Aus dem Zirkularbrief 2, Juni 2001

Was hat Schröders Faulenzerverfolgung mit der Worch-Bande zu tun?

Von Fritz Güde 

Schröder hatte natürlich vordergründig einen recht durchsichtigen und egoistischen Grund für seinen unverhofften Überfall auf die Sorte Arbeitsloser, die sich auf unsere Kosten einen schlauen Lenz machen. Angeblich. Erlas in der Arbeitslosenstatistik, dass sie - wie auch immer geschönt - wahrscheinlich bis zu den nächsten Bundestagswahlen ihn einfach nicht die Erfolge einfahren lässt, die er sich und vor allem uns versprochen hat. An ihm kann und darf das dann nicht liegen. Also an wem? Genau! Da gibt es welche, die wollen einfach nicht und schieben dem Kanzler aller Autos Stecken in die Speichen. 

Diese Suche nach dem Sündenbock ist aber nur sozusagen das Einwickelpapier des Ganzen. Wenn es nur um Schröders Selbstentlastung ginge, was sprängen dann lauter Leute auf den fahrenden Zug, die positionsbedingt denn doch ein paar Vorbehalte gegen eine Dauerkanzlerschaft der SPD aufbringen? Merz von der CDU hechelte doch auch gleich hinterher. 

Denjenigen, die sofort das Donnerwort des Bundeskanzlers auffingen und schallverstärkten, ging es um Erfüllung eines alten Wunschtraums: Verhältnisse wie in den USA bei uns. Entmachtete Gewerkschaften, kaum aktionsfähiger Betriebsrat, volles Weitergeben des Drucks der Arbeitslosen auf die, die gerade noch einen Posten haben. Die Arbeitslosenversicherung ist ja gerade einmal erfunden worden, damit man nicht gnadenlos den nächstbesten Job annehmen muss, wenn man mal gefeuert wurde. Und sie ist etwas, in Klammer gesagt, das man mit vielen Beiträgen jahrelang bezahlt hat. Den Staat und damit Schröder ginge das primär gar nichts an. 

Das Schlimme dabei ist tatsächlich, dass Reden dieser Art auf einen seit vielen Jahren aufgelockerten und gedüngten Boden fallen. Keine Talkshow, in der es nicht ein Leichtes wäre, eine ganze Meute über den oder die herfallen zu lassen, die offen sagen, dass sie sich Zeit lassen, um nach einer neuen Stelle zu suchen. Und dass sie, wenn's schon ums Verkauftwerden geht, wenigstens nicht unter Wert verscherbelt werden möchten. Dass ein Merz dabei nicht fehlen darf- beim großen Chor der Faulheitsbekämpfer -, versteht sich von selbst. Im Überbietungswettkampf der Kleinsadisten hat er sich das Lebensmittelpaket ausgedacht: Was bisher nur dem Asylbewerber vorbehalten war, das wird jetzt auch dem BRD-Arbeitslosen zugedacht, damit auch der Letzte merkt, dass die Front nicht zwischen Deutschen verläuft und Ausländern, sondern zwischen Arbeitern und Ausbeutern und ihren Erfüllungsgehilfen in der Regierung. Danke für die Nachhilfe, Herr Merz. 

Soweit klar. Was hat das nun aber mit Worch und den Seinigen zu tun? Sie sind genau dazu da, den Schein der falschen Front gegen alle Erfahrung aufrechtzuerhalten: es ginge bei dem Ganzen um einen Überlebenskampf zwischen Deutschen und Ausländern. Sie reden dabei zwar gern von deutscher Arbeit, deutscher Wertarbeit und sind auch immer vornedran, wenn es gilt zu fordern: »Arbeitsplätze - für Deutsche zuerst«. Aber dass jeder Einzelne deshalb jetzt wirklich immer der erste beim Arbeitsamt wäre, um dort um eine Stelle zu betteln - und wäre es Hoffeger, es fegt sich doch anders auf deutschem Asphalt - das hieße doch den »Idealismus« dieser jungen Kämpfer recht hoch anschlagen. Sie haben ja noch anderweitige Verpflichtungen für das Volksganze. 

Also, am Bewerbungseifer des einzelnen Nazi merkt man die Begeisterung für die »Arbeit« sicher am wenigsten. Aber an Aeiner Auffälligkeit: den totgeschlagenen Pennern und Obdachlosen. Darin liegt nämlich ein ganz gewichtiger Unterschied zur alten SA. So viele Berichte aus der Kampfzeit der SA ich auch durchgegangen bin, ich bin auf keinen gestoßen, in dem das Niederknüppeln von Landoder Stadtstreichern beschrieben worden wäre. Wenn es das gegeben haben sollte, hat es sich jedenfalls niemand als typisch eingeprägt. Dagegen sind in den letzten Jahren schon mindestens 20 -wahrscheinlich sind es viel mehr - tätliche Angriffe mit Todesfolge gegen Obdachlose bekannt geworden, und zwar nicht nur aus den neuen Ländern. Wo die Täter gefasst wurden, brabbelten sie etwas vom Hass gegen den arbeitslosen Parasiten, der auf unsere Kosten lebt. Tatsächlich ist den Rechten auf diesem Gebiet gelungen, was ihnen sonst in Frankfurt bisher versagt blieb: dass sie in Nichtsesshaften- und Wandererkreisen wirkliche Angst auslösten. 

Und hier ist der Zusammenhang deutlich zu tasten: die Rechten auf Pennerjagd wirken - ob sie wollen oder nicht - als Zutreiber und Hilfspolizisten der gewöhnlichen Denunzianten und Aufpasser, Fürsorger, Behüter und Beschützer, die jetzt schon hinter den Arbeitslosen und Fürsorge-Empfängern her sind. 

Dabei zeigt sich zunächst wirklich eine Wandlung der heutigen Skins gegenüber den Vorbildern aus Alt-Nazi-Tagen. Die SA damals schaute auf den erobernden Staat, der ihnen von der Beute abgeben würde. Die heutigen Nazi-Skins schauen mehr auf den nährenden. Sie sehen sich - heroisch verklärt - als kleine Romulus und Re-mus unter den Zitzen der Wölfin Rom, dem säugenden, wärmenden, zuteilenden Staat. War die SA noch durchaus anfallsweise anarchisch gestimmt, so haben wir in den heutigen Kameraden um Worch vor allem solche zu sehen, die den Staat als gemeinsames Eigentum aller Deutschen betrachten und neidisch in die Futterschüssel des Unberechtigten starren. Sie sind nicht staatsfeindlich, diese Skins. Das ist die schlimmste Verleumdung, die ihnen Schily angetan hat. Sie sind staatsgeil. Sie wollen den ganzen Staat nur für sich. 

Anbeter der deutschen Arbeit als anfassbare Selbstbestätigung waren die alten SA-Leute und sind die neuen Worchs. Aber die neuere Gruppe hat den Konkurrenzkampf um den Napf mit dem Futter ganz anders verinnerlicht. Keiner möchte der Penner sein, jeder hat im Wegschaffen des Penners das imaginäre Glück, ihm gegenüber der andere zu bleiben. Der Mann mit Bezugsschein. Der ohne ist ja vermüllt. 

Das heißt natürlich nicht, dass Schröder jetzt beliebig die Beamtenschaft von Arbeits- und Fürsorgeamt austauschen könnte gegen diese raue Schar von ungeliebten Staatsverehrern. Er hat gar keinen Bedarf an solchen Austauschgeschäften. Es heißt nur: Schröder ist der, der das Jagdhorn bläst. Ihm nach kläfft die gewöhnliche Meute. Und an den Rändern machen ein paar räudige, ausgestoßene Kreaturen mit. Beim Halali sind sie nicht gern gesehen, wenn es ums Photo der Strecke geht, aber als Zutreiber während der Jagd kann man selbst solche noch gebrauchen. 

Und vor allem sind sie zu einem da: dem Mahnruf Schröders und seiner Mitrufer Schwere und Dauer zu geben. So ein Kanzler Schröder, so ein Opppositionsführer Merz muss sich mit Fingerzeigen und Winken begnügen und zuckt schnell weg, will ihn einer auf seine Worte festnageln. Die gierigen Empfänger der Botschaft unten kämpfen auch dann noch gegen das Vergessen, wenn oben die Kanzlerklappe schon längst wieder zugefallen ist. So teilt man sich in die Aufgaben. Das Mahnwort oben, zivil und fast neckisch vorgetragen, unten wird es behalten und exekutiert. 

 

1. Mai: Berlins Innensenator Werthebach verwarnt - von Carl von Ossietzky: Prophetisches im Rückblick 

Sie haben es wieder getan. Nach Jahrzehnten wieder einmal in Berlin eine traditionelle Erster-Mai-Veranstaltung verboten. Seit 14 Jahren gab es den revolutionären Ersten Mai in Kreuzberg. 1929 hatte schon mal einer so einen Einfall wie jetzt Werthebach. Er hieß Zörgiebel, war von der SPD und Polizeipräsident von Berlin. Er verbot die Demonstration. Am Ende gab es über zwanzig Tote. Carl von Ossietzky schrieb damals in der »Weltbühne« vom 21. Mai 1929: 

»Die Sozialdemokratie ... lebt nur noch von einer liberalistischen Gelegenheitsmacherei, zehrend von ihrem alten Ruf, weitergetragen gelegentlich von günstigen Oppositionskonjunkturen. Was Severing und Grzesinski zu den traurigen Geschehnissen der ersten Maitage sagten, war von einer selbstgefälligen Oberflächlichkeit, die auch die bescheidenste Dosis natürlichen demokratischen Empfindens vermissen ließ ... Wenn wir es nicht schon gewusst hätten, so ist es jetzt klar: wir haben ein Ausnahmegesetz gegen die Kommunisten, wir haben ein Kommunistengesetz. Ganz ergebnislos ist das eine Jahr sozialdemokratischen Sieges doch nicht gewesen. Die bürgerlichen Regierungen spannten schamhaft und voll chevaleresker Hemmungen noch das Reichsgericht an: das ist eine vergangene Epoche. Heute ruht das Ausnahmegesetz im Gummiknüppel jedes Schutzpolizisten ... 

Was hier geschieht, geht nicht nur die beiden Arbeiterparteien an, sondern jeden Republikaner, der nicht das eigne Sehen verlernt hat. Das Kommunistengesetz muss fort... Sonst wird eines traurigen Tages der in der Stille gewachsene und vom Überdruss am Kampfe von Rot gegen Rot genährte Faschismus dasein und das Prävenire spielen: das heißt- die Ernte einfahren.« 

Dem Kommentar Ossietzkys ist ein Dreivierteljahrhundert später nichts hinzuzufügen. Vier Jahre nach '29 war es dann soweit. 1933: Zörgiebel musste sein Stühlchen räumen. Er hatte ausgedient. Herr Werthebach in Berlin, haben Sie schon mal ans Jahr 2005 gedacht? F. G. 

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