Marxistische Gruppe

6 Thesen zur marxistischen Staatsableitung

1.

Die marxistische Staatstheorie bestimmt den bürgerlichen Staat als den »ideellen Gesamtkapitalisten«. Der bürgerliche Staat ist da erstens als Staat des Kapitals gefasst, insofern er den Schutz und die Pflege des sich betätigenden Privateigentums gewährleistet. Zweitens leistet er dies gegenüber dem Gesamtkapital. Als Staat des Kapitals gibt es ihn getrennt von der Konkurrenz der Privateigentümer. Er leistet die Pflege des Daseinzwecks des Kapitals. Mehrung des Gewinns, und der Form, in der das Kapital ihn verfolgt, der Konkurrenz. Seine Parteinahme fürs Kapital gilt somit keinem bestimmten Kapitalisten, sondern - drittens - seiner »ideellen« Existenz, dem Prinzip kapitalistischen Wirtschaftens. Im bürgerlichen Staat ist die »ideelle« Existenz der Kapitale - neben ihrer »realen« Existenz als Gegeneinander in der Konkurrenz - objektiv. Als das politische Subjekt der kapitalistischen Ökonomie ist der bürgerliche Staat die Verkörperung der Abstraktion von den je besonderen Nutzenerwägungen der Kapitale. In ihm ist die Nützlichkeit des Konkurrierens für Kapitalwachstum (Wirtschaftswachstum) aufgehoben.

Der Schein der Zwecklosigkeit des bürgerlichen Staates, seine Bestimmung als pure politische Form für gesellschaftliche (Mehrheits-) Interessen ist damit ebenso kritisiert, wie die umgekehrte Auffassung, dass die Identität des politischen Subjektes der bürgerlichen Gesellschaft ganz in das Interesse bestimmter »Kapitalfraktionen« oder das der »Monopole« falle.

2.

Das politische Subjekt der kapitalistischen Produktionsweise macht alle Interessen zu Privatinteressen: Er lässt die Verfolgung jedes Interesses zu. indem er es auf die Respektierung und Pflege des Privateigentums verpflichtet. Darin ist er radikal und auf Gleichheit bedacht. Gleichgültig gegenüber der bestimmten ökonomischen Qualität des Eigentums verlangt er von jedem seine Anerkennung. Der Eigentümer von Produktionsmitteln und der von allen Lebensmitteln bzw. von den Mitteln zu deren Produktion ausgeschlossene Eigentümer von nichts als seiner Leiblichkeit (Arbeitsvermögen) wird auf den gleichen Respekt verpflichtet und kann ihn gleichermaßen beanspruchen. Diese Verpflichtung des in Freiheit gesetzten Interesses auf den Respekt gegenüber dem Privateigentum ist die politische Verewigung des Gegensatzes der Interessen der beiden Klassen von Eigentümern und zugleich der staatlich zugunsten der Privateigentümer von Kapital entschiedene Klassenkampf

3.

Der staatlich entschiedene Klassenkampf schließt ein, dass die notwendig negativen Wirkungen der Konkurrenz der Privateigentümer auf ihr Privateigentum nicht das Kapitalwachstum gefährden dürfen. Die Pflicht des sich konkurrierend betätigenden Privateigentums enthält kompensatorische Tätigkeiten, die je nach der ökonomischen Qualität des Privateigentums (Eigentum an Produktionsmitteln oder an Arbeitsvermögen) anders ausfallen. Für das Eigentum an Kapital lässt sich der Staat sowohl die Pflege gleicher Voraussetzungen für das Konkurrieren angelegen sein (Naturwissenschaft, Kommunikation, Energie...) und sorgt dafür, dass die in der kapitalistischen Benutzung der »Springquellen allen Reichtums: der Erde und des Arbeiters« eingeschlossene Zerstörung derselben die Plusmacherei nicht gefährdet (Umwelt...). Der »Springquelle: Arbeiter« widmet er sich als Sozialstaat: Die staatlich geschützte Ruinierung des Arbeitsvermögens durch das Kapital darf die Funktionalität der Klasse der Eigentumslosen für das Kapital nicht zerstören (Sozialversicherungen, Gesundheitswesen, sozialer Wohnungsbau, Gewerkschaft...).

Die Behauptung dass sich der Sozialstaat derzeit in einer Krise befände, weil er Arbeitslosigkeit nicht beseitige und trotz des größeren Bedarfs ständig geringere Sozialleistungen garantiere, geht an der Bestimmung des Sozialstaates vorbei und misst ihn an Absichten, die er nicht verfolgt. Weder ist Arbeitslosigkeit im Kapitalismus dysfunktional noch bedeutet die Sozialstaatsverpflichtung eine Reichtumsverteilung zwischen den Klassen. Wenn es sozialstaatliches Prinzip ist, die Sicherung der Brauchbarkeit der Arbeiterklasse fürs Kapitalwachstum von dieser selbst finanzieren zu lassen, dann stehen das Sozialstaatspnnzip und die durch den Sozialstaat verwalteten Formen von moderner Verelendung in keinem Widerspruch.

4.

Die Wahrnehmung seiner Aufgaben als politisches Subjekt der kapitalistischen Ökonomie unterstellt den bürgerlichen Staat als Souverän. Seme Souveränität besteht nicht in der fallweise eingesetzten Gewalt, über die er verfügt, sondern in der bedingungslosen Gültigkeit seiner Gewalt, die als Lebensprinzip alle bürgerlichen Verhältnisse durchzieht. In einem demokratischen Rechtsstaat kommt die durchgesetzte Gewalt als doppeltes Angebot an den Willen der Privatsubjekte daher. Zum einen haben alle staatlich gesetzten Bedingungen, unten der das Privatinteresse verfolgt werden darf, die Form des Rechts, d. h. einer klassenenthobenen allgemeingültigen bedingten Erlaubnis für das Bemühen um das Gelingen der privaten Zwecke (Grundrecht, Zivilrecht). Da diese Erlaubnis immer zugleich Beschränkung von Privatinteressen ist, ist der Souverän auch als Wahrer des von ihm gesetzten Rechts verlangt (Strafrecht). Zum anderen lässt sich der bürgerliche Staat mit der Form der demokratischen Herrschaftsausübung seine gesicherte Souveränität regelmäßig durch Bürgervoten bestätigen (Wahlen, Meinungsfreiheit, Demonstrationsfreiheit...)

5.

Da der Klassenstaat seine Leistungen für die Privateigentümer als »ideeller Gesamtkapitalist« erbringt, bleiben gelegentliche Kollisionen zwischen ihm und der Klasse der Kapitalisten nicht aus. Der bürgerliche Staat, dem es gerade wegen des Privateigentums nur auf sich und seine Souveränität ankommt, benötigt für ihre Geltung nach innen und außen Teile des nationalen Reichtums, die nicht allein als Abzug vom Lohn der Arbeiterklasse aufgebracht werden können. Steuern sind auch Abzug vom Gewinn des Kapitals. Sie bilden die notwendigen faux frais der bürgerlichen Herrschaft: Wo es wegen der Sicherung und Pflege der kapitalistischen Eigentumsordnung auf die Souveränität des Staates ankommt, da darf sich diese eben nicht durch die Zwecke, denen sie dient, relativieren lassen (Steuern, Staatsverschuldung, Pflege des Nationalkredits / Währung...)

6.

Der bürgerliche Staat kennt bei sich selbst nur die Sicherung und den Ausbau seiner Souveränität als seinen ganz eigenen Zweck. An seiner nach außen begrenzten Gewalt bemerkt er, dass er mit seinen politischen Bemühungen, die ganze Welt für das kapitalistische Geschäft zu öffnen, nicht allein dasteht. Jeder andere Souverän, der wie er selbst über sein Territorium ein Gewaltmonopol besitzt, ist ihm eine Schranke seiner im Prinzip maßlosen, da sich nur an sich selbst messenden Souveränität. Wo er diese Schranke anerkennt, da nimmt er bei seinem Unterfangen, auch nach außen »ideeller Gesamtkapitalist« zu sein, alle Rücksicht auf unentschiedene Gewaltverhältnisse. Die Aufrüstung des bürgerlichen Staates verfolgt das Anliegen, von Diplomatie als dem an wechselseitiger Benutzung orientiertem Verkehr zwischen Staaten nicht abhängig zu sein. Die Konkurrenz, in welcher sich der Hüter der Konkurrenz der Privateigentümer selbst befindet d. h. die Konkurrenz zwischen Staaten, wird nicht im Profitratenvergleich, sondern letztlich nur mit den Mitteln der Souveränität, der Gewalt entschieden, weswegen der bürgerliche Staat seinen weltweiten Dienst am kapitalistischen Geschäft auch schon einmal mit Methoden durchsetzt, die zunächst Geschäfte zerstören (Handelskriege, Kriege).

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