Aus dem Zirkularbrief 2, Juni 2001
Sozialdemokratie und Nationalsozialismus als zwei verschiedene Ausprägungen der Massenbasis des kapitalistischen Staates
Von Fritz Güde
Wenn wir annehmen, dass der bürgerliche Antifaschismus wesentlich auf die Kraft der Gesetze vertraut und eigentlich gar keinen Faschismus verfolgt, sondern »Extremismus von rechts und links«, ist klar, dass die Bekämpfung immer nur durch Ausschaltung eines »Übermaßes« an den Rändern erfolgen kann, also durch zunächst definitorische, dann gesetzliche und polizeiliche Ausgrenzung/ Ausschaltung. Sozialfaschismus kann ich dann bloß unter der Fragestellung einbauen: Jeder Staat mit allgemeinem Wahlrecht braucht eine bestimmte Massenunterstützung. Wie unterscheidet sich dann die gewöhnliche sozialdemokratische von der faschistischen Massenbasis? (In Anlehnung an die Frage Sohn-Rethels 1932 in dem bekannten Artikel aus den Unternehmerbriefen.)
Dann lässt sich sicher sagen, dass bei der SPD-Fassung die Basis den Staatsapparat zwar machen lässt, aber in einer gewissen abwartenden bis traditionskritischen Haltung. Vergl. die Notwendigkeit, den Mord an Luxemburg von sich zu weisen - oder den Druck auf Noske, nach dem Kapp-Putsch zurückzutreten. Dasselbe Verhalten bei Stammheim oder jetzt nach dem Grünenparteitag mit seinen Reminiszenzen an bessere Zeiten: die staatliche Verfolgung der Asylbewerber wird hingenommen und als »normal« verteidigt, aber nicht in die eigene Hand genommen.
Faschismus wäre dann die offene Übernahme der Vernichtung und Unterdrückung in die eigene Hand sowohl in der Form des Pogroms wie auch in der Eingliederung in eine »von oben organisierte« geordnete Vernichtung. Dabei wird in einer sozusagen heroisierten Geste die bürgerliche Gesetzlichkeit zur Seite gewischt, für diesen Fall, während sie als Regulation des alltäglichen Tausches in Kraft bleibt.
Mein Paradebeispiel: Mussolini, als er nach Wochen des Hin und Her den Mord am Abgeordneten Matteotti durch eine freischaffende Untergruppe zu seiner Sache machte und offen die Verantwortung übernahm. Das nicht so sehr als Staatschef, sondern als Führer der Bewegung.
Erst damit war der Übergang zum offenen Faschismus geschaffen: die Zwischenzeit zwischen dem Marsch auf Rom und diesem Zeitpunkt war noch durch ein gewöhnlich reaktionäres Regime bestimmt. Erst danach wurden die anderen Parteien endgültig aus dem Parlament vertrieben.
Für unseren Zusammenhang wäre dann wichtig: Gibt es bei derselben Personenmenge als Basis ein Umschlagen/Überschwappen von Massenbasis 1 - sozialdemokratisch - zu 2 - faschistisch?
Anfallsweise bestand schon die Gefahr zum Beispiel bei der Trauerkundgebung für Buback 1977 gegenüber den Flugblattverteilern: gegen individuellen Terror - für gewaltsamen Umsturz des ganzen Machtapparats. Da blieb es aber beim »Faschismus zum Anknipsen«: geduldig wurde die Übernahme der Flugblättler in Polizeischutzhaft und die spätere Erledigung durch die Gerichte hingenommen.
Natürlich sind die SPD-Staatshinnahme und die NS-Staatsübernahme beide zu »unserer« Unterdrückung da, und es geht nicht darum, die einen als kleineres Übel gegen die anderen auszuspielen. Es ist aber möglich, im SPD-Zusammenhang eine überbietende neue Information hinzuzufügen. Eben in der Richtung: dass die SPD auch gegen den Willen der vielleicht subjektiv aufrichtigen Antifa-SPDler die Faschisten hinter der Absperrung immer in Reserve hält, für den Bedarfsfall. Es ist mittels der passiven Zustimmung zu verbietenden und einschränkenden Staatsmaßnahmen überhaupt keine sozialistische Massenmobilsie-rung möglich, einzig wirksame endgültige Waffe gegen den Faschismus.