Zur Diskussion. Aus dem Zirkularbrief 3 von Juli/August 2001

Die Klassentheorie von Karl Marx

Von Wal Buchenberg*

*Wal Buchenberg betreibt das Marx-Forum unter http://www.marx-forum.de und arbeitet in diesem Zusammenhang an einem Marx-Begriffslexikon. Er hat uns diesen Beitrag eingesandt. Wir halten diese kompakte Zusammenstellung grundlegender Begriffsbestimmungen bei Marx für eine geeignete Grundlage zur weiteren Diskussion und werden uns künftig mit Beiträgen darauf beziehen.

Karl Marx unterschied die gesellschaftlichen Klassen nicht wie ein Meinungsforscher, sondern wie ein Biologe, der seine aus der Analyse gewonnenen Unterscheidungskriterien auf Lebewesen und Pflanzen anwendet, ohne fragen zu wollen, ob ihnen die Zugehörigkeit zu einer Spezies passt oder nicht.

1. Die Klassenteilung unserer Gesellschaft

»Die Eigentümer von bloßer Arbeitskraft, die Eigentümer von Kapital und die Grundeigentümer, deren jeweilige Einkommensquellen Arbeitslohn, Profit und Grundrente sind, also Lohnarbeiter, Kapitalisten und Grundeigentümer, bilden die drei großen Klassen der modernen, auf der kapitalistischen Produktionsweise beruhenden Gesellschaft.

In England ist unstreitig die moderne Gesellschaft in ihrer ökonomischen Gliederung am weitesten, klassischsten entwickelt. Dennoch tritt diese Klassengliederung selbst hier nicht rein hervor. Mittel- und Übergangsstufen vertuschen auch hier (obgleich auf dem Lande unvergleichlich weniger als in den Städten) überall die Grenzbestimmungen. Indes ist dies für unsere Betrachtung gleichgültig.« (K. Marx, Kapital III, 892).

Die Kriterien nach denen Marx diese gesellschaftlichen Klassen einteilt, sind nichts weiter als ihre jeweiligen Eigentumsverhältnisse und die daraus abgeleiteten Einkommensquellen.

Nach dieser rein ökonomischen Bestimmung gehören zunächst alle zur Lohnarbeiterklasse, die keine Existenzmittel (Produktionsmittel) besitzen außer ihrer Arbeitskraft und daher von ihrer Arbeit leben müssen. Es sind Menschen, die »nur so lange leben, als sie Arbeit finden, und die nur so lange Arbeit finden, als ihre Arbeit das Kapital vermehrt.« (Kommunistisches Manifest, MEW 4, 468).

Dieser letzte Punkt, dass die Arbeit der Lohnarbeiter »das Kapital vermehrt« ist wichtig und soll gleich noch erläutert werden. Denn in Deutschland (1998) sind derzeit rund 90 % der Bevölkerung lohnabhängig, nicht alle gehören damit schon zur Arbeiterklasse, weil nicht alle von ihnen »Kapital vermehren«.

»Arbeiterklasse«, »Proletariat« oder »Lohnarbeiter« sind dabei nur unterschiedliche Bezeichnung für ein und dieselbe Sache. »Proletarier« kommt aus dem Lateinischen und heißt soviel wie »Besitzloser«. Marx sprach vor allem in seinen ökonomischen Schriften von der »Klasse der freien Arbeiter« (Kapital I, 185), der »Klasse der Lohnarbeiter« (Kapital II, 39) oder der »Lohnarbeiterklasse« (Kapital II, 39).

2. Wer gehört NICHT zur Lohnarbeiterklasse?

2.1. Die selbstarbeitenden Eigentümer

Diese müssen zwar von ihrer Arbeit leben, besitzen aber ihre Produktionsmittel. Das ist die traditionelle »Mittelschicht«: auf dem Land der kleine Bauer, in der Stadt der kleine Handwerker oder Krämer, der Arzt mit eigener Praxis, der Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei und sonstige Freiberufler. Zu dieser Klasse der selbstarbeitenden Produktionsmittelbesitzer gehören in Deutschland (1998) noch rund 7 % der Erwerbsbevölkerung. Vor 1900 stellten sie die Mehrheit.

Es sind keine Kapitalisten, weil sie als Produktionsmittelbesitzer selbst arbeiten müssen und nicht von den Früchten fremder Arbeit leben können. Nach Marx sind »zersplitterte Produktionsmittel, die den Produzenten selbst als Beschäftigungs- und Subsistenzmittel dienen, ohne sich durch Einverleibung fremder Arbeit zu verwerten« kein Kapital. (K. Marx, Kapital I, MEW 23, 731). Selbst wenn dieser selbstarbeitende Eigentümer außer der eigenen Arbeit noch in geringem Umfang fremde Arbeit ausbeutet, ist er noch kein Kapitalist, sondern »nur ein Mittelding zwischen Kapitalist und Arbeiter, ein ‚kleiner Meister‘.« (K. Marx, Kapital I, MEW 23, 327).

Diese Arbeitssituation mit eigenen Produktionsmitteln schafft einerseits Gemeinsamkeiten mit den Lohnarbeitern bis hin zur Scheinselbstständigkeit, andererseits schafft sie fließende Übergänge vom Kleinbürger bis zum Kapitalisten. Ein Kleinbürger mit einigen Lohnarbeitern kann vielleicht ein »Viertelkapitalist« oder ein »Dreiviertelkapitalist« sein, je nachdem wie viel Früchte fremder Arbeit er sich neben seiner eigenen Tätigkeit noch aneignet.

Durch neue Technologien und in neuen Branchen wie z.B. der Computerbranche können solche selbstarbeitenden Produktionsmittelbesitzer immer wieder neu entstehen (dazu: K. Marx, Kapital I, MEW 23, 484 und Anm. 247). Einige von ihnen schaffen es, zum erfolgreichen Kapitalisten aufzusteigen wie ein Bill Gates, andere werden proletarisiert. Sie verlieren ihr Betriebseigentum und werden in Lohnarbeiter verwandelt.

2.2 Die Bedientenklasse

2.21 Wer keine eigenen Produktionsmittel besitzt, muss vom Verkauf seiner Arbeitskraft leben. Aber nicht alle diese Lohnarbeiter gehören zur Lohnarbeiterklasse.

Marx trennte davon die »Bedientenklasse, die direkten Lohnarbeiter der müßigen Kapitalisten« ab (K. Marx, Kapital II, MEW 24, 481). Diese Bediensteten sind der von dem Mehrprodukt lebende »Teil der dienenden Klasse, der nicht von Kapital, sondern von Revenue lebt. Es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen dieser dienenden und der arbeitenden Klasse.« (K. Marx, Grundrisse, 305).

Dieser wesentliche Unterschied kommt aus der Unterscheidung von produktiver und unproduktiver Arbeit, die allein vom Standpunkt des Kapitals aus getroffen wird: »Produktiv« ist die Vergrößerung des kapitalistischen Reichtums, »unproduktiv« ist der Verzehr des kapitalistischen Reichtums.

In Übereinstimmung mit A. Smith schrieb Marx: »Nur die Arbeit, die Kapital produziert, ist produktive Arbeit.« (MEW 26.2, 126) »Damit ist auch absolut festgesetzt, was unproduktive Arbeit ist. Es ist Arbeit, die sich nicht gegen Kapital, sondern unmittelbar gegen Revenue (= Privater Konsumfonds der Kapitalisten oder Grundbesitzers) austauscht...« (K. Marx, MEW 26.1, 127).

»Ein Schauspieler z.B., selbst ein Clown, ist hiernach ein produktiver Arbeiter, wenn er im Dienst eines Kapitalisten arbeitet, dem er mehr Arbeit zurückgibt, als er in der Form des Lohns von ihm erhält, während ein Flickschneider, der zu dem Kapitalisten ins Haus kommt und ihm seine Hosen flickt, ... ein unproduktiver Arbeiter ist.

Die Arbeit des ersteren tauscht sich gegen Kapital aus, die des zweiten gegen Revenue.Die erstere schafft Mehrwert; in der zweiten verzehrt sich eine Revenue.« (K. Marx, MEW 26.1, 127).

Zu dieser unproduktiven Dienstleistungsklasse gehören das gesamte Hauspersonal der Reichen, ihre Geliebten und alle anderen, die aus den Privatschatullen (= Revenue) der Kapitalisten und Grundbesitzer leben und nur dazu da sind, den Reichen das Leben angenehm zu machen.

Gemeinsam mit allen Lohnarbeitern haben diese unproduktiven Dienstleister, dass sie von eigener Arbeit leben müssen. Aber ihren Lohn zahlen die Kapitalisten nicht als Vorschuss aus ihrem Kapital, um von ihnen ein vergrößertes Produkt und daraus ein vermehrtes Kapital zu erhalten. Die Kapitalisten und Grundbesitzer bezahlen diese Dienstleister aus ihrem privaten Konsumtionsfonds für private Bedienung. Daher haben diese Bediensteten gemeinsame Interessen mit ihren Herren: Je reicher ihr Herr, desto mehr fällt auch für den Bedienten ab. Sie erhalten, »für ihre Dienste einen Teil der Luxusausgabe der Kapitalisten ... (diese Arbeiter selbst sind insgesamt Luxusartikel)...« (K. Marx, Kapital II, 409).

Als »Luxusartikel« werden diese Arbeiter mit Beseitigung des Kapitals verschwinden.

Zur Zeit von Marx war die Bedientenklasse in England 1861 zahlenmäßig größer als die produktive Arbeiterklasse. Heute macht ihr Anteil an der Erwerbsbevölkerung in Deutschland nur noch rund 5 % aus, weil der private Luxus der Reichen nicht mehr wie früher in jedem Haushalt in Form von Bediensteten vorrätig gehalten wird, sondern zunehmend als Ware bzw. Dienstleistung gekauft wird: Beim Schönheitschirurg, im Luxus-Restaurant, beim privaten Flugdienst, im Luxushotel usw.

2.22. Die Staatsdiener

Zu dieser unproduktiven, aber lohnabhängigen Bedientenklasse zählte Marx auch alle Staatsdiener - ausgenommen die produktiven Arbeiter im Staatsdienst bei der Bahn, der Post usw. Im ersten Band des Kapitals rechnete Karl Marx »Regierung, Pfaffen, Juristen, Militär usw.« ausdrücklich aus der Lohnarbeiterklasse heraus (K. Marx, Kapital I, MEW 23, 469.)

Zu Marx Zeiten wurden die Staatsdiener noch fast vollständig durch Besteuerung der Reichen bezahlt. Dass heute die Lohnarbeiter die Staatsmacht durch Lohn- und Verbrauchssteuern mitfinanzieren, ist nur ein doppeltes Ärgernis und bewirkt keineswegs, dass Legislative und Exekutive, dass Parlamentarier, Richter, Polizisten oder Professoren auf Seiten der Lohnarbeiter stehen. Die Erhaltung und der Ausbau des Staatsapparates fügt der »direkten ökonomischen Ausbeutung eine zweite Ausbeutung des Volkes hinzu.« (K. Marx, MEW 17, 540).

Dabei werden die »Gebildeten der Massen« gerne »in die unteren Stellen der Hierarchie« aufgenommen (K. Marx MEW 17, 544). »Je mehr eine herrschende Klasse fähig ist, die bedeutendsten Männer der beherrschten Klasse in sich aufzunehmen, desto solider und gefährlicher ist ihre Herrschaft.« (K. Marx, Kapital III, 614).

Willy Brandt kam darum zu dem Schluss, dass der Berufsverbot-Erlass sein größter politischer Fehler war.

Die höheren Stellen des Staates sind in der Regel den Kapitalistenkindern und ihrer Klientel vorbehalten. So ergänzt die herrschende Klasse »in der Form von Staatsgehalten, was sie nicht in der Form von Profiten, Zinsen, Renten und Honoraren einstecken kann.« (K. Marx, MEW 8, 151). Sie muss dann ihre Bediensteten wie ein Ministerpräsident Biedenkopf nicht aus eigener Tasche zahlen, sondern kann dafür in den Steuersäckel greifen.

Die gesamte Beamtenschaft ist in sich ein Hindernis für die Emanzipation der Gesellschaft. Ihre hoheitlichen, bevormundenden Funktionen werden ganz verschwinden. Funktionen, die für die Gesellschaft nützlich sind, werden von behördlicher Bevormundung befreit, d.h. unter die direkte Kontrolle des Volkes gestellt werden.

Marx nahm an, dass die lohnabhängige Bedientenklasse - einschließlich der Staatsdiener - im Kapitalismus anwächst: »Endlich erlaubt die außerordentlich erhöhte Produktivkraft in den Sphären der großen Industrie, begleitet, wie sie ist, von intensiv und extensiv gesteigerter Ausbeutung der Arbeitskraft in allen übrigen Produktionssphären, einen stets größeren Teil der Arbeiterklasse unproduktiv zu verwenden...« (K. Marx, Kapital III, 469).

In Deutschland machen die Beamten heute 7 % der Erwerbsbevölkerung aus.

2.23 Die selbstständigen Dienstleister

Neben die lohnabhängigen Dienstleister treten selbstständige Dienstleister, die statistisch bei den selbstarbeitenden Eigentümern erfasst werden: »Alle nicht direkt in der Reproduktion, mit oder ohne Arbeit, figurierenden Gesellschaftsmitglieder können ihren Anteil am jährlichen Warenprodukt - also ihre Konsumtionsmittel - ... nur beziehen aus den Händen der Klassen, denen das Produkt in erster Hand zufällt - produktiven Arbeitern, industriellen Kapitalisten und Grundbesitzern.

Insofern sind ihre Revenuen in der Tat abgeleitet von Arbeitslohn (der produktiven Arbeiter), Profit und Bodenrente, und erscheinen daher jenen Originalrevenuen gegenüber als abgeleitete.

Andererseits jedoch beziehen die Empfänger dieser in diesem Sinn abgeleiteten Revenuen dieselben, vermittelst ihrer gesellschaftlichen Funktion als König, Pfaff, Professor, Hure, Kriegsknecht etc., und können also diese ihre Funktionen als die Originalquellen ihrer Revenue betrachten.« (K. Marx, Kapital II, 372).

Die unproduktiven Dienstleister teilen sich also in Lohnabhängige, die ihren Lohn oder Gehalt aus kapitalistischer Revenue (bzw. fremdem Arbeitslohn) oder aus Steuergeldern beziehen, und in Selbstständige, die ihre Honorare aus kapitalistischer Revenue erhalten. »Die ganze Klasse der sogenannten Dienste vom Schuhputzer bis zum König, fällt in diese Kategorie.« (K. Marx, Grundrisse, 369f). »Es hängt daher auch nicht von dem Verhältnis überhaupt, sondern von der natürlichen, besonderen Qualität der Dienstleistung ab, ob der Soldempfangende Taglohn erhält, oder Honorar, oder eine Zivilliste(die Privatschatulle des Monarchen) - und ob er vornehmer oder geringer erscheint, als der den Dienst Zahlende.« (K. Marx, Grundrisse, 372).

Mit wachsendem Reichtum kann dieser Teil der Dienstleistungsklasse ebenfalls wachsen, indem »sich um das Kapital eine Masse Parasitenkörper anlegen, die unter einem oder dem anderen Titel so viel von der Gesamtproduktion an sich ziehen....« (K. Marx, Grundrisse, 643).

Diese »Luxusdienstleistungen«, die heute aus kapitalistischer Revenue oder aus Steuern bezahlt werden, werden mit diesen Einkommensquellen verschwinden.

2.3. Das Lumpenproletariat

NICHT zur Arbeiterklasse rechnete Marx außerdem das Lumpenproletariat, das nicht arbeiten kann oder nicht arbeiten will: »der Spitzbube, Gauner, Bettler, der Unbeschäftigte, der verhungernde, der elende und verbrecherische Arbeitsmensch«(K. Marx, MEW 40, 523), die alle »auf Kosten der arbeitenden Nation leben« (MEW 8, 161.).

Als Anhaltspunkte für die heutige Größe dieses Lumpenproletariats kann man die erwachsenen Tatverdächtigen im Jahr 2000 für Raub und Einbruchsdiebstahl, der illegalen Eigentumsübertragung in Handarbeit, von rund 55.000 nehmen, plus die Zahl der erwachsenen Tatverdächtigen für Betrug, der illegalen Eigentumsübertragung in Kopfarbeit, von rund 240.000. Das macht für das Lumpenproletariat einen Anteil an der deutschen Erwerbsbevölkerung von rund 1 Prozent.

3. Die Lohnarbeiterklasse und ihre Unterteilungen

K. Marx sah im Wesentlichen nur zwei Unterteilungen der Lohnarbeiterklasse:

3.1.

Hinsichtlich der Qualifikation betonte K. Marx die »Scheidung der Arbeiter in geschickte und ungeschickte«, soll heißen qualifizierte und unqualifizierte (Kapital I, 371).

In Deutschland haben derzeit von allen Erwerbstätigen rund 25 % keinen Berufsabschluss (niedrig qualifizierte Arbeitskraft), 63 % einen Berufsabschluss (normal qualifizierte Arbeitskraft), 12 % einen Hochschulabschluss (höher qualifizierte Arbeitskraft).

Entsprechend der Marx`schen Werttheorie schafft höherqualifizierte Arbeit auch höheren Wert und damit größeren Mehrwert. Andererseits sind die Ausbildungs- und Reproduktionskosten dieser Arbeitskraft höher, sie muss also auch mit höherem Lohn bezahlt werden.

Lohnunterschiede müssen daher in der Regel auf Qualifikationsunterschiede zurückgeführt werden: »Andere Unterschiede, z.B. in der Höhe des Arbeitslohns, beruhen großenteils auf dem schon im Eingang zu Buch I, S. 19 erwähnten Unterschied zwischen einfacher und komplizierter Arbeit und berühren, obgleich sie das Los der Arbeiter in verschiedenen Produktionssphären sehr verungleichen, keineswegs den Exploitationsgrad der Arbeit in diesen verschiedenen Sphären.

Wird z.B. die Arbeit eines Goldschmieds teurer bezahlt als die eines Taglöhners, so stellt die Mehrarbeit des Goldschmieds ... auch größeren Mehrwert her als die des Taglöhners.« (K. Marx, Kapital III, 151).

Auch den Begriff »Arbeiteraristokratie«, in den später viel hineingeheimst wurde, bezog Marx nur auf beste Bezahlung, weil beste Qualifikation: der »bestbezahlte Teil der Arbeiterklasse, ... ihre Aristokratie« (K. Marx, Kapital I, 697). Es hat nichts mit der Marx’schen Klassenanalyse zu tun, wenn der Begriff »Arbeiteraristokratie« polemisch mit bestimmten Tätigkeiten, z.B. Gewerkschaftsfunktionen, verbunden wird.

In der Marx’schen Unterscheidung von höher- und niedriger qualifizierter Arbeit verschwinden auch alle Unterschiede von Kopf- und Handarbeit:

Meist ist Kopfarbeit qualifiziertere Arbeit. Wie jedoch die Werkzeugmaschinen die Dequalifizierung der Großzahl der geschickten Handwerker brachten, so erzwingen heute Computer die Dequalifizierung der Großzahl der Kopfarbeiter.

Ein Kopf-Lohnarbeiter kann einerseits für das Kapital ein fertiges Produkt erstellen, z.B. einen ausgebildeten Schülerkopf an einer Privatschule: »Steht es frei, ein Beispiel außerhalb der Sphäre der materiellen Produktion zu wählen, so ist ein Lehrer produktiver Arbeiter, wenn er nicht nur Kinderköpfe bearbeitet, sondern sich selbst abarbeitet zur Bereicherung des Unternehmers.

Dass letzterer sein Kapital in einer Lehrfabrik angelegt hat, statt in einer Wurstfabrik, ändert nichts an dem Verhältnis.« (K. Marx, Kapital I, 532).

Andererseits kann Kopfarbeit als notwendige Teilarbeit in die kombinierte Arbeit des produktiven Gesamtarbeiters eines Unternehmens oder der ganzen Gesellschaft eingehen: »Wie im Natursystem Kopf und Hand zusammengehören, vereint der Arbeitsprozess Kopfarbeit und Handarbeit. ... Das Produkt verwandelt sich überhaupt aus dem unmittelbaren Produkt des individuellen Produzenten in ein gesellschaftliches, in das gemeinsame Produkt eines Gesamtarbeiters, d.h. eines kombinierten Arbeitspersonals, dessen Glieder der Handhabung des Arbeitsgegenstandes näher oder ferner stehen...

Um produktiv zu arbeiten, ist es nun nicht mehr nötig, selbst Hand anzulegen; es genügt, Organ des Gesamtarbeiters zu sein, irgendeine seiner Unterfunktionen zu vollziehen.« (K. Marx, Kapital I, MEW 23, 531). »Gesamtarbeiter« ist der umfassendste Begriff der modernen Lohnarbeiterklasse (K. Marx, Kapital I, 249). Indem die Lohnarbeit auf immer mehr Gesellschaftsmitglieder verteilt wurde, verschwand auch das traditionelle »Arbeitermilieu«, dem allein unsere Linken hinterhertrauern.

Selbstverständlich sind für Marx z.B. Ingenieure nur höherqualifizierte Lohnarbeiter: »So befindet sich bei jeder größeren Fabrik ein den eigentlichen Fabrikarbeitern aggregiertes Personal, Ingenieur, Schreiner, Mechaniker, Schlosser usw. Ihr Lohn bildet Teil des variablen Kapitals, und der Wert ihrer Arbeit verteilt sich auf das Produkt.« (K. Marx, Kapital II, 176). »Es ist charakteristisch für die Absicht des statistischen Betrugs, ... wenn die englische Fabrikgesetzgebung die zuletzt im Text erwähnten Arbeiter ausdrücklich als Nicht-Fabrikarbeiter von ihrem Wirkungskreis ausschließt...« (K. Marx, Kapital I, MEW 23, 442, Anm. 181).

Daneben gibt es natürlich den Kopfarbeiter weiter als selbstständigen, individuell arbeitenden Gewerbetreibenden: »Ferguson sagt bereits: ›Und das Denken selbst kann in diesem Zeitalter der Arbeitsteilungen zu einem besonderen Gewerbe werden.‹ « (K. Marx, Kapital I, MEW 23, 384, Anm. 71). Solche selbstständigen Kopfarbeiter gehören als selbstarbeitende Eigentümer nicht zur Arbeiterklasse.

3.2.

Je nachdem ob ein Arbeiter direkt Mehrwert produziert oder geschaffenen Mehrwert realisieren hilft, unterschied Marx die Produktionsarbeiter von den kommerziellen Arbeitern oder Zirkulationsarbeitern.

Falls ein Produktionsunternehmen einen kommerziellen Arbeiter als Einkäufer, Buchhalter oder Verkäufer beschäftigt, so trägt dieser zur Vergrößerung des Profits bei, »nicht indem er direkt Mehrwert schafft, aber indem der die Kosten der Realisierung des Mehrwerts vermindern hilft...« (K. Marx, Kapital III. 311).

Soweit diese kommerziellen Arbeiter in Handel, Banken und Versicherungen beschäftigt sind, sind ihre Lohnkosten »für das merkantile Kapital eine produktive Anlage. Also ist auch die kommerzielle Arbeit, die es kauft, für es unmittelbar produktiv.« (K. Marx, Kapital III, 313).

Allzu oft wurde diese Zirkulationsarbeit im Widerspruch zur Marx’schen Theorie als »unproduktiv« bezeichnet. Auch das gelehrsame »Historisch-kritische Wörterbuch des Marxismus« spricht von der »unproduktiven kommerziellen Arbeit« (Band 2, Hamburg 1995, 777).

Die Unterscheidung von Produktions- und Zirkulationsarbeitern spielt nur insofern eine ökonomische Rolle, weil die relative Zahl der Zirkulationsarbeiter mit Entwicklung des Kapitalismus tendenziell abnimmt: »Das industrielle Kapital verhält sich ... nicht in derselben Weise zu seinen kommerziellen wie zu seinen produktiven Lohnarbeitern. Je mehr von diesen letzteren bei sonst gleichbleibenden Umständen angewandt werden, um so massenhafter die Produktion, um so größer der Mehrwert oder Profit. Umgekehrt dagegen bei seinen kommerziellen Arbeitern.« (K. Marx, Kapital III, 310f).

Mit der Beseitigung der Warenproduktion fallen mit der Zirkulationsarbeit auch die Zirkulationsarbeiter ganz weg.

Eine Nebenrolle spielt diese Unterscheidung von Produktionsarbeiter und Zirkulationsarbeiter insofern diese Unterscheidung mit dem Unterschied von höher und niedriger qualifizierten Arbeit zusammenfällt. Vor allem in Großunternehmen sind die Zirkulationsarbeiter als Einkäufer, Buchhalter, Verkäufer etc. wie die Bankangestellten meist höher qualifizierte Arbeiter: »Der eigentlich kaufmännische Arbeiter (= Angestellte) gehört zu der besser bezahlten Klasse von Lohnarbeitern, zu denen, deren Arbeit geschickte Arbeit ist, die über der Durchschnittsarbeit steht.

Indes hat der Lohn die Tendenz zu fallen, selbst im Verhältnis zur Durchschnittsarbeit, im Fortschritt der kapitalistischen Produktionsweise. Teils durch Teilung der Arbeit innerhalb des Kontors...

Zweitens, weil die Vorbildung, Handels- und Sprachkenntnisse usw. mit dem Fortschritt der Wissenschaft und Volksbildung immer rascher, leichter, allgemeiner, billiger reproduziert werden...

Die Verallgemeinerung des Volksunterrichts erlaubt, diese Sorte aus Klassen zu rekrutieren, die früher davon ausgeschlossen, an schlechtere Lebensweise gewöhnt waren. Dazu vermehrt sie den Zudrang und damit die Konkurrenz.

Mit einigen Ausnahmen entwertet sich daher im Fortgang der kapitalistischen Produktion die Arbeitskraft dieser Leute; ihr Lohn sinkt, während ihre Arbeitsfähigkeit zunimmt.« (K. Marx, Kapital III, 311f).

Nach den Kriterien der Klassenanalyse von Karl Marx ergibt sich also ungefähr folgende soziale Zusammensetzung der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft:

- Lohnarbeiterklasse: 77 %;

- Selbstarbeitende Eigentümer (mit den selbstständigen »Luxusdienstleistern«): 7 %;

- Lohnabhängige Bedientenklasse (mit Beamten): 12 %;

- Kapitalistenklasse und Grundbesitzer: 3 %;

- Lumpenproletariat: 1 %.

 

Unsere Gesellschaft kann sich nur von kapitalistischer Fremdbestimmung und Ausbeutung befreien und die Gesellschaftsmitglieder können nur selbstbestimmt leben und arbeiten, wenn die Lohnarbeit abgeschafft wird. Die Lohnarbeit wird abgeschafft, indem die Arbeiterklasse die ganze Gesellschaft umfasst.

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