Gegenargumentation gegen den Vorschlag für eine fällige Neuformulierung der Grundsatzerklärung. (Ende 2003) FG

Anregung zu den drei Imperativen, die einer neuen Grundsatzerklärung eingefügt werden sollen.

Ich möchte anregen, den Hinweis auf die drei Imperative nicht in die neue Grundsatzerklärung zu übernehmen.

1.

Die Kommunisten haben keine Gebote -Imperative- zu erfüllen, sondern einer real vorhandenen Tendenz zum Durchbruch zu verhelfen.

1.1.

Selbst wenn Marx im Original das Wort »Imperativ« selbst verwendet haben sollte, hat es in seinem Text keineswegs den Sinn eines Gebots, das nachträglich zum Verhalten in einer schon objektiv gegebenen Welt anleiten soll.

Im selben Augenblick, wo erkannt wird, dass der Mensch ein »erniedrigtes..usw.« Wesen ist, entsteht der Handlungsimpuls: er soll es aber nicht sein, denn in diesem Zustand kann er kein Mensch sein. Erkennen und Handeln sind bei Marx also keineswegs getrennt, sondern fallen zusammen.

Das ist mit Kant zu vergleichen: Hat er in der Kritik der reinen Vernunft das Bewandtnisganze unseres Daseins als eines erstellt, das unter Gesetzen steht, die wir aus der Spontaneität unserer Vernunft erzeugt haben, um uns ihnen anschließend anerkennend zu unterwerfen, steht er vor dem Problem, wie der Mensch diesem gesetzlich verfassten Ganzen nachträglich handelnd beikommen kann. Diese Frage löst er in der praktischen Vernunft- von ihm aus ganz konsequent: ich handle widerspruchsfrei, so dass die Maxime meines Handelns....wie ein »Naturgesetz« angesehen werden könnte. Vor aller Einzelkritik an Kants Imperativ- s.u- entfällt dann die wirkliche Totalität der Welterfassung: Erkennen und Handeln werden ganz notdürftig durch die Postulate am Ende der Praktischen Vernunft noch einmal verknotet: als sittliches Wesen soll ich postulieren dürfen, dass ein Gott sei, was ich als erkennendes zu deduzieren mir eben verboten habe.

Ob es dann »daß«, oder »als ob« in Kants Formel heißt, bleibt sich gleich- eben, weil es sich von vornherein um einen Vorgang zwischen den eigenen vier Hirnwänden ohne realen Außenbezug handelt. Mit Kant ist also der Zerlegung der Welt in Einzelsegmente- hier: Erkennen dort: Handeln - nichts entgegenzusetzen.

2.

Der junge Lukacs wie der alte haben darauf hingewiesen, dass Kant Moral nur so denken kann, dass das Vernünftige in uns sich über die Partikularität unseres sinnlich-konkreten Daseins auf den Standpunkt der Allgemeingültigkeit erhebt.

So gesehen ist Kants Verbot des Spendens an einen Bettler aus Mitleid keine schrullige Eigenheit, sondern konsequent gedacht. Wir als konkrete leib-seelische Einheit müssen draußen bleiben, wenn der vernünftige Richter in uns moralisch die Stimme erhebt. Es werden »alle konkreten Eigenschaften,Bestrebungen etc. der Menschen in seinem Sinne pathologisch,denn sie kleben nur zufällig dem - ebenfalls fetischisierten - abstrakten Willen an.« (Lukacs,Zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins, 2.Halbband,S.64. )

Eine solche Zerlegung des Menschen in ein oberes geistiges und unteres sinnliches »Wesen« scheint mir den Grundannahmen des Materialismus zu widersprechen.

2.1.

Wie Lukacs und ebenfalls Mehring in ihren philosophischen Aufsätzen nachgewiesen haben, lässt sich aus dem kategorischen Imperativ keine intersubjektive Verbindlichkeit gewinnen. Was im Innern des denkenden Wesens auf seine Widerspruchsfreiheit und Allgemeinheitsfähigkeit hin abgeklopft wurde, ist weder diskussions-noch abstimmungsbedürftig. Es gilt, wie das Adjektiv-Attribut besagt, kategorisch=absolut.

2.1.1.

Wo Kant einmal konkret werden will, wie da, wo er aus der logischen Bestimmung des »depositum« ableitet, dass ein solches zurückgegeben werden muss, fragt schon Hegel schneidend, was dagegen spreche, dass es überhaupt kein »depositum« gegeben habe.

2.1.2.

Tatsächlich lassen sich aus der innerlichen Selbstbefragung über Widerspruchsfreiheit und Allgemeingültigkeit entgegengesetzte Schlüsse ziehen.

Nicht dem kategorischen Imperativ widerspräche zum Beispiel Schopenhauers Forderung, dass es mit dem Menschenwesen durch Negation des Willens zum Leben jetzt endlich ein Ende haben solle.«Die Menschheit hat sich in der Knechtschaft des blinden Lebenswillens schon genug gegenseitiges Leid zugefügt: würde sie als ganze verschwinden, so entstünde kein Widerspruch, da Nichtseiende weder Leiden zufügen noch solche empfinden können. Die Lösung wäre nicht nur widerspruchsfrei, sondern allgemeingültig: sie träfe –entgegen der Befangenheit der Einzelnen, die jetzt noch am Leben hängen, alle ein alle gleichermaßen betreffendes Gesetz.

2.1.3.

Wo handelnde Menschen sich auf den kategorischen Imperativ beriefen, geschah es im Augenblick des Erliegens.

So Professor Huber, mitangeklagt im Prozess gegen die Weiße Rose, als er seine Prozesserklärung beschloss: »Und handeln sollst Du so,als hinge/von Dir und Deinem Tun allein/das Schicksal ab der deutschen Dinge/und die Verantwortung wär dein.« Fichtes verkürzte Fassung, statt auf das Menschengeschlecht nur noch auf die deutschen Dinge eingeschränkt

Es lässt sich also allenfalls eine Haltung des Widerstehens aus Kant gewinnen: mit Leuten wie euch müsste die Menschheit über kurz oder lang untergehen-aus Eurem! Handeln lässt sich gewiss keine allgemeine Gesetzgebung gewinnen....nicht aber eine des positiven Zusammenwirkens.

3.

Es war eine meiner frühesten Einsichten, oder Einsichtsillusionen, dass es unmöglich ist, sich allein- durch Befolgung abstrakter Prinzipien- in Bezug zur Menschheit zu setzen. Diese Haltung ist mir immer in der unfruchtbaren Moral Kants entgegengetreten.

4.

Der unverzichtbare Bezug auf Menschheit scheint mir in dem Satz Maos immer noch am besten aufgehoben: »Das Proletariat kann sich nicht selbst befreien, wenn es nicht die ganze übrige Menschheit mitbefreit«.

Daraus entspringen dann Haltungen, die sich – weit entfernt, in jedem Einzelnen das Vernünftige zu ehren, u.U. durch die Todesstrafe, wie Hegel wollte- der Möglichkeit öffnen, dass in jedem, auch dem schlimmsten Kapitalisten, als menschlichem Material (!) Chancen der Veränderung vorfinden, die auch ihn den »Leiden der Brauchbarkeit« (Brecht) zugänglich machen.

Der verpönte Begriff des Menschenmaterials wird absichtlich herangezogen und umfunktioniert, um das notwendig Harte des Eingehens auf die sinnlich-geistige Einheit des anderen zu unterstreichen.

4.1.

Die Verheerungen des Versuchs einer unvermittelten Beziehung auf Menschheit insgesamt zeigt sich in der Spätzzeit der UDSSR, wo dann argumentiert wurde, die Interessen der Gesamtmenschheit stehen höher als die der Arbeiterklasse. Fassen wir Arbeiterklasse wirklich als das konkrete Allgemeine, wäre ein solcher Widerspruch undenkbar.

5.

Es ließe sich denken, wir fassten Kants Moral nur als das unzulänglich vorbereitende Idealistische, das dann durch Marx zu Ende gedacht und ins materialistisch Rechte gerückt worden wäre. Diese Denkprozedur lässt sich im vorliegenden Fall nicht durchführen.

Um noch mal auf Marxens Satz zurückzukommen: angesichts der Erkenntnis, dass der Mensch ein verlassenes usw. Wesen ist, rät ihm Marx, sich mit den anderen Verlassenen konkret zusammenzuschließen, um kein Verlassener mehr zu sein. Kant aber fesselt ihn an die Vereinzelung dieser Verlassenheit, indem er ihn ermuntert, im Innern seiner vernünftigen Überlegungen als heimlicher Richter des Weltalls sich mit dem abstrakten Ganzen der Weltordnung kurzzuschließen, mag die äußere Wirkung so nichtig bleiben, wie sie will.

Deshalb stehen Kants und Marxens Ratschläge antagonistisch zueinander: Kant schließt uns in Abstraktion ein, Marx eröffnet den Weg zur konkreten gemeinsamen Befreiung.

6.

Groß und unbeugsam ist Kant als Erkenntnistheoretiker: hier zerschlägt er alle Hoffnung auf jenseitige Tröstung und Gewissheit: als dieser traf er Kleist vernichtend.

Ohnmächtig und voll eitlem Trost dagegen bleibt seine Moral.

7.

Bliebe also für die Grundsatzerklärung - Neue Fassung - nur der Hinweis auf Marx. Damit ist meiner Meinung nach auch Adornos »Imperativ« abgedeckt, dass Auschwitz sich nicht wiederhole. Denn so beherzigenswert Adornos Mahnung bleibt, als reale Handlungsanweisung bleibt sie leer. Richtig ist zwar die Aufforderung, sich rechtzeitig- bevor es passiert- Auschwitz oder »Ähnlichem« zu widersetzen: aber wie soll das anders geschehen als in Anstrengungen, damit der Mensch- ausnahmslos jeder - nicht mehr ein »verächtliches« usw. Wesen sei.

7.1.

Die Aufforderung aus Adornos Briefwechsel nun alles auf »Juden« zu beziehen, was früher zu »Proletariat« gesagt worden ist, kann nicht im vollen Wortsinn übernommen werden. Die Analogie bezieht sich sinnvoll nur auf beide Gruppen als Leidende, nicht aber als Handelnde. Im Ernst lässt sich in den Satz »das Proletariat kann sich nur selbst befreien, wenn es die ganze Menschheit mitbefreit« nicht »die Juden« einsetzen.

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