aus dem Zirkularbrief Nr. 7, Juni 2002

»Antifaschismus als Klassenfrage -Antifa als Kampf gegen wen?«

Kritische Besprechung einer Sonderveranstaltung zum Ersten Mai (13.4.02):

Zur theoretischen Vorbereitung der Anfang Mai ins Haus stehenden Antinazi-Aktion hatte die Studienvereinigung mehrere, dem Anspruch nach revolutionäre, antifa-kritische Positionen zusammengebracht: VertreterInnen der linkskommunistischen Gruppen »Aufbrechen« (Berlin), »Unabhängige Rätekommunisten« (Thüringen) und Internationale Kommunistische Strömung (IKS) stellten am 13.4.02 im Café ExZess jeweils kurz ihre Thesen zu Kapitalismus, Imperialismus, Faschismus und Antifaschismus vor; ein kurzes Einleitungsreferat aus der SSV/ theorie praxis lokal versuchte in gedrängter Form die nichtstalinistische kommunistische »Volksfront«-Konzeption von G.Lukács als ernstzunehmende Methode auch für die Gegenwart zur Disposition zu stellen.

Auch bordigistische KritikerInnen kamen in der Diskussion zu Wort. Leider hatten »wildcat«- sowie »kolinko«-VertreterInnen aus Gründen der Terminüberschneidung für diesmal abgesagt.

Das Experiment, so vielen statements und Positionen auf einmal ein Forum zu ermöglichen, die ansonsten, vor allem innerhalb der antifaschistisch sich verstehenden Szene, eher unbekannt sind oder ausserhalb der gängigen linken Diskurse bleiben, kann nur mit erheblicher Einschränkung als gelungen bezeichnet werden. Einmal abgesehen davon, dass insbesondere die von uns eingeladenen IKS-Vertreter signalisieren zu müssen schienen, dass sie entsprechend ihrem Refrain »Alle Demokratie ist konterrevolutionär!« nun auch »euren Studienverein da« und dessen Vertreter als besonders gefährliche und verachtenswerte Reaktionäre irgendeiner feindlichen Konkurrenzsekte ins Töpfchen geschmissen hatten, also weder auf diplomatischer noch politischer Ebene überhaupt kapierten, worum es sich bei der Studienvereinigung und ihrer Einladung handelte –, und auch abgesehen von der nun schon gewohnten ostentativen Abwesenheit der »local antifa« selbst, die ja nun hinlänglich bekundet hat, dass sie weder für theoretische noch historische noch kritische Auseinandersetzung in ihrem Terminkalender jemals etwas übrig zu haben gedenkt (die wenigen Ausnahmen waren gewissermaßen außerdienstlich da und gingen denn auch vor der eigentlichen Entfaltung der Debatte schnell wieder weg) – war die Resonanz auf dieses Veranstaltungsexperiment gespalten.

Neben der Anerkennung für die besondere, ja seltene Gelegenheit, derartige kommunistische Positionen einmal komprimiert inhaltlich »im Handgemenge« kennenzulernen und in eine historisch aufgeladene Reflexion und Kritik der antifaschistischen Problematik Einblick zu erhalten, und neben der formalen Würdigung einer lebhaften und übrigens für hiesige Verhältnisse ganz gut besuchten Diskussionsrunde zum richtigen Zeitpunkt, sprachen andere unverhohlen von »einer Katastrophe«. Dabei gilt es festzuhalten: weder die einen noch die anderen, die sich uns gegenüber so oder so geäussert haben, wurden an dem Nachmittag auch nur im entferntesten von der Triftigkeit der dort eifernd vorgebrachten schlicht antidemokratischen und anti-antifaschistischen Weltbilder überzeugt.

Festzuhalten ist aber vor allem, dass das Niveau der Debatte trotz des politischen Autismus und des sektentypischen Stils, der hier leider gehäuft auftrat, inhaltlich ziemlich hoch war, da es sich eben doch um gewachsene, historisch (wenn auch z.T. stark historistisch) argumentierende marxistische Positionen handelte. Wenn auch als oft so erbarmungswürdig verknöcherter Ismus und Schematismus, wie er in dieser Versammlung vor Augen trat, so hat doch eine klassenanalytisch vorgehende Methode, sei sie auch noch so verkrüppelt, doch schon vom Ansatz her dem faden und unartikulierten »triple oppression«-Aufguss der antimarxistischen antifa-Szene, ihrer idealistischen »Selbstverständlichkeit«, utopistischen Begriffslosigkeit und ihrem diskursiven Moralin gegenüber immer noch einen unübersehbaren Vorsprung, die uneinholbare Überlegenheit jedes wenigstens historisch-materialistischen Gehversuchs gegenüber allem positivistischen Voluntarismus der Klassenausblendung vorab.

Wenn auch undialektisch-überzogen - sie haben wenigstens die richtigen historischen Fragen gestellt, und wenn auch ihre Antworten abstrakt, trivial und alleinseligmachend borniert sind, so lassen sie sich doch vom historischen Kern her kritisch aufsprengen: Ist Demokratie tatsächlich seit langem nur noch die gefährlichste Waffe der Bourgeoisie und sonst garnichts, ja: was heisst überhaupt historisch-begrifflich für uns Lohnarbeitende »Faschismus« und »Demokratie« ? Um diese Kategorien und ihre materielle Rückführung auf die wirklichen Produktionsverhältnisse und damit unweigerlich Gesellschaftsklassen-Kämpfe, ob wir wollen oder nicht, ging es in dem Streit.

Aber ausser dem Referenten der Zeitschrift »Aufbrechen« liessen sich die Diskussionsgäste nicht wirklich auf die Inhalte und Vorstellungen der antifaschistischen Bewegung ein, sondern fassten das Forum als willkommene gemeinsame »Abrechnung« mit allen Irrgläubigen »der« Demokratie auf, als Gelegenheit zur Selbststilisierung Wahrer Sozialisten, die den Klassenstandpunkt und die revolutionäre Strategie gepachtet haben: »Die Demokratie ist das Trojanische Pferd, das die Arbeiterklasse ans Messer liefert!«, »Die Arbeiter kämpfen nicht gegen Faschismus, sondern für ihre Rechte« usw.

Mit penetranten Versicherungen dieser Art, jeder Menge dualistischen »nicht... -sondern...« -Konstruktionen, also falschen und idiotischen Gegenüberstellungen und »prinzipien«fester Verweigerung, irgendwo einmal reale dialektische Widersprüchlichkeit und Übergänge auch nur wahrzunehmen geschweige denn weitertreibend zu denken, mit fortgesetztem Gegeneinanderausspielen von Allgemeinem gegen Besonderheit und Einzelheit historischer Situationen (Paradebeispiel: »Da der imperialistische Kapitalismus keine Kriege mit fortschrittlichem Charakter unterhalb der proletarischen Weltrevolution zulässt, kann auch der Zweite Weltkrieg als antifaschistischer Krieg doch nur reaktionären und imperialistischen Charakter gehabt haben und war er im Grunde auch gar kein antifaschistischer, sondern ausschliesslich ein ganz gewöhnlicher imperialistischer Krieg« usw.), kurz: mit dem »prinzipienfesten« Ersetzen von dialektischer Analyse der konkreten Situation durch abstrakte Banalitäten und durch Weigerung, überhaupt qualitative Unterschiede ins Auge zu fassen, blockierten einige rechthaberische Prinzipienreiter stundenlang die so dringend nötige Diskussion über die wirklichen Verstellungen der »Antifa-Ideologie«.

Dass die Demokratie eine durch und durch bürgerliche Herrschaftsform ist wie jede moderne Staatlichkeit, dürfte für die wenigsten im Publikum eine großartige Erkenntnis gewesen sein, dass aber die faschistische, gar nationalsozialistische Herrschaftsform ein bloßer Popanz sei, geht aus dieser Einsicht keineswegs »logisch« und schon garnicht historisch hervor. Die penetrant vorgetragene Leugnung dieses qualitativen (und damit auch quantitativen) Unterschieds in den Klassenkampfbedingungen, dem Unterschied-ums-Ganze im Kampf »für den Kommunismus«, den sich schliesslich durchaus auch ein Teil der heutigen Antifa subjektiv ehrlich aufs Panier geschrieben hat, – hatte offensichtlich nur die sektenpolitische Funktion, alle antifaschistische Bewegung als schon immer reaktionär abzutun, als opportunistisches Ablenkungsmanöver vom angesagten Kampf »der Arbeiter für ihre Rechte und für die Revolution«, als deren Prinzipienhüter man sich anheischig macht.

Deutlich wurde jedenfalls schon vom Gestus her: ebensowenig wie die meisten heutigen Antifa-Bewegten sich selbst wahrnehmen und begreifen können als ein kämpfender Teil, ein Segment der Klasse-an-sich, ebensowenig, ja noch beschränkter nimmt ihre Pseudokritik die heutige Proletarität und ihre Aktions- und Bewusstseinsformen wahr.

Statt sich mit unserem gemeinsamen proletarischen gesellschaftlichen Sein auseinanderzusetzen in konkreter Kritik unseres segmentierten und partikularisierten (nämlich von der Konkurrenz im materiellen und geistigen bürgerlichen »Tierreich« mehr denn je bestimmten) Bewusstsein, lebt dieses Sektenspektrum bequem von der Unterstellung gegenüber allen etwaigen revolutionär-proletarischen VerteidigerInnen der bürgerlich-revolutionären Errungenschaften und Standards als Bedingung der Möglichkeit für den Übergang zu kommunistischer Revolution: dass angeblich die bürgerliche demokratische Barbarei und Reaktion bagatellisieren würde, wer die qualitativ und quantitativ noch schlimmere, endgültige faschistische und NS-Barbarei als solche benennt und bekämpft. (Stereotyp: »Die bürgerlich-demokratischen Nationen haben auch ihre Massaker und Atrozitäten vorzuweisen, man soll nicht immer nur auf die Nazi-Greuel, auf den deutschen Imperialismus starren !«.

Besonders ärgerlich und unanständig war auf dieser Veranstaltung die hartnäckige Weigerung, das Ausweichen und Beschweigen von seiten der Gleichmacher, auf die Singularität der Shoah und die daraus folgenden Konsequenzen für den Kampf gegen den deutschen Kapitalismus im besonderen und die Barbarei der kapitalistischen Weltzivilisation im allgemeinen auch nur mit einem Wörtchen einzugehen. Marx's Ur-Parole: »Krieg den deutschen Zuständen!« als Voraussetzung für die kommunistische Revolution hier blieb in diesem Kreise tabu, ob man das wollte oder nicht: Deutschland wurde konsequent geschont.

Das bisher größte Verbrechen einer kapitalistischen Herrschaftsform, das zugleich die entsetzlichste welthistorische Niederlage des Proletariats bezeichnet, und eben nicht nur dieser Klasse, sondern besonders eines »Volks« und der Gattung allgemein - sollte für diese Leute nun einmal kein Thema sein.) Immerhin wurde beteuert - wenn auch nur in einer schlechten, nicht ganz glaubhaft wirkenden Selbstverständlichkeit -, dass man als »reiner Kommunist« ja ohnehin immer auch Nazis schlägt, wo man sie trifft. Dazu braucht man wohl weder Faschismusbegriff noch gar eine Antifa. Die AntifaschistInnen, so der Refrain, sind eigentlich nicht nur überflüssig, sondern mit ihrer »Antifa-Ideologie« den wahren Klassenkämpfe(r)n im Weg. (Es musste kommen und es kam: »Wenn sich alle, die heute in der Antifa sind, als Kommunisten organisieren würden, ... !« Und als unfreiwilliges Bekenntnis zur Sektenidentität: »Die besondere Gefährlichkeit des Faschismus herauszuarbeiten heisst doch, dass du als Kommunist verloren bist: als solcher bist du ja dann überhaupt nicht mehr wahrnehmbar!!«)

Die VeranstalterInnen hatten auf eine fetzige inhaltliche, ideologiekritische Diskussion gehofft. Was wir bekamen, war weitgehend ein Antifa-bashing. Wenig tröstlich: hier wurde immerhin einmal das Panoptikum des hilflosen Anti-Antifaschismus von links vorgeführt.

Als Verantwortliche für diesen fragwürdigen Event galt es diese Stellungnahme als eine Art Selbstkritik zu nehmen. Zur direkten inhaltlichen Kritik kamen wir auf der Veranstaltung zwar auch, aber nur rudimentär (wir waren einfach zu wenige, und die Antifas liessen einen ja auch wieder mal allein). Deshalb stellen wir den Einleitungsbeitrag über Lukács' kluge Volksfrontkonzeption in erweiterter Fassung auf unsere homepage. Weiterhin schauen wir, ob die Verschriftlichung unserer verschiedenen Protokollaufzeichnungen zu schaffen ist.

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