSE« bezeichnen (als negatives Prinzip zu den an der gesellschaftlichen Reproduktion »schaffend« teilnehmenden Klassen). Die Übersetzung Unproduktive=Adel und Klerus ist derart unvollständig, dass sie schon falsch ist. Es fehlen wenigstens zwei: Geldbesitzer und Geldlose, Bankiers und Bettler.

[möglicherweise wendet sich Zöberlein in seinem Roman (ich kenne nur den Auszug) vor allem gegen Adel und Klerus, aus der Textstelle ist das aber keineswegs ersichtlich]

 

Im fünften Punkt heißt es: »Nicht eine Klasse wird ausgegliedert, sondern individuelle Verbrecher. Die Summe der Störer wird hier im Roman nocht nicht unter der Rubrik »Juden« zusammengefasst.«

Oben hiess es noch, die Unproduktiven werden als Klasse ausgesondert. Soll ich aus diesem Widerspruch schließen, dass es sich bei Unproduktiven und »Störern« um zweierlei handelt, die einen sozusagen als Feindklasse, die andern als Feindrasse. Das gibt die Textstelle nicht her. Und auch sonst macht es keinen Sinn. Niemand verlangt vom Antisemiten sich in seiner Abneigung auf die Juden zu beschränken. Wenn vom Verbrecher die Rede ist, der Wucherer, Ausbeuter, Volksverhetzer, Volksverdummer, Saboteur, Verräter, Parasit, Faulenzer, Dieb, Räuber, Mörder sei, dann denkt der gewöhnliche Antisemit doch nicht, dass das in jedem Fall ein Jude sei. Und dennoch ist das Objekt des Antisemiten (das auch nicht immer »der« Jude sein muss, es geht zum Beispiel auch mit Israel) zumindest schuld an dieser Verunreinigung.

Der Antisemit muss den Namen seines »auserwählten Volkes« nicht aussprechen. Es reichen Bilder und Anspielungen. Dies nicht nur und nicht immer aus »Heimtücke«, sondern weil sein Objekt in seiner Vorstellung wesentlich Bild ist (nicht [nur] irgendein biologisches Substrat wie beim Rassismus).

»Trotzdem ist die vereinheitlichende Substanzialisierung für den Fortgang des Romans und der entsprechenden Politik nötig, um eine einheitliche Menschengruppe zu schaffen, gegen die eine Parodie des Klassenkampfs veranstaltet werden kann.«

»Parodie des Klassenkampfs« transportiert die gefährlich-falsche Vorstellung von der Unechtheit der klassenkämpferischen Parolen der Nazis. Sofern man eine Interessengemeinschaft von Kapital & Faschismus/Nationalsozialismus konstatieren kann, ist ihr Klassenkampf eine besondere Form des gewöhnlichen Kampfs gegen die communistisch-revolutionäre »Mission« des Proletariats. Sofern sich Faschismus/Nationalsozialismus gegen besondere Erscheinungen und ProtagonistInnen der kapitalistischen Produktionsweise richten, handelt es sich vielleicht um eine Perversion (im Wortsinn), oder Farce des Klassenkampfs, nicht aber um bloße Nachahmung, Verstellung, oder so etwas.

 


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Weitere Anmerkungen zum Arbeitsblatt zu Franz Neumann: Behemoth:

→ Beispiel Hans Frank, zur Illustration der am Ende katastrophalen Reibung zwischen den vier Blöcken, bzw. zur Vereinbarkeit von Maßnahmenstaat und bürgerlichem Vertragsrecht.

→ Zur Rolle Schachts bei Neumann (Behemoth) / bei Tooze (Ökonomie der Zerstörung) / in der eigenen Autobiogaphie

→ Speers System - trotz dem Anschein schärfster staatlicher Lenkung zugleich größte Entfaltung der Monopole.

→ Zur unlöslichen Verbindung des »Antisemitismus der Vernunft mit dem »Antisemitismus des Pogroms«

 

 

 

 

 

 

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