Dokumentation eines Papiers von »enfants perdus«, Dezember 2007
Die Unterentwicklung der revolutionären Theorie auf der ganzen Welt ist die erste Unterentwicklung, die jetzt überwunden werden muss. (Situationistische Internationale 10/1966)
ENFANTS PERDUS beginnen hier mit einer Kritik der »28 Thesen zur Klassengesellschaft« des KOSMOPROLET (2007). Über dessen Initiatoren, die »Freundinnen & Freunde der klassenlosen Gesellschaft«, war in PHASE2 vom Herbst 2007 zu lesen:
»Es handelt sich hier um eine undogmatische Sammlungsbewegung über die Gräben der alten Arbeiterbewegung und Linksradikalen hinweg, mit dem Ziel, eine revolutionäre Praxis zu entfalten, aber ohne Parteigründungsambitionen. Diese Erscheinung ist noch auf Berlin beschränkt. Im Editorial des Kosmoproleten wird aber eine Kontaktaufnahme mit FrankfurterInnen, FreiburgerInnen und SchweizerInnen angedeutet, so dass durchaus noch etwas mehr Staub aufgewirbelt werden könnte.
Die Schwierigkeit besteht dabei in einem Spagat zwischen der unbedingten Anerkennung der Niederlage des ersten Ansturms des Proletariats im Nationalsozialismus (1830–1939) und dem Willen, nicht den Kopf hängen zu lassen (triste Zeiten, über den Globus verstreute Kommunistinnen etc.), sondern lieber seinen Teil zu tun für die Erfindung der Zukunft. In den Begrifflichkeiten der jüngsten Geschichte ausgedrückt, ist das der Widerspruch zwischen einer sich zunehmend der deutschen Volksgemeinschaft andienenden Bewegungslinken und der adornitisch-antideutschen Fundamentalopposition, die allerdings häufig in die Hypostasierung ihrer eigenen Ohnmacht verfällt. Die Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft beziehen daher eine doppelte Stellung einerseits gegen unmittelbare Praxis, also die Illusion, es gäbe bereits irgendwelche Bewegungen, die offen für revolutionäres Gedankengut wären und andererseits gegen die deutsch-romantische Neigung, sich im Angesicht der geschlossenen Totalität in Untergangsstimmung zu versetzen und in selbst gebastelter Theorie einzurichten. Derlei polare Gegensätze und ihre Auflösung machen die Schwierigkeit aus. Es ist immer besser, von den Trennungen auszugehen, um sie dann zu vereinen zu suchen. Gegenwärtig spalten sich die Linken in einen praktischen und einen theoretischen Flügel auf, so daß Kopf und Hand getrennt erscheinen: Theorie und Praxis schließen sich heute in erstarrter Opposition gegenseitig aus. Auf der einen Seite der blinde Aktivismus, der immer nur sich selbst und nie die Gesellschaft in Bewegung bringt, auf der anderen Seite ein trockener Akademismus: Man lese nur die Druckerzeugnisse der studentischen Linken, wohne ihren gespenstigen Vortragsversammlungen bei und man versteht auf der Stelle woher die Feindschaft gegen Theorie ihre Nahrung bezieht. Solche Widersprüche durchziehen die Thesen – nur den zwischen Mann und Frau bzw. Vernunft und Sinnlichkeit wollen sie nicht sehen. Ebenso prägt der Versuch einer Vereinigung dieser Widersprüche den Stil. In diesem Fall ist die Auflösung einfach die, dass gesagt wird, man solle denkend handeln und handelnd denken: Wer nicht begreift, kann nicht wirklich handeln, und wer nicht handeln will, wird auch nicht begreifen.
Es ist unmöglich, den Text vollständig zu referieren, man liest ihn daher besser selbst.«
ENFANTS PERDUS stellt diesen Text bei Gelegenheit des »radikal«-reformistischen und unverhohlen anti-»antideutschen« Kongresses des »ums Ganze«-Spektrums in Frankfurt im November 2007 zur Verfügung zusammen mit dem ersten Teil (zur Vorbemerkung) einer Kritik an den 28 Thesen des KOSMOPROLET .
Die weiteren kritischen Randglossen zu den folgenden neuralgischen Punkten der KOSMOPROLET-Thesen können ab Januar auf diversen websites weiter verfolgt werden, z.B. auf theoriepraxislokal.org
- Zur Vorbemerkung:
In diesem, hier als Printfasssung verbreiteten, ersten Punkt wird auf den in der Vorbemerkung des KOSMOPROL gesetzten Selbstanspruch eingegangen und bei aller Würdigung gezeigt, dass er nicht eingelöst wird sondern stattdessen neo-operaistische Nostalgie und bakuninistische Trennung von der Klasse zur Folge hat bzw. legitimieren soll.
Die weiteren kritischen Punkte der 28 Thesen sind dann vor allem: - Das Problem der Klassenambivalenz des modernen Proletariats, dessen Teil wir sind.
- Das Verhältnis von objektiver ökonomischer Tendenz (Krisen-, Katastrophenentwicklung) und Subjektivität im Fetischismus von Lohnarbeit/Kapital als »automatischem Subjekt«.
- Die Aufgabe von Konkretisierungen des ökonomischen und politischen Übergangs, der Transformationsformen aus der kapitalistischen in eine communistische Produktionsweise weltweit, - was erneut das Verhältnis von »Minimalismus« und »Maximalismus« oder Reform und Revolution aufwirft.
- Die Thematisierung oder Verdrängung des revolutionären Begehrens, des Systems der Bedürfnisse und der radikalen Bedürfnisse in der Spannung zu den Scheinlösungen der Entfremdungen, die vor allem aus der modernen »Alltagsreligion« hervorgehen und mehr oder weniger barbarisch ausschlagen.
- Die entscheidende Frage der theoretischen Praxis und der Praxis insgesamt, wie sie vermittelt werden können, - was zugleich die Frage communistisch-revolutionärer Selbstorganisierungsformen zur Association freier und selbstbestimmt produzierender Individuen ist.
Wir möchten gleich andeuten, dass alle diese Streitpunkte das aktuelle Problem einer communistischen Parteinahme in der realpolitischen Kapital-und Staaten-Konstellation auf Basis des fertigen und krisenhaft weiterprozessierenden Weltmarkts markieren, und dass sie von der gefährlichsten, im historisch bereits eingetretenen Bruch der Zivilisations- und Revolutionsgeschichte durchbrechenden »anti«-kapitalistischen Alltagsreligion, dem modernen Antisemitismus, als der letzten universalen geschlossenen Weltanschauung, untrennbar sind.
Wo die 28 Thesen diesen Gesamtzusammenhang ausblenden oder fragmentarisieren, wo sie es fertigbringen, von der kapitalistischen Alltagsreligion im allgemeinen überhaupt nicht und vom modernen Antisemitismus im besonderen kaum zu sprechen sowie um die aktuell am gebieterischsten für alle Communist_innen sich stellende Parteinahme für »den Juden unter den Staaten«: Israel, herum einen großen Bogen hinein in die schlechteste Abstraktheit zu machen, dann verstellen sie sich selber den Weg zu der eingeforderten kollektiven cosmo-proletarischen Debatte und neo-communistischen Kritik, dem angepeilten geschichtstheoretischen und praktischen Terrain: dem zu erneuernden »Klassenkampf als Schluss, worin sich die Bewegung und Auflösung der ganzen Scheisse auflöst« (Marx über Zweck und Ziel der Kritik der politischen Ökonomie).
1. Zur Vorbemerkung:
Die gefesselten Worte
Zu Recht setzen die freundinnen & freunde der klassenlosen gesellschaft den Anspruch höher als alle jene Amts- und sub-akademischen Konfusionsräte, die reformistisch-aktionistisch »radikal« ums Ganze schleichen wie die Katze um den heissen Brei. Die 28 Thesen gehen aufs Ganze. Sie kündigen eine materialistische Historisierung der Begriffe »Proletariat«, »Klassenkampf«, Revolution« an. Damit versuchen sie auszubrechen aus der erstarrten Landschaft des Linkskommunismus. Doch bleibt diese »Skizze« einer neuen Klassenkampfszenerie halbherzig, sie drehen schon vor der Öffnung der Begriffe selber ab: »Ein offener Begriff ist offenbar ein unbestimmter, also keiner.« verkünden sie (These 12). »Verbreitet ist auch die abgeschwächte Auffassung, Klasse sei ein Verhältnis und darum nicht objektiv bestimmbar. Aber Verhältnis von was?« fragen sie richtig. Begriffe selber bezeichnen gerade Verhältnisse, so dass begriffliche Erkenntnis deshalb nur offen sein kann. So wiedie prozessierenden Widersprüche, deren bewusstmachende Bewusstseins-Ausdrücke sie sind; dass Begriffe diese Widersprüche öffnen können und sollen – gerade da, wo diese stillgestellt = verdinglicht, d.h. ungeschichtlich gesind. Nur durch die Arbeit des Begriffs können wir – natürlich immer nur auf Basis unserer praktischen Erfahrungen in den wirklichen Widersprüchen des prozessierenden gesellschaftlichen Seins selbst – die Fetisch-Gestalten auflösen, die objektiv an-sich-Seiendes und subjektiv für-uns-Seiendes zu einer ununterscheidbar identisch scheinenden Naturhaftigkeit unserer gesellschaftlichen Konstruktionen (wie Wert & Warenproduktion) mystifizieren. So nimmt sich die weiterprozessierende Klassenteilung der menschlichen Gesellschaft aus: falscher/verkehrter aber realer Schein. Paradox im Begriff einer »klassenlosen Klassengesellschaft« festgehalten, kann der Klassenwiderspruch, das Verhältnis Lohnarbeit/Kapital, welches die Totalität der heutigen Weltgesellschaft bestimmt, in seine unzähligen Erscheinungsformen hinauf (nämlich in seine konkreten Daseinsformen hinein) erkennbar gemacht, geöffnet werden: ein Begriff ist ein offener, öffnender oder es ist keiner.
Die Anstrengung des Begriffs kann dadurch zugleich »zeigen, woher die Vorstellungsweise von Spiesser und Vulgärökonom stammt, nämlich daher, dass in ihrem Hirn sich immer nur die unmittelbare Erscheinungsform der Verhältnisse reflektiert, nicht deren innerer Zusammenhang. Wäre letzteres übrigens der Fall, wozu wäre dann überhaupt eine Wissenschaft nötig?«, so Marx. Durch die Bestimmungen - des Einen durch sein Anderes in alle Richtungen und unabschliessbar so – können die Widersprüche klargemacht werden, ihre blind-naturwüchsigen Bewegungsformen (gesamtgesellschaftlich heute: die kapitalistischen Produktionsverhältnisse und alle Überreste vorhergegangener Produktionsweisen) können dadurch nicht nur permanent besser begriffen sondern auch praktisch experimentell so ergriffen werden dass wir sie in den Menschen und den Produzierenden gemäße, vernünftige Bewegungsformen (d.h. in eine communistische Produktion und Verteilung, geplant zwecks Befriedigung unserer individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnisse und zu keinem anderen Zweck) transformieren können.
Alles andere läuft auf Obskurantismus, Fatalismus, Mystifikation hinaus. Die öffnende Arbeit des offenen Begriffs, der Bestimmungen als Denkausdrücken der historischen Verhältnisse im materiellen Lebensprozess einer Gesellschaft, kann nicht auf der Ebene der unmittelbaren Erfahrungen (des Empirismus), der bloßen sinnlichen Gewissheit allein geleistet werden, nähmen auch noch so viele »Massen« arbeitender oder arbeitsloser Menschen an diesem »Erfahrungsgrund«-Erkenntnisprozess teil. Die »Ausweitung« kosmo-proletarischer »Kommunisierung« allein kann den Selbstorganisierungsprozess und qualitativen Sprung von der Klasse-an-sich zur Klasse des Bewusstseins nicht ersetzen und führt ihn auch nie spontan herbei. Hier hilft nicht noch so wertvolles »Produzentenwissen«, auch nicht »Produzentenmacht« an sich (die ebenso in Fetischformen befangen sind wie die Grundform aller Proletarität: der Lohnfetisch), der Glaube an die Selbstregenerierungskraft der Klasse und die Hoffnung auf einen neuen Internationalisierungs- und Vernetzungs-Schub, weder das Setzen auf eine »Avantgarde« von aussen noch auf eine »kollektive Aktion« als Propaganda der Tat und Erkenntnisblitz in »der Revolte« kann bewirken, dass die längst anstehende communistische Umwälzung das Werk der Gesamtarbeiterin selber ist – weder die Hassliebe radikalreformistisch regulierenwollender Staatssubjekte (»linker Regierungen«) kann diese Selbsterziehung einer entscheidend hinreichend starken treibenden Minderheit innerhalb »der ungeheuren Mehrzahl« zum Begreifen der konkreten Totalität ersetzen noch der kollektiv-anarchistische oder linkskommunistische »Wille« als GlaubeLiebeHoffnung in der Theorie plus »militante Untersuchung« in der Praxis.
Unabdingbar ist die selbsttätig organisierte Arbeit der theoretischen Praxis, anstatt »irgendeiner Art Proletkult. Es handelt sich dabei um ‚Dialektiker gewordene Arbeiter’, wie sie es massenweise werden müssen bei der Ausübung der Macht der Arbeiterräte.« - so zogen schon die Situationisten das Fazit aus den räte-communistischen Erfahrungen der bisherigen proletarischen Revolutionsanläufe und insbesondere dem Mai 1968 in Frankreich. »Die Räteorganisation wird man letzten Endes nur durch die Kohärenz ihrer Theorie und ihrer Aktion beurteilen können sowie durch ihren Kampf um die vollständige Abschaffung jeder Macht, die ausserhalb der Arbeiterräte weiterbesteht bzw. versucht, sich ihnen gegenüber zu verselbständigen.« (S.I. Revue N°12/1969, dt.Bd.2:407)
Die 28 Thesen verweilen lange beim historischen Gestaltwandel, dem Verschwinden und Abschleifen des Massenarbeiter-Milieus und der sukzessiven Integration der alten Arbeiterbewegung(en) und sehen dabei eine kontinuierliche Entwicklungslinie, »Logik der Klassenkämpfe« zu sich kommen. Der epochale Geschichtsbruch scheint für sie aus dieser Optik der Kontinuität der »Einbindung« in die klassenlose Sozialstaatsgesellschaft ganz eingeebnet. Überraschend suggerieren sie dann in mystischen Allmählichkeit das Gegenteil: Die Zusammenschau sieht gegen Ende gleichsam aus wie der tendenzielle Fall des Bösen in der Klasse. Sogar die Existenzkämpfe betriebsfixierter Lohnsklaven für den Erhalt »ihres Standorts« sind da gutzuheissen, und ab der Gewerkschaftsthese (23), die »den Maximalismus«(warum nicht gleich »Revolutionarismus«) in die Schranken weist, hüpft der Wertungsakzent auf den Proletkult-Pol. Schliesslich »sich dann Duckmäuser in Rebellen, und Leute, die nie eine Zeile Marx gelesen haben, werden auf einmal die besten Kommunistinnen.« Auf einmal, wie mit Zauberschlag.
Es muss Selbstaufklärungsbemühungen geben, sogar eine Praxis der Theoriebildung auf Seiten der Proletarisierten selbst, ganz ohne den Mythos von der plötzlichen »Revolte«. Doch wo blieben dann die erfahrenen Experten und Piloten der »Subversion«, jene »versprengten Unzufriedenen« Freundinnen, Freunde und heimlichen LiebhaberInnen des eigentlichen Proletariats, die von den Thesen immer nur als an ihrer schicksalhaft ihnen auferlegten Trennung von der Klasse schwer Leidende dargestellt sind?
Dem Spontaneismus, Empirismus und Historismus entspricht die durchgängige Methode der Kantianischen Erkenntnistheorie, die das Erbe der deutschen, idealistischen Linken ist – vom sozialdemokratischen Kathedersozialismus und auch vom linkskommunistischen Dietzgen- und Pannekoek-Vermächtnis her. Das Klassen-Wesen bleibt ihnen allen ein unerkennbares Ding-an-sich. Auf der Ebene von Wesen und Substanzialität der kapitalistischen Widersprüchlichkeit werden diese Kategorien immer noch als unwandelbare »Dinge« fixiert (»Essenzialismus«, »Substanzialismus«) anstatt davon auszugehen: »Das Wesen ist in den Erscheinungen.«, Substanz ist »die absolute Formtätigkeit.« (Hegel)
Die Kritik der politischen Ökonomie von Marx treibt diese reellen Widersprüche über ihre mystifizierende System-Kristallisierung in der Hegelschen Wissenschaft der Logik hinaus in eine Praxis der Theorie des Klassenkampfes: »Hegels Dialektik ist die Grundform aller Dialektik, aber nur nach Abstreifung ihrer mystischen Form, und dies gerade unterscheidet meine Methode.« (Marx 1868)
Der neue Prolet als Retro-Spektakel?
Die 28 thesen trennen die Erscheinungsformen der historischen Arbeiterbewegung von dem, was sie weniger als »Begriff« denn vor allem als Bild fixieren, das »nicht hinfällig« sein soll:
In diesem Bild ist die Selbstbezeichnung als der »Kosmoprolet« aufschlussreich. Männlich konnotiert, eine Selbstverortung gegen die zuletzt doch widerwillig eingeräumte »Vielfalt der Orte proletarischer Realität«, die sie als Momente einer Klasse zu denken versuchen. Damit dementieren sie endlich selber ihre Abwehr der Klasse als »offenen Begriff«.
Wenn sie aber so eingestehen müssen, dass die Begriffe durch und durch historisch und gerade damit nicht hinfällig, nur bewusstmachende Ausdrucksformen von Kategorien als Daseinsformen, Existenzbestimmungen der von Menschen gemachten Geschichte sind, so rufen sie – nicht begrifflich-kategorial sondern bildlich-spekulativ, eben als unterschwelligen Mythos noch einmal den knackigen revolutionären Arbeiter an, beschwören das operaistische Ideal von »der Klasse«, welche die »Subversion«, und »Revolte« verkörpern soll – genau nicht durch kollektive Arbeit-des-Begriffs, sondern durch Selbstgenügsamkeit des »Produzentenwissens« und der »Produzentenmacht«, nicht durch Selbstorganisierung zur Klasse-des-Bewusstseins, sondern durch »die Hoffnung, dass auf ein Jahrhundert der antiimperialistischen Mythologie eine neue Ära des proletarischen Internationalismus folgt« (These 20), nicht durch kollektives Aneignen und Weitertreiben der Kritik der politischen Ökonomie, Kritik der libidinösen Ökonomie, d.h. aller Formen des gesellschaftlichen Fetischismus, sondern durch eine Selbstlüge über »den von allen geteilten Erfahrungsgrund, … aus dem die kommunistische Kritik hervorgeht« und durch die entsprechende Selbstberuhigung, »dass die Rechtfertigung der Verhältnisse heute mehr Anstrengung bedarf als ihre Ablehnung«. Das wäre schön.
Mythos und Mob
Das Frage ist keineswegs die diffuse »Ablehnung des Kapitalismus«, des »Neoliberalismus«, »der Globalisierung« etc. durch alle möglichen Kapitalismuskritikerinnen von Müntefering bis Sloterdijk oder eben des »Kleinen Mannes« mit dem Palituch um den Hals. Es geht auch die Verkürzung der kritischen Theorie durch die Thesen an der viel schwierigeren, härteren, komplexeren Aufgabe der kollektiven Anstrengung des Begriffs vorbei, wenn es heisst:
»Die Widersprüche der Gesellschaft, welche die kritische Theorie auf den Begriff zu bringen versucht, werden von allen erfahren und von vielen insgeheim erkannt.« (These 28) Dieses Vielen zugeschriebene Geheimwissen, diese augenzwinkernde Vereinnahmung oder Einvernehmlichkeit arbeiterischer »Solidarität« im Sinne eines Wir-Gefühls ... Dagegen »lesende Arbeiter« mit ihrem theoretischen Sinn, die »Köpfe zum Generalisieren auf den Schultern haben« (Marx). Sie werden so mit allzu spürbarem antiintellektualistischen Ressentiment als »akademistisch« abgetan und tendeziell zu verkopften Aussenseitern und Störern stigmatisiert. Der mystische »Erfahrungsgrund« einer Erkenntnis-insgeheim outet sich auch hier zuletzt als der Mythos von »der Aktion«, die wie eine gigantische Detonation den Verblendungszusammenhang der Klasse(n) auflösen soll. Eine ausserordentlich schlichte Spontaneitätstheorie, kalter Kaffee des klassischen Operaismus, in dessen Nostalgie die 28 Thesen sich zuletzt flüchten. Der beste und inbrünstigste Wille vom erhabensten Standpunkt aus aber hat weder den leninistischen Partei- noch den antileninistischen Rätekommunismus zum Erlöser der Klassengesellschaft gemacht. Er musste wiederholt die konformistische Revolte, die barbarische Regression ohnmächtig über sich ergehen lassen, die er bagatellisiert bzw. ignoriert. »Mitunter« werden genau die »besten« GefühlskommunistInnen »im richtigen Augenblick« die schnellsten, besten Wendehälse der Opportunität, ganz weil sie empiristisch, pragmatistisch drauf sind und sonst garnichts sind. Der »gesunde Klasseninstinkt« des echten Proleten verliert auch nicht seine Vieldeutigkeit und Wandelbarkeit, wenn er kosmo-intuitiv daherkommt (Hasskarikaturen und Strohpuppen von »USrael«-Schweinen & Parasiten werden weltweit umhergetragen; das Palituch ist mittlerweile geradezu das kosmopopulistische Akzessoire geworden).
Die »Solidarität« der Klasse schlägt dann »mitunter« ebenso atombombenblitzschnell in die klassenlose Solidarität der Prolet-Arier um – von der neuen WM-Volksgemeinschaft aller Sportfreunde bis zur Intifada-Solidarität aller Vertriebenen und dem arischen Frontstaat aller Völker gegen den Imperialismus etc.
Die 28 Thesen sprechen von der geschichtlichen Katastrophe auch wieder nur relativierend, funktionalistisch. Platt vereinfachend, im simplifizierenden Erklärungskontext des »Vorhabens« seitens »des Sozialstaats« mit dem Ziel, die Arbeiterbewegung, das Proletariat in diesen »einzubinden«, zum Zweck der Konstruktion eines Volksstaats, »hinter dem« natürlich die Bourgeoisie steckte (These 5).Sie sprechen nicht vom historischen Resultat einer Arbeiterbewegung, die vor dem Antisemitismus versagt hat, dem NS zum Opfer fiel und dabei in der ungeheuren Mehrzahl beiden zur Mittäterin und Zuschauerin sich hergegeben hat, womit das gesamte communistische Projekt schliesslich zur Disposition gestellt wird. Wodurch die überkommene Vorstellung von der Klasse, ihrer Revolution, usw. in der Tat seit einem halben Jahrhundert hinfällig wurde. Aus dieser gebrochenen Geschichte-zur-Katastrophe hin nehmen die 28 Thesen stillschweigend zumindest die kommunistische Arbeiterbewegung, das revolutionär gesonnene Proletariat heraus; und sie nehmen »die kommunistischen Kritiker« wiederum aus der Klasse heraus.
Heimliche Dreifaltigkeit?
Das Kneifen der 28Thesen vor der Benennung der wirklich entscheidenden Aufgabe von kritischer Theorie und Praxis der neo-communistischen Elemente im neuen Weltproletariat: der Selbstorganisierung zur Klasse-des-Bewusstseins, wirkt sich regressiv auf alle weitertreibenden Kritikansätze aus. Gegen die Kritik 1.) des »radikalen« Regulationsreformismus der Staats- und Substaatslinken wie 2.) der theoriefeindlichen, wenngleich linksakademisch gesäugten begriffslos-bewegungslinken Post-Struk/Post-Op-Manageria. Mit diesem siamesischen Zwilling ideologischer Staatsapparate gehen die Thesen eine »insgeheime« Verbindung ein, so dass sie als Trilling erkennbar werden: Was den antitheoretischen Affekt betrifft und die auffällige Schmerzvermeidungshaltung, nicht dem tatsächlich eingetretenen Bruch der Arbeiterbewegungskontinuität ins Auge sehen zu können. Die Schmerzgrenze ist durch den Popanz von»den Antideutschen« markiert, die der um staatstragende Einheit ringenden Linken als projektive Fremdkörper, Spalter und Zersetzer im Dienste einer fremden Klassenmacht »alles kaputtmachen« wollen.
Der Standpunkt/Subjekt-Objekt
Was die 28 Thesen von jenen staatstragenden Linken und staatsgetragenen »Subversiven« unterscheidet, ist ihr Standpunkt-Denken – nicht aber die abstrakte »Kommunismus«-Vorstellung, welche die fällige weltgesellschaftliche Transformation konkret nicht zu denken und nicht zu diskutieren wünscht. Der leere Attentismus ist ihre Geschäftsgrundlage.
»Der kommunistische Standpunkt«, er »will« alles. Alles was tatsächlich nicht ein Ideal ist, sondern Resultat der wirklichen Bewegung, die den bestehenden Zustand aufhebt: Er will das Proletariat aufheben, das Geld überwinden, den Staat abschaffen usw. Der Standpunkt.
Er sieht nur »Menschen und ihr Werk«, Er »kritisiert« vor allem »den Kapitalismus« als »die totale Vergesellschaftung«! die man der »vollständigen Atomisierung« der armen Menschenmonaden dualistisch gegenüberstellt. Die gigantische Proletarisierung der Welt resultiert aber genau in einer überreif herausgebildeten weltgesellschaftlichen Gesamtarbeiterin, in ihrer freien und zugleich erzwungenen Association. Von Marxens wiederholtem Hinweis: »da haben wir den kapitalistischen Communismus!« nie gehört. Die Anklage des bösen kalten Kapitalismus ausgerechnet am Umschlagpunkt zum möglichen, mit Willen und Bewusstsein subjektiv zu schaffenden nicht mehr kapitalistischen Communismus, der auch kein »roher«, vorkapitalistischer oder nachholend-staatskapitalistischer mehr ist, weil er endlich bewusst die weltgeschichtliche Vergesellschaftung vollendet, verrät die Triebrichtung und Wunschlandschaft der gesamtlinken Seele, deren gefühlsbegründeten Standpunkt auch noch die neo-operaistischen KritikerInnen (einstweilen noch gegen den Staat) mit den postoperaistischen Kritisierten (längst Bestandteil des Staats) teilen: die bewegungslinke Vergemeinschaftungsideologie.
Er, »der kommunistische Standpunkt« nämlich, ist es, den die vermeintlich getrennt von der übergroßen Mehrheit der Proletarisierten sich glaubenden »kommunistischen Kritiker« mit der Linken (die in keiner der 28 Thesen kritisiert, überhaupt einmal als integraler Flügel der bürgerlichen Gesellschaft endlich communistisch-revolutionär zur Disposition gestellt wird) gemeinsam haben. Und mit der Klasse, deren geheimes Wissen sie beschwören: »Erfahrung«, praktisch-arbeiterischer Gefühlshaushalt, kosmoproletarischer Common Sense.
Soviel zum Standpunkt.
Die letzte Repräsentation
Der Kosmoprolet wird so zum spektukalären Bild, als nicht organisierte, nicht theoretisierte, als imaginierte Repräsentation dessen, was das Proletariat tun sollte: sich befähigen, »im richtigen Augenblick das Richtige zu tun«, »vor Ort das Richtige für das Ganze zu tun, aus Erkenntnis, nicht aufgrund von Weisungen eines allwissenden revolutionären Headquarters.«(These 28) Aus Erkenntnis eines die Gesamtkonstellation einigermaßen überschauenden communistischen Headquarters im Klassenkrieg?
Tatsächlich: ohne revolutionäre Organisation der Cosmo-Communist_innen, ohne Headquarter einer zur »Partei im großen, welthistorischen Sinne« (Marx) werdenden Weltgesellschaftsklasse der Proletarisierten im Weltbürgerkrieg für eine klassenlose Gesellschaft wird die Transformation nicht gelingen (vgl. Anfang der These 14). Es bleibt nur das Kriterium für revolutionäre Association, ob dieses Headquarter Teil und Kopf der Arbeiter_innenklasse selber ist, Übernahme des gesellschaftlichen General Intellect, nicht aber, ob es als Werk der Gesamtarbeiterin ebenso »hinfällig« wäre wie als getrennter Apparat einer Repräsentation, eines selbsternannten Teils, der über die Gesellschaft erhaben ist.
Das gegenwärtig gehypte Bild vom »Aktivisten/der Aktivistin« und das recycelte Bild vom Neo-Wobblie verstellt genau das, worauf es ankommt: die Selbstorgansierung aller communistoiden und diffus proletarisch-revolutionären Elemente zur theoretischen Praxis zum Zweck ihres Weitertreibens:
»Sobald diese Theorie ein wenig bekannt geworden ist – vorausgesetzt dies geschieht inmitten der Zusammenstöße, die den öffentlichen Frieden stören – und noch bevor sie genau verstanden wird, wird die überall latente Unzufriedenheit durch die bloße unbestimmte Existenz einer theoretischen Verurteilung der Ordnung der Dinge verstärkt und verschlimmert. Und danach können alle Proletarier zu Strategen werden, indem sie anfangen, mit Wut den Krieg der Freiheit zu führen." (Guy Debord)
Vive la Commune
Es ist ein Unterschied zwischen einer informellen Hierarchie einerseits, die Spontaneismus, Politikabstinenz, Ökonomismus predigt und die substaatliche »Ausweitung der Kommunisierung« betreibt, und andererseits dem historisch unabgegoltenen, von der Klasse selbst praktisch-konkret neu zu erfindenden Strukturprinzip der Commune (Pariser Kommune 1871):
»Die Prinzipien der Commune … werden sich immer und immer wieder durchsetzen, bis die Arbeiterklasse befreit ist.« (MEW 17:637)
In einer Diskussion der Internationalen wurde Marx' Fazit folgendermaßen protokolliert:
»Über die Commune habe es viele Missverständnisse gegeben. Sie könne [jedoch] zu keiner neuen Form der Klassenherrschaft führen. Wenn die bestehenden Verhältnisse der Unterdrückung durch die Übergabe der Produktionsmittel an die Arbeiter beseitigt würden, (…) werde auch die einzige Basis der Klassenherrschaft und der Unterdrückung beseitigt. Aber bevor eine solche Veränderung vollzogen werden könne, sei eine Diktatur des Proletariats notwendig, und ihre erste Voraussetzung sei eine Armee des Proletariats. Die arbeitenden Klassen müssten sich das Recht auf ihre Emanzipation auf dem Schlachtfeld erkämpfen. Aufgabe der Internationalen Arbeiter Association sei es, die Kräfte der Arbeiter für den kommenden Kampf zu organisieren und zu vereinen.« (MEW 17:437)
Vor dieser wissenschaftlich-communistischen Realistik werden auch noch die letzten Mohikaner des Voluntarismus – ob friedlich-schiedlich-staatsreformerischer Diskursmacht, ob heimlich-unterirdischer Piloten der Revolte – kopfscheu und weisen entschieden »den Zentralismus« des Parteibildungsprozesses des Proletariats, dessen unabdingbar antistaatlich-politische Übergangsformtätigkeit Marx nur ausgesprochen hat, empört zurück. Hier geht die Entrüstung übrigens durch sämtliche Segmente der Linken und Exlinken im allgemeinen »demokratischen Wunderglauben« (so Marx) gegen Theorie und Praxis des materialistisch-historischen Communismus, wie er von Marx über Benjamin bis zu den Situationist_innen unbeirrbar die revolutionäre Zerschlagung der Staatlichkeit im Ansatz als Commune-Paradigma immer wieder aktualisiert hat, wenn der Weltbürgerkrieg sich ins nächste Stadium zu verschärfen begann.
Der vollstreckbare Dialog minimal und maximal
In den neuen Zyklen der Krisen- und Katastrophenhaftigkeit der Produktionskonkurrenz für den Weltmarkt sind die Proletarisierten verloren, wenn sie »Kommunisierung" und Vernetzung zwar auf »eine Vorwegnahme der freien Menschheit" orientierter Assoziationen bloß als »Freiraum"-Bewegung, als Bewegung um der Bewegung willen missverstehen anstatt im situationistischen Sinne als »Stützpunkte"-Strategie. Für das Maximalprogramm einer weltweiten Commune-aus-Communen ist das Minimum proletarischer Selbstorganisierung gerade angesichts der sich abzeichnenden neuen Weltkonstellation konkret zu aktualisieren.
»In Erwägung, dass das einzige Ziel einer revolutionären Organisation die Abschaffung der vorhandenen Klassen auf einem Weg ist, der keine neue Teilung der Gesellschaft mit sich bringt, nennen wir jede Organisation revolutionär, die konsequent auf die internationale Verwirklichung der absoluten Macht der Arbeiterräte hinarbeitet, so, wie sie durch die Erfahrungen der proletarischen Revolutionen dieses Jahrhunderts skizziert worden ist.
Eine solche Organisation bietet eine einheitliche Kritik der Welt, oder sie ist nichts. Unter einheitlicher Kritik verstehen wir eine Kritik, die sich sowohl global gegen alle [Verhältnisse in den] geografischen Zonen richtet, in denen sich verschiedene Formen der sozio-ökonomischen getrennten Mächte etabliert haben, als auch global gegen alle Aspekte des [entfremdeten] Lebens.
Eine solche Organisation erkennt Beginn und Ende ihres Programms in der totalen Entkolonisierung des Alltagslebens; sie zielt also nicht ab auf die Selbstverwaltung der bestehenden Welt durch die Massen, sondern auf ihre ununterbrochene Umwandlung. Sie enthält die radikale Kritik der politischen Ökonomie sowie die Aufhebung [le dépassement] der Ware und der Lohnarbeit.
Eine solche Organisation lehnt jede Wiederherstellung der hierarchischen Verhältnisse der herrschenden Welt innerhalb ihrer selbst ab. Die einzige Grenzbedingung der Beteiligung an ihrer totalen Demokratie ist die Anerkennung und die Selbstaneignung der Kohärenz ihrer Kritik durch alle Mitglieder: diese Kohärenz muss einerseits in der kritischen Theorie im engeren Sinne und andererseits im Zusammenhang zwischen dieser Theorie und der praktischen Aktivität bestehen. Sie kritisiert radikal jede Ideologie als eine von den Ideen getrennte Macht und als Ideen der getrennten Macht. Sie ist also zugleich die Negation jedes Fortlebens der Religion sowie des gegenwärtigen gesellschaftlichen Spektakels, das von der Masseninformation zur Massenkultur jede Kommunikation zwischen den Menschen monopolisiert – und zwar über die einseitige und bloß passive Wahrnehmung der Bilder ihrer entfremdeten Tätigkeit. Sie löst jede ‚revolutionäre Ideologie’ auf, indem sie sie als die Signatur des Scheiterns des revolutionären Projekts aufdeckt, als das Privateigentum neuer Spezialisten der Macht und als den Betrug einer neuen Repräsentation, die sich über das proletarisierte wirkliche Leben erhebt.
Da die Kategorie der Totalität für die moderne revolutionäre Organisation der letzte Maßstab ist, ist diese schlussendlich eine Kritik der Politik. Schon in ihrem Sieg muss sie es ausdrücklich auf ihr eigenes Ende als getrennte Organisation absehen.«(Minimale Definition der revolutionären Organisationen
(Situationistische Internationale, Paris, Juli 1966. Veröffentlicht in: 'internationale situationniste' 11/Okt.1967)
In These 16 heißt es über »die konkrete Bedeutung« der Rätemachtnotwendigkeit: Ihr Werk sei »die Abschaffung der Warenproduktion und folglich des Proletariats«. Hier werden die Situationist_innen jedoch nur halbiert, verkürzt zitiert. Die ganze revolutionäre Übergangsperiode – keineswegs eine »Übergangsgesellschaft«, gar eine vorgeschaltete »sozialistische« vor der »kommunistischen«, wie sie Marx fälschend als Konstruktion unterstellt wird (These 14, vgl. dagegen klar MEW 19: S.18-21),bedarf noch anti-staatlicher, -politischer, -ökonomischer wie ästhetischer Sphärenumwälzungsformen, die eine communistische Produktion und Verteilung zum tatsächlichen Werk der gesellschaftlichen Gesamtarbeiterin selbst werden lassen in ihrer gesamten ungeheuren Mehrzahl. Es ist eine Umwälzungsaufgabe in sämtlichen überkommenen Sphären der Reproduktionstotalität, die im Weltmaßstab von den Situationisten schon sehr klar in den Blick gerückt worden ist: es handelt sich bei dieser Übergangsperiode im Massenmaßstab um »die Entscheidung, den Raum nach den Bedürfnissen der Macht der Arbeiterräte, der anti-staatlichen Diktatur des Proletariats, des vollstreckbaren Dialogs vollständig zu rekonstruieren. Und die Macht der Räte, die nur dann effektiv sein kann, wenn sie die Totalität der bestehenden Bedingungen verändert, wird sich, wenn sie anerkannt werden will und sich selbst in ihrer Welt wieder anerkennen will, keine geringere Aufgabe stellen können.« (Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels. These 179)
Von dieser dem sozialen Inhalt nach revolutionären Klassendiktatur – der Form nach »der totalen Demokratie der Arbeiterräte« (Guy Debord), generalisierten Selbstverwaltung der Commune-aus-Communen (Marx, S.I.) zwecks Selbstaufhebung der Klassenherrschaft überhaupt, von der Form des Gemeinwesens »das schon kein Staat im eigentlichen Sinne mehr« sein darf und kann – von dieser materialistisch-anarchocommunistischen Effektivität dürfen die vom Proletariat »Getrennten« mit der Klasse nicht sprechen. Denn wirklich die Totalität der bestehenden Bedingungen formbestimmend zu verändern ist die Sache von Spontaneisten und Ökonomisten nicht. »Das alles ist Geschichte.«
Freie Assoziation und kohärente Organisation
Die Trennungen der Gesellschaft und zwischen den Menschen, deren Aufhebung sie zum Hauptmotiv und Ziel communistischer Revolution erklären und gegen die »totale Vergesellschaftung« der kapitalistischen Produktionsweise einklagen, hier werden sie als Trennung der heimlichen Avantgarde zunächst von der völlig »integrierten« Klasse oder dann wieder von »dem Proletariat, das für seine Selbstaufhebung bereits weltweit kämpft« (These 28, Schluss), wieder festgeklopft. Der Grund für diese Trennung als Dreh- und Angelpunkt alles weiteren Geschichtsverlaufs bleibt dunkel: irgendwann löse sich die - vom Proletariat getrennte – »historische Partei«, die selbstgeschaffene »Avantgarde« als »freie Assoziation, welche … schon in ihrem Bestehen eine Vorwegnahme der freien Menschheit ist«, »im klassenbewussten Proletariat« auf: nur, wo kommt das »dann« plötzlich her? Offenbar aus der Erziehungstätigkeit, Bewusstseinsvermittlung jener von ihm die ganze Zeit getrennt gebliebenen Avantgarde namens »eine freie Assoziation«. Vielleicht eine harmlos-freundliche Art Angkar padevat (so hiess Pol Pot’s anonyme »Die revolutionäre Organisation« 1975-79, die ebenfalls ihr schon lange insgeheimes Selbstverständnis als »Kommunistische Partei« erst sehr spät offiziell bekanntgab)? »Was die über den Globus verstreuten Kommunistinnen und Kommunisten eint, ist nicht die Zugehörigkeit zu einer formalen Organisation, gar Weltpartei. Auch die kommunistische Selbstetikettierung der Einen oder des Anderen ist unwesentlich.« (These 28)
Man feiert also die irgendwie abstrakt »freie Assoziation«, egal ob sich selbst und einander die Mitglieder dieser Gemeinschaft nun communistische Kriterien setzen oder nicht, ob sie sich theoretischer Praxis befleissigen oder nicht – Hauptsache sie »nehmen eine freie Menschheit vorweg«, irgendwie. D.h.: als »Linke_r« ist mensch antinationalistisch, antirassistisch, antisexistisch, antikapitalistisch und so weiter, und vor allem »praktisch«, kompatibel für jede nette linke WG. Hierin ist die Disposition zur konformistischen Revolte bereits angelegt. Zur Scene muss erstarren, was sich - wie die gesamte Linke es seit jeher tut – als grundsätzlich und von vornherein etwas anderes als das Proletariat, zu dem ihre Angehörigen doch allemal zumeist gehören, definiert.
Indes soll eines Tages das von ihnen getrennte Proletariat eines sein, »das für seine Selbstaufhebung bereits weltweit kämpft«, und das wäre der Tag der Auflösung der historischen Partei in ihm. Bereits?! Wann wäre das, ohne den langen, weltbürgerkriegsartigen Weg einer Selbstorganisierung zur Klasse-des-Bewusstseins?
Der verschämte Voluntarismus revolutionärer Ideologie
Die Abgrenzung gegen »die falsche Alternative von leninistischer Selbstanmaßung und arbeitertümelnder Selbstverleugnung« wird subjektivistisch, sodass sie am kleinsten gemeinsamen Nenner beider, dem Voluntarismus, kleben bleibt. »Eben dieser ‚Voluntarismus’ ist das richtige Moment des Leninismus«, den sie gegen die von Marx schlicht festgestellte historische Notwendigkeit ins Feld führen, dass »es nicht darauf ankommt, was dieser oder jener Proletarier sich einstweilen vorstelle, sondern darauf, was das Proletariat historisch zu tun gezwungen sein werden.« (Marx-Paraphrase in These 25) Marx bezeichnet damit nicht mehr und nicht weniger als die »Notwendigkeit bei Strafe des Untergangs«, sich zur gesellschaftlich bewusst handelnden Klasse für den Communismus zu organisieren. Die Neuentdecker des Voluntarismus Lenins – im Zweifelsfall immer gerne gegen Marx – verfälschen dieses Postulat in einen angeblichen »deterministischen Geschichtsoptimismus« und bürden diese geschichtstheoretische und kategoriale Dummheit dem ungekannten Marx auf. Die Modalkategorie Notwendigkeit ist eine »Wenn… - dann…«-Notwendigkeit, das Gegenteil von Determinismus. Den guten Leninschen Voluntarismus aber wollen sie noch nichtmal mehr in Form und Klasseninhalt des demokratischen Zentralismus - wie ursprünglich in Lenin’s Konzeption vorgesehen - retten, erfahrungsgemäß droht der Zentralismus dann einfach nur informell.
Sie finden offenbar gerade das »geheime Bruderschaft«-Prinzip daran voluntaristisch brauchbar, vor welchem Marx in der Internationalen Arbeiter Association als vor dem Organisationsprinzip von »geheimen Gesellschaften« warnte, »die man im Gegenteil bekämpfen muss (…) weil diese Gesellschaften, statt die Arbeiter zu erziehen, sie autoritären und mystischen Gesetzen unterwerfen, die ihre Selbständigkeit behindern und ihr Bewusstsein in eine falsche Richtung lenken. Geheime Gesellschaften würden den Charakter der Internationalen Arbeiter Association verletzen; ihrer können sich die Karbonari bedienen; sie dienen nicht den Interessen der proletarischen Bewegung.« (Sept.1871, MEW 1/:655)
Da angeblich von Lenin’s »elitärer Parteikonzeption um seine Wahrheit gebracht«, so die antiautoritären VoluntaristInnen, erneuern sie kurzerhand den Voluntarismus des Machertums in Gestalt ihres mystischen Subjekts der Theorie, Organisation und Praxis der Revolution, wie gesagt: des »Standpunkts«, ex negativo: »Der moderne kommunistische Standpunkt ist keiner, der äusserlich an die Klasse herantritt (…)« Nach diesem Dementi der eigenen beklagten Trennung von der Klasse wird »der Standpunkt« positiv und zeigt was Er alles weiss und kann: »Er weiss vielmehr seinen subjektiven Beweggrund zum Kommunismus objektiv zu deuten, ihn rational und systematisch in seiner Gesellschaftlichkeit zu verstehen [Also: der Standpunkt weiss, versteht und erklärt Sich systematisch selbstreferenziell, da Sein Beweggrund nicht etwa objektiv-an-sich gesellschaftlich, sondern apriori subjektiv ist: Kant’s »Erkenntnisvermögen apriori«], eine Gesellschaftlichkeit allerdings, die Er vorerst nur in abstracto mit allen anderen Proletariern teilt und Dessen Wissen darum unwirklich bleibt.« Also die Unio mystica von Elite und Masse, Avantgarde und Klasse, »unsichtbaren Piloten« und »Volk« …: das Standpunkt-Wissen um »die kollektive Praxis des Klassenkampfes«, um das Pseudokonkrete, das ganz einfach der »diesseitige« Gegenstandpunkt zum »Jenseits eines abstrakten Citoyen-Standpunkts« sein soll.
Anstatt die Abstraktionen als vernünftige, verständige aus der gesellschaftlichen Praxis herauszuarbeiten als deren inneren Zusammenhang, um diesen dann durch Konkretionsarbeit zum Begreifen der Erscheinungsformen (konkrete Totalität) zu entwickeln, die wir im weitertreibenden Klassenkampf verändern können, wird hier die Abstraktion von vornherein als leere genommen, ein leerer Standpunkt, »dessen Wissen« unwirklich sei. Kantianisch wird die Kluft zwischen unmittelbarer empirischer Erfahrung, »Erkenntnisvermögen apriori« und unerkennbarem »Ding an sich« (gesellschaftliche konkrete Totalität) nicht überwunden, sondern bleibt in der Trennung zwischen »abstraktem theoretischem Standpunkt« und »konkreter Praxis des Klassenkampfes« hängen, es »bleibt die kommunistische Kritik auf sich selbst zurückgeworfen«, die sie nur durch »Intervention« von aussen, vom »Standpunkt« her, zu überbrücken versucht, um als Fremdkörper »innerhalb der Klasse Stellung zu beziehen«.
So ersetzt der Standpunkt-als-Kritiker die Menschen, denen die Ausbildung und Entwicklung der Kritik der Verhältnisse niemand abnehmen kann.
»In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, das ist Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen.« (2. Feuerbachthese) Menschen, Wahrheit und Denken haben die StandpunktvertreterInnen rausgekürzt. Diese antiontologische und damit antihistorische Operation rächt sich vor allem, wo es um das Denken der Ambivalenz der Klasse(n) geht, sowie darum, der Wahrheit einer gebrochenen, katastrophischen Geschichte des Menschen und des revolutionären Teils des Proletariats ins Gesicht zu sehen.