Protokolle aus dem kritischen Lektürekurs zu Guy Debord »Die Gesellschaft des Spektakels«

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(Paris 1967. Hier zitierte dt. Übersetzung die vom Autor gebilligte Ausgabe Hamburg 1978)

Bemerkung: Leider sind die Protokollaufzeichnungen der Gesamtdarstellungen der ersten vier Kapitel des Buches, die handschriftlich lückenlos vorliegen, durch die TeilnehmerInnen noch immer nicht so weit aufgearbeitet, dass wir sie hier mehr als einstweilen nur fragmentarisch vorlegen koennen. Indem wir an die Geduld der NutzerInnen dieser Website appellieren, moechten wir diese Bruchstuecke nun trotzdem -- wenn auch chaotisch und unsystematisch -- dem Gebrauch nach und nach zugaenglich machen. Die hier erst mit dem Beginn des Vierten Kapitels  --  es ist der Uebergang zum historischen Teil des Buches und traegt den Titel »Das Proletariat als Subjekt und als Repraesentation« -- einsetzenden »exegetischen« Protokolle stammen aus den Halbjahren 2003/04 des Lektuerekurses der Studienvereinigung THEORIE PRAXIS LOKAL Frankfurt/M.

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(auszuege aus den protokollen)

ZUM 4.KAPITEL (THESEN 73 - 124):
DAS PROLETARIAT ALS SUBJEKT UND ALS REPRAESENTATION

ZUR PRAEAMBEL:

das urteil der parlamentarischen untersuchungskommission ueber »den wesentlichen Zweck« des aufstands  vom 18. maerz 1871 (= gruendungsakt der pariser Commune, d.h. der ersten historischen form der revolutionaeren diktatur des proletariats, so MARX , MEW 17) wird hier ironisch zitiert als zerrbild der vorlaeufigen buergerlichen sieger-der-geschichte von »der gefuerchteten Assoziation, die ihm (=diesem Zweck) eine Armee verschaffte«. das konterrevolutionaere dokument geht tatsaechlich »der Sache auf den Grund«: als wesentlichen zweck der Commune kennzeichnet auch MARX die aneignung des gesamten materiellen und kulturellen reichtums einschliesslich der gesellschaftlichen produktions- und lebensmittel durchs proletariat und damit durch die arbeitende gesellschaft selbst, die aneignung der geschichte durchs proletariat selbst und damit den beginn der bewusst-gesellschaftlich gemachten geschichte durch die menschen als assoziation freier und selbstbestimmt produzierender individuen. als notwendige bedingung fuer diese »Befreiung der Arbeit -- ihr großes Ziel«, d.h. fuer »die Ersetzung der oekonomischen Bedingungen der Sklaverei der Arbeit durch die Bedingungen der freien und assoziierten Arbeit« (MEW 17:546), betonte MARX unmissverstaendlich immer wieder:

»darueber koenne es nicht zwei Meinungen geben -, die Commune war die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse. Ueber die Commune habe es viele Missverstaendnisse gegeben. Sie koenne zu keiner neuen Form der Klassenherrschaft fuehren. (...) Aber bevor eine solche Veraenderung vollzogen werden koenne, sei eine Diktatur des Proletariats notwendig, und ihre erste Voraussetzung sei eine Armee des Proletariats. Die arbeitenden Klassen muessten sich das Recht auf ihre Emanzipation auf dem Schlachtfeld erkaempfen. Aufgabe der Internationale[n Arbeiterassoziation] sei es, die Kraefte der Arbeiter fuer den kommenden Kampf zu organisieren und zu vereinen.« (MEW 17:432) dass in diesem historischen kampf das moderne proletariat sich nicht durch irgendwelche »radikalen« stellvertreter repraesentieren und darstellen lassen kann und darf, stellte MARX vorab in derselben ansprache an die Internationale Arbeiterassoziation klar: »Das Neue an der Internationale war, dass sie von den Arbeitern fuer die Arbeiter gegruendet wurde. All die verschiedenen Organisationen vor der Internationale seien Gesellschaften gewesen, die von Radikalen aus den herrschenden Klassen fuer die arbeitenden Klassen gegruendet wurden, die Internationale dagegen sei von den Arbeitern fuer die Arbeiter gegruendet worden.« demzufolge ist in der Commune das »urbild« und »modell«, die »keimform« und quintessenz des beginns der aneignung der geschichte durch »das werk der arbeiterklasse selber« zu sehen, und das urteil des hier zitierten konterrevolutionaeren dokuments bringt diese quintessenz in wenigen worten zum ausdruck.
die SITUATIONISTISCHE INTERNATIONALE wird hier indirekt, im spiegel dieses ironischen zitats seitenverkehrt genau in die linie der 1. INTERNATIONALEN, ihrer von MARX theoretisch-normativ herausanalysierten kriterien und der »wesentlichen zwecke« jener »gefuerchteten assoziation« gestellt, die historisch unabgegolten sind.

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ZUR THESE  73:

dieser communismus wird zum auftakt des kapitels wieder nicht direkt beim namen genannt (das bloße wort »Kommunismus« evoziert spaetestens seit der zweiten haelfte des 20.jahrhunderts automatisch vollkommen verkehrte vorstellungen), sondern unmissverstaendlich mit einem indirekten MARX+ENGELS-zitat eingefuehrt:

»Die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt« (siehe MEW 3:35f »Der Kommunismus ist fuer uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, [nicht] ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben wird. [Sondern:] Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen dieser Bewegung ergeben sich aus der jetzt bestehenden Voraussetzung. Uebrigens setzt die Masse von bloßen Arbeitern -- [d.h.] massenhaft[e] von Kapital oder von irgendeiner bornierten Befriedigung [von ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang] abgeschnittene Arbeiterkraft -- und darum auch der nicht mehr temproraere Verlust dieser Arbeit selbst als einer gesicherten Lebensquelle durch die Konkurrenz, den Weltmarkt voraus. Das Proletariat kann also nur weltgeschichtlich existieren, wie der Kommunismus, seine Aktion, nur als 'weltgeschichtliche' Existenz ueberhaupt vorhanden sein kann; weltgeschichtliche Existenz der Individuen, d.h. Existenz der Individuen, die unmittelbar mit der Weltgeschichte verknuepft ist.«), womit dieser communismus-als-bewegung materialistisch-historisch in der buergerlichen epoche selber seine basis erhaelt. seitdem die bourgeoisie, d.h. das kapital die gesellschaft und die welt regiert (herstellung des weltmarkts als durchsetzungsprozess und resultat), sprengt es alle alten produktionsverhaeltnisse und jede statische ordnung und stellt dadurch endlich die totale weltgeschichte her, in die es gesellschaften wie individuen hineinreisst:

»Alles was absolut war, wird geschichtlich.«

fragen zu dieser these waren unmittelbar:

-- wieso »regiert die wirkliche bewegung (= der kommunismus also) die gesellschaft« ?
eine antwort:  »bewegung« heisst ja nicht einfach arbeiterbewegung(en) usw., sondern ist immer widerspruechlich. die bewegung ist die des widerspruchs selbst / der widersprueche einer gesellschaft im ganzen.

weitere stichworte und ueberlegungen waren:

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ZUR THESE 74:

um die subjekt-objekt-beziehung der menschen in dieser modernen, dynamisierten geschichte geht es in dieser these. die uns vorliegenden deutschen uebersetzungen des mittleren der drei saetze, aus denen diese these aufgebaut ist, sind dermaßen dunkel, konfus und sinnverschieden, dass wir hier nur das original wiedergeben:

»Cette histoire n'a pas d'objet distinct de ce qu'elle réalise sur elle-même, quoique la dernière vision métaphysique inconsciente de l'époque historique puisse regarder la progression productive à travers laquelle l'histoire s'a déployée comme l'objet même de l'histoire.«

dieser satz darf als ein versuch gelten, die verkehrte (»metaphysische«) geschichtsphilosophie HEGELs materialistisch zu korrigieren: denn in dieser ist es die weltvernunft, der logos, als subjekt der geschichte betrachtet, das die produktion der geschichtlichen gegenstaendlichkeit einschliesslich der menschen selbst als objekt seiner arbeit (der arbeit des »objektiven Geistes«, des »Weltgeistes«) hervorbringt. dass hier »mit nuechternen augen angesehen« (MARX) tatsaechlich das werk der herstellung des weltmarkts, das produktive fortschreiten der buergerlichen, kapitalistischen epoche seine »letzte, bewusstlose, metaphysische Anschauung« erhalten hat, fuehrt zu der materialistisch umgekehrten folgerung:
 
»Das Subjekt der Geschichte kann nur das Lebende sein, das sich selbst produziert und zum Herrn und Besitzer seiner Welt wird  -- die die Geschichte ist --  und als Bewusstsein seines Spiels existiert.«

diese formulierung knuepft an HEGELs grausam-zynische metapher vom »spielenden Gott« an, was zugleich MARX' bild vom hinduistischen »Juggernaut-Rad« (=»DSCHAGGANAT«: ein gott, der auf den schaedeln und gebeinen erschlagener tanzt) evoziert; impliziert aber mit dem bewusst gewordenen menschlich-gesellschaftlichen subjekt der geschichte ein spiel -- eher im sinne des utopischen dialektischen sozialismus von FOURIER: die phalansterie-großkommune als boersenartiges spiel einer bewusst-planenden arbeitsgesellschaft, die saemtliche individuellen lueste, beduerfnisse, begierden und vorlieben mit dem gesellschaftlichen »system der beduerfnisse« und oekonomischen notwendigkeiten perfekt zu kombinieren versteht  (FOURIER wurde von MARX und von ENGELS immer als genialer wenn auch naiver vorlaeufer des wissenschaftlichen communismus hochgehalten, von den sürrealisten, vor allem ANDRÉ BRETON, wiederentdeckt und geruehmt, und die situationisten stellten sogar 1969 noch in PARIS in einer happening-artigen aktion ein pappmaché-denkmal fuer diesen vorlauefer des modernen communismus auf) -- wobei die kategorie »spiel« gegen jeden determinismus das moment (die modalkategorie) der zufaelligkeit fast zum uebergreifenden macht, zugleich aber die andere bedeutung: als strategisches spiel, also probehandeln (fuer eine kriegfuehrung) in sich begreift, das irgendwann in sein gegenteil, den blutigen ernst, uebergehen muss. allemal setzt bewusstes spiel hoechst anspruchsvolle subjekte voraus, die genau die vorab einmal gesetzten regeln kennen, innerhalb dieser »determinanten« jedoch die moeglichkeiten auf phantasievollste und listigste weise zu ergreifen und zu subvertieren verstehen. (zufalls- und moeglichkeits-spielraeume)

der terminus »das Lebende« ist bei DEBORD nicht vitalistisch (= »lebensphilosophisch«) ! (es gibt andere situationisten -- an erster stelle wird hier RAOUL VANEIGEM genannt --, denen mit gruenden ein gewisser bzw. ueberwiegender vitalismus vorgeworfen wurde / werden kann. bei DEBORD ist jedoch dieser einfluss -- der in frankreich ueber HENRI BERGSON und spaeter den existenzialismus eine große bedeutung in der linken gewann, ueber sürrealisten, GEORGES BATAILLE e.a. zu einem wirkungsmaechtigen »linksNIETZSCHEanismus« fuehrte, nicht ohne weiteres zu diagnostizieren, verdient aber eine skrupuloese untersuchung, die hier nicht geleistet werden kann). hier figuriert »das Leben«, »das Lebende« wie im ganzen spektakelbuch durchgaengig im sinne von MARX + ENGELS' formel von »der produktion des materiellen Lebens der Menschen«, »des gesellschaftlichen Lebensprozesses« einerseits, der notwendigen, sowie der radikalen und enormen lebensbeduerfnisse des gesellschaftlichen individuums (namentlich in der modernen, kapitalistischen reichtumsproduktion und gesellschaftlichkeit) andererseits (MARX in den pariser manuskripten hebt vor allem auf eine solche kritik der kapitalistischen entfremdung(en), der lohnarbeit ab: »Mein arbeiten ist nicht leben.« usw. -- siehe die hervorragende zusammenfassung von AGNES HELLER: DIE THEORIE DER BEDUERFNISSE BEI MARX), bis schliesslich in einer  communistischen gesellschaftlichkeit »die Arbeit selbst zum ersten Lebensbeduerfnis geworden ist« (MEW 19:S.21) (was FOURIER und nach ihm MARX als »travail attractif« oder »Attraktion der Arbeit« bezeichnet hat -- im gegensatz zur abstoßenden, zwangsfoermigen und entfremdeten arbeit, dem »travail répulsif«).

zu dieser these waren weitere stichworte und ueberlegungen:

  -- bei der linken ausgangsauffassung, dass sich letztlich doch die welt zum besseren entwickelt habe seit 200 jahren   -- gegen die fatalistischen vorstellungen und mythen von der ewigen wiederkehr -- irritiert hier die strikte feststellung, dass die geschichte keinen »sinn« und kein ziel, keinen telos (zweck) aufweist.

materialistische geschichtsTHEORIE (im unterschied zu stets und grundsaetzlich, mit positiven oder negativen, geschichtsoptimistischen oder  -pessimistischen vorzeichen, determinismus oder kontingenz-relativismus einklagender geschichtsPHILOSOPHIE) wird die totalitaet und die bewegungsgesetze der bisherigen geschichte zu begreifen und analytisch-synthetisch zu de- und rekonstruieren versuchen, ohne einen determinismus zu gestatten: wohl aber findet sie in jeder gesellschaftsformation und ihren abloesungen, bruechen und uebergangsperioden bestimmte TENDENZEN und in diesen, ueber diese hinaus ein bestimmtes GERICHTETSEIN (LUKÁCS 1970), d.h. bestimmte vorgefundene determinanten und determinierungen. diese koennen aber von den menschen mit willen und bewusstsein relativ alternierend so oder so begriffen und ergriffen, auch in ihren verlaufsformen geaendert werden. die historisch-materialistische analyse geht grundsaetzlich nur vom resultat aus, urteilt wissenschaftlich strikt nur post-festum.gerade die MARXsche geschichtstheorie war nicht geschlossen-einsinnig (vergleiche z.b. seine studien und empfehlungen zu einer russischen revolutionsmoeglichkeit ! MEW 19, Briefentwuerfe an VERA ZASULIC))

»sinn« kommt etymologisch aus dem indogermanischen »sintha« = weg, pfad. darin ist die vorstellung und metapher von »reise« enthalten: also auch davon, ganz woanders, im unbekannten anzukommen ...

die von DEBORD hier eingesetzte »spiel«-figur bringt diese offenheit zur geltung, etwas neues im experimentieren zu erschliessen. das setzt eine andere, gesellschaftsindividuelle subjektivitaet voraus, ein selbsttaetig-kreatives kollektivvermoegen assoziierter individuen, das von parteisoldatentum radikal verschieden ist. allerdings auch vom duempelnden DELEUZEistisch-spontaneistischen »nomadisieren«. die situationistische konzeption des »dérive« (»umherschweifen«) ist von anfang an eine des strategischen durchquerens mit dem zweck und ziel der bewussten gesamt-«situation-aus- der-es-keine-umkehr-gibt« = communistische revolution des proletariats-das-sich-selbst-aufhebt.  strategie und taktik, also kriegskunst gegen »die regierung des spektakulaeren«, spielen in der situationistischen revolutionskonzeption eine entscheidende rolle, im gegensatz zum mythos von der  beliebigen vitalistisch motivierten »revolte« im dumpfen, geschichtsvergessenen »hier und jetzt« der szenen »der linken« und ihrer linksNIETZSCHEanischen predigerInnen.

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ZUR THESE 75:

die klassenkaempfe UND das denken-der-geschichte = die dialektik entwickeln sich als eine und dieselbe stroemung.

beide dimensionen -- materielle und ideelle -- bewirken seit dem antritt der bourgeoisie die ungeheuerste dynamik der »Aufloesung alles Bestehenden« und jeder »Trennung«. was bedeutet also »trennung(en)«? fixierung in der statik. z.b.: »die knechtende unterordnung der individuen unter die teilungen der arbeit« (MEW 3, MEW 23 etc.)  diese ist aber mehr denn je illusion, eben seitdem die akkumulation des kapitals und die reelle subsumtion aller bereiche unters kapital die massen der menschen von ihren produktionsmitteln trennt und sie als proletarisierte, atomisierte abhaengige individuen dem materiellen gesellschaftlichen lebens(produktions)prozess fremd gegenuebersetzt.  sogar ihrer eigenen arbeit stehen die modernen individuen zwangslauefig gleichgueltig, fremd gegenueber: als »arbeit sans phrase« und abstrakte arbeit (jobs), »travail répulsif« (abstoßende arbeit) ... dieser prozess der trennung und entfremdung der arbeitenden von ihren arbeitsbedingungen loest -- ob die individuen dies nun wollen oder nicht -- »bei strafe des untergangs« klassenspaltungen und klassenkaempfe aus ...

hinweis: die buddhisten bestimmen »trennung« ebenfalls als illusion, die aufloesbar waere.

meinen diese »trennungen« bei DEBORD hier auch die aussen/innen-dichotomie ? diese steht in der MARX-linie der kritik allerdings nicht im vordergrund (wie dann in der S.FREUD-linie, die bei DEBORD und den situationisten spaeter ebenfalls scharfgemacht wird), sondern mit HEGEL, MARX (und S.FREUD ...)  werden hier die »entfremdung(en)« ZWISCHEN den vereinzelten einzelnen = buergerlich atomisierten individuen und ihrer materiell begruendeten immer hoeheren gesellschaftlichkeit (abhaengigkeit voneinander: im weltmarkt erscheinend) herausgearbeitet.
 
der schluss dieser these, der das entschiedenste, dynamisch-konsequenteste uebersichhinaustreiben der HEGELschen dialektik als denkform einklagt,  zwingt erneut zur differenzierung zwischen »wirklichkeit« und »wirksamkeit« (ihrem identischen aber vor allem erstmal nichtidentischen): d.h. zur wahrnehmung des verhaeltnisses von wirken und »realitaet« (HEGELs konservativer halbsatz: was wirklich ist. das ist vernuenftig ...   »wirkmaechtig« waere dagegen sein augenzwinkernder halbsatz zu H.HEINE: »vielleicht kann es ja auch heissen: was vernuenftig ist, soll sein!« hier nahm der radikale linkshegelianismus seinen ausgang). der schluss dieser these fuehrt direkt zur MARXschen these nummer 11 »ad FEUERBACH«.

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ZUR THESE 76:

HEGEL hatte schon nicht mehr »die welt« zu interpretieren, sondern die veraenderung der welt -- so setzt diese these ein, um die beschraenktheit sogar der radikal dialektischen=historischen philosophie zu kennzeichnen, die in ihrem BLOß philosophischen, d.h. kontemplativen charakter besteht. das trifft auch noch FEUERBACH, der HEGELs denkweise zwar materialistisch zu ueberwinden versucht, jedoch dafuer in eine noch tiefere, kontemplative statik zurueckfaellt (hierauf geht DEBORD offenbar garnicht oder nur sehr indirekt ein). die aufhebung der philosophie wird hier als zu-sich-kommen oder entfesselung der dialektik nahegelegt.

bemerkung: heute sollen ja die philosophen ganz schamlos »akzeptanz« (=akkomodation, affirmation , ja vorauseilende ueberanpassung ans bestehende in seiner blinden eigendynamik) produzieren (so der offen verkuendete auftrag des kapitals und der staatsapparate): quasi als auslaeufer dieses restaurativen HEGEL des »endes der geschichte«, der »versoehnung«, der akkomodation (= anbequemen, anpassung) an die bestehenden zustaende inmitten ihres zu-grunde-gehens. fuer die heutigen fachphilosophischen ideologieproduzenten ist dialektik auf der hoehe der hegelschen dynamischen totalitaets-begriffs-arbeit »ein toter hund«, fuehrt bloß ein nachleben als »dialektik und rhetorik fuer manager« in »seminaren fuer fuehrungskraefte« usw.  der spaete DEBORD (in: KOMMENTARE ZUR GESELLSCHAFT DES SPEKTAKELS 1988) weist auf die historisch irreversible unfaehigkeit zu dialektischem und damit logischem und damit auch strategischem denken (und handeln) in der phase des »integrierten Spektakulaeren« hin (nur pragmatische und binaere denke ist hier noch moeglich ...)   -- auf seiten der »regierenden« ...

da war HEGEL immer noch klueger: er drueckte die einsicht von der maulwurfsarbeit »des negativen« im/unter dem bestehenden »positiven« mit einer plagiatorischen ENTWENDUNG und ZWECKENTFREMDUNG des GOETHEwortes aus »FAUST« aus: (GOETHEs »MEFISTO« sagt hinterm ruecken von  »DR.FAUSTUS«, Teil I, Verszeilen 1850-1867: »Verachte nur Vernunft und Wissenschaft / des Menschen allerhoechste Kraft,/ lass nur in Blend- und Zauberwerken/ dich von dem Luegengeist bestaerken,/ so hab ich dich schon unbedingt -- /(...)/ Und haett' er sich auch nicht dem Teufel uebergeben,/ er muesste doch zugrunde gehn!« -- HEGEL macht daraus in »PHAENOMENOLOGIE DES GEISTES«, C: Vernunft, B: Die Verwirklichung des vernuenftigen Selbstbewusstseins durch sich selbst. a) Die Lust und die Notwendigkeit [des Schicksals]:) »Es ist in es (= das Selbstbewusstsein) statt des himmlisch scheinenden Geistes der Allgemeinheit des Wissens und Tuns, worin die Empfindung und der Genuss der Einzelheit schweigt, der Erdgeist gefahren, dem das Sein nur, welches die Wirklichkeit des einzelnen Bewusstseins ist, als die wahre Wirklichkeit gilt.

Es verachtet Verstand und Wissenschaft,
des Menschen allerhoechste Gaben --
es hat dem Teufel sich ergeben
und muss zu Grunde gehn.« (HEGEL werke (suhrkamp) 3, 271ff)
d. h. ob er will oder nicht, muss der proletarisierte mensch so oder so auf den grund der dinge kommen -- nicht deterministisch, sondern indem er halt individuell atomisiert, seiner unmittelbaren lust und begierde frönend, als opfer der allgemeinen verhaeltnisse zugrundegeht oder eben kollektiv-assoziiert als gesellschaftsindividuum auf den grund der verhaeltnisse kommt und als klasse-an-und-fuer-sich die praktischen konsequenzen zieht. MARX bezeichnete dies als »Notwendigkeit bei Strafe des Untergangs«:
»Es handelt sich nicht darum, was dieser oder jener Proletarier oder selbst das ganze Proletariat als Ziel sich einstweilen vorstellt. Es handelt sich darum, was es ist und was es diesem Sein gemaess geschichtlich zu tun gezwungen sein wird. Sein Ziel und seine geschichtliche Aktion ist in seiner eigenen LebensSITUATION wie in der ganzen Organisation der heutigen buergerlichen Gesellschaft sinnfaellig, unwiderruflich vorgezeichnet.« (MEW 2:S.38)

wenn die proletarisierten demnach hinreichend daran arbeiten, zur »klasse des bewusstseins« ueber diese moeglichkeit der schon im kapitalismus vorgezeichneten communistischen produktion und verteilung zu werden, so hat diese aktion nur wenig mit spontaneistischem »nomadisieren« als savoir vivre chicer scene-spiesserInnen und dem unmittelbaristischen »schillern der revolte« als linksradikal-professionalisiertes marketing eingeweihter experten-poser zu tun, sondern mit kollektiver revolutionaerer entwicklung von strategie und taktik in theorie und praxis durch die leute selber.

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ZUR THESE 77:

HEGEL selbst musste zuletzt einmal sagen: »Ich muss zugeben, dass alles weitergeht.« womit die situationisten genuesslich in einer nummer ihrer REVUE titelten.  aber wie konnte er ueberhaupt -- jenseits von angeblicher und wirklicher »akkomodation« an die deutschen zustaende -- philosophisch darauf kommen, das vorlaeufige »posthistoire« auszusprechen? antwort: als zeitgenosse, zeuge des abschlusses der buergerlich-napoleonischen begruendungsepoche, und das noch dazu im vernagelten deutschland/preussen. so kam es zu der »Philosophie, die im Denken der Geschichte stirbt«, wie DEBORD pointiert. »Die Weltgeschichte ist das Weltgericht.«: auf SCHILLERs satz wird hier angespielt, wo »das proletariat durch seine eigene existenz in taten« als die offenbarung (sic) des radikalsten denkens der geschichtlichkeit erscheint, naemlich indem es DIE METHODE  HEGELs bestaetigt: es exekutiert mit dem heraussprengen der radikal historischen dialektischen denkmethode aus der statik und selbsterstickung der vollendeten philosophie zugleich die rettung dieser denkmethode vor ihrer selbstvergessenheit als bloßem kontemplativen denken (vgl. MEW 23:S.27) und zugleich die schlusslogik HEGELs (der schluss = die ableitung aus einem urteil): aber indem das proletariat diesen schluss, naemlich der historischen »logik« DES SYSTEMS bei HEGEL, »dementiert« (den schluss, wie in seiner rechtsphilosophie, dass die buergerliche gesellschaft und ihr staat ihm als »poebel« recht und schlecht »wehrt«), und diese ganze buergerliche gesellschaft samt staat revolutionaer hochgehen laesst, bestaetigt das proletariat diese methode -- nicht logizistisch-systemisch sondern wirklich-historisch-materiell, indem es »das Urteil der Wahrheit faellen kann«. die proletarische selbstaufhebende revolution ist also demnach nur moeglich und wirklich, wenn das proletariat durch aneignung dieser radikalhistorisch-dialektischen methode zur klasse-des-bewusstseins von der geschichtlichen moeglichkeit wird (MEW 1: »Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie«). es wird hier also nur ein praktisches dementi des historisch-logizistischen systems, d. h. des schlusses »versoehnung«, und ein praktisches zuendefuehren des »zynischen realismus« (LUKÁCS ueber HEGELs geschichtsdialektik) hinreichend sein, um »dieses Denken der Geschichte« dem sichselbstvergessen zu entreissen -- was aber kein selbstzweck ist, es geht nicht um dieses denken an und fuer sich, also um die rettung hoechstentwickelter philosophie, sondern: -- es geht um die methode der »Praxis des Proletariats als revolutionaere Klasse«, die es befaehigt zur wirksamkeit »auf die Totalitaet seiner Welt«, eben zur aneignung der geschichte. damit sind wir schon laengst in der THESE 78, die diese methode zum geschichtsnotwendigen ausgangspunkt fuer alle revolutionaeren richtungen der emanzipationsbewegung des modernen proletariats erklaert.

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ZUR THESE 78:

ab MARX THESEN AD FEUERBACH die entscheidende wendung von der bloßen theorie zur bewussten praxis: »praktisches Denken« kann allein die totalitaet der geschichte (vom resultat her: als fertiger weltmarkt und als communistische weltproduktionseinheit-moeglichkeit, die darin»vorgezeichnet« (MARX) ist) begreifen und praktisch ergreifen.

die stelle des proletariats in dieser wendung am besten in MEW2:S.36f »zugeschrieben«: »die destruktive partei«, weil sich in dieser klasse die totalitaet der entmenschlichung der kapitalistischen gesellschaft zusammenfasst und konzentriert; aber die qualitaet seiner destruktiven praxis ALS REVOLUTIONAERE KLASSE »kann nicht weniger sein als das geschichtliche Bewusstsein, das auf die Totalitaet seiner Welt wirkt.« darunter faellt, was diesem historischen totalitaetsbewusstsein nicht genuegt: »DIE ARBEITERKLASSE IST REVOLUTIONAER ODER SIE IST NICHTS.« MARX 1865, MEW 31:446) die einzige wirkliche macht der praxis des proletariats ist seine wirkungsmaechtigkeit als klasse des historischen selbstbewusstseins. alles darunter bleibt reformistische, anarchistische, jakobinistische ... ohnmacht, weil unwissen. staerker, ausschliesslicher und kompromissloser ist der satz: historisch-materialistisches »WISSEN IST MACHT« ausser bei MARX wohl nie in anschlag gebracht worden.

an diesem maßstab HEGELscher geschichtstotalitaetsdialektik, die aber NUR IN DER BEWUSSTEN PRAXIS der REVOLUTIONAEREN klasse »gerettet werden« kann -- als AUFHEBUNG -- misst DEBORD nun »alle theoretischen Stroemungen der REVOLUTIONAEREN Arbeiterbewegung«: d.h. er geht von ihrem THEORIEgeschichtlichen gehalt ALS KRITISCHEM GEHALT, WIRKMAECHTIGKEIT, GESCHICHTSMAECHTIGKEIT zunaechst ideengeschichtlich an die praktische »wirkliche Bewegung, die die den bestehenden Zustand aufhebt« heran. diese herangehensweise kann leicht der gefahr erliegen, ideengeschichtliche projektionen auf die wirkliche geschichte der klassenkaempfe um die formen des materiellen lebensprozesses aufzustuelpen, d.h. selber noch der HEGELianischen geschichtslogischen periodisierung verhaftet zu sein (musterbeispiel: LUKÁCS »GESCHICHTE UND KLASSENBEWUSSTSEIN« 1923, das dieser spaeter selbst als eine art spekulativ-idealistisches »UeberHEGELn HEGELs« bezeichnet hat).

an der wurzel oder wegscheide dieser communistischen und anarchistischen »kritischen Auseinandersetzung mit dem HEGELschen Denken« benennt DEBORD die denker MARX (fuer den sogenannten WISSENSCHAFTLICHEN) und BAKUNIN (fuer den ANARCHISTISCHEN KOMMUNISMUS / KOLLEKTIV-ANARCHISMUS) sowie MAX STIRNER (fuer den individual-anarchismus). letzterer war hoechstwahrscheinlich -- vor allem in deutschland -- der wirkungsmaechtigste ideologe der linken. deswegen ist es keineswegs verfehlt, ihn als einen der drei paradigmatischen denker der -- im eigenen selbstverstaendnis, also rein subjektiv genommen: -- REVOLUTIONAEREN arbeiterbewegung hier zu nennen. wen das aus einem traditionalistischen selbstbild der »alten arbeiterbewegung« heraus schockt, muss bedenken, dass es um »die wirkliche bewegung« in ihrer faenomenologie, d.h. in ihren saemtlichen praegenden gestaltungen geht und nicht um die praeferenz einer besonders »edlen«, »wissenschaftlich« oder »siegreich« sich duenkenden variante dieser gesamtgeschichte, die den einen oder den anderen »alleinerben« »DER revolutionaeren« arbeiterbewegung in den kram passt. 

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[noch ZUR THESE 78 (nachsatz/ueberarbeitung)]

ab MARX THESEN AD FEUERBACH die entscheidende wendung von der bloßen theorie zur bewussten praxis: »praktisches Denken« kann allein die totalitaet der geschichte (vom resultat her: als fertiger weltmarkt und als communistische weltproduktionseinheit-moeglichkeit, die darin»vorgezeichnet« (MARX) ist) begreifen und praktisch ergreifen.
die stelle des proletariats in dieser wendung am besten in MEW2:S.36f »zugeschrieben«: »die destruktive partei«, weil sich in dieser klasse die totalitaet der entmenschlichung der kapitalistischen gesellschaft zusammenfasst und konzentriert; aber die qualitaet seiner destruktiven praxis ALS REVOLUTIONAERE KLASSE »kann nicht weniger sein als das geschichtliche Bewusstsein, das auf die Totalitaet seiner Welt wirkt.« darunter faellt, was diesem historischen totalitaetsbewusstsein nicht genuegt: »DIE ARBEITERKLASSE IST REVOLUTIONAER ODER SIE IST NICHTS.« MARX 1865, MEW 31:446) die einzige wirkliche macht der praxis des proletariats ist seine wirkungsmaechtigkeit als klasse des historischen selbstbewusstseins. alles darunter bleibt reformistische, anarchistische, jakobinistische .... ohnmacht, weil unwissen.  staerker, ausschliesslicher und kompromissloser ist der satz: historisch-materialistisches »WISSEN IST MACHT« -- ausser bei MARX -- wohl nie in anschlag gebracht worden (MEW1,385:«Die Waffe der Kritik (...) die Theorie wird zur materiellen Gewalt (...) Die Theorie ist FAEHIG, ... sobald sie RADIKAL wird. (...)«).

an diesem maßstab HEGELscher geschichtstotalitaetsdialektik, die aber NUR IN DER BEWUSSTEN PRAXIS der REVOLUTIONAEREN klasse »gerettet werden« kann -- als AUFHEBUNG -- misst DEBORD nun »alle theoretischen Stroemungen der REVOLUTIONAEREN Arbeiterbewegung«: d.h. er geht von ihrem THEORIEgeschichtlichen gehalt ALS KRITISCHEM GEHALT, WIRKMAECHTIGKEIT, GESCHICHTSMAECHTIGKEIT zunaechst ideengeschichtlich an die praktische »wirkliche Bewegung, die die den bestehenden Zustand aufhebt« heran.

diese herangehensweise kann leicht der gefahr erliegen, ideengeschichtliche projektionen auf die wirkliche geschichte der klassenkaempfe um die formen des materiellen lebensprozesses aufzustuelpen, d.h. selber noch der HEGELianischen geschichtslogischen periodisierung verhaftet zu sein (musterbeispiel: LUKÁCS »GESCHICHTE UND KLASSENBEWUSSTSEIN« 1923, das dieser spaeter selbst als eine art spekulativ-idealistisches »UeberHEGELn HEGELs« bezeichnet hat. -- diese holzschnittartige kennzeichnung der problematik von LUKÁCS' 1923er buch stiess auf einspruch seitens diskussionsteilnehmer: wir sollten es uns mit dessen wirklicher stelle fuers »zugerechnete klassenbewusstsein« (ob dort der klasse-an-und-fuer-sich, ob »der partei« als »organisation im werden«, d.h.als idealtypisch-abstrakt gedachter, das »identische subjekt-objekt« = gesellschaftliches bewusstsein / geschichtliches sein zugeordnet wird und inwieweit diese denk-operation eine bloße hypostase wird, d.h. ein zur-seinswirklichkeit-erklaeren einer bloossen denkkonstruktion, sollte erst nach einer genaueren ueberpruefung und neulektuere von »Geschichte und Klassenbewusstsein« beurteilt werden! -- dem einspruch wurde natuerlich stattgegeben.)

an der wurzel oder wegscheide dieser communistischen und anarchistischen »kritischen Auseinandersetzung mit dem HEGELschen Denken« benennt DEBORD die denker MARX (fuer den sogenannten WISSENSCHAFTLICHEN) und BAKUNIN (fuer den ANARCHISTISCHEN KOMMUNISMUS / KOLLEKTIV-ANARCHISMUS) sowie MAX STIRNER (fuer den individual-anarchismus). letzterer war hoechstwahrscheinlich -- vor allem in deutschland -- der wirkungsmaechtigste ideologe der linken. deswegen ist es keineswegs verfehlt, ihn als einen der drei paradigmatischen denker der -- im eigenen selbstverstaendnis, also rein subjektiv genommen: -- REVOLUTIONAEREN arbeiterbewegung hier zu nennen.

wen das aus einem traditionalistischen selbstbild der »alten arbeiterbewegung« heraus schockt, muss bedenken, dass es um »die wirkliche bewegung« in ihrer faenomenologie, d.h. in ihren saemtlichen praegenden gestaltungen geht und nicht um die praeferenz einer besonders »edlen«, »wissenschaftlich« oder »siegreich« sich duenkenden variante dieser gesamtgeschichte, die den einen oder den anderen »alleinerben« »DER revolutionaeren« arbeiterbewegung in den kram passt. F.ENGELS stellte 1889 fest: »Als Marx und ich dann in Bruessel (1846) das Beduerfnis fuehlten, uns mit den Auslaeufern der Hegelschen Schule auseinanderzusetzen, kritisierten wir unter anderem auch Stirner -- die Kritik ist so dick wie das Buch [»Die deutsche Ideologie«] selbst.«  das manuskript wuirde zu lebzeiten von MARX und ENGELS nicht gedruckt und von letzterem auch um 1890 dem anarchistischen STIRNER-biografen J.H.MACKAY nicht zur verfuegung gestellt, der darum gebeten hatte.

EDUARD BERNSTEIN, der sozialdemokratische erz-revisionist, veroeffentlichte 1903 und 1904 erstmals teile daraus (d.h. aus MARTX' manuskript »Sankt Max«: »Altes Testament: Der Mensch«, »Neues Testament: Ich«, verkuerzt um die umfangreichsten und inhaltlich gewichtigsten teile!), weil sich die sozialdemokratie irgendwie »marxistisch« mit der STIRNER-renaissance ab 1892/93 auseinandersetzen musste, die mit dem 100. geburtstag STIRNERs 1906 einen hoehepunkt erreichte. (erst RJAZANOV gelang dann anfang der 1920er in seinem moskauer archiv -- bereits unter der bedingung der stalinistischen konterrevolution, die diesen pionier der marxforschung und -rettung unterdrueckte, verbannte und schliesslich abknallte --und seinen schuelern ein erster, unvollstaendiger rekonstruktionsversuch von »Die deutsche Iddeologie«, -- wovon wir seitdem bis heute nur einen MEGA-probeband von 1972 haben). die bis jetzt wohl hervorragendste klassische marxistische kritik MAX STIRNERs und darstellung seines ungeheuren einflusses auf die linke des 20.jahrhunderts hat HANS G. HELMS geliefert: »Die Ideologie der anonymen Gesellschaft. Max Stirners 'Einziger' und der Fortsachritt des demokratischen Selbstbewusstseins vom Vormaerz bis zur Bundesrepublik Deutschland.« (Köln 1967) MAX STIRNER ist vor allem DEUTSCHER anarchist, DEUTSCHER linker durch und durch. »linker« eben auch schon in dezidierter abgrenzung gegen  die arbeiterbewegung, gegen das proletariat schlechthin, wie sie bei den typisch stirnerianischen »autonomen« und linkspopulisten der BRD 160 bzw. 100 jahre danach stillschweigend verbindlich ist. die schulungsbuerokratischen »marxisten«, austromarxisten und revisionisten der sozialdemokratie (allen voran HERMANN DUNCKER und MAX ADLER, aber auch ein PLEKHANOV e.a.) hatten nichts besseres zu tun, als STIRNER zum »subjekttheoretiker des proleten« hochzujubeln ... (»Marx Stirner fuer alle lebenslagen«, waehrend man MARX selbst zum dutzend-oekonomen »verwissenschaftlichte«...)

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ZUR THESE 79:

wirft diese these sofort die PILATUSfrage auf: »was ist wahrheit?« indem sie zur üeberpruefung der MARXschen theorie kommt, so tut sie genau das an der frage der HEGELschen methode, die sie genau mit dem revisionismus BERNSTEINs konfrontiert.
der revolutionaere karakter der MARXschen theorie steht und faellt mit »ihrer Wahrheit«, so wird es ganz einfach gesetzt. unausgesprochen steht selbstverstaendlich das LENINsche diktum im raum: »Der Martxismus ist5 allmaechtig, weil er wahr ist.« so die glaubensformel der »marxistischen orthodoxie« (KARL KAUTSKY als deren statthalter gegen den revisionismus von EDUARD BERNSTEIN e.a., LENIN und STALIN in zuspitzung und systematisierung der orthodoxie=»rechtglaeubigkeit« etc.).  dagegen wird hier gleich das, »was zu einer marxistischen Lehre wurde«, im frz. original »Lehre«=doctrine, als »truegerisch« (fallacieusement) bezeichnet, d.h. als verfaelschungsprozess, zum-irrtum-werden, selbst-illusionierung.

PILATUS antwortete auf den religioesen wahrheitsanspruch des moechtegern-messias JESUS mit der rhetorisch-agnostizistischen »frage«: was ist wahrheit?! (JOHANNESevangelium 17, vers 38) auf die JESUS ihm direkt keine antwort gab (woanders: »ich bin der weg, die wahrheit und das leben; niemand kommt zum vater denn durch mich.« JOH.14,6  -- d.h.: JESUS beansprucht, der mittler!  dazu MARX MEW 40:446ff: diese wahrheit ist die des geldes, seiner logik.   vgl weiter MEW 40:571: »Die Logik -- das Geld des Geistes ... -- das abstrakte Denken ...«). DEBORD gibt eine dreifache nicht-doktrinaere antwort:

1. die wahrheit der MARXschen theorie besteht in ihrem revolutionaeren karakter, d.h. in der wirkmaechtigkeit, geschichtsumwaelzenden emanzipatorischen »praktischen energie« (MEW 1:385: »Der evidente Beweis ... fuer ihre praktische energie ist ihr Ausgang von der entschiedenen positiven Aufhebung der Religion«, und es folgt der MARXsche »kategorische Imperativ, alle Verhaeltnisse umzuwerfen,« usw.), die eine radikale praxis-orientierung, aber keine doktrin beinhaltet.

2. deshalb die untrennbarkeit dieser theorie von der HEGELschen methode, genau und nur weil diese methode  (nicht: das HEGELsche system = seine lehre!) dialektisch ist im sinne von radikal historisierend, also am ehesten der historischen wirklichkeit und ihrer praktisch-widerspruchsgetriebenen »wirklichen bewegung« entsprechen kann, sie als wahren -- i.s.v. adaequaten -- ausdruck / ausdruck ihrer wahrheit -- i. s.v.: der widerspruchsgetriebenen bewegung adaequaten -- auf den begriff bringen, bewusstmachen kann: nicht mehr und nicht weniger als in dieser anstrengung / arbeit des begriffs (HEGEL) kann ihre gegenstaendliche wahrheit bestehen (MEW 40:545f), und diese wahrheitsdarstellung ist selbst nur ein historischer prozess-im-prozess (keine abgeschlossene sammlung von glaubenssaetzen, wie sie in STALINs »Kurzer Lehrgang« (SW15) als der dogmatischen kulmination des gesamten »marxismus-leninismus« zum fetisch geronnen ist.)

3.  die wahrheit ist immer ausschliesslich eine historische und widerspruechlich=dialektische auch in ihrem bewussten=theoretischen ausdruck , der deshalb eine »geschichtliche Parteinahme« bedingt: dieses wahrheitskriterium setzt DEBORD dem, PRAGMATISCHEN und POSITIVISTISCHEN, EMPIRISTISCHEN wissenschaftsverstaendnis des erz-revisionisten, ur-sozialdemokraten BERNSTEIN entgegen. den rest der these machen die aufschlussreichen antidialektischen,  antiHEGELianistischen und damit paradigmatisch MARXtoeterischen stereotypen des BERNSTEIN-zitats aus, die spiegelverkehrt genau die reformistische geschichtsvorstellung von erfolgreicher »realpolitik« wie einen rosenkranz abbeten, wewlche MARX und den von ihm begruendeten theorietypus von der HEGELschen methode abspalten moechten (und damit zerstoeren), , um den so entkernten »marxismus« »politikfaehig« zu machen, indem die MARXsche theoretische parteinahme fuer die selbstaendige proletarische bewegung (»die negative Seite des Gegensatzes« in der buergerlichen gesellschaft, »die destruktive Parte« im bestehenden, so MARX MEW 2:37) als traumtaenzerei, utopistische und verantwortungslose schwaermerei, »kinderei«, »wortradikalismus«, »linker radikalismus«, »hirnwixerei« usw. diskriminiert wird, und indem das historisch-materialistische setzen der MARXschen theoriebildung auf die kategorie moeglichkeit, auf die widerspruchsgetriebene krisen- und katastrofenentwicklung der zukunft (das sich natuerlich auch immer wieder in der konkreten einschaetzung der revolutionaeren chancen irrt, aber diese fehleinschaetzungen und praktischen versuche, diese situationen zu nutzen, »grausam-gruendlich« korrigiert -- MEW 8:118) von BERNSTEIN und seinen nachfolgern  als »unwissenschaftlich«, »theoretisch unserioes« verworfen wird, als selbsttaeuschung von vornherien gilt; »ernsthafte oekonomie« (sprich: krisenregulatorische prognostik und  »radikalreformistische« staatsinterventions-«wirtschaftspolitik« etc.) wird gegen die »verhaengnisvolle« revolutionaere aktion des parteibildungsprozesses des proletariats (MARX) in stellung gebracht; das wahrheitskriterium des theoriehassers BERNSTEIN ist hoechstens noch dasjenige seines zeitgenossen, des pragmatistischen US-filosofen WILLIAM JAMES vom »cash-value of truth«.  der hass gilt vor allem der HEGELschen dialektischen zentralkategorie der VERMITTLUNG, ihr stellt der pragmatistisch-positivistisch-empiristisch-antidialektische »wissenschaftler«)=antitheoretiker des »staatlich bezahlten denkens« (so nannten die situationisten jene professorenwissenschaftlichkeit an anderer stelle) das dogma der UNMITTELBARKEIT (= einziges wahrheitskriterium ist der mehr oder weniger unmittelbar-effektive »erfolg«, das ueber kurz oder lang sich rechnende verwertbare resultat) entgegen: »Die Bewegung ist uns alles, das Ziel nichts.«  

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[noch ZUR THESE 79 (nachsatz/ueberarbeitung)]

[naeher zum »wahrheits«kriterium:]

PILATUS antwortete auf den religioesen wahrheitsanspruch des moechtegern-messias JESUS mit der rhetorisch-agnostizistischen frage: was ist wahrheit?! (JOH.17:38) auf die JESUS ihm direkt keine antwort gab (woanders (JOH.14:6): »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich..« -- D.h.: DER MITTLER -- der junge MARX zeigt 1844 in der kritik des geld-und kreditsystems (JAMES MILL MANUSKRIPTE): diese wahrheit der CHRISTUSreligion/des christentums ist die des geldes, seiner logik (MEW EB1:446ff), des abstrakten menschen  = der abstraktion vom wirklich-historisch-konkreten gesellschaftlichen naturwesen mensch.  und in der »Kritik der HEGELschen Philosophie ueberhaupt« (MEW EB1:571): »Die Logik -- das Geld des Geistes ... -das abstrakte Denken.«

[zusaetze zu »wahrheit«, »wissenschaftlichkeit«:]

stichwort ab BERNSTEIN, dem ur-dialektikhasser im revisionistischen »MARX-ISMUS«: das gespenst des »HEGELMARXismus«. 60 jahre spaeter spricht z.b. ALTHUSSER (den die SITUATIONISTEN kritisierten als akademisch-MARXistisch-LENINistischen ableger des »kalten traums des strukturalismus« -- vgl. spektakelthese 202: »Der Strukturalismus ist DAS VOM STAAT GARANTIERTE denken,...«)  von »dem schamlosen HEGELianismus bei LUKÁCS«;  ende des 20.jh. moechte der deutsche marktwirtschaftssozialist und regulationsmarxistische marxtöter MICHAEL HEINRICH mit »Die Wissenschaft vom Wert« vor allen dingen der MARXschen theorie den »HEGELianismus« austreiben, um die werttheorie ueberhaupt erst zu »verwissenschaftlichen« (was ein solcher nur-mathematiker sich halt darunter vorstellt: »die welt« am computer manipulieren=»konstruieren«, wie man das von kapitalistischen technokratInnen inzwischen kennt -- das weltbild des deutschen ingenieurs im 20.jahrhundert) usw usf.    der popanz »HEGELMARXISMUS« ist laengst zur eintrittskarte in einen »postmarxistischen« akademischen und semi-akademischen betrieb geworden, der wieder mal die dialektik ab HEGEL und damit die ungeteilte MARXsche theorie »als toten hund behandeln« und belaecheln muss, um sich vorab der »wissenschaftlichen« reputierlichkeit zu versichern (»vorwissenschaftlicher MARX, da HEGELianischer MARX«). materialistische, historische und dialektische methode werden moeglichst aus dem »zu verwissenschaftlichenden« MARX entkernt und gerne dem perhorreszierten F.ENGELS (als »dialektik der natur« usw.) in die schuhe geschoben. (siehe auch deutsche »MARX-GESELLSCHAFT« in den 1990erjahren).

demgegenueber war fuer MARX, fuer LUKÁCS und andere in dieser dezidiert »schamlos«- DIALEKTISCHEN denkrichtung sowie fuer die SITUATIONISTinnEN, denen es vor allem auf die AUFHEBUNG (d.h. nicht bloosse vernichtung und nicht bloosse fortschreibung, sondern den dialektischen gehalt rettende diskontinuitaet, MARX nannte es »Umstuelpen«) HEGELs ankam, die wahrheit eben nicht »das absolute Wissen« HEGELs, nicht sein logizistisches, hyperrationalistisches und zugleich mystisches SYSTEM in gestalt »der WISSENSCHAFT DER LOGIK«, sondern wahrheit-als-approximativer-prozess mit dem kriterium der umwaelzenden PRAXIS.   

das SYSTEM der HEGELschen logizistisch-kontemplativen geschichtsPHILOSOPHIE gilt es ihnen zu zertruemmern, um »den rationellen Kern in der mystischen Huelle zu entdecken« (MEW 23:S.27) und methodisch zur arbeit-des-begriffs zwecks begreifen und heraustreiben, aufloesen der widersprueche in der wirklichen welt (MARX THESEN AD FEUERBACH: 2! MEW 3:S.5: »In der PRAXIS muss der Mensch DIE WAHRHEIT, d.h. WIRKLICHKEIT und MACHT, DIESSEITIGKEIT seines Denkens BEWEISEN. Der Streit ueber die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit des Denkens -- das von der Praxis isoliert ist -- ist eine rein scholastische Frage.« damit ist die KANTianische halb-agnostizistische »zurueckbiegung der erkenntnis auf sich selbst«, wie LUKÁCS es nennt, erledigt) praktisch zu machen. damit  wird theorie als radikale kritik selber zu bedingung und bestandteil umwaelzender praxis, findet ihr wahrheitskriterium jeweils in der eigenen wirkmaechtigkeit. (»Es genuegt nicht, dass der Gedanke zur Wirklichkeit draengt, die Wirklichkeit muss sich selber zum Gedanken draengen.«MEW 1:386)

damit wird aber die frage der kategorialitaet neu aufgeworfen (der alte »realismus«-versus-«nominalismus«-streit, wo MARX ebenfalls eine erkenntniskritisch-ontologische mitte haelt, wie als einer der wenigen GEORGE LICHTHEIM gut beobachtet hat: naemlich »dass MARX konsequent einen Kurs zwischen HOBBES und HEGEL haelt. Fuer ihn haben theoretische Begriffe vor ihrer konkreten Exemplifizierung in der empirischen Wirklichkeit keinen Bestand; ES SIND JEDOCH OBJEKTIVE PROZESSE AM WERK, die INNERHALB (NICHT HINTER) den sichtbaren, fuehlbaren Gegebenheiten DER UNMITTELBAREN ERFAHRUNGEN EXISTIEREN.«

»Sein nach-HEGELianischer Standpunkt, wie er sich in den THESEN AD FEUERBACH und in DIE DEUTSCHE IDEOLOGIE praesentiert, war eine Weiterentwicklung des französischen Naturalismus aus dem 18.Jh., aus dem die CARTESianische Physik und das damit verbundene, ihn [= MARX] nicht interessierende Erkenntnisproblem ausgeklammert waren. Die grundlegende Ausrichtung dieses Materialismus war praktischer Natur. (...)  Ein anderer Irrtum, den man vermeiden muss, ist der Schluss, MARX sei, da er eindeutig kein Nominalist in der Art HOBBES' war, ein 'Essenzialist' in der Tradition PLATOs und dessen Nachfolger gewesen. ER WAR PRAKTISCH WEDER DAS EINE NOCH DAS ANDERE. In seiner recht vorsichtigen Annaeherung an diese Frage mied er sowohl den durchdachten Nominalismus der Briten -- fuer die allgemeine Ideen nichts weiter als konventionelle Etikette[n] abgaben -- als auch den metaphysischen Idealismus, in den HEGEL sich allmaehlich verstrickte, als er von einer ARISTOTELischen zu einer PLATONischen Methode wechselte.

IN PRAXI bedeutete dies, dass MARX theoretische Konzeptionen als Beschreibungen (oder 'Reflexionen') der den Dingen inhaerenten, objektiven Struktur behandelte. In dieser Hinsicht war er 'Realist' im traditionellen ARISTOTELischen Sinne des Wortes.  Anders als HEGEL betrachtete er die gewoehnliche, wahrnehmbare Wirklichkeit nicht als die 'externe' Manifestation eines 'inneren' geistigen Prinzips. Doch er verwechselte auch nicht DIE 'Realitaet' mit 'Tatsachen' der UNMITTELBAREN Erfahrung.

Diese Art Gleichgewicht war schwer zu halten, aber er hielt sie. Es war darum nicht seine Schuld, wenn seine Schueler in das eine oder andere Missverstaendnis, das er vermieden hatte, zurueckfielen.«(G.LICHTHEIM,«Urspruenge des Sozialismus«, 1968, S.292,200f)    auf dieser gewissermaassen erkenntniskritisch-neo-ontologischen linie hielten sich dann etwa LUKÁCS ab 1930 und spaeter eben auch die SITUATIONISTinnEN -- alle aussenseiterInnen »des MARX-Ismus«. beide brachten in dieser frage immer wieder MARX' formel in anschlag, dass die KATEGORIEN als denk-kategorien des bewusstseins nur ausdruecke von »Daseinsformen, Existenzbestimmungen« des gesellschaftlichen/historischen SEINs darstellen. (von DEBORD wird auch richtig diese formel explizit in THESE 220 gegen die strukturalistischen kategorien in stellung gebracht; zur gesellschafts-ontologischen argumentation vgl. auch THESE 189: »die Tatsache, dass der Kapitalismus die erste Klassenherrschaft ist, die ihren Mangel an jeder ontologischen Qualitaet bekennt, und deren Macht, die in der bloossen Wirtschaftsverwaltung wurzelt,« sowie etwa die kritik in THESE 62 an rassismen, nationalismen, regionalismen, generationismus etc. als gesellschaftlich-spektakulaer konstruierten fantasmata, welche »die Vulgaritaet der hierarchischen Platzverteilung innerhalb des Konsums zu einer PHANTASTISCHEN ontologischen Ueberlegenheit verklaeren sollen.«)

mit der von HEGEL geretteten wesen/erscheinung(sformen)-dialektik entkommt dieses MARXsche »tertium datur«(LUKÁCS; d.h.: »drittes gegebenes« als dialektische aufhebung des undialektischen dualismus mit seinen zwei »absolut« sich entgegenstehenden polaren extremen) dem »cash-value of truth«-UNMITTELBARISMUS der pragmatizistischen herrschaftsphilosophie und manipulations-ideologie der manager. dagegen treibt ihr festhalten an wesenslogischen SPIEGELUNGS-, REFLEXIONSBESTIMMUNGEN von gesellschaftlich-historischem seins- und bewusstseinsformen, also an der analytischen brauchbarkeit der HEGELschen »spekulations«-dialektik (SPEKTAKELbegriff abgeleitet von u.a.: SPECULUM = spiegel) die begriffliche aufloesung aller fetischgestalten, ausgehend vom warenfetischismus als widerspiegelungsverhaeltnis (explizit MEW 23:S.86,88 etc.), immer tiefer in die wirklichkeit und den »wesentlichen«, »wahren« inneren zusammenhang der produktionsverhaeltnisse und des »Bewegungsgesetzes der modernen Gesellschaft« hinein und kann damit eine konkretionsstufe erreichen (»begriffene Totalitaet als Konkretum vieler Bestimmungen«, so MARX), die jeder empiristischen, positivistischen, pragmatizistischen, faenomenologischen oder (de)-konstruktivistischen beschreibungs-wissenschaft versagt bleibt (und die sie sich ja auch a limine selbst alle verbieten -- eben als im ansatz »unwissenschaftlich«, »spekulativ«, »metaphysisch« etc. etc.) »Wenn aber Wesen und Erscheinung unmittelbar zusammenfielen, wozu dann ueberhaupt eine Wissenschaft?« (MARX).

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ZUR THESE 80:

was macht nun MARX mit der HEGELschen methode? MARX selber formulierte es zwar so: er habe »HEGEL nur umzustülpen brauchen«, um »den rationellen Kern aus der mystischen Huelle« freizulegen und fuer eine historisch-materialistische wissenschaftlichkeit zu retten. 

aber schon LUKÁCS weist darauf hin, dass das bild vom »umstuelpen« grob vereinfachend ist: vielmehr habe MARX und seither jede weitere entwicklung wissenschaftlich-communistischer methode das ganze HEGELsche SYSTEM immer erneut aufsprengen und fortgesetzt »UMOPERIEREN« muessen.  auch DEBORD spricht hier nun von der »UMKEHRUNG [renversement: auch = »auf den Kopf stellen, Umwendung, Kehre, Kehrtwendung, Durcheinanderbringen, Verwirren, Umkippen, Umstoossen, Umsturz, Sturz, Niederreissen, Einreissen, Zerstoeren, dem Boden gleichmachen, Umpolen, Umschalten, Umstellen, Umsteuerung«, ... und in diesem konnotativen kontext auch »Umstuelpen«], die MARX zwecks einer 'Hinueberrettung' des Denkens der buergerlichen Revolution vornimmt«. dieses denken ist in seinem zenit das HEGELsche system: die geschichtsphilosophische logik »des HEGELschen [absoluten = Welt-] Geistes, der sich selbst in der Zeit entgegen geht, dessen Vergegenstaendlichung mit seiner Entaeusserung [bei HEGEL gleichbedeutend mit Entfremdung!] identisch ist und dessen geschichtliche Wunden keine Narben zuruecklassen.« -- wie DEBORD hier die HEGELsche systemlogik zusammenfasst und zugleich schon die TRIVIALISIERUNG des »HistoMat«, welche einfach meint es genuege den weltlauf des HEGELschen »geistes« durch »die entwicklung der produktivkraefte« zu ersetzen.   

eine derartige »umstuelpung« der idealistischen geschichtslogik in eine »materialistische« periodisierung  und deterministische »einsicht in die notwendigkeit«, auf welche schon HEGEL die kategorie der freiheit verengt hatte, uebergeht brutal die »geschichtlichen Wunden«, die -- wenn sie ueberhaupt geschlossen, ja geheilt sein sollten, doch tiefe »Narben zuruecklassen«. diese wunden und narben, die der buergerliche geschichtszynismus (HEGELs) einfach als »fortschritt« der wertvergesellschaftung bei der durchsetzung der kapitalistischen produktionsformation im weltmaassstab abbucht, verschwinden nicht mit der fertigen buergerlichen gesellschaft im »Ende der Geschichte«, von dem nicht nur ein HEGEL als von der besten, vernuenftigsten aller moeglichen welten spricht (in »Grundlinien der Philosophie des Rechts«) und analog dazu etwa ein STALIN vom »sowjetstaat« als dem angeblichen ende der klassengesellschaft, ausbeutung usw. von menschen durch menschen ... sowie etwa ein ARNOLD GEHLEN nach dem 2.weltkrieg vom »posthistoire« oder ein FUKUYAMA um 1990 erneut vom »ende der geschichte« (--zum begriff »des Fortschritts«, vorgestellt als linear, in kreisbewegungen etc.,vgl. MEW3:S.88ff gegen die (post)HEGELianische geist-philosophie. »DIE GESCHICHTE tut NICHTS, sie  ... 'kaempft KEINE Kaempfe'!

Es ist vielmehr DER MENSCH, der wirkliche, lebendige Mensch, der das alles tut, besitzt und kaempft; es ist nicht etwa die 'Geschichte', die den Menschen zum Mittel braucht, um  IHRE --- als ob sie eine aparte Person waere -- Zwecke durchzuarbeiten, sondern sie ist NICHTS als die Taetigkeit des seine Zwecke verfolgenden Menschen.« MEW3:98) ...  gerade diese zum abschluss kommende geschichte der buergerlichen gesellschaft und mit ihr »aller bisherigen Gesellschaftsordnung« (MEW 4:493) ist nicht wirklich menschliche geschichte, solange sie bisher nur blind (»maulwurfsartig«) von den menschen gemacht wurde, nur als »Vorgeschichte der Menschheit« kann sie ihren abschluss finden. dagegen erst: »Die WIRKLICH GEWORDENE  Geschichte hat kein ENDE mehr.« sie kann erst mit der selbstaufhebung des proletariats (wenn »der alte maulwurf« sich ans licht gewuehlt hat und sich in ein sehendes wesen verwandelt) beginnen: als herstellung der freien assoziation freier und selbstbestimmter gesellschaftlicher individuen/produzentInnen, mit ihrer klaren, transparent gemachten communistischen produktion und verteilung. damit erst kann die trennung des geschichtslaufs (als dem scheinbar fortschrittstreibenden »subjekt«) vom willen und bewusstsein der menschlichen produzentInnen (als scheinbar getriebenen »objekten«) der geschichte aufgehoben werden. auch noch dem katechisierten und kodifizierten »dialektischen und historischen Materialismus« im »Kurzen Lehrgang« (STALINwerkeBd.15) mit seiner ehernen geschichtsdeterministischen »folgerichtigkeit« fuer alle gesellschaftsablaeufe und menschenschicksale auf der welt ist die von aussen, von einem allerhoechsten betrachter, unbewegten beweger, demiurgen (welterschaffer) und weltenrichter-standpunkt gesetzte betrachtung der geschichtstotalitaet wesentlich, dem die menschen-«massen« nur eine knetmasse oder manoevriermasse fuer den teleologischen (=zweckgerichteten) endzustand sind.

gegen diesen buergerlich-HEGELianisierenden blick auch der geschichts-schematiker »des« MARX-ISMUS, der -- wie LENIN es naiv-orthodox formulierte: als theorie oder besser weltanschauung »allmaechtig ist, weil er wahr ist« --, stellt DEBORD entschieden die MARXsche aufkuendigung von geschichtsPHILOSOPHIE, also kontemplativer, von der geschichtsumwaelzenden PRAXIS getrennter theorie entgegen: »MARX hat die GETRENNTE Stellung HEGELs angesichts dessen, was geschieht, und die KONTEMPLATION jedes aeusseren, hoechsten Agenten zugrunde gerichtet. Die Theorie hat nur noch zu erkennen, was sie tut.«  mit dieser bestimmung von »theorie« aber macht DEBORD sie selbst zu einem moment der praxis: als »THEORETISCHE praxis« oder »praxis DER THEORIE«.

diese selbst zum movens geschichtlicher veraenderung gemachte, also revolutionäre theoriebildung bewegt sich »als freie Bewegung im Stoff« (LUKÁCS 1970) in dem boden der anderen menschlichen praxisformen der komplexen produktion und reproduktion des materiellen lebensprozesses der menschlichen gesellschaft(en). von daher kann sich revolutionaere theorie ab MARX nicht als betrachtung der (getrennt von ihr -- wie es bei der politischen oekonomie der fall ist -- existierenden) produktivkraefte begreifen, deren begriff dann ja auch immerfort auf die produktionsinstrumente (produktionsmittel, werkzeuge, technologie ...) beschraenkt wird, als ob deren steigerung, verbesserung, wachstum usw. allein garantien fuer »den menschheitsfortschritt« waeren.

wo doch MARX schon in seiner PROUDHONkritik klarmacht: »Von allen Produktionsinstrumenten [hier eben verstanden als Produktivkraefte im emphatischen Sinne] ist die groesste Produktivkraft die revolutionaere Klasse selbst.« (MEW 4:181). die entwicklung und der durchbruch ihrer potenzen (»eine Welt produktiver Triebe und Anlagen« in der Wurzel der individuellen ArbeiterInnen! MEW 23:380) laesst es fuer den MARXschen historischen materialismus nicht zu, ihnen als fremde, feindliche macht ihr eigenes gesellschaftliches produkt und ihr eigenes gesellschaftliches (selbst- und klassen-) bewusstsein entgegenzusetzen. DEBORD setzt den begriff der geschichte nicht als »ende« der akkumulation von »produktion um der produktion willen«, sondern umgekehrt als anfang der bewussten gattungstaetigkeit: »Das MARXsche Projekt ist das einer bewussten Geschichte. Das Quantitative, das in der blinden Entwicklung der blooss wirtschaftlichen Produktivkraefte entsteht, muss sich in eine qualitative geschichtliche Aneignung verwandeln. Die KRITIK DER POLITISCHEN OEKONOMIE ist der erste Akt dieses ENDES DER VORGESCHICHTE.«

damit ist der ganze schlechte HEGELianismus PROUDHONs getroffen, an dem sich die beginnende MARXsche kritik so umfassend abarbeitet (»Das Elend der Philosophie«): DEBORD wie MARX sehen in diesem »sozialistischen« pedantischen »system« -- nicht nur bei PROUDHON -- »das NICHT UMGEKEHRTE [non renversé] Erbe des UNDIALEKTISCHEN Teils des HEGELschen Versuchs EINES KREISFOERMIGEN SYSTEMS«: jenen »kreis aus kreisen«, der als »spirale« und in der gesamtfigur als A&O der weltgeschichte letzten endes auch nur eine mystische »wiederkehr des immergleichen«, einen MYTHOS der zyklischen welt-«vernuenftigkeit-in-der-geschichte« obwalten sieht, als geschichtsphilosophische apologie der zyklizitaet der buergerlichen gesellschaft (reproduktions-, konjunktur- und krisenzyklen als »nun einmal so seiende ewig-notwendige naturgesetze der ökonomie«).

damit ist auch sogar HEGEL hinter seine eigene doktrin der »vernunft in der geschichte« zurueckgesunken, hat seinen linear-dialektischen geschichtsmessianischen gehalt sogar weitgehend den »ewigen bewegungsgesetzen der vernuenftigen wirklichkeit« der bestehenden zustaende geopfert:

DEBORD diagnostiziert »eine Billigung, die die Dimension des Begriffs verloren hat«. diese buergerlich-theoretische billigung der zustaende, »in denen der Mensch ein erniedrigtes, geknechtetes, verlassenes, veraechtliches Wesen ist«, die herrschende theoriebildung (der herrschende wissenschaftsbetrieb, die ideologieproduktion der herrschenden), die derartige produktionsverhaeltnisse billigend in kauf nimmt und ihr die hoeheren »wissenschaftlichen« weihen des »nun einmal leider unvermeidlichen schicksals einiger« verleiht, mit der diese »modernisierungsopfer« eben irgendwie fertig werden muessen oder auch nicht -- eine solche zynisch-betrachtende theorie und philosophie ist allerdings -- auch wo sie sich als »historisch-materialistische weltanschauung«, als »politische oekonomie des sozialismus« und als »die richtige, proletarische« ideologie des »proletarischen« staatsparteistaats des »realen sozialismus« versteht (der »den standpunkt des proletariats« staatskapitalistisch-staatssozialistisch mit aller gewalt der »orthodoxie« festklopft anstatt dass das proletariat sich selbst aufhebt), tatsaechlich so endgueltig zur MAGD DER POLIT-OEKONOMISCHEN = BUERGERLICHEN HERRSCHAFTSPRAXIS verkommen, dass sie laut DEBORD schon laengst »kein HEGELianertum mehr braucht, um sich zu rechtfertigen«.

denn als die bloosse KONTEMPLATION DER WIRTSCHAFTSBEWEGUNG kann im »herrschenden Denken der gegenwaertigen Gesellschaft« sowohl die mythisch-zyklische dimension des HEGELianismus problemlos uebernommen und fortgeschleppt werden (siehe z.b. die konjunktur des »neoHEGELianismus« vor dem ersten wie zweiten weltkrieg in deutschland!) als auch entbehrt und durch eine beliebige pragmatistische konjunkturzyklen-mechanik ersetzt werden, die es ja nur noch zu beschreiben bzw. prognostisch moeglichst genau zwecks »regulations«-manipulationstechniken vorherzusagen gilt.

(so konnte auch ausgerechnet vom STALINISMUS der 1930er Jahre IN EINEM der schlechte, deterministisch-systemisch-logizistische geschichts-schematismus des HEGELianismus uebernommen und zum »Hyper-Rationalismus« (so LUKÁCS' kennzeichnung dieser denke) perfektioniert und verplattet werden, UND ZUGLEICH der dialektische HEGEL in bausch und bogen als »ein reaktionaerer Romantiker« abgetan, wiederum zum toten hund erklaert werden (wogegen LUKÁCS sein antistalinistisches buch »DER JUNGE HEGEL« schrieb).  denn die oekonomische basis selber weist, so DEBORDs erklaerung, mit dem siegeszug der formellen und reellen subsumtion der ganzen welt unters kapital und die spektakulaere warenproduktion, genau »die Bewegung auf, die es [seitens dieser theorieproduktion] zu loben gilt«: das von MARX entdeckte und analysierte »Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft«, das »automatische Subjekt« der zyklischen selbstverwertung des werts als reproduktionstotalitaet.

dieses ganze als gleichsam praestabilierte harmonie zu lobpreisen, fuer diese aufgabe der modernen theorie als »ancilla polit-oeconomica« ist keine, auch keine HEGELsche, dialektik mehr noetig. um so entscheidender ist die genaue positivistische erforschung, beschreibung und betrachtung der kapitalistisch zu verwertenden produktivkraefte geworden (»general intellect«), die der gigantisch wachsenden »technologie und wissenschaft« als kapitalistisch hervorgetriebenem und zugleich gehemmten produktivkraefte-aggregat als ihrer basis entspricht. die »umkehrung«=renversement, d.h. der »gewaltsame Umsturz« (MEW4:493) dieser basis zwecks bewusst-gesellschaftlicher aneignung bedingt die »Hinueberrettung« des dialektischen gehalts des buergerlichen denkens eines HEGEL durch »die groesste Produktivkraft: die revolutionaere Klasse selbst« als das proletariat-das-sich-selbst-aufhebt, indem es zur eminenten klasse-des-bewusstseins wird -- so die durchgehaltene situationistische terminologie.   d.h.: ohne kritische HEGEL-aneignung in permanenz durch die leute selbst ist die communistische revolution nicht zu haben.  (was allerdings nicht heisst, dass sie ausschliesslich in der form von HEGEL-lektuere- und trainings-gruppen zu vermitteln waere.

so dachten die situationisten daran, wie schon EJZENSHTEJN vorgehabt hatte, die »DEUTSCHE IDEOLOGIE« und »KRITIK DER POLITISCHEN OEKONOMIE« endlich mal zu verfilmen: RENÉ VIÉNET: DIE SITUATIONISTEN UND DIE NEUEN AKTIONSFORMEN GEGEN POLITIK UND KUNST. in: »SITUATIONISTISCHE INTERNATIONALE« (REVUE) N°11 (1967), dt.1977 Bd.II,S....282...)

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ZUR THESE 81:

nun gilt es das verhaeltnis der MARXschen theorie (nicht allererst: »des marxISMUS« !!) zum WISSENSCHAFTLICHEN DENKEN zu bestimmen.  immer noch steht die ENGELSsche bestimmung als »der wissenschaftliche sozialismus/kommunismus« im raum !  MARX dagegen verhielt sich immer skeptisch bis ablehnend gegen diese selbstkennzeichnung historisch-materialistisch-kritischer theoriebildung: den ausdruck »wissenschaftlicher Kommunismus« bezeichnete er als ueberfluessigen pleonasmus, da der sich zur reife entfaltende communismus-als-wirkliche-bewegung im klassenkampf und sozialen »Parteibildungsprozess des Proletariats« ja so oder so seinen theoretischen AUSDRUCK hervorbringen wuerde/muesse, also die notgedrungen WISSENSCHAFTLICHE reflexion seiner PRAXIS. MARX hat zwar dann auch hie und da widerwillig die von ENGELS  aufgedraengte ausdrueckliche attributierung ihres praxis-THEORIE-modells als »wissenschaftlich« uebernommen, aber nicht ohne zu betonen, dass das herumwedeln mit diesem attribut eher hochnotpeinliches erkennungsmerkmal sozialistischer sektierer vor dem hintergrund einer wenig reifen arbeiterbewegung sei, die ihre »wissenschaftlichkeit« als extra palliativ-eigenschaft ihres ausgeklügelten weltverbesserungssystems hervorheben mussten, waehrend sich »die Wahrheit, i.e.Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens« fuer den revolutionaeren Menschen »in der Praxis beweisen« muss (MEW3:S.5, Zweite These ad FEUERBACH) und keiner extra versicherung bedarf.

ENGELS -- und das hat MARX natuerlich verstanden -- kam es andererseits gerade auf die ANEIGNUNG wissenschaftlicher methode und resultate der von den beiden theoretikern begonnenen theorie-praxis fuer und durch »die arbeiterklasse selber« an, damit diese sich von der dauernden bevormundung durch »philanthropische grooss- und kleinbuerger« ausserhalb wie zunehmend innerhalb des selbstgeschaffenen »parteibildungsprozess«-werks der arbeiterbewegung endlich emanzipieren koenne (bestes dokument hierzu: MARX und ENGELS »ZIRKULARBRIEF AN BEBEL, LIEBKNECHT, BRACKE U.A.« 1880; MEW19:...160-165f).

vor diesem theoriestrategisch-theoriepolitischen hintergrund macht es realpolitisch durchaus sinn, wenn ENGELS in der richtigen intention des revolutionaeren realpolitikers die anstrengung der selbst-aneignung so betont: »Seit der Sozialismus eine Wissenschaft geworden ist, will er auch wie eine Wissenschaft studiert werden«! (»Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft«) und nicht wie ein katechismus der »orthodoxie« geglaubt werden oder eben nicht.

MARX hat seinerseits auf schritt und tritt auf den streng wissenschaftlichen anspruch und ertrag seiner methode und resultate hingewiesen, die er immer wieder und bei jeder gelegenheit entscheidend an der von HEGEL geretteten (aber »umgestuelpten«=»entmystifizierten« weil materialistisch gefuehrten) wesenslogischen unterscheidung von WESEN und ERSCHEINUNG(sFORMen) festmacht -- immer wieder, auf schritt und tritt weist MARX darauf hin: »Wenn aber Wesen und Erscheinung/Schein einfach zusammenfielen -- wozu dann ueberhaupt eine Wissenschaft ?!«

(zu begrifflichkeit, selbstverstaendnis und moderner legitimierung des terminus »Wissenschaftlicher Communismus« heute siehe ausfuehrlicher die THEORIE PRAXIS LOKAL-interne polemik auf der webpage http://sozialistische-studienvereinigung.frankfurt.org -- unter«archiv« -- (aus 2002): »Grundmangel kommunistischer Organisierung«.)

die problematik des von MARX gepflegten wissenschaftsverstaendnisses liegt aber tiefer, wie DEBORD hier zu zeigen versucht:

die AUFHEBUNG des wissenschaftlichen denkens (im dreifachen HEGELschen »aufhebungs«-begriff) muss »grundlegend ein JENSEITS DES wissenschaftlichen Denkens, in dem dieses NUR als aufgehobenes AUFBEWAHRT wird«, erreichen, weil es ansonsten blooss szientifistisch oder positivistisch oder akademisch in irgendeinem sinne bleibt.  die situationistische these, die MARX' eigenes theoriepraktisches postulat gegenueber MARX' wissenschaftlich-theoretischer arbeit selbst einklagt, lautet: »Es geht um ein Begreifen des KAMPFES und keineswegs [nullement (!)] des GESETZES.«  die geschichtstotalitaet als offene totalitaet der klassenkaempfe ist gegenstand der positiv-wissenschaftlichen erforschung und analyse von »bewegungsgesetzen« dieser oder jener gesellschaftsformation -- aber nicht als selbstzweck wissenschaftlicher »Interpretation der Welt«, sondern als »Waffe der Kritik« zwecks »Kritik der Waffen« muss »das rationelle Begreifen der Kraefte, die in der Gesellschaft walten«, mit allen mitteln der wissenschaft(en) erarbeitet werden.

(welche stelle hat hierbei sowas wie »Kritische Theorie« als »Negative Dialektik« ?! bleibt sie nicht gegenueber dem rationalismus »traditioneller Theorie« haengen auf einer metaphysischen, geschichtsphilosophischen  ebene der »moralisierenden Kritik / kritisierenden Moral«, wenn sie nicht auch energisch die ebene »der positiven Wissenschaften« erobert, um diese zu synthetisieren zur dialektisch-monistischen umfassenden »Wissenschaft von der Geschichte« MEW3:S.18 ?)

diese these ist als eine wissenschafts-kritische fortschreibung der 11.FEUERBACHthese von MARX zu lesen. ihren kritischen gehalt gegenueber dem anspruch und den resultaten des »wissenschaftlichen kommunismus« bezieht sie aus dem begriff der geschichte: als einer DES KAMPFES und nicht der KONTEMPLATION / INTERPRETATION dessen, wie es angeblich »wirklich gewesen ist« ([RANKE]). WALTER BENJAMINs historisch-materialistische anstrengung der THESEN UEBER DEN BEGRIFF DER GESCHICHTE (1940) stehen hier pate: ein saekularisiert-messianischer geschichtsbegriff, der in der MARXschen kritik der »deutschen ideologie« verankert wird und als aufsprengen der KANTianischen und auch HEGELianischen groossen erzaehlung (»mythischen kontinuitaet der leeren zeit«) des »so ist es nun einmal -- so ist es nun einmal gewesen / gekommen -- so wird es nun einmal immer sein und bleiben«) gedacht wird: als antimythischer, historisch-rationaler, demystifizierender blick auf die ganze, offene geschichte-als-klassenkaempfe, geschichte der diskontinuitaeten, widersprueche und brueche, explosionen und umsturzbewegungen ... mit völlig offenem ausgang, die als bewusst von den menschen gemachte geschichte eben erst beginnen kann.

um aber in diesem aufhebungs-projekt des communismus wiederum den wissenschaftlich-rationellen gehalt der buergerlichen epoche nicht einfach der vernichtung anheimzugeben sondern aufzuwahren, ja sogar erst recht in eine andere, hoehere qualitaet zu transformieren, ohne im »akademischen« oder partei-institutionalisierten »Marxismus« zu landen, muss nun die abgrenzung gegenueber allen utopischen sozialismusgestalten genau geleistet werden,  was die folgenden thesen versuchen entlang den forschungs- und kritik-gebieten/problemen:

»politische oekonomie«, »methode der darstellung« historischer bewegung / gesellschaftlicher widerspruechlichkeit, modalkategorien (notwendigkeit, moeglichkeit, zufaelligkeit, freiheit) im theorie/praxis-verhaeltnis (ideologieproblem), wissenschaftliche arbeitsteilung und wissenschaftliche theorie-form (»popularisierungs«-, d.h. VERMITTLUNGs-problem), das reife-problem von revolutionaerer praxis/theorie auf dem »naturwuechsigen Boden des Parteibildungsprozesses des Proletariats« (MARX), politizistisches gefahrenmoment bei aller organisierten revolutionaeren parxis/theoriebildung des proletariats (»es genauso 'gut' machen wie die bourgeoisie!«), evolutionistisch-lineare schematisierungsgefahr, wenn man »aus der geschichte lernen« will;  unterkomplexe beschreibung / auffassung der modernen kapitalistischen totalitaet, weil man die vermittlungsketten voluntaristisch ueber- oder unterschaetzt; blindheit gegenueber der realen »Ungeheuerlichkeit der eigenen Zwecke« der proletarischen revolution, die nach buergerlichen handlungs- und repraesentations-mustern greifen laesst anstatt die enormen anforderungen an »die Klasse des Bewusstseins« illusionslos wahrzunehmen; neigung zu ökonomistischer prognostik als wishful thinking vom gewuenschten resultat her denkender wissenschaftler, bis zu MARX' implizit ausgesprochener selbstkritik an dieser »deformation professionnelle« (so die knotenpunkte fuers »wissenschaftlichkeits«/theorie-verstaendnis bis THESE 89).

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ZUR THESE 82:

das wissenschaftsverstaendnis der buergerlichen epoche, so DEBORD, bleibt eines der VERFUEGBARKEIT, und zwar in der letztlich IDEALISTISCHEN vorstellung von der geschichte, gesellschaft, wirklichkeit. MARX zeigt vor allem in seiner PROUDHONkritik (»Das Elend der Philosophie« MEW 4; siehe vor allem auch darüber seinen Brief an ANNENKOV 1846), dass es sich bei diesem wissenschaftsverstaendnis um einen mehr und mehr abgesunkenen, verplatteten HEGELianismus handelt bzw. dessen endgueltige aufloesung in etwas, das noch nichtmal mehr die bezeichnung »geschichtsphilosophie« verdient: es leistet noch nicht einmal seine eigene MATERIALISTISCHE begruendung in der OEKONOMIE, d.h. »in der Produktion und Reproduktion des materiellen Lebensprozesses der Menschen« (MEW3), sondern versucht permanent die ableitung aus denkkategorien »der logik«, kategorien, die die buergerlich-bornierte wissenschaft den erscheinungsformen des unmittelbaren verkehrten/realen scheins der oberflaeche der buergerlichen gesellschaft entnimmt und die sie zu natuerlichen, ewig-gueltigen erklaert (Robinsonaden). 

damit kann sie ihrem eigenen anspruch auf VERFUEGBARKEIT [science disponible] letztlich nicht genuegen. im 20.jahrhundert haben kritiken wie HORKHEIMERs KRITIK DER INSTRUMENTELLEN VERNUNFT, ADORNOs NEGATIVE DIALEKTIK, H.MARCUSEs DER EINDIMENSIONALE MENSCH, am konsequentesten auf der MARXlinie das LUKÁCSsche hauptwerk ZUR ONTOLOGIE DES GESELLSCHFTLICHEN SEINS, nachgewiesen, dass dieser »geist der verfuegbarkeit« der buergerlichen wissenschaft endgueltig zum instrumentellen verhaeltnis der PAN-MANIPULATION verkommen ist (»alles und jedes laesst sich vom selbstzufriedenen manager manipulieren, so wie es der firma oder dem staat gerade in den kram passt« -- das NICHTIDENTISCHE und GERADESOSEIENDE der seins-und bewusstseinswirklichkeit in seiner unendlich-offenen totalitaet/komplexitaet wird damit permanent uebergangen, simplifiziert, zerstueckelt, vergewaltigt, verbogen, verfaelscht, getoetet, zertrampelt, zerquetscht -- kurz: einerseits das besondere=konkrete dem abstrakt-allgemeinen subsumiert, andererseits das besondere als »das einzelne allgemeine« zerrissen und in die PARTIKULARITAET des blooss EINZELNEN/der EINZELHEIT gepresst, in dieser festgehalten.  von all den genannten kritikern wird die verheerende/symptomatische wissenschaftstheoretische bzw. filosofische rolle des POSITIVISMUS und vor allem des NEOPOSITIVISMUS bei diesem prozess herausgearbeitet ...).

wuerde dagegen -- wie MARX es mit der KRITIK DER POLITISCHEN OEKONOMIE unternimmt -- der verfuegbarkeitsanspruch der wissenschaft ernstgenommen, so wuerde immerhin »die TATSACHE, DASS diese verfuegbare Wissenschaft vielmehr MIT DER OEKONOMIE GESCHICHTLICH BEGRUENDET WERDEN SOLLTE« (!), begriffen und durch die wissenschaftliche erforschung »des Bewegungsgesetzes der modernen Gesellschaft« sowie der nichtbuergerlichen produktionsformationen (d.h.: der genesis der kapitalistischen formation, aber auch des ihr widerstehenden sowie des sie ueberwindenkoennenden, also von progression und regression in der historischen dialektik) auch dem PRAKTISCHEN ERGREIFEN der in der oekonomie angelegten OBJEKTIVEN MOEGLICHKEITEN zuarbeiten:

die geschichte wuerde dadurch annaehernd den menschen bewusst verfuegbarer (veraenderbar) gemacht. insofern hat MARX mit der KRITIK DER politischen oekonomie zugleich die immanenz DER WISSENSCHAFTLICHEN  POLITISCHEN OEKONOMIE -- als zugleich immer auch noch POSITIVE (nicht nur »negativ-dialektische«) WISSENSCHAFT weitergetrieben (von der noch ernsthaft wissenschaftlich intendierten KLASSISCHEN oekonomie her weiterentwickelt, vertieft, gegen die vulgaer-oekonomische tendenz der beginnenden manipulationswissenschaften). 

insofern, stellt DEBORD nuechtern historisch-materialistisch fest, »haengt die Geschichte RADIKAL von dieser Kenntnis ab«! (demgegenueber waere ADORNOs »Rettung der Metaphysik im Augenblick ihres Sturzes« (Schluss der NEGATIVEn DIALEKTIK) ein idealistisches verfehlen dieser geschichtsmaterialistischen aufgabe und positiven moeglichkeit der kritik der politischen oekonomie (fuer die sich ADORNO und seine adepten ja auch nicht weiter interessieren):

die verfuegbarkeit der geschichte durch eine verfuegbare wissenschaft befaehigt von der intention her die gesellschaft-als-subjekt, eine transparente, d.h. communistische produktion und verteilung, endlich eine »ECHTE OEKONOMIE« (MARX ueber die communistische OEKONOMIE-DER-ZEIT!) hinzukriegen, in der die oekonomische disponibilitaet des bewusst und planend gesamtgesellschaftlich kooperierenden, kombinierten gesamtarbeiters mit seinem »GENERAL INTELLECT« als geschichtsmaechtigem subjekt das »Reich der Notwendigkeit« so weit minimieren kann, dass sich AUF DIESER OEKONOMISCHEN BASIS ein »Reich der Freiheit«, d.h. der nicht-unmittelbaren arbeit/taetigkeit herausentwickeln kann, dessen »sinn« und resultat in der freigesetzten »DISPONIBLEN ZEIT FUER DIE FREIE ENTWICKLUNG DES GESELLSCHAFTLICHEN INDIVIDUUMS« besteht (MARX in GRUNDRISSE, auch MEW 25:   )! 

aber DEBORDs positiv-wissenschaftliches postulat bleibt nicht naiv bei der illusion stehen, der die meisten MARXISTEN anheimfielen: als ob sich diese verfuegbarkeit der ganzen geschichte, diese geschichtsmaechtigkeit des proletariats-das-sich-selbst-aufhebt und damit den beginn der wirklichen gattungsgeschichte einleiten kann, lediglich OEKONOMISTISCH als positive, lineare entwicklung der produktivkraefte erreichen liesse (auf die selber verengte auffassung von »produktivkraeften« minus »die revolutionaere klasse selbst« wurde oben schon hingewiesen).  die materialistische wissenschaftliche erkenntnis der abhaengigkeit der geschichtsentwicklung von ihrer oekonomischen basis bleibt mechanistische »Wirtschaftsgeschichte«, solange sie nicht sieht und einbezieht, dass DER GESAMTPROZESS, d.h. die REPRODUKTIONSTOTALITAET der gesellschaftsformation, als vielfalt von komplexen (LUKÁCS spricht bei diesem problem von »Komplex aus Komplexen«: siehe »Die Reproduktion«=6.Kapitel in »ZUR ONTOLOGIE...,II,1970) auf die sfaere der oekonomie »zurueck«-wirkt und diese ebenso wechselbedingt veraendert, wie sie die wissenschaft(en), als deren nolens-volens ideologischen ausdruck und ausdruck auch zugleich der reproduktionsTOTALITAET, staendig veraendert, ihre »axiome«, apriori-setzungen und »wissenschaftlichen Grundvoraussetzungen« relativiert und revidiert.

die wissenschaftliche verfehlung des REVISIONISMUS seit E.BERNSTEIN besteht angesichts dessen nicht darin, dass er sich im rahmen »des MARXismus« diesen veraenderungen gestellt haette (wie die LENINistische revisionismuskritik es hinstellt, fuer die »die Lehre von MARX in sich geschlossen ist und bleibt, so dass ihr kein einziges Element weggenommen oder hinzugefügt werden darf« (sinngemaesses zitat aus LENIN), sondern gerade darin, dass sie einerseits zur idealistischen (naemlich NEUKANTIANISCHEN) und antidialektischen (antiHEGELianistischen, siehe oben) geschichtsfilosofie zurueckkehrt und andererseits, als folgerichtige EMPIRISTISCH-PRAGMATISTISCH-POSITIVISTISCHE ergaenzung dazu, sich auf OEKONOMISTISCHE regulationsforschung beschraenkt:

sie will konjunkturverlaeufe und krisen »ausrechnen«, um diese manipulativ (d.h. letztinstanzlich mit dem staat als handlungssubjekt, versteht sich) zu »regulieren« und zu reformieren, natuerlich immer »radikal«. DEBORD kannte natuerlich mitte der 1960er noch nicht unsere »radikalen reformisten«, aber deren filosofische ziehvaeter, die ALTHUSSERianer, als linksausleger der poststalinistisch-reformistischen KPF, hat er hier schon im auge. seine THESE 82 ist aber vor allem gegen die dominanz des raetekommunismus innerhalb der antiLENINistisch-antiSTALINistischen revolutionaeren arbeiterbewegung gerichtet, mit der sich SITUATIONISTinnEN wie DEBORD jahrelang intensiv auseinandersetzten und mit der sie gewissermaassen auch sowas wie »buendnispolitik«-versuche, organisationsdebatten usw. eingegangen sind.

die raetistisch-«linkskommunistische« kritik an den SITUATIONISTEN ist noch heute die, sie waeren luftige idealisten, bohèmiens usw. usf., da sie keine richtige oekonomisch fundierte »krisentheorie« gehabt haetten, nicht auf die oekonomische basis sondern »nur« auf »das leben«, die radikalen beduerfnissse, den »voluntarismus, subjektivismus« usw., soll heissen aufs subjektiv-ideelle moment, das unbehagen-in-der-kultur des consumer capitalism und sich darin herausentwickelnde bewusstsein der arbeiterInnen gesetzt haetten und deswegen auch den proletarischen revolutionsanlauf im mai 1968 in frankreich voellig falsch gedeutet (naemlich nicht aus einer oekonomischen krisenentwicklung abgeleitet haben, welche die arbeiterbevoelkerung zuerst oekonomisch-unmittelbar-materiell trifft, sondern »stattdessen« aus einer GESAMT-SITUATION ...).     

die ueberkommene orthodox-«MARXistische« raete-ideologie, etwa bei dem verdienstvollen theoretiker PAUL MATTICK, ist eine ATTENTISTISCHE: die arbeiter werden schon noch revolution machen, sobald einmal die oekonomische krisenentwicklung sie gargekocht haben wird, auf diesen sozusagen natuerlichen reifeprozess muss bis dahin ihre organisation setzen. gegen beide ideologischen exponenten der historischen arbeiterbewegung richtet sich diese THESE: beider wissenschaftsverstaendnis bleibt buergerlich borniert, INSOFERN es WIRTSCHAFTSGESCHICHTE BLEIBT. beide bleiben »realpolitisch« wie »rein-wissenschaftlich« schliesslich den zynisch-positivistischen wirtschaftsspezialisten der bourgeoisie unterlegen (paradigma: JOHN MAYNARD KEYNES), hinken denen staendig hinterher, weil es mittels deren wirtschaftswissenschaftlicher manipulationstechnik laengst gelungen ist, durch »antizyklischen« und »zyklischen« STAATSINTERVENTIONISMUS »die Wirkung der Krisentendenzen zu kompensieren« und durch »diese Art von BEWEISFUEHRUNG in diesem Gleichgewicht eine endgueltige wirtschaftliche Harmonie« zurechtzupfuschen.

(um so scharfsichtiger weisen die SITUATIONISTinnEN bei ihren -- eher spaerlichen -- einschaetzungen der oekonomischen entwicklung stets auf die tendenzielle VERSCHMELZUNG von oekonomie und staat im modernen westlichen und oestlichen kapitalismus hin, womit sie die auf den »realsozialismus« beschraenkten theoreme der raetekommunisten vom »STAATSKAPITALISMUS« noch ueberbieten, indem sie letzteren auch, als besondere form, zum tendenziellen wesenszeichen der westlichen gesellschaft des DIFFUSEN spektakels erklaeren. vielleicht auch aus dieser analyse/tendenz heraus ueberbieten die SITUATIONISTinnEN den raetekommunismus ebenfalls weit durch ihr unbedingtes setzen auf DIE ARBEITERinnenRAETE als DER EINZIG MOEGLICHEN form -- auch schon als keimform -- DER revolutionaeren organisation des proletariats-das-sich-selbst-aufhebt. dazu im zweiten teil des spektakelbuchs, als schluss dieses vierten kapitels und dann des buches insgesamt).

fuer die stelle der wissenschaft in der reproduktionstotalitaet und ihrer communistischen umwaelzung bedeutet das alles laut DEBORD keinerlei absage an das postulat vom WISSENSCHAFTLICHEN communismus, aber sehr wohl seine nuechterne RELATIVIERUNG als THEORIE GEGENUEBER DER REVOLUTIONAEREN PRAXIS!   nur der moeglichen und historisch zu buche geschlagenen hybris aller revolutionaeren theoriebildung und wissenschaft wird eine unmissverstaendliche absage erteilt: »Das Projekt, die Wirtschaft zu ueberwinden«, d.h. das praktischwerden der KRITIK DER politischen oekonomie (=die welt NICHT BLOOSS RICHTIG ZU INTERPRETIEREN, sondern dies tun, um SIE RADIKAL ZU VERAENDERN), ist zwar notwendig wissenschaftlich, weil, indem und »wenn es die Wissenschaft der Gesellschaft KENNEN -- UND ZU SICH [= zur wissenschaft? zu sich als projekt der revolution? zu beidem wechselbedingend?] ZURUECKFUHREN -- MUSS.«  

dieses projekt geht aber niemals in der wissenschaft, d.h. in der theoriebildung, auf, sondern, wie LENIN so richtig ahnte und naiv-HEGEListisch ausdrückte: »die Wirklichkeit / die Geschichte ist immer 'klueger'!«.  es kann keine »wissenschaft der logik« geben, in der, wie HEGEL sich noch einbildete, die totalitaet-als-prozess systemvollstaendig-plastisch erfassbar und logizistisch-rationalistisch beherrschbar waere, das wuerde tatsaechlich zum »ende der geschichte« fuehren.

»In dieser Bewegung, die die gegenwaertige Geschichte durch eine wissenschaftliche Erkenntnis zu BEHERRSCHEN GLAUBT, ist der revolutionaere STANDPUNKT buergerlich geblieben.« -- eben auch, weil er ein fest ueber dem historisch-materiellen dialektischen, offenen prozess, ueber der prozessierenden totalitaet metahistorisch fixierter STANDPUNKT bleibt (und sei es der sich geschichtsmaechtig duenkende, wissenschaftsGLAEUBIGE »standpunkt des proletariats«, das in wirklichkeit ein offener prozess der negation, der negation-der-negation, der destruktion und transformation des bestehenden ist ...). die theoretische praxis ab MARX bricht aus diesem totalen wissenschaftsverstaendnis aus, ohne die wissenschaftliche anstrengung herabzusetzen, vielmehr indem sie dieser die hoechste, konzentrierteste, anspruchsvollste funktion fuer die erkenntnis der wahrheit und wirklichkeit der prozessierenden geschichtstotalitaet und ihrer oeffnungen, auswege, umbrueche, moeglichkeiten, zufaelligkeiten, notwendigkeiten, gesetzmaessigkeiten, unberechenbarkeiten und latenzen ... abfordert, damit das proletariat zur klasse-des-bewusstseins werden kann.

damit wird der wissenschaft endlich die stelle der ANCILLA=MAGD VON IRGENWEM (seis der theologie, seis des »pluralistischen« buergerlichen verfassungsauftrags, seis der partei) aufgekuendigt: ab MARX verfolgt die wissenschaft ihr erkenntnisinteresse (weiter denn je entfernt von einer »interesselosigkeit«) revolutionaer-emanzipiert »auf eigene rechnung«: sie ist gewissermaassen selbst proletarisiert (auch dies ein staendig sich erneuernder, ernuechternder prozess), ist, auch wissenschaftsethisch, DOPPELT FREI (=frei VON jeglicher »weltlich-kirchlicher« instanz, von jedem »arbeitgeber« oder »parteiauftrag« ueber ihr, und frei ZU der wahrheitsfindung, erkenntnisanstrengung, forschungstaetigkeit und radikalitaet als waffe-der-kritik, die der kritik-der-waffen revolutionaer zuarbeitet (gerade auch als selbstkritik von theorie und praxis).

mit seiner kritik der politischen oekonomie glaubt MARX dem proletariat »einen wissenschaftlichen dienst erwiesen« zu haben, eine andere frage ist, ob oder wieweit es sich dessen auch bedient ...)   aber die bewusste aktion der aufhebung der blinden materiellen notwendigkeit und proletaritaet bedeutet den umschlag der praxis-der-THEORIE in eine theorie-der-PRAXIS, und dieses praktisch-oekonomiekritische, das reich-der-notwendigkeit bezwingende, beherrschende »Projekt, die Wirtschaft zu ueberwinden, von der Geschichte Besitz zu ergreifen, KANN NICHT SELBST wissenschaftlich sein.« damit ist jedem anspruch auf »MARXISTISCHE ORTHODOXIE« IM NAMEN DES WISSENSCHAFTLICHEN COMMUNISMUS SELBST der lebensnerv duchschnitten, damit aber auch jeglicher »partei«-REPRAESENTATION DES proletariats, die sich GEGENUEBER dem revolutionaeren proletariatsprozess aufbaut als besitzerin »des wissenschaftlichen sozialismus«, »der orthodoxie« oder »der revision« »DES MARXISMUS«, mit der solche repraesentation seit jeher ihren anspruch auf besitz der revolution, des proletariats, der geschichte spektakulaer legitimiert und sich damit letztinstanzlich selber auch als eine form der buergerlichen klassenherrschaft erweist.

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ZUR THESE 83:

auf gewissermaassen unschuldige weise waren die fruehsozialistischen utopisten durchdrungen von der ueberzeugung, wissenschaftliche systeme als gleichsam allheilmittel der geschichtlichen deformation zu sein, wogegen MARX spaeterhin das wirkliche verhaeltnis von revolutionaerer arbeiterbewegung, wissenschaft und organisation feststellt, etwa wenn er fuer die InternationaleArbeiterAssociation im Bericht des Generalrats fuer den Bruesseler Kongress schliesst: »Nur ein internationales Band der Arbeiterklasse kann ihren definitiven Sieg sichern. Es war DIESES BEDUERFNIS, welches die InternationaleArbeiterAssociation SCHUF. Sie ist NICHT DIE TREIBHAUSPFLANZE EINER SEKTE ODER EINER THEORIE. Sie ist ein naturwuechsiges Gebilde in der proletarischen Bewegung, die ihrerseits aus den normalen und UNWIDERSTEHLICHEN TENDENZEN der modernen Gesellschaft entspringt.« (MEW16:322f)

DEBORD arbeitet hier die interessenbestimmtheit und den ideologischen charakter der wissenschaft selbst noch heraus: der wissenschaftsglauben der utopisten -- und durchaus auch noch die spätere »wissenschaftliche weltanschauung« des »marxismus-leninismus« -- etablieren jeweils eine instanz, die im besitz einer statischen totalen »wissenschaftlichen wahrheit« sein soll (LENIN: »Der Marxismus ist allmaechtig, weil er wahr ist.«), welche aber nur DAS REINE, ABSTRAKTE BILD einer historischen wirklichkeit ist, die weitergeht ueber die einmal erkannten und wissenschaftlich dargestellten gesetze hinaus, weil sie keine logisch in sich geschlossene, sondern eine »extensiv und intensiv unendliche totalitaet« (LUKÁCS) ist, der gegenueber sogar HEGEL genoetigt war zu sagen: »Ich muss zugeben, dass alles weitergeht.«

waehrend der bedeutende dialektiker letzten endes erkannte, dass sich die wirkliche seinstotalität, gerade weil sie durch und durch historisch ist, nicht in ein system der »Wissenschaft der Logik« einsperren laesst, bilden sich alle wissenschaftsglaeubigen utopiker (z.b. FOURIER: »Theorie der vier Bewegungen und der allgemeinen Bestimmungen«) sowie der stalinistische hyper-rationalismus (siehe »Über den dialektischen und den historischen Materialismus« in STALIN werke bd.15, der einige weitere kodifizierende ausgestaltungen »der marxistisch-leninistischen Philosophie« erfuhr) ein, man koennte die gesellschaft perfekt nach ihrem »logischen« bilde modeln.  noch die »kapital-ableitungs«- bzw. »wertform-ableitungs«-logiker der 1960er und 70er jahre des »seminarmarxismus« der BRD waren in diesem akademisch-marxistischen aberglauben befangen und stiessen mit ihrer logizistischen, »erkenntniskritischen« usw. ableitungs-akrobatik bald auf grenzen der »anwendbarkeit«, was sie wiederum meistenteils -- zumal im wissenschaftsbetrieb damit arriviert -- dann spätestens in den 1980ern zur verwerfung und abwicklung der MARXschen theoriebildung als solcher trieb; gewoehnlich sagen diese professoren einem heute kurz angebunden: »Das haben wir gemacht, das hat nichts gebracht.« (wenn man sie einmal auf ihre seminarmarxistische aufstiegsphase mit »wert-« und »kapital«-ableitungen anzusprechen wagt).

diese BRD-gesellschaftswissenschaftler sind dann folgerichtig zu »regulations«-prognostik übergegangen, allenfalls noch »postmarxistisch« überhoeht durch eine »wissenschaft vom wert«, die von den kritischen MARXschen kategorien wie »fetischismus« und »arbeit als stoffwechselprozess mensch/natur« entkernt worden ist, um sie den ewig notwendigen »regulatoren markt und staat« funktional einverleiben zu können. ihre professoralen kollegInnen in der DDR aber fuehrten die »marxistische wissenschaft« gleich in die kybernetik über, eine wissenschaftliche utopie von der berechenbarkeit und manipulierbarkeit des gesamten anorganischen, organischen und gesellschaftlichen seins sowie vor allem des bewusstseins der menschen (LUKÁCS nennt diese in den 1960ern in west und ost boomende wissenschaftsideologie und »anwendungs«-praxis PAN-MANIPULATION und weist sie in seinem hauptwerk 1970 in ihrer historischen genese von der bürgerlichen »fetischisierung der ratio« her auf; die SITUATIONISTinnEN bekaempfen diese ideologische mode und tendenz die ganzen sixties hindurch als »STALINO-KYBERNETIK«). 

an allen diesen stationen und beispielen (hier waere noch die »fundamentale wertkritik«, eine ausserakademisch abgesunkene, schmalspurstrukturalistische abart der »wert-ableitung« am rande der BRD-linken der 1990er jahre zu erwaehnen, wo das furchtbar einfache subsumieren von ALLEM UND JEDEM ins briefmarkenformat einer restlos subjektivierten, »postmarxistisch« re-mystifizierten und metahistorisch-antimodernistisch daemonisierten universalstruktur namens »der wert« regiert -- allerdings die von MARX analysierten wertFORMEN sind dieser schamlos unterkomplexen fundamental-«kritik« noch zu komplex, und gar die »kapitalableitung« interessiert sie überhaupt nicht mehr -- besitzt sie doch schon alles analytische instrumentarium in »der wert«!

was an wirklichkeiten nicht reinpasst ins entleerte »wert«-schema, verfällt z.b. kurzerhand einem »abspaltungstheorem«, d.h. was nicht in »der wert« aufgeht, wird dualistisch als »jenseits des werts« abgespalten, und das gesamte natur- wie gesellschaftlich-historische sein wird nach belieben konstruktivistisch-moralisierend weggekürzt) lässt sich die entfaltung des inneren widerspruchs der wissenschaftlichkeit in der buergerlichen gesellschaft ermessen, »wie es sich in den vorigen Jahrhunderten durchgesetzt hatte. Sie suchen die Vollendung dieses allgemeinen rationellen Systems: (...) sie glauben an die gesellschaftliche Macht der wissenschaftlichen Beweisführung und sogar (...) an die Machtergreifung durch die Wissenschaft«. 

zunehmend aber kollidieren sie mit allem, was die wissenschaftliche erkenntnis selbst historisch erbracht hat, eine entwicklung von der klassischen wissenschaftlichkeit weg zugunsten der »Vulgaerwissenschaft«, mit der es zuerst MARX auf breiter front zu tun bekam. DEBORD betont hier die kollision schon der naiven wissenschaftsglaeubigkeit der utopischen sozialisten (ENGELS' formel »Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft« ist selbst noch von solcher naivitaet nicht frei) mit »der geschichtlichen Realitaet der Wissenschaftsentwicklung selbst, deren Richtung weitgehend von der aus solchen Faktoren [wie Klasseninteressen und ideologischen Formen falschen Bewusstseins] hervorgegangenen GESELLSCHAFTLICHEN NACHFRAGE bestimmt wurde, die nicht nur das auswaehlt, was zugelassen, sondern auch das, was erforscht werden kann.«  

indem DEBORD die ideologische determiniertheit und klassenmaessige interessenbestimmung jeglicher wissenschaft dem naiven wissenschaftsoptimismus der buergerlichen und fruehsozialistischen aufklaerung konfrontiert, ohne den wissenschaftlichen ethos als solchen historisch zu hinterschreiten, setzt er als kriterium für das verhaeltnis von communismus-als-wirklicher-bewegung-die-den-bestehenden-zustand-aufhebt und ihrem bewusstseinsfoermigen ausdruck als wissenschaft zwei wirklichkeits-«faktoren« in den vordergrund: allererst die praxis, zweitens die funktion im klassenkampf (wobei natürlich beide nur zwei aspekte desselben historischen kriteriums sind).

zum praxis-kriterium: alle »wissenschaft«, die sich als praxis-abstinente (das gilt noch immer weitgehend für das akademische selbstverstaendnis als »wertfreie«, »entideologisierte« wissenschaft, obwohl sie es durch ihre daseins- wie formbestimmtheit als auftragsforschung allemal schreiend dementiert) definiert und -- wie die utopischen sozialisten dazumal noch, oder die erwähnten »seminarmarxisten« spaeterhin eine zeitlang -- un-praktisch verhaelt, verhaelt sich zwangslaeufig sektenhaft gegenüber der wirklichen bewegung, die sie mit ihren lehren modeln will. stets ist sie auf »harmonie« der klasseninteressen aus, das wesenszeichen jeglicher sozialistischen bzw. linken sektenideologie: vom PROUDHONismus mit seinem modell »einfache Warenproduktion in kleinen Kreisläufen!«

bis zu den heutigen »Geld ist genug da!«-und-«Freies Existenzeinkommen für freie Bürger!«-gesellschaftsbeglückungs-regulationsrezepten oder »Steigt aus dem Wert und der Arbeit aus!«-vernetzungs-apokalyptikern ..., die alle unweigerlich vom antagonistischen widerspruch lohnarbeit/kapital bzw. proletariat/bourgeoisie abstrahieren bzw diesen den leuten auszureden versuchen. die praxisbestimmtheit aller wissenschaft verkennen heisst zugleich das verkennen, was MARX den GENERAL INTELLECT nennt: die hochvergesellschaftete, aber privat=kapitalistisch=klassenfunktional bestimmte leitende form der gesellschaftlichen arbeit, der kooperation, kombination des gesellschaftlichen gesamtarbeiters und des von ihm geschaffenen, von ihm (noch blind trotz weitgehender durchplanungen) betriebenen produktivkräfte-aggregats aus CAPITAL FIXE, »wissenschaft und technologie als produktivkraft«, die noch lediglich der profitmaximierung als tauschwerte-PRODUKTION-UM-DER-PRODUKTION-WILLEN funktional ist, jedoch diese bereits je länger je mehr unterhöhlt (MARX:GRUNDRISSE...590-600). DEBORD versucht in dieser zugleich utopismuskritischen und wissenschaftskritischen these eine rettung, befreiung der substanziellen WISSENSCHAFTLICHEN WAHRHEIT von ihrer historischen DARSTELLUNGSWEISE, d.h. heraussprengen des rationellen kerns (wie MARX die in der HEGELschen mystischen system-form verhuellte dialektische methode nennt) aus der buergerlich-sozialistischen form (als wissenschaftssystem, kathedersozialismus, sektiererischem »wissenschaftlichem sozialismus« etc.).  diese kritik im namen einer PRAXIS DER THEORIE / THEORIE DER PRAXIS (wie die situationistInnen es etwas spaeter nennen) ist als kritik am mechanistischen weltbild formuliert (NEWTONsche mechanik, astrologie und astronomie, uebertragung kosmologischer naturgesetzlichkeiten aufs gesellschaftliche sein). sie geht auch an dem dilemma der MARXschen wissenschaftsauffassung und ihres theorie/praxis-verhaeltnisses nicht vorbei.

bei diesem kritikansatz gegenueber dem MARXschen wissenschaftsverstaendnis selbst entlehnt und ENTWENDET hier DEBORD ein argument des antdialektischen MARXtoeters CARDAN=CASTORIADIS (mit dem sich zumindest DEBORD auch im rahmen der situationistischen polemik jahrelang auseinandergesetzt hat im sinne einer MARXrettung. die geschichte der gruppe SOCIALISME ET BARBARIE, deren chef-ideoge zweifellos CARDAN/CASTORIADIS war, spielte eine herausragende rolle im kampf der sich aus dem stalinistischen KPF-kosmos abnabelnden und der aus linkskommunistischer richtung weiterentwickelnden revolutionaeren linken im frankreich der 1950er/60er jahre.

die organisatorische ultra-raetistische konzeption von S&B war vor allem fuer die SITUATIONISTinnEN der wahrscheinlich wichtigste katalysator. entscheidende situationistische topoi und denkfiguren, ja praezise revolutionstheoretische ausformulierungen gehen auf CARDAN/S&B direkt zurueck und wirken in dieser sicht garnicht mehr originell! WORAUF ES BEI DER S.I. VIELMEHR ANKOMMT, IST RAUSZUKRIEGEN, OB UND WIE IHR DÉTOURNEMENT JEWEILS FUNKTIONIERT: D.H. DIE TECHNIK DER REVOLUTIONAEREN »ENTWENDUNG« MITTELS »PLAGIAT«, »ZWECKENTFREMDUNG« ETC.).    mit dem boesen blick des linken professors hat CARDAN/CASTORIADIS -- wenn auch mit den dazugehoerigen akademischen tomaten der MARX-rankuene und -ignoranz auf den augen -- eine womoeglich offene flanke in der MARXschen wissenschaftsmethode erspaeht, auf die er sich stuerzt, um diese achillesferse sogleich zu zerschneiden, sprich: »seine studenten« von vornherein dazu zu bringen, dass sie die ganze »Kritik der politischen Oekonomie« in die ecke schmeissen und sich stattdessen von den linken professoren und sektengurus was »ganz neues«, »zeitgemaesses« usw. auftischen lassen. er will in »Das Kapital« selbst schon »die Wurzel der orthodoxen marxistischen Sterilitaet« ausgemacht haben! fuer CARDAN ist das problem am MARXschen »Kapital«, dass es durch seine »methodik« den klassenkampf der arbeiterInnen relativ an den rand draengen wuerde (zit. aus »Moderner Kapitalismus und Revolution«):

»Die MARXsche Theorie vom Lohn und die daraus abgeleitete Theorie von der steigenden Ausbeutungsrate gehen von einem Postulat aus: dass der Arbeiter vom Kapitalismus voellig 'verdinglicht' (auf ein Objekt reduziert) ist. Die MARXsche Krisentheorie geht von einem im Grunde analogen Postulat aus: dass Menschen und Klassen (in diesem Fall die Kapitalistenklasse) keinen Einfluss auf das Funktionieren ihrer Wirtschaft haben. Beide Postulate sind falsch. (...) Beide sind notwendig, um aus der politischen Oekonomie eine 'Wissenschaft' zu machen, in der aehnliche 'Gesetze' herrschen wie in der Genetik  oder der Astronomie. (...) Sowohl Arbeiter als auch Kapitalisten erscheinen im KAPITAL als Objekte (...) MARX, der die wesentliche Rolle des Klassenkampfes in der Geschichte entdeckte und unermuedlich propagierte, schrieb ein monumentales Werk (Das Kapital), in dem der Klassenkampf praktisch nicht vorkommt.«

ha ha. interessant ist fuer uns hier nicht, mit welcher atemberaubenden anmaassung und boesartigen ignoranz (d.h. wider besseres wissen eigentlich) dieser linke professor in so wenigen zeilen so viel totalen quatsch ueber MARX' kritik der politischen oekonomie erzaehlen kann

(1. hat MARX selber klar genug darauf hingewiesen, dass ER gerade NICHT die entscheidende rolle der klassenkaempfe in der geschichte entdeckt und formuliert hat, SONDERN VIELMEHR ihr gebundensein an das / ihre vermittlungen mit dem, was er produktionsweise nennt (BRIEF AN WEYDEMEYER);

2. ist gerade das kapitel ueber den lohn und ueber die kaempfe um den normalarbeitstag usw. in »Das Kapital«I die -- heute noch und erst recht wieder -- tiefstgehende darstellung der historisch-zyklisch notwendigen und faktisch-empirischen klasenkaempfe auf elementarster ebene bis in die politische sfaere hinein !! offenbar hat professor CARDAN das nie gelesen ...,

3. ist es totaler bullshit zu behaupten, MARX habe eine »krisentheorie« entwickelt (die ihm immer wieder gerne ebenso duemmlich unterstellt wird wie eine »zusammenbruchstheorie« oder eine«verelendungstheorie« und immer lustig so weiter, an welchen popanzen man dann so bequem seine »ganze« theorie abfertigen kann, eine ebenso alte wie beliebte methode professoraler MARXtoeterschulen), die von dem schwachsinnigen »postulat« ausgehe, die verdinglichten subjekte seien ueberhaupt keine subjekte mehr sondern nur noch  objekte -- ob als einzelmenschen ob als gesellschaftsklassen -- ohne willen und bewusstsein, die keinerlei einfluss auf das funktionieren (!! sind sie doch selber genau die »funktionaere«) der oekonomie haetten: damit versucht CARDAN die fetischismuskritische kategorie der »verdinglichung« gegen die kategorie der klassenkaempfe auszuspielen, um sie gerade als MARX' entscheidende wissenschaftliche methode -- keinen augenblick »postulat« -- fuer die moeglichkeit des aufweisens der verkehrung des subjekt/objekt-verhältnisses und damit der MOEGLICHKEIT ihrer bewusstmachung DURCH die WIRKLICHKEIT der praktischen klassenkaempfe auseinanderzureissen  und durch platten empirismus zu ERSETZEN.

man kann wirklich nichts absurderes behaupten als dass MARX mit der entwicklung der dialektischen historischen kategorien »fetischismus«, »verdinglichung«, »entfremdung« usw. fuer eine materialistische subjektivitaetstheorie genau einen platten deterministischen objektivismus à la »marxistische orthodoxie« mit ihren oekonomistischen  puppets on the strings BEGRUENDET haette. diese verlogenheit und rosstaeuschertrickkiste jener akademischen verderber der jugend ist immer wieder empoerend.) DEBORD aber folgt listig dem boesen blick des professionellen MARXtoeters auf die (moeglicherweise) achilles-sehne der methode bei MARX:  irgendwoher muss der oekonomistische determinismus der »marxisten« ja doch seine ansatzpunkte in der wissenschaftlichen darstellungsform der kritik der politischen oekonomie nehmen koennen, und wo koennten diese sitzen? wie war es moeglich, dass »die Anatomie der buergerlichen Gesellschaft« (so MARX) subjektiv wie eine borniert-rationalistische astronomie oder genetik WIRKEN konnte ?  in diesen RETTENDEN BLICK wendet DEBORD den »boesen blick« des marxtoeters, den er AUFFAENGT und abzulenken, zurueckzuwerfen versucht, und er kommt zu einer historisch-materialistischen antwort aus dem munde von MARX selbst, wo dieser, unzufrieden mit seinem loesungsversuch, mit verstellter stimme auf DIE GRENZE SEINER EIGENEN WISSENSCHAFT verweist. diese antwort wird erst in THESE 89 behandelt.

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ZUR THESE 84:

»noch zu Lebzeiten« von MARX sei ein prozess in das wissenschaftliche denken des communismus EINGEDRUNGEN, den DEBORD als »Ideologisierung« bezeichnet: dass er diesen terminus in anfuehrungszeichen setzt, also als uneigentlich, als unzureichende begrifflichkeit kennzeichnet, ist bemerkenswert!

hier wird deutlich -- wie an kaum einer anderen stelle des situationistischen gesamtwerks --, dass sich DEBORD der halbheit, der verengung des IDEOLOGIEBEGRIFFs einigermaassen bewusst zu sein scheint, die an der urspruenglichen MARXschen bestimmung vorgenommen wurde. denn bei MARX  ist »ideologie« durchaus nicht blooss als »verkehrtes, falsches bewusstsein« bestimmt, sondern in seiner umfassendsten und klarsten definition heisst es:

revolutionstheoretisch »muss man stets unterscheiden zwischen der materiellen, naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwaelzung in den oekonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, religioesen, kuenstlerischen oder philosophischen, kurz, IDEOLOGISCHEN FORMEN, WORIN SICH die Menschen DIESES KONFLIKTS [zwischen den materiellen gesellschaftlichen Produktivkraeften und den bestehenden Produktionsverhaeltnisssen, d.h.juristisch ausgedrueckt: den Eigentumsverhaeltnissen] BEWUSST WERDEN UND IHN AUSFECHTEN. Sowenig man das, was ein Individuum IST, nach dem beeurteilt, was es sich selbst DUENKT, ebensowenig kann man eine solche Umwaelzungsepoche AUS IHREM BEWUSSTSEIN beurteilen,sondern muss vielmehr dies Bewusstsein AUS DEN WIDERSPRUECHEN DES MATERIELLEN LEBENS, AUS DEM VORHANDENEN KONFLIKT zwischen gesellschaftlichen Produktivkraeften und Produktionsverhaeltnissen ERKLAEREN.« (MEW 13:S.9)

MARX hat also »ideologie« keineswegs als immer blooss falsches, verkehrtes bewusstsein, gewissermaassen als unbewusstsein bestimmt, sondern nicht mehr und nicht weniger denn als FORMEN-ensemble der ideen der menschen, also die BEWUSSTSEINSformen, IN DENEN sie sich zwangslaeufig DER WIRKLICHKEIT, WAHRHEIT ihres gesellschaftlichen SEINs bewusst zu werden versuchen, in denen sie aber ZUGLEICH die sozio-oekonomischen widersprueche, also ihre KLASSENINTERESSEN in diesem gesellschaftlichen sein AUSFECHTEN muessen.

(LUKÁCS mit seinem »Zurueck zu MARX!«-postulat war es, der gegen den mainstream marxistischen und antimarxistischen denkens in den 1960er jahren wie kein anderer jenen ungeteilten, nichtwertenden ideologiebegriff wieder scharf zu machen versuchte, indem er ihn sowohl dem buergerlich-wissenschaftlichen schlagwort von der »Entideologisierung« wie dem leninistisch-stalinistischen dualismus von »der falschen=buergerlichen und der richtigen=proletarischen Ideologie« entgegensetzte -- bis heute ohne erfolg. offenbar eignet sich der ideologiebegriff wie kein anderer selbst zur ideologischen funktionalisierung ... »Wir haben die richtige Ideologie, ihr die falsche!« »Wir sind ideologiekritisch, ihr aber seid ideologisch!« usw. usf.)

da DEBORD natuerlich diesen dialektischen MARXschen ideologiebegriff kennt, jedoch auf den aspekt des »falschen, verkehrten« und APOLOGETISCH-FUNKTIONALEN bewusstseins zuspitzen moechte, tut er gut daran, ihn hier in anfuehrungszeichen zu setzen, wo er diese bewusstseinsformen als prozessierende VERZERRUNG, VERKEHRUNG, VERFAELSCHUNG, INSTRUMENTALISIERUNG wissenschaftlicher erkenntnisse und wissenschaftlicher methode aufweisen will -- einen prozess, der eben auch vor dem wissenschaftlichen communismus eines MARX nicht haltmachen konnte. DEBORD sieht »gerade die DETERMINISTISCH-wissenschaftliche Seite im MARXschen Denken« als DIE BRESCHE, die offene flanke für das EINDRINGEN eines WISSENSCHAFTSGLAUBENS an ein kommendes SUBJEKT DER GESCHICHTE (»es rettet uns ein hoeh'res wesen«), das die NEGATION DER NEGATION (MEW 23: 791«Aber die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation.

Es ist Negation der Negation.« »Die Expropriateurs werden expropriiert.«) ZU GARANTIEREN verspricht. da dieses subjekt aber nicht »die revolutionaere Praxis, die die einzige Wahrheit dieser Negation ist«, sondern die wissenschaft der (kritik der) politischen oekonomie selber sein soll, die alles schon »naturwissenschaftlich« praezise vorhersagen und anleiten kann, passiert mit der inthronisierung »der wissenschaft« ein rueckfall hinter die 2. und 3. MARXthese AD FEUERBACH (MEW 3:S.5f: »Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenstaendliche Wahrheit zukomme, ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, i.e. Wirklichkeit und Macht, Gegenstaendlichkeit seines Denkens, beweisen.

Der Streit ueber die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit des Denkens -- das von der Praxis isoliert ist -- ist eine rein scholastische Frage.« und: »(...) Das Zusammenfallen des Aenderns der Umstaende und der menschlichen Taetigkeit oder Selbstveraenderung kann nur als revolutionaere Praxis gefasst und rationell verstanden werden.«), und indem »die revolutionaere Praxis ... aus dem Bereich der theoretischen Anschauung verstoossen« wird, entsteht »der Marxismus«, »der wissenschaftliche Sozialismus«, die »Orthodoxie« etc., welche(r) die praxis des proletariats zu repraesentieren, zu praeformieren und zu »fuehren« beansprucht -- als wissenschaftlich-ideologische institution. »Sie muss daher die Gesellschaft in zwei Teile -- von denen der eine ueber ihr erhaben ist -- sondieren.« -- so MARX ueber die »Erzieher«, die sich nicht selbst erziehen lassen.

DEBORD sieht die angriffsflaeche fuer diese verselbstaendigung und trennung »des marxismus« als repraesentations-ideologie einer marxistischen ideologen-kaste gegenueber der praxis des proletariats schon in der MARXschen theorieanlage selbst darin, dass MARX zu sehr vom buergerlichen wissenschaftsverstaendnis mit seinen »disziplinen« (politische oekonomie, naturwissenschaften, philosophie, aesthetik, psychologie etc.) i.s.v. parzellierten »positiven wissenschaften« absorbiert worden sei, obwohl er sein ganzes leben lang »den einheitlichen Gesichtspunkt seiner Theorie aufrechterhalten« hat: »aber die DARLEGUNG [Darstellungsform?] seiner Theorie hat sich auf den Boden des herrschenden Denkens begeben« durch ihre praezisierung in positiv-immanente wissenschaften. DEBORD sieht darin eine VERSTUEMMELUNG, eine not bei MARX, aus der »der marxismus« dann eine tugend gemacht hat. die positiv-wissenschaftliche erzieherin des proletariats, von dessen praxis selbst nicht mehr erziehbar, »entdeckt, dass jetzt, der Wissenschaft der Revolution zufolge, das Bewusstsein immer zu frueh kommt und belehrt werden muss.« 

So ist »marxismus« weitgehend zum synonym fuer bremsende, konservative institutionalisierte praxisfeindliche besserwisserei geworden, die der wirklichen bewegung stets die oekonomische und/oder politische »unreife« der bestehenden zustaende entgegenhaelt und »das der Arbeiterbewegung hinterlassene theoretische Erbe« von MARX' kritik der politischen oekonomie sehr bald in einen ATTENTISMUS der positiven oekonomie, »realpolitik«, »geschichtswissenschaft«, »kulturpolitik« etc. verwandelt hat und im friedhof der guten absichten und blutigen niederlagen zu enden pflegte.

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ZUR THESE 85:

»Der Mangel in der MARXschen Theorie ist natuerlich der Mangel des revolutionaeren Kampfes des Proletariats seiner Epoche.« DEBORD arbeitet hier die historische tragik der »PARTEI MARX« heraus, ohne in die ADORNitische weheklag von der »Philosophie«, für die »der Augenblick ihrer Verwirklichung versaeumt ward«, zu verfallen.  nicht das proletariat hat die theorie im stich gelassen, wie es die einen unterstellen, noch sei die theorie von jeher ueberfluessig und hinderlich gewesen, wie es die anderen wollen, sondern der bedingungszusammenhang von praxis und theoriebildung ist historisch-materialistisch zu erklaeren:

zweifellos schlug eine unreife des proletariats besonders in deutschland durch, als dieses die notwendige revolution-in-permanenz (führung und weitertreiben der buergerlich-demokratischen revolutionsaufgaben zur proletarisch-communistischen revolution) 1848 nicht durchfuehrte; ebenso als das proletariat in der pariser commune 1871 -- wiederum durch versagen und stillhalten des deutschen proletariats maassgeblich bedingt -- diesen ersten durchbruch zur revolutionaeren diktatur des proletariats nicht halten und so auch weder auf ganz frankreich noch auf die kapitalistisch entwickelteren laender ueberspringen lassen konnte. die tragik fuer die wissenschaftlich-communistische theoriepraxis seitens der »partei MARX« entstand in dieser situation daraus, dass sie in ihrer relativen isolierung »in der Absonderung der Gelehrtenarbeit im British Museum« (wo MARX die kritik der politischen ökonomie fieberhaft ausarbeitete, waehrend er die oekonomischen krisenanzeichen verfolgte, in deren gefolge er mit der revolutionaeren reifung und dem politischen erwachen des proletariats rechnete) der praktischen isolierung des niedergeworfenen proletariats, der isolierung seiner politischen praxis in der buergerlichen welt (zwischen BONAPARTismus und zarismus, zwischen england und deutschland) ENTSPRACH, je mehr und je laenger die theoriebildung als entscheidender hebel genommen wurde, genau diese isolierung aufzuheben. das war und ist eine tragik, weil es gar keinen anderen weg geben konnte und kann: nur durch die theoretische praxis ist das theorie/praxis-dilemma mit willen und bewusstsein aufhebbar, jedoch kommt es um so mehr auf die bewusstmachung der bedingtheit durch die praxis der klassenkaempfe an. wird in dieser unaufloesbaren dialektik aber das wissenschaftlich-theoretische und damit verbundene organisatorische moment voluntaristisch UEBERSCHAETZT (eben weil es der einzige hebel ist, den wir jederzeit aktiv betaetigen koennen), tritt das ein, was historisch in jener epoche nach MARX eingetreten ist: der gewinn der theorie schlaegt in »einen Verlust in der Theorie selbst« um, der hebel wird theoretisch-orthodox oder revisionistisch sowie organisatorisch selbst zum hindernis der proletarischen praxisentfaltung, zur gaengelung fuer das proletarische bewusstsein selbst.

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ZUR THESE 86:

»Die ganze theoretische Mangelhaftigkeit bei der wissenschaftlichen Verteidigung der proletarischen Revolution«  fasst GUY DEBORD als POLITIZISMUS des buergerlich-proletarischen jakobinertums zusammen.

in inhalt wie darstellungsform dieser wissenschaftsauffassung würden letztinstanzlich buergerliche und proletarische gesellschaftsklasse, buergerliche und proletarische revolution gleichgesetzt. diese historisch verkehrte identifizierung wird »unter dem Gesichtspunkt der revolutionaeren Machtergreifung« vorgenommen. in ihrer knappheit gibt diese these keinen hinweis auf eine wissenschaftliche begruendung bei MARX oder anderen theoretikerInnen, sondern verweist auf die naechste these: dort wird das bestreben, »gesellschaftliche Naturgesetze« (z.b.MEW 23:S.12,15f) der historischen entwicklung nachzuweisen, als verdunkelndes lineares schema gegenueber dem wirklichen historischen prozess bezeichnet. es habe schon MARX zu einer art analogieschluss vom verlauf der buergerlichen revolution (mit ihrer besonderen rolle des staates) auf die proletarische revolution verleitet.

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ZUR THESE 87:

DEBORD wendet sich sowohl gegen die linear-evolutionistische geschichtsdarstellung oder -auffassung wie gegen die zyklische vorstellung von »wiederholte(n) Experimente(n) der Vergangenheit«, mit denen gleichermaassen die proletarische revolution hergeleitet und begruendet und auch in ihren »gesetzmaessigkeiten« gekennzeichnet werden soll, naemlich »wissenschaftlich« so, wie DARWIN die entstehung und evolution der arten naturgeschichtlich dargestellt hat (MARX wollte sich bekanntlich gerne als der DARWIN der gesellschaftswissenschaft sehen).

es ist frappierend, wie sehr diese situationistische geschichtstheorie derjenigen von WALTER BENJAMIN entspricht: gegen die lineare »fortschritts«-vorstellung im historischen materialismus wie gegen die »wiederkehr des immergleichen« als »kontinuum der leeren, mythischen zeit« !

statt der »verdunkelnden« (nacht in der alle kuehe schwarz sind) linearen darstellung von klassenkaempfen, die jedesmal mit einer sieger-klasse abschliessen wuerden, bis dass das proletariat gleichsam das ende-der-geschichte dieser klassenkaempfe beschliesst, wie es seit dem »Manifest der Kommunistischen Partei« das schematische bild »des wissenschaftlichen sozialismus« dominiert, stellt DEBORD die MARXschen forschungen und resultate »in der beobachtbaren Realitaet der Geschichte« in den vordergrund und hebt damit die besonderheit, ja einzigartigkeit der bourgeoisie schroff hervor: einzige historische klasse, die je gesiegt hat, und einzige, die diesen sieg auf basis ihrer oekonomischen revolution schaffen konnte, zugleich einzigartige und zentrale rolle des von ihr geschaffenen modernen staats. wieder diagnostiziert DEBORD eine zwiespaeltigkeit im wissenschaftlich-communistischen ansatz: »Die gleiche Vereinfachung hat MARX dazu verleitet, die wirtschaftliche Rolle des Staates bei der Verwaltung einer Klassengesellschaft zu VERNACHLAESSIGEN«. und dann wiederum entdeckte MARX »im BONAPARTismus diesen Entwurf der modernen staatlichen Buerokratie«, naemlich der zentralisierten maschinerie der kalkulierten verwaltung des oekonomischen prozesses und der schliesslichen »Fusion von Kapital und Staat«.

hier sieht DEBORD nun bereits »die sozialpolitischen Grundlagen des modernen Spektakels gelegt«, indem staatlich-öffentliche macht und gewalt des kapitals sogar die klasse der bourgeoisie selbst aus dem geschichtlichen handeln verweisen und verbannen (im tiefen einverstaendnis mit dieser herrschenden klasse, die garnicht mehr selber herrschen will), so dass jedermann/frau/kind »auf jedes geschichtliche Leben verzichtet, das nicht seine Reduzierung auf die oekonomische Geschichte der DINGE ist«, und gegenueber dieser herrschaft der toten dinge, der bilder vom ungelebten leben usw. nur noch das proletariat als an-den-rand-des-lebens-gedraengte negation, als »einziger Bewerber um das geschichtliche Leben« uebrigbleibt.

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ZUR THESE 88:

in dieser zentralen these wird die differenzia specifica der buergerlich-jakobinistischen und der proletarisch-communistischen revolution endgueltig herausgearbeitet: das jakobinistische »modell« -- gerade im BONAPARTismus noch als »revolutionaerer sozialismus« (MEW 7 ) vom BLANQUIsmus repraesentiert und zugespitzt, »die jakobinistische Eroberung des Staates kann nicht das Instrument des Proletariats sein.« ebensowenig wie das reifen der produktivkraefte im kapitalismus eine GARANTIE fuer die macht des revolutionaeren proletariats bilden kann, auch nicht als prozess der »Expropriation der Expropriateurs« -- solange die hinreichende bedingung nicht zu diesen notwendigen bedingungen hinzukommt: »Das Proletariat KANN seinerseits die Macht sein, ABER NUR WENN ES ZUR KLASSE DES BEWUSSTSEINS WIRD.« dies duerfte der haerteste satz in dem ganzen buch sein.  die gruende, die konkrete originalitaet und qualitative verschiedenheit des projektes proletarische revolution, »das auf der Grundlage der vorangegangenen Revolutionen entstand«, laufen alle in dieser bedingung zusammen, dass das revolutionaere proletariat-das-sich-selbst-aufhebt »DIE GEWALTIGE GROESSE SEINER AUFGABEN KENNT«. damit ist die neben und nach der bourgeoisie einzige historisch POTENZIELL revolutionaere klasse der gesellschaft auf die sprengung, ueberwindung jeglicher ideologischer bewusstseinsform angewiesen, die sie von der »einsicht in den gang« der historischen totalitaet der kapitalistischen weltgesellschaft trennt oder abhaelt. diese einsicht ist wiederum durch wissenschaftliche theoriebildung allein nicht zu gewinnen, obwohl sie diese unbedingt voraussetzt; sie ist erst als gelebte theorie/praxis-dialektik zu erkaempfen.  

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ZUR THESE 89:

(letzte kritische these ausschliesslich zum wissenschaftsverstaendnis bei MARX)

hat DEBORD hier doch dem boesen blick eines CARDAN/CASTORIADIS (siehe zu these 83) nachgegeben, wenn er nun ebenfalls behauptet, dass MARX selber bereits »die intellektuelle Basis der Illusionen des Oekonomismus schuf«?! oder gelingt es ihm noch, diesen toedlichen blick abzufangen, abzuwenden, zu ENTWENDEN?  zunaechst begegnet er dem vernichtenwollenden blick mit historisierender NUECHTERHEIT: erstens ist MARX »in einer bestimmten Periode seiner Teilnahme am Kampf des Proletariats« zu überhöhten erwartungen verleitet worden hinsichtlich wissenschaftlicher krisenprognose und deren politischen folgen (»eine Revolution auf dem Kontinent ist erst möglich im Gefolge einer neuen Krisis, aber auch ebenso sicher wie diese«). hier konnten ökonomistische illusionsbildungen selbstverstaendlich ebenso ansetzen wie auf hoeherer theoretischer ebene in  geschichtslogisch ueberziehenden formulierungen am ende von »Das Kapital«I, gipfelnd in: »Diese Expropriation vollzieht sich durch das Spiel der immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion selbst. (...) Die Stunde des Privateigentums schlaegt. Die Expropriateure werden expropriiert. (...) die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation. Es ist Negation der Negation.«(MEW 23:790f)

um die zeitgebundenheit, klassenkampfbedingtheit dieser MARXschen wissenschaftlichen selbstueberschaetzung ihrerseits -- auch als persoenlichkeits-analytische -- historisch zu erklaeren, gibt er MARX als »kind seiner zeit« selber das wort: »In einem wohlbekannten Brief vom 7.Dezember 1867« -- damit weist DEBORD auf die gegenstandslosigkeit irgendwelcher mystifizierungen des »ensembles gesellschaftlicher verhaeltnisse« namens KARL MARX hin -- und einem beiliegenden »Artikel (...), worin er selbst Das Kapital kritisiert (...), als ob er von einem Gegner stammen wuerde, hat MARX klar die Grenze seiner eigenen Wissenschaft dargelegt:«

zum einen MARX' eigene »subjektiveTendenz« bedingt durch BINDUNGEN auf politisch-moralischer ebene (»durch seine Parteistellung und Vergangenheit ... verpflichtet«, so MARX) wie auf historisch-traditionaler ebene, letztere sowohl was »die ideologischen imperative« (SARTRE) vor allem des ueberkommenen sozialismus und communismus (eben auch mit seiner in THESE 83 kritisierten »wissenschafts«-glaeubigkeit) betrifft als auch die ungeheure last und herausforderung der herrschenden, buergerlich-bornierten wissenschaftsgestalt, gegen die der einzelkaempfer KARL MARX bis zum letzten atemzug ankämpfte und mit deren normen er zwecks KRITISCHER AUFHEBUNG rang: »die MANIER, WIE er sich und anderen (!) das EndRESULTAT der jetzigen Bewegung, des jetzigen gesellschaftlichen Prozesses VORSTELLT [= darstellt, vor augen fuehrt, sichtbar zu machen versucht, durch logische extrapolation zu antizipieren und prognostizieren versucht, durch herausarbeiten, tendenziell ueberziehen der widerspruchsdynamik eine erst mit willen und bewusstheit herzustellende TENDENZ plausibel zu machen versucht, ohne ins utopisieren abzugleiten ...], hat mit seiner WIRKLICHEN ENTWICKLUNG GAR NICHTS ZU SCHAFFEN.« so weit ging MARX, um dem »albtraum der toten geschlechter, die auf den gehirnen der lebenden lasten«, mit seinem eigenen gehirn doch noch zu entkommen!

wodurch ENTWENDET hier DEBORD die kritische wahrheit, die im vernichtenden boesen blick eines MARXtoeters wie CARDAN wie in einem giftigen pfeil enthalten ist? dem pfeil, den der Páris CARDAN gelenkt vom schutzgott aller kuenste und wissenschaften des herrschenden goetterhimmels, Apoll,  dem Achilleus MARX auf die verwundbare sehne seiner ferse abschiesst?

nicht durch fuchtelnden beschuetzerreflex, sondern ganz einfach, indem er den lebenden MARX sich selbst verteidigen laesst gegen den postumen killer, mit dem staerksten argument, das er geltend machen kann: dem historisch-materialistischen hinweis auf die komplexen widerspruechlichen bindungen eines revolutionaeren gesellschaftsindividuums, das sein bestes zu geben versucht (»Für die Arbeiter, so MARX, sei ihm an wissenschaftlicher Darstellungsweise das Beste gerade gut genug«); auf »die Ironie« (im romantischen sinne und im sinne des historischen materialisten WALTER BENJAMIN, in dem das bewusstsein um einen historisch unvermeidbaren grad von vergeblichkeit, realistischer resignation als bestimmendes moment mitschwingt) »in Bezug auf die ausserwissenschaftlichen Entscheidungen, zu denen er verpflichtet gewesen sei«; auf die schmerzhaft bleibende, sich immer erneut verschaerfende widerspruechlichkeit der theorie/praxis-beziehung selbst. »Also dadurch, dass er selbst die 'tendenziellen Schlussfolgerungen' seiner OBJEKTIVEN Analyse denunziert« was ihre verfuehrungskraft zum SUBJEKTIVISMUS, zur objektivistisch-deterministischen illusionsbildung betrifft, kann MARX seine begruendung eines wissenschaftlichen communismus als theoretisch optimierbarem ausdruck DER JETZIGEN BEWEGUNG, des jetzigen gesellschaftlichen prozesses communismus-als-wirkliche-tendenz und moeglichkeit gegen die buergerlich heruntergekommene instrumentelle wissenschaftshybris und zugleich gegen die staatlich bezahlten linken veraechter-der-vernunft-und wissenschaft verteidigen. auf der persoenlich-moralischen ebene, die hier zugleich und zurecht eingeklagt wird, kann diese DÉTOURNEMENT-verteidigung nur aus der eingestandenen menschlich-historischen SCHWAECHE (=strategischen defensive) heraus die gegenfrage (an feige quietistische postume MARXkiller wie diese linken professoren) sein, die lautet: was haettet ihr denn in MARX' historisch-persoenlicher SITUATION getan, was tut ihr theoretisch? praktisch? im JETZIGEN gesellschaftllichen prozess des klassenkampfes?

die spannung zwischen »ausserwissenschaftlichen Entscheidungen«/verpflichtungen einerseits und binnenwissenschaftlichen forschungs- und darstellungs-anforderungen andererseits ist in den zwei reflexionsbestimmungen zu begreifen, die fuer »DIE GESELLSCHAFT DES SPEKTAKELS« ebenso wie in den praktischen und inneren auseinandersetzungen der SITUATIONISTinnEN geradezu leitmotivisch auftauchen: KOHAERENZ/INKOHAERENZ und THEORIE/PRAXIS -- was sowohl das eigene persoenliche leben als die revolutionaere gesellschaftliche aktivitaet betrifft, verstanden als teilnahme und reflexion in den klassenkaempfen.

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ZU THESE 90:

folgerichtig geht die THESE 90 direkt zur historischen reflexionsbestimmung theorie/praxis ueber: »Im geschichtlichen Kampf selbst muss die Verschmelzung des Erkennens mit dem Handeln verwirklicht werden, so dass jede dieser Seiten die andere zur Garantie ihrer Wahrheit macht.«

diese reflexionsbestimmung wird nun entlang den gestaltungen/formen/verwirklichungen der »Herausbildung der proletarischen Klasse als Subjekt« entfaltet und untersucht an den historischen knotenpunkten von revolution und konterrevolution im 20. jahrhundert jeweils »im revolutionaeren Augenblick: hier muessen die praktischen Bedingungen des Bewusstseins vorhanden sein, in denen sich die Theorie-der-Praxis bestaetigt, indem sie zu praktischer Theorie wird. Diese zentrale Frage der Organisation«    bildet in den folgenden thesen den brennpunkt fuer die herstellung und ueberpruefung des KOHAERENZ-problems.

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