Zur Vorbereitung des Seminars am 14.6.03 im theorie-praxis-lokal
Fragen zu einer Vorklärung des Imperialismusbegriffs
1. Sämtliche Imperialismustheorien -für den neuzeitlichen Imperialismus- gehen von der Erkenntnis der Grenze und Begrenzung des Kapitalismus aus. Seinem Konzept nach kann er nie in ruhiger Gleichgewichtslage verharren Demnach ist er immer genötigt, aus seinem ursprünglichen Gebiet herauszutreten -extensive Grenzüberschreitung- aber zugleich nach innen immer neue Bereiche ehemals naturwüchsiger Produktion und Vorhandenseins zu solchen neuer Warenproduktion umzuwandeln.
Das heißt konkret:Zugriff aufs eigene »Menschenmaterial«.
Beispiel: Ohne das Vorhandensein einer Industriearbeiterschaft mit entsprechender maschineller Ausstattung wäre die Umwandlung Indiens aus einem selbstversorgenden Land in eines der Rohstoffproduktion und zugleich Abnehmers billiger Fabrikware nie gelungen.
2. Wenn man das so sieht, dann gibt es keinen unüberwindbaren Gegensatz zwischen der Lehre vom vollendeten Weltmarkt und derjenigen Lenins, der von einer eigenständigen Phase des Kapitalismus als Imperialismus ausgeht. Wir müssen beim Weltmarktbegriff nur im Kopf behalten, dass Markt niemals die Selbstregulierung aus sich allein hervorbrachte, die ihm die Adam-Smith-Schule ehrfürchtig zuschreibt.
Beispiel: act of navigation zur Regelung des Seehandels-in der Konkurrenz mit Holland
3. Eine weitere Frage, die zu beantworten wäre: sind die Grenzen, denen der Kapitalismus begegnet, unverrückbar gesetzt, wie Rosa Luxemburg annahm, oder sind diese Grenzen nach innen und außen immer neu verschiebbar.
3.1. Nur bei der Annahme unverrückbarer Grenzen wäre eine Zusammenbruchstheorie akzeptabel, wie sie in verfeinerter Form die KRISIS-Gruppe heute vorträgt. Sind die Grenzen an sich immer weiter verrückbar, kann der Imperialismus nur von einer sich gegen ihn zusammenschließenden Menschengruppe gewaltsam erstickt und beendet werden.
4. Damit stellt sich die Frage nach dem Subjekt,das diesen Kampf gegen den Imperialismus aufzunehmen in der Lage wäre: Können wir an Lenins Umformung der Parole des Manifests festhalten:»Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker - vereinigt euch« - oder müssen wir den schwierigen Begriff eines Weltproletariats bilden, der aber gerade auch die arbeitslos gemachten und Enteigneten miteinschließen müsste?
4.1. Nach den überzeugenden Ausführungen der Gruppe DEMONTAGE wird an einem Begriff der per se aufständischen unterdrückten Völker nicht mehr ohne weiteres festzuhalten sein. Andererseits bleibt besondere Volkszugehörigkeit ein Stigma, das als Bestandteil ihrer Verkaufsfähigkeit als Arbeitskraft wesentlich nur das Proletariat betrifft.
Vergleiche die Ausweisung aller palästinensischen Arbeitskräfte aus Kuwait nach dem Golfkrieg 91 oder die Restriktionen, die bei uns ausschließlich ausländische Proletarierinnen und Proletarier betreffen, keineswegs aber ausländische Investoren.
5. Lenin und viele andere Theoretiker gingen davon aus, dass Imperialismus unweigerlich zum Krieg zwischen einzelnen imperialistischen Mächten führen müsse, weil die Erde eben endlich ist und bei Strafe des Untergangs expandiert werden muss. Von daher die ungeheure Schlagkraft gerade seiner Theorie: der Krieg bedroht auch solche, die nicht unmittelbar der imperialistisch verschärften Ausbeutung ausgesetzt sind.
Der Ansicht von der Unvermeidlichkeit des imperialistischen Krieges widersprach im letzten Jahrhundert vor allem Kautsky, in unserem Negri-Hardt mit ihrem »Empire«. Vor allem diese gehen von einer Übermacht wie der des Römischen Reiches aus, das alle noch vorhandenen Teilstaaten relativ konfliktlos zusammenfasst und Krieg nur als »Polizeiaktion« nach »außen« führt.
Zur Diskussion der Frage von der Unvermeidlichkeit der Kriege im Zeitalter des Imperialismus müssten vor allem die letzten Kriege in Jugoslawien,Afghanistan und am Golf überprüft werden.
6. Lenin war davon ausgegangen ,dass durch den »Surplusprofit« der Imperialisten eine besondere Schicht der Arbeiterklasse mehr oder weniger bestochen werden könne. Diese sei dann bereit, die bestehenden Organisationen der Arbeiterklasse -Parteien und Gewerkschaften- selbst in den Dienst der imperialistischen Expansion zu stellen und damit dieser die nötige Massenbasis zu verschaffen.
Andererseits sehen wir eben im Dienst des Imperialismus -bei uns als Kampf um den Standort Deutschland bekannt- breiteste Herabminderung des Status der Lohnabhängigen durch Leistungskürzungen aller Art bei allenfalls zeitweise stagnierendem, sonst sinkendem Lohn.
Trotzdem finden expansive wie kriegerische Bewegungen immer noch breiten Zuspruch. Dieser kann nicht nur durch die Führung der Arbeiteraristokratie erklärt werden ,falls es sie überhaupt noch geben sollte. Wodurch aber dann?
7. Alle älteren Vorstellungen von Imperialismus gingen von kolonialer oder halbkolonialer Landnahme aus. Diese existiert heute kaum noch: wie lassen sich aber dann die Aneignungsformen denken, über die das Kapital des imperialistischen Staates den auszubeutenden tatsächlich ausbeutet?
8. Lenin hatte Finanzkapital keineswegs als obskure Macht drahtziehender Banken oder gar einzelner Bankiers verstanden. Insofern treffen ihn all die Vorwürfe nicht, er hätte -wie später die Nazis- einen Wesensunterschied zwischen zirkulierendem und produktiv eingesetztem Kapital angenommen.
Zu diskutieren wäre allerdings, ob der Begriff Finanzkapital überhaupt noch den Umfang der heutigen Währungsmanipulationen deckt, mittels derer Heute ganze Länder in Abhängigkeit gehalten werden. Beispiel: Mexiko seit 1985 mehrfach, Indonesien u.a. 1995, Türkei heute.
8.1. Zu untersuchen wäre dabei die Rolle von IWF und Weltbank als Instrumente. Funktionieren sie ausschließlich nach dem Willen der Eignermächte? Wie ließe sich dieser freilich als einheitlicher denken bei der gleichzeitigen Annahme unüberbrückbarer Gegnerschaft der einzelnen imperialistischen Mächte?
9. Das sind einige der Probleme, die sich heute im Begriff des Imperialimus auftun und die nach Möglichkeit am Samstag, den 14. 6. im Theorie-Praxis-Lokal, Mühlgasse 12, diskutiert werden sollten.