Workshop / Wochenendseminar vom 21. bis 23.September 2007:
Antikapitalismusphantasien der Nazis
Ankündigungs-Text vom 5.7.2007
Die NS-Kameradschaften und ihre staatlich ausgehaltene Mutterpartei NPD versuchen für den 7.7.2007 nach einem halben Jahrzehnt wieder einen erneuten Vorstoß nach Frankfurt am Main, diesmal im Rahmen der offen nationalsozialistischen »Antikap-Kampagne« gegen »Globalisierung« und für alle Werte, die sie der radikalen und reformistischen Linken in Deutschland wegnehmen können. Das sind einige, denn die deutsche Linke hat sich soeben selber weitgehend auf das Spektakel »gegen Neoliberalismus und kapitalistische Globalisierung« en masse »mobilisiert« und ihre »Kapitalismuskritik« auf Festivalformat gebracht. Dabeisein-um-jeden-Preis (den Preis für Rostock, in Schwerin gegen den bisher grössten angemeldeten NS-Aufmarsch gegen Kapitalismus und Globalisierung nicht da zu sein, und auch nicht anderswo) hat den Angriff, der »ums Ganze« geht wie die Katze um den heissen Brei, längst ersetzt, antifa goes Grönemeyer und schon längst nicht mehr aufs Ganze, stattdessen tritt man den Quark noch breiter in die Bürgergesellschaft aus, indem man jedem ihrer Mitglieder verzweifelt weismachen will, dass es antifa ist und das bisher nur noch nicht gewusst hat.
Linkspopulismus (ein service der antifa Festival) hat zwar rapide die Symbol-Fetischisierung alt-autonomer Militanzgesten (»smash capitalism!« auf T-shirts und Spuckis, den brennenden Müllcontainer als Markenzeichen) erlernt, jedoch im selben Maß verlernte sie die (wenigstens vor ein paar Jahren noch dem Anspruch nach als »Kritik und Praxis« beschworene) theoretische Praxis, und so ist diese Sorte Antifaschismus ebenso »radikal« hilflos geworden wie die reformistischen Professoren, zu deren ideologischem Mündel sie sich mittlerweile macht, und die Honoratioren der Staatslinken, an deren organisatorische Vernetzungs-Mittel sie sich verzweifelt klammert.
Der hilflose Antifaschismus hat sich schon immer in bloßer »Aufklärung gegen Nazis« erschöpft und in bloßer »Kein Fußbreit!«-Aktion vor oder hinter den Polizeistiefeln verzehrt, so wird nun von all der »Aufklärung« um den antisemitischen Kern »des Nazi-Faschismus« ein theoretischer Bogen gemacht wie um die Gewaltexekutoren des demokratischen Bürgerstaats, auf den man sich zu stützen versucht, ein praktischer Rahmen aus Mainstream- Common Sense und Realpolitik, denn der soll uns alle ja vor den Nazis schützen, bitteschön.
Der Theorie-Ersatz, der genau diese Beschwörung von Recht, Staat und bürgerlich-polizeilicher Moral in sich zusammenfasst, ist im Bescheid sämtlicher AllerweltsdemokratInnen und selbstzufriedenen SpiessbürgerInnen, SchülermitverwaltungsstreberInnen und PastorInnen vollendet formuliert: dass »Faschismus keine Meinung sondern ein Verbrechen« sei. Wer wollte das bestreiten, dass diese Meinung ein Verbrechen am menschlichen Denken und an der menschlichen Vernunft in der Geschichte war und ist. Wer kann aber zugleich im Ernst behaupten, dass Faschismus, NS und AS gar keine Meinung sei, denn offensichtlich ist sie das, und zwar die mörderischste, eliminatorischste und epidemischste Massenwahn-Meinung modernisierter Barbarei (»Die Juden sind unser Unglück« und Vernichtung durch »Arbeit macht frei«), die die von Menschen gemachte Geschichte kennt. Der Satz ist also zutiefst töricht, indem er unwahr ist. Der Sinn und Zweck dieser dummlinken Banal- und Selbstbetrugsformel kann nur sein, sich damit der eigentlich radikalen Aufgabe zu entledigen: diese Massen-Meinung so mörderisch ernst zu nehmen wie sie ist, sie zu analysieren um sie vernichtend kritisieren zu können – nicht als akademische Studie allein und nicht als Therapie dieser »pathischen Projektion« zwecks gesellschaftlicher »Versöhnung« von Opfern und Tätern, sondern als einem »Gegenstand der Kritik, wie der Verbrecher, der unter dem Niveau der Humanität steht, ein Gegenstand des Scharfrichters bleibt. … [Diese Kritik] ist kein anatomisches Messer, sie ist eine Waffe. Ihr Gegenstand ist ihr Feind, den sie nicht widerlegen, sondern vernichten will. … Die Kritik für sich bedarf nicht der Selbstverständigung mit diesem Gegenstand, denn sie ist mit ihm im reinen. Sie gibt sich nicht mehr als Selbstzweck, sondern als Mittel.« (so schon Karl Marx gegen die deutschen Zustände, MEW1:380).
Eine deutsche Linke, die den NS-Angreifern immer noch den blöde moralisierenden Spruch entgegenhält wie dem Teufel das Kruzifix, hat sich bis heute vor der vernichtenden Kritik gedrückt und ruft stattdessen nach der Polizei, dem Staatsanwalt oder mimt selbst Bürgerwehr, um die ganze Bürgergesellschaft zum Ordnungsruf gegen »eine Meinung« aus ihrer eigenen Mitte zu »mobilisieren«. Abwechselnd lamentiert sie dann über »das offensichtlich mangelnde Interesse« der Staatsgewalt, das sie nicht fassen kann. Schwarzrotgoldene Gewerkschafter samt Oberstudienrat, Pastor und linksradikalem Publikations-Establishment prangern ihrem volksfront-populistischen Zielpublikum in allen Facetten die Verbrecher und Demagogen, deren Vorbilder und Tarngestalten an; die antisemitische Kerngestalt des Antikapitalismus der Nazis, diese deutsch-kapitalistische »Alltagsreligion« (Marx, Adorno) an der sie ansetzen kann und deren Bestandteil sie ist, wird kaum einmal erwähnt. Hinzu kommt: der 7.Julei ist nicht der 1.Mai, der vor einem halben Jahrzehnt den Aufmarsch der ganz normalen deutschen Männer in Frankfurt blockierte, inzwischen sind die antifaschistischen Kids von damals selbst zu Deutschland-steht-auf-Normalos im Volksgemeinschaftssommer der WM akkomodiert. Sich im Hochsommer des Spätkapitalismus warm anziehen – dieser Ratschlag des hilflosen Antifaschismus ist sicherlich nur als Scherz gemeint, ob die Angerufenen der ganzen frankfurter Bürgergesellschaft der alt-autonomen Nostalgie-Travestie aus dem Schwimmbad heraus go!stop!act!-gemäß folgen werden, dürfte fraglich sein. Wer die theoretische Praxis so verachtet und ausgegrenzt hat, wie es die autonome Linke in Frankfurt tat, den ereilt die Uneffektivität der Pseudopraxis, weil nun mal die eine ohne die andere nicht zu haben ist.
theorie praxis lokal (der aktive Kern der sozialistische studien vereinigung Frankfurt am Main) möchte angesichts dieser kritischen Situation im Sommer 2007 über den Tag hinaus einen Beitrag leisten für die Rekonstruktion einer antifa-die-Angriff-heisst. Eine solche revolutionäre antifa-des-Bewusstseins kann nur aus dem gegenwärtigen Unbehagen in der antifa heraus entstehen und aus der unstillbaren Begierde nach Praxis der Theorie, ohne die es keine revolutionäre Praxis geben kann. Das ist ein Experiment und kann nur der Versuch des Beginns eines Prozesses, eines längerfristigen, praxis-orientierten »Laboratoriums« zur Destruktion der grassierenden, mehr oder weniger antisemitisch strukturierten Phantasien vom »Kapitalismus« sein. Ohne die radikalste, gründlichste und selbständige Kritik der NS-Phantasmata, der Vulgärvorstellungen vom »Kapitalismus und Antikapitalismus« und von ihrer Grundlage in der kapitalistischen Produktionsweise selbst, ihrer Wirkungsweise in der politischen und libidinösen Ökonomie im Massenmaßstab, können wir weder die verrückten Meinungen theoretisch noch die Organisationsformen der barbarischen Verbrechen praktisch vernichten.