Aus dem Zirkularbrief 2, Juni 2001
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Bürgerlicher oder revolutionärer Antifaschismus? Dreimal Freiheit »der« Arbeit
Von Peter Christoph
Der Nationalsozialismus stellt(e) schon immer »die Arbeit« ins Zentrum: warum und wie? (Vgl. die Hitler-Rede über »Arbeit und Judentum«, 1920.) Zur äußersten Konsequenz geführt im Konzentrationslagersystem (siehe das Internet-Projekt von Sigrid Sigurdsson) und in der »Vernichtung durch Arbeit«: »Arbeit macht frei« als zynischster Satz der Weltgeschichte.
Aber die ganze bürgerliche Gesellschaft beruht auf freier Lohnarbeit: Die Akkumulation des Kapitals bedingt doppelt-freie Zwangsarbeit (Marx: »freiwillige und erzwungene Kooperation« zugleich): die lebendige Arbeitskraft der ganzen Gesellschaft muss frei sein von außerkapitalistischen Bindungen und frei für den Ankauf durchs Kapital. Formelle Freiheit und Gleichheit der Ware Arbeitskraft in der Zirkulations-, Austausch- und Konsumtions-Sphäre auf Basis der faktischen Ungleichheit von Eigentum/Verfügung über die gesellschaftlichen Produktions- und Lebensbedingungen, grundsätzlicher Unfreiheit der eingekauften lebendigen Arbeitskraft im kapitalistischen Arbeitsprozess (Produktionssphäre).
Der Nationalsozialismus hatte mit seinem Zwangsarbeitsprojekt eine ganz bestimmte historische Funktion bei der deutschen »Neuordnung Europas« gemäß den kapitalistischen Umwälzungs- und Zurichtungsbedürfnissen der Arbeitskraft:
Politisch musste allererst eine womöglich drohende »proletarische Revolution« langfristig (»auf tausend Jahre«) verhindert werden, sozial musste der Klassenkampf stillgestellt und in die Verinnerlichung der kapital-imperialistischen Konkurrenz durch die Proletarisierten umfunktioniert werden: ins Leitbild der arbeitenden »Prolet-Arier«-Nation(en), das Feindbild der nichtarbeitenden »kapitalistischen und kommunistischen Internationale des Judentums«.
Ökonomisch galt es von Europa aus eine rassistische Hierarchisierung der Zwangsarbeitermassen um die deutsche freie Lohnarbeit herum ins Werk zu setzen: mit einer korrumpierten, klassenkampfentwöhnten und militarisierten deutschen Kern-Facharbeiter- und Vorarbeiterschaft von Unteroffizieren der Produktion obenauf und der sytematischen volksstaatlichen Auskämmung und Ausmerzung aller angeblich oder wirklich zwangsarbeitsunwilligen Elemente nach unten, das Ganze biologistisch-euge-nisch motiviert. (Ulrich Herbert: Arbeit, Volkstum, Weltanschauung, 1995.)
Das wäre nicht durch blanken staatlichen und halbstaatlichen Terror allein möglich gewesen, sondern bedurfte der eigentlichen, einzigartigen Leistung des Nationalsozialismus: seiner ideologischen und psychomentalen Funktionsweise, die noch längst nicht erklärt ist. Sie wurzelt ebenso intim in der traditionellen deutschen wie in der allgemein kapitalistischen Arbeitsmentalität: hierin verschränken sich Modernisierung und Regression aufs Vormoderne in einzigartiger Weise zu einem »furorteutonicus«, dessen Totalmobilisierung aus einer Situation zugespitzten und abgebogenen Klassenkampfes (seit 1918) heraus das immer noch ungelöste »Rätsel des Faschismus« und die nationalsozialistische Verblendungsleistung ist, an deren historischer und materialistischer Erklärung die bürgerliche Gesellschaft letzten Endes kein Interesse haben kann.
Denn dem Nationalsozialismus war gelungen, was der bürgerlich-demokratischen Gesellschaft »für sich« bis dahin nicht gelungen war: die kapitalistische Widersprüchlichkeit, Krisenhaftigkeit als Verinnerlichung (gewaltsame Herstellung der Einheit) in den lohnabhängigen Menschen austragen zu lassen - gegen die kapitalistische Konkurrenz; und die tagtägliche Kränkung und Selbstverachtung im kapitalistischen Arbeitsalltag, in der Lohn- und Zwangsarbeit, im »Dienst« - in Selbsterhöhung durch Erniedrigung und Verknechtung »minderwertiger« anderer zu verkehren. Zugleich hat der Nationalsozialismus die bürgerlichen Tugenden der Gleichgültigkeit und des Wegsehenkönnens zu einer Perfektion entwickelt, die in den Deutschen Zuständen besonders gründlich gediehen ist. Um diese Verinnerlichungsleistungen kann die kapitalistische Normalgesellschaft den Nationalsozialismus bis heute nur beneiden.
Sie hat indessen von ihm gelernt, die kapitalistische deutsche Gesellschaft, und möchte durchaus »nie wieder!« auf ihn angewiesen sein müssen, den NS-Faschismus. Die Berliner Republik steht für den Standort-Kapitalismus der BRD mittels europäischem Modell der »Sozialpakte« (Hans-Jürgen Urban: Beschäftigungsbündnis oder Standortpakt? VSA 2000), allein schon ein Programm der Verinnerlichung der »Standortlogik«, das aber erst mal durchgesetzt werden will. Plumpe provokatorische Vorstöße wie die von Professorin Sybille Tönnies (»Arbeitsdienst für Jugendliche - Warum nicht?«, Vortrag in einer KZ-Gedenkstätte 1998) für direkte Zwangsarbeit gibt es auch und immer wieder, hier plappern die herrschenden Ideologen / Ideologen der Herrschenden ihre Wunsch und Zwangsvorstellungen aus, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Zweifellos wird z. B. in den Knästen, in so genannten Behindertenwerkstätten ein wehrloses Heer von faktischen ZwangsarbeiterInnen ausgesaugt. Aber auch Dienste wie bei der Bundeswehr und im »Sozialen Jahr« werden nicht als direkte Zwangsarbeit empfunden. Eher als »Chance«, als Ausbildungsmöglichkeit und sinnvolle Arbeit an »der« Gemeinschaft ... Modell ist etwa Frankreich, wo schon ein Riesennetz von Betreuern für Arbeit suchende junge Leute entstanden ist... Laut »Institut für Arbeitsmarkt- und Sozialforschung« gibt es in der BRD ein Potenzial von sechs Millionen Leuten, die »gerne arbeiten wollten, wenn sie Arbeit hätten«.
Mit Peitschenknallen wie den Bundeskanzler-Worten vor 2 Wochen, dass den »Arbeitsunwilligen« Beine gemacht werden müsste durch Streichung an der Unterstützung, ist ebensowenig mehr Ware Arbeitskraft zu verkaufen wie durch die Forderung der Rechtspopulisten und Nazis, »Arbeitsplätze zuerst für Deutsche bzw. nur für Deutsche« zu reservieren. Aus dem größten Unglück, das der Kapitalismus bereithält, nämlich sich nicht verkaufen zu können als Ware Arbeitskraft, führt innerhalb der kapitalistischen Produktionsverhältnisse weder sozialstaatliche Hungerkur noch »deutsches Blut« heraus, sondern einzig und allein die Befriedigung des Kapitals, seinen Bedarf nach zugleich billigeren und qualifizierteren Arbeitskräften zu bedienen. Und so fordert es z.B. mit der Stimme des Daimler-Chrysler-Chefs Schrempp am Wochenende auf der Hannovermesse, »den Arbeitsmarkt zu deregulieren« als europäisches Projekt!
Das Kalkül des Kapitals (seiner think-tanks und Krisenstäbe) für den »Standort« BRD ist dabei klipp und klar ein bevölkerungspolitisches. Es zeigt nüchtern, wie wenig die BRD als metropolitanes »Gelobtes Land« des entwickelten Kapitalismus und der demokratischen Zivilgesellschaft gilt, und führt alle rechtspopulistischen und nazistischen »Überfremdungs«-Phobien ad absurdum. »Das Boot ist nicht voll, sondern halbleer«, so Peter Müller von der Zuwanderungskommision der Bundesregierung. Folgenden Saldo machen sie in der deutschen Ausgabe der Financial Times (6. 4. 2001) auf:
»Derzeit wandern jedes Jahr rund 800000 Personen aus dem Ausland zu. Etwa 700000 verlassen das Land. Damit ein Wanderungsgewinn von 400000 Personen bleibt, müsste die Zahl der Zuwanderer somit auf 1,1 bis 1,2 Millionen steigen.«
Die demographischen Menschenverwalter und Lagerhalter des Kapitals antworten dem deutschvölkischen Rassismus mit einem Achselzucken: »Man bräuchte 2,8 Kinder pro Frau, um den Bestand mittel- und langfristig zu erhalten; das ist unmöglich mit Einheimischen in der BRD. Wir brauchen aber hoch qualifizierte Fachkräfte, vor allem im Dienstleistungsbereich.«
»Die Nachfrage nach gut qualifizierten Menschen werde enorm steigen« in den kommenden zehn Jahren, verrät der Süßmuth-Kommissions-Wissenschaftler Münz der Financial Times, »denn ohne Zuwanderung verringere sich die Erwerbsbevölkerung bis 2030 um 12 Millionen Berufstätige, bis 2050 sogar um fast 20 Millionen.«
Die ökonomisch-soziale Selektion des Menschenmaterials ist dabei fürs Kapital wesentlich eindeutiger als die obskuren Kriterien der ideologischen Rassisten:
»Wir werden Personen bevorzugen, die sich in ihrem Heimatland auf Deutschland vorbereiten. (...) Die ökonomisch notwendige Zuwanderung« (so weiter Münz in der FT) »müsse in der Regel von der humanitären getrennt werden. Denn: Wenn IT-Spezialisten gebraucht werden, tröstet es die Firmen nicht, dass viele Flüchtlinge aufgenommen wurden.«
»Das Land benötige Zuwanderer, die sich rasch und erfolgreich in den Arbeitsmarkt integrierten oder die sich selbstständig machten und neue Arbeitsplätze schafften.«
Wie klassisch und empirisch hier also wieder einmal aus dem Munde des Kapitals selbst die Bestätigung der wissenschaftlichen Aussage aus dem ersten Band des Kapital von Marx: »Gleiche Exploitation der Arbeitskraft ist das erste Menschenrecht des Kapitals« (MEW 23, 309).
Die zitierte Stimme des Kapitals folgert konsequent bürgerlich-antirassistisch: »Deutschland müsse signalisieren: Wir sind ein guter Standort für Menschen, die bei uns arbeiten wollen. Im Moment sei das Land davon noch weit entfernt.«
Dem widerspricht nur scheinbar der Rassismus der staatlichen Selektion, wo es gegen unerwünschte, weil nicht so unmittelbar verwertbare MigrantInnen geht. Und genau hier deckt sich der staatliche mit dem populistischen, rechtsextremen und nationalsozialistischen Rassismus, erfüllt der »ideelle Gesamtrassist« im gesellschaftlichen Mainstream seine Funktion. Von Anfang der bürgerlichen Welterschließung an (»Globalisierung« seit 1492) ist der Rassismus die notwendige Ideologie und Praxis des Verwertungsblicks: die warenkundliche Sortierung der Menschen, die das Kapital vorfindet, die ihm unterkommen, die es sich als brauchbar einverleibt oder die es als »minderwertig« für eine Zwecke aussondert. Die sich dem kapitalistischen Verwertungsprozess verweigern, werden direkt oder indirekt mit Vernichtung bedroht, gelten als lebensunwertes Leben. Diese Vernichtung mit deutscher Gründlichkeit zu exekutieren, war eine Aufgabe und Fähigkeit der Nazis gewesen. Sie werden seitdem vom Kapital und vom ideellen Gesamtkapitalisten, dem Staat, an der mal kurzen, mal längeren Leine gehalten, um das staatliche Gewaltmonopol zu ergänzen, ihm aber auch als Kontrastfigur und Pogrom - Antibürger, Bürgerschreck - herzuhalten eine Markierung, die z. B. unlängst der bayerische Innenminister Beckstein deutlich machte: »Nur die Polizei und der Bundesgrenzschutz darf die Ausländer zurückbefördern!«
Dazu steht nur scheinbar im Widerspruch, dass von einer »Speerspitze des Stammtischs«, von einer »Subkultur der Normalität« möglichst flächendeckend und »lebensweltlich« so genannte »Strukturen geschaffen« werden - so nennen das die NS-»Strategen« -, in denen die Devise und gewissermaßen der lifestyle des »National-Seins« zur kulturellen Hegemonie zu gelangen versucht, überall, wo der Muff der Deutschen Zustände, die Residuen der Deutschen Misere, das alte und neue deutsche Spießertum »from the bottom up« ums Überleben kämpft und mit Zähnen und Klauen seine »Normalität« nach vorne verteidigt.
Wo so genannte deutsche Leitkultur als Pseudo-»Subkultur« vor Ort von junger Spießerbrut als marodierende Möchtegern-Todesschwadronen durchgesetzt wird, getreu dem NS-Programm (»Vorderste Front«): »Wir müssen Freiräume schaffen, in denen wir faktisch die Macht ausüben, in denen wir sanktionsfähig sind ...« -da wird ein Wertesystem ebenso regressiv wie aggressiv noch einmal zur Geltung gebracht, das die nationalsozialistische, völkischdeutsche, »proletarisch« pervertierte und substanziell antisemitische, antiziganistische Arbeits-Ideologie zum Kern hat und aus der historischen Defensive noch einmal in die Offensive zu bringen versucht. Was die gern als »rechte Jugendkultur« missverstandene Neo-NS-Szene wieder aufzurichten versucht gegen die schöne neue Arbeitswelt des »globalisierten« Kapitals, das ist das Nachbild des »Deutschen Arbeiters« von einst, der verloren gegangene Pappi und Opi der Faust und der Stirn, der deutsche Redneck und der Landser (die Mitglieder dieser Lieblingsband sehen auch so aus): die Verkörperung dieses Auslaufmodells »schaffenden Kapitals« als »starker Knecht« und Jüngers Der Arbeiter, wie er nun auch auf dem Plakat der Nazis zum 1. Mai 2001 in Frankfurt figuriert.
Es ist der muffelige deutsche Bierbauch in der weißen Bluse, nicht mehr jung, der von der heutigen Neuordnung Europas durchs Kapital überrollt wird, sich und seinesgleichen aussterben fühlt und dagegen die Nostalgie der NS-»Neuordnung« aufzubieten versucht: »Wir wollen frei sein wie die Väter waren!« Die wabbeligen Bubis wie Worch sind körperliche Abziehbilder dieses regressiven Wahngebildes und zugleich die Manager und PR-Fachleute für die spektakuläre Ware NS: »Nationalismus« muss jungen Leuten als ein spannendes Abenteuer »verkauft« werden.« Das Bild des Nationalsozialismus ist längst auch zu einer politkulturellen Dienstleistung geworden. Sie kompensiert die Kränkungen und Defizite im Büro und in der »erlebten Vereinsamung« am PC und ergänzt mit ihren rassistisch-»revolutionären« Omnipotenzszenarios die übliche Angestelltenkultur.
Sie heizt mit dieser neualten Leistung der »Ästhetisierung des Politischen« die ganze Atmosphäre des schönen neuen Arbeitsalltags rassistisch und antisemitisch auf.
Aktuell bleibt diese Leistung eine flankierende. Es geht heute nicht um die Errichtung eines Zwangsarbeitslagersystems fürs Kapital, sondern eher um so etwas wie ein Big Brother-Containersystem der freien gegenseitigen Selbstausbeutung in Teams für die Firma - nicht um das Dalli-dalli-Kommando der Nazis und die Selektion an der Rampe, sondern um das spaßgesellschaftliche permanente Rollenspiel der team-players in kreativer Kooperation, deren individuelle Ideen dringend gebraucht werden, deren Einsatz die Schranke von Freizeit und Arbeitszeit von selbst aufhebt und deren gegenseitige und korporative Konkurrenz, Aussonderung und Hierarchie als verstecktes Mobbing unter der Glocke des allgegenwärtigen Trallala umso reibungsloser, spielerischer und verlogener vor sich geht.
Als »soft skills« werden dieses Qualifikationen der heute durchschnittlich erforderlichen Arbeitskraft bezeichnet: »Kommunikationsfähigkeiten, Konfliktfähigkeiten, Durchsetzungsfähigkeiten ...« Und genau hierzu werden vom Kapital in der BRD die sozialen Kompetenzen der ArbeitsimmigrantInnen gebraucht: frisches Blut durch united colors, weil das verbrauchte »deutsche Blut«, das BRD-Staatsbürgerblut, am »eigenen Standort« zu abgestanden ist; weil mit dem Ist-Zustand der Muffel und Mobber und mit der deutschen Alterspyramide bis zum Jahr 2010, 2015 ... kein Stich im globalen Wettbewerb zu machen sein wird.
Sämtliche Äußerungen, Debatten und Maßnahmen der deutsch-europäischen »Sozialpakte« haben zum Inhalt und Zweck die Mobilisierung der »zu trägen« Arbeitskräfte, das Umrühren der wachsenden industriellen Reservearmee: den älteren, müde gewordenen Feuer unterm Arsch zu machen, den Erwerbslosen durch Peitsche und Zuckerbrot (Streichungen wie Umzugsprämien) die Sesshaftigkeit auszutreiben, sie zur Mobilität zu zwingen; die bürgerliche Familienform - Lebensinhalt und Sinngebung des bürgerlichen Privatlebens, der bürgerlich-spießbürgerlichen Reproduktion überhaupt! - und damit das Patriarchat zur endgültigen Fiktion zu machen. So wie »die Deutschen« - dem Herrgott sei dank - endlich zur Fiktion zu werden »drohen«: denn auch der gute »Ausländer«/die gute »Ausländerin«, die heute hier dafür sorgen, dass »wir« nicht bei »einer Nettoreproduktionsrate unter 1 bleiben« müssen, »spricht deutsch - denkt deutsch - träumt deutsch« und lässt sich deutsch ausbeuten.
Gegen diese Zumutbarkeitsschübe, gegen diese »zivilisatorische Mission des Kapitals« (Marx) also wird das untergehende Wertesystem der deutschen Zustände von den Nazis am »radikalsten« in Stellung gebracht, der wild gewordene Spießer- sei's Kleinbürger, sei's Facharbeiter, sei's Pauper - wird wieder einmal »Revolutionär«. Der kurzatmige »Antikapitalismus« - der sich auf die Ranküne des »kleinen Mannes« gegen »das große Geld« und vor allem gegen jede Art »Geldmenschen«-Sündenböcke beschränkt - sucht sich sein Reich der Omnipotenz im »Deutschen Sozialismus«, der gewaltsam zu rettenden Spießerkultur, der bedrohten deutschen »Normalität«. Diese wird sogar mit abgesunkenen Elementen von Avantgarde und Pop angereichert, NS goes pop.
Indem sie nur noch eine versunkene Politik ästhetisieren können, nur noch den Zynismus des barbarischen »Jetzt erst recht« und das Kokettieren mit dem NS-Chic ausreizen, entwickeln sie die spektakuläre Ware NS zur letzten Perfektion (»die Herrschaft der Schauspieler« nannten die Situationisten den Faschismus) als eine Art falscher Luxusproduktion für den im Kapitalismus zu kurz gekommenen wild gewordenen Gesamtspießer. Seine Panik mobilisieren, inszenieren und bündeln sie: »revolutionäres« Lebensgefühl eines Sozialtypus, der sich vom karrieristischen Angestellten, Selbstständigen bis zum erwerbslosen Jung-Normalo erstreckt.
Durch die Mobilisierung des Ressentiments und der Regression dieser Möchtegern-Führungskräfte auf allen Ebenen der kapitalistischen Hierarchie unterfüttern die Nazis die neue Arbeitsmentalität, die uns in der Firma und im Alltagsbetrieb abverlangt wird, mit einer Kompensation, mit einem geheimen Gegenstück, das genauso konsumiert werden kann wie die diversen Therapie-Workshops und Fitness-Studios: Die (Pseudo-) Ästhetisierung des Politischen als Ventil und Ergänzung der offiziellen Arbeitswelt.
Mit der spektakulären Ware NS und ihrer PR-gemäßen Durchsetzung machen also heute die Nazis für die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der Deutschen Zustände mobil, so die vorläufige These.
Diese regressive Mobilmachung, deren Wucht und flächendeckende Möglichkeit heute viele überrascht, kann nur aus der Neuordnung des Kapitals erklärt werden und ist nur in Wechselbedingtheit mit dieser zu bekämpfen. Ohne Aufhebung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse keine Ausrottung des Nationalsozialismus, denn dessen Wertesystem hat -»trotz« seiner Spiegelsymmetrie - die eine gemeinsame Wurzel: Zwangsarbeit als konstitutives Moment der Lohnarbeit überhaupt.
Befreiung der Arbeit von allen gesellschaftlich-historischen Zwangsformen muss deshalb das Kriterium eines Antifaschismus, Antinazismus und Antirassismus sein, der die buchstäbliche bürgerliche Einäugigkeit endlich überwinden kann. Ein solcher Antifaschismus muss auch das Staatsmonopol in allen seinen Formen als ideellen Gesamtkapitalisten begreifen, mit dem es keinerlei demokratisches Bündnis, nur verhängnisvolle Bindung geben konnte und kann. Wenn der Wahlspruch der alten Antifa - »Antifa heisst Angriff« - denn jemals zu seiner Wirklichkeit kommen sollte, dann erst in der Doppelstrategie: Angriff auf Kapital und Staat! Krieg den Deutschen Zuständen!
In dieser Perspektive ist die Emanzipation der gesellschaftlichen Arbeit, unserer Arbeit und unseres Lebens, der unvermeidliche Ausgangspunkt.