Klaus Herrmann:
Michael Heinrichs Uminterpretation der Marxschen Werttheorie
Kritische Bemerkungen zu Michael Heinrich »Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung« 2004
Daraus, dass Tauschwert setzende Arbeit allein oder für sich genommen noch nicht zureichende Bedingung dafür ist, dass sich das von ihr geschaffene Wertprodukt durch Verkauf, also im Tausch, auch realisiert, macht Heinrich im Umkehrschluss den Schöpfungsakt des Werts oder [die Legende – Zwi], dass sich der Wert erst im Prozess der Wertrealisierung konstituiert. Seine Uminterpretation der Marxschen Werttheorie sucht Beglaubigung in einem von Marx überlieferten Satz (in MEGA II.6,S.41), dessen Sinn er durch Umakzentuierung und Vernachlässigung des Kontextes leicht verschiebt. Wo Marx davon spricht, dass sich die Reduktion konkreter Privatarbeiten zum Abstraktum gleicher menschlicher Arbeit nur durch den Austausch vollzieht, »welcher Producte verschiedner Arbeiten thatsächlich gleichsetzt« – also im Medium des Tauschs -, macht Heinrich aus dem Tausch den Aktor, indem er nach dem Zitat fortfährt: »Demnach ist es also erst der Tausch, der die Abstraktion vollzieht, die abstrakter Arbeit zugrundeliegt...« (Michael Heinrich, Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung, Stuttgart 2.Aufl.2004, S.48).
Marx führt den Begriff der Tauschwert setzenden Arbeit in »Das Kapital I« so ein, wie er sich als Realabstraktion konkreter Arbeit in der Praxis der entwickelten kapitalistischen Gesellschaft zeigt. »Diese Spaltung des Arbeitsprodukts in nützliches Ding und Wertding betätigt sich nur praktisch, sobald der Austausch bereits hinreichende Ausdehnung und Wichtigkeit gewonnen hat, damit nützliche Dinge für den Austausch produziert werden, der Wertcharakter der Sachen also schon bei ihrer Produktion selbst in Betracht kommt. Von diesem Augenblick an erhalten die Privatarbeiten der Produzenten tatsächlich einen doppelten gesellschaftlichen Charakter.« (MEW 23,87)
Die Aussage, dass »der Wertcharakter der Sachen also schon bei ihrer Produktion selbst in Betracht kommt«, widerstreitet der Uminterpretation M.Heinrichs, weshalb er darauf in einer Anmerkung (Anm.12, S.53f.) wie folgt Bezug nimmt: »Dass der Wert 'in Betracht' kommt, der künftige Wert von den Produzenten geschätzt wird, ist aber etwas ganz anderes als dass der Wert schon existiert.«
Es steht bei einer Schätzung jedoch nicht in Frage, ob der Wert existiert, sondern ob sich der geschätzte Wert auch realisieren lässt. »Das Überspringen des Warenwerts aus dem Warenleib in den Goldleib ist (...) der Salto mortale der Ware. Misslingt er, so ist zwar nicht die Ware geprellt, wohl aber der Warenbesitzer«(MEW_23,120). Oder in anderer Wendung; Marx spricht hier in bezug auf denselben Sachverhalt von Transsubstantiation: »Die Teilung der Arbeit verwandelt das Arbeitsprodukt in Ware und macht dadurch seine Verwandlung in Geld notwendig. Sie macht es zugleich zufällig, ob diese Transsubstantiation gelingt« (ebd.S.122). Arbeitsteilung, verallgemeinerter Warentausch und Reduktion der Arbeit auf ihr abstraktes Maß: die Messbarkeit durch die Zeit – sind nur verschiedene Seiten oder Bestimmungsmomente desselben gesellschaftlichen Zusammenhangs.
Um das Beziehungsverhältnis von Tausch und Arbeitszeit als Inbegriff des Werts auszudrücken, findet sich in den »Theorien über den Mehrwert« ein Passus, der sich in gedrängter Formulierung wie eine Stenogrammfassung des 1. Kapitels von »Das Kapital I« liest. Ich zitiere nach der in MEW 26.3, S.130 mitgegebenen deutschen Übersetzung des englischen Textes: »Der Wert eines Pfundes Kaffee wird nur relativ in Tee ausgedrückt; um ihn absolut auszudrücken – selbst in relativer Weise, das heisst, nicht in bezug auf die Arbeitszeit, sondern auf andere Waren -, müsste man ihn in einer unendlichen Reihe von Gleichungen mit allen anderen Waren ausdrücken. Dies wäre ein absoluter Ausdruck ihres relativen Wertes; sein absoluter Ausdruck wäre sein Ausdruck in Arbeitszeit, und durch diesen absoluten Ausdruck würde er als etwas Relatives ausgedrückt, aber in dem absoluten Verhältnis, durch das er Wert ist.«
Michael Heinrichs Werttheorie, die er zu unrecht als Interpretation der Marxschen ausgibt, ist voller Ungereimtheiten und Inkonsistenzen. Man weiss nicht recht, warum er die Marxsche Wertformanalyse pedantisch rekapituliert, da er doch ihre Pointe verfehlt. »Er ahnt nicht, dass schon der einfachste Wertausdruck, wie 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, das Rätsel der Äquivalentform zu lösen gibt« (MEW 23, S.72). Der Ahnungslose an dieser Textstelle bei Marx ist der politische Ökonom mit dem »bürgerlich rohen Blick«, dem sich das gesellschaftliche Verhältnis entzieht, das sich bereits hinter dem einfachsten Wertausdruck verbirgt: die Tauschwert setzende Arbeit. »Der Körper der Ware, die zum Äquivalent dient, gilt stets als Verkörperung abstrakt menschlicher Arbeit und ist stets das Produkt einer bestimmten nützlichen, konkreten Arbeit. Diese konkrete Arbeit wird also zum Ausdruck abstrakt menschlicher Arbeit« (ebd). Dagegen M.Heinrich, der fortfährt (S.49), nachdem er den Tausch zur Schöpfungsinstanz abstrakter Arbeit erklärt hat: »Dann kann sich abstrakte Arbeit aber auch nicht einfach durch Arbeitsstunden messen lassen. Jede mit der Uhr gemessene Arbeitsstunde ist eine Stunde einer ganz bestimmten konkreten Arbeit, verausgabt von einem bestimmten Individuum (...) Abstrakte Arbeit kann dagegen überhaupt nicht 'verausgabt' werden.« Unverständig das Ausspielen der Begriffe qua Begriff - »abstrakt« und »konkret« - gegeneinander. Der Rückschluss aus den Realisationsbedingungen des Werts auf dessen Existenz lässt den Wert zur Schimäre werden. Heinrich spricht in diesem Zusammenhang von »Reduktionen«.
Entgegen seiner Behauptung hat auch die Reduktion komplizierter Arbeit auf einfache zur Bestimmung der Wertgröße nichts mit dem Tausch zu tun. (»In welchem Ausmaß eine bestimmte Menge komplizierter Arbeit mehr Wert bildet als dieselbe Menge einfacher Arbeit, wird auch wieder erst im Tausch sichtbar.« S.50)
An anderer Stelle wird der Tausch als Vermittler beschworen: »Der Tausch produziert nicht etwa den Wert, er vermittelt vielmehr dieses Verhältnis« (»der individuellen Arbeit des Produzenten«) »zur gesellschaftlichen Gesamtarbeit.«(53) Es bleibt bei solchen Formulierungen über das Beziehungsverhältnis von Arbeit und Wert nur so viel zurück, dass das eine etwas mit dem anderen zu tun hat. Würde das Fazit lauten: der Wert ist vom Himmel herabgefallen, um sich im Tausch zu inkarnieren, so wäre nur die Mühe erspart, gegen Marx mit Marx bzw. Marx-Zitaten zu argumentieren.
Dabei geht es nicht ohne Gewaltsamkeit ab. »Erst innerhalb ihres Austauschs erhalten die Arbeitsprodukte eine von ihrer sinnlich verschiednen Gebrauchsgegenständlichkeit getrennte, gesellschaftlich gleiche Wertgegenständlichkeit.« (MEW23,S.87) Aus der gesellschaftlich gleichen Wertgegenständlichkeit ist im Zitat bei M.Heinrich die »gesellschaftliche Wertgegenständlichkeit« geworden. Eliminiert ist dadurch das von Marx intendierte identische Moment, die Tauschwert setzende Arbeit, die die Ware erst zur Ware als ein »von ihrer sinnlich verschiednen Gebrauchsgegenständlichkeit« Unterschiedenes macht. M.Heinrich vermengt, Konfusion stiftend, Produktions- und Zirkulationssphäre des Werts. »Allerdings verdankt sich bereits die Frage, ob Wert und Wertgröße in der Produktions- oder der Zirkulationssphäre (...) bestimmt werden, einer fatalen Verkürzung. Der Wert 'entsteht' nicht irgendwo und ist dann 'da' (...) Das gesellschaftliche Verhältnis, das sich in Wert und Wertgröße ausdrückt, konstituiert sich gerade in Produktion und Zirkulation (...) Die Wertgröße ist zwar vor dem Tausch noch nicht bestimmt, sie entsteht aber auch nicht zufällig im Tausch (...) Die Wertgröße ist (...) ein Verhältnis zwischen der individuellen Arbeit des Produzenten und der gesellschaftlichen Gesamtarbeit.« (53)
Die Wertgröße einer Ware ist bestimmt durch ihre Wertbestandteile c, v und m (konstantes Kapital, Arbeitslohn und Mehrwert). Vom Wertbestandteil m gilt, dass er von keinem Äquivalententausch abkünftig ist, dem unterscheidenden Bestimmungsmerkmal von Zirkulations- und Produktionssphäre. Das gleiche gilt für den Arbeitslohn, den Preis für die Ware Arbeitskraft, der vor Arbeitsaufnahme ausgehandelt und im Arbeitsvertrag fixiert wird. Die Konfusion, die M.Heinrich stiftet, geht entgegen erklärter Absicht und Beteuerung von der Fiktion einer Gesellschaft kleiner Warenproduzenten im Besitz ihrer respektiven Produktionsmittel aus. Aber auch dafür gälte, wie fiktiv die Voraussetzung immer, dass Wertbildung und Wertrealisierung nicht zusammenfallen; dass mit Marx an der Unterscheidung von Produktion und Zirkulation als Polen festzuhalten ist, die sich zu keinem Mittleren ausgleichen oder vermitteln. Der einzige Punkt, an dem sich in der begrifflichen Entwicklung von Marx Produktions- und Zirkulationssphäre berühren, findet sich bei der Bestimmung der Ware Arbeitskraft als der einzigen, die selbst vermögend ist, Gebrauchswert zu schaffen. Unmissverständlich, und nur in diesem Sinne zu verstehen, heisst es im 2. Abschnitt von »Kapital I«, wo von der Verwandlung von Geld in Kapital gehandelt wird: »Kapital kann also nicht aus der Zirkulation entspringen und es kann ebensowenig aus der Zirkulation nicht entspringen. Es muss zugleich in ihr und nicht in ihr entspringen.« (MEW 23,S.180)
»Als Einheit von Arbeitsprozess und Wertbildungsprozess ist der Produktionsprozess Produktionsprozess von Waren; als Einheit von Arbeitsprozess und Verwertungsprozess ist er kapitalistischer Produktionsprozess, kapitalistische Form der Warenproduktion.« (ebd.S.211)
D.h., die gesellschaftliche Gesamtarbeit, von der Heinrich spricht, muss erst einmal existieren – und sie existiert nur durch Verallgemeinerung der warenproduzierenden Arbeit im Kapitalismus -, bevor sich die individuelle Arbeit eines respektiven Warenproduzenten zu ihr in Beziehung setzen kann. Marx argumentiert mit den Begriffen von Warenproduktion und Warentausch und nicht mit dem einer Gesellschaft kleiner Warenproduzenten, die ihre Produkte verallgemeinert als Waren produzieren und tauschen.
Die Etikettierung der Marxschen Werttheorie als monetär verstößt gegen Buchstabe und Sinn der Marxschen Analyse, die der Entwicklung der Geldform die der Wertformen und schliesslich die der allgemeinen Äquivalentform vorausgehen lässt. Dabei ist bei Geldform zunächst überhaupt noch nicht an Münze oder Papiergeld zu denken. »Nomadenvölker entwickeln zuerst die Geldform, weil all ihr Hab und Gut sich in beweglicher, daher unmittelbar veräusserlicher Form befindet (...) In demselben Verhältnis, worin der Warenaustausch seine nur lokalen Bande sprengt, der Warenwert sich daher zur Materiatur menschlicher Arbeit überhaupt ausweitet, geht die Geldform auf Waren über, die von Natur zur gesellschaftlichen Funktion eines allgemeinen Äquivalents taugen, auf die edlen Metalle.« (MEW 23,S.103f.)
Würde die Unterscheidung von monetärer und prämonetärer Werttheorie Sinn machen, so wäre mit Bezug auf Marx von einer prämonetären Werttheorie zu sprechen. »Es ist (...) nur die Kommensurabilität der Waren als vergegenständlichte Arbeitszeit, die das Gold zu Geld macht.«(MEW 13,S.52)
Man braucht sich zu keiner substantialistischen Werttheorie zu bekennen, um mit Marx in der Arbeit die Substanz des Werts zu sehen. Ich zitiere aus einer Passage von »Zur Kritik der politischen Ökonomie«, der Schrift von 1859, auf die auch M.Heinrich in einer Anmerkung S.63 Bezug nimmt. Dort ist von Benjamin Franklin die Rede als dem Mann, der »das Grundgesetz der modernen politischen Ökonomie formulierte. Er erklärt es für nötig, ein andres Maß der Werte als die edeln Metalle zu suchen. Dies sei die Arbeit. (...) Da er aber die im Tauschwert enthaltene Arbeit nicht als die abstrakt allgemeine, aus der allseitigen Entäusserung der individuellen Arbeiten entspringende gesellschaftliche Arbeit entwickelt, verkennt er notwendig Geld als die unmittelbare Existenzform dieser entäusserten Arbeit. Geld und Tauschwert setzende Arbeit stehen ihm daher in keinem innern Zusammenhange ...«(MEW 13,S.41f.)
Unter Substanz des Werts ist aber nichts anderes als diese »aus der allseitigen Entäusserung der individuellen Arbeiten entspringende gesellschaftliche« oder »Tauschwert setzende Arbeit« zu verstehen. M.Heinrich verkehrt den Sinn der Äusserung von Marx auf der Suche nach Belegen, um den Vorrang des Monetären bei der Wertbildung zu behaupten, in ihr Gegenteil. »In ›Zur Kritik der politischen Ökonomie‹ bezeichnet er [Marx] das Geld daher auch als die ›unmittelbare Existenzform‹ der abstrakten Arbeit«; womit er, M.Heinrich, Marx für das in Anspruch nimmt, was dieser gerade an Franklin als Mangel tadelt.
Substanz des Werts ist die Arbeit in ihrer historischen Bestimmtheit; ausserhalb dieser ist sie Reflexionsbestimmung oder »Denkabstraktion«, wie Heinrich sagt; was unbeschadet dessen richtig ist, dass er die Realabstraktion in den Tausch verlegt. Das »Beispiel der Arbeit zeigt schlagend, wie selbst die abstraktesten Kategorien, trotz ihrer Gültigkeit – eben wegen ihrer Abstraktion – für alle Epochen, doch in der Bestimmtheit dieser Abstraktion selbst ebensosehr das Produkt historischer Verhältnisse sind und ihre Vollgültigkeit nur für und innerhalb dieser Verhältnisse besitzen.« (MEW 13,S.636)
Die Verhältnisse, von denen Marx hier spricht, sind die warenproduzierenden kapitalistischen in manufakturell-industrieller Produktion. In der Bestimmung der Arbeit als Substanz des Werts fallen ein historisches und ein allgemeines Bestimmungsmoment zusammen, aber so, dass das allgemeine durch das historische vermittelt ist. »Arbeit scheint eine ganz einfache Kategorie. Auch die Vorstellung derselben in dieser Allgemeinheit – als Arbeit überhaupt - ist uralt. Dennoch, ökonomisch in dieser Einfachheit gefasst, ist ›Arbeit‹ eine ebenso moderne Kategorie wie die Verhältnisse, die diese einfache Abstraktion erzeugen.« (ebd.S.634)
Der Warenwert, von dem Marx sagt, dass er durch Arbeit als »Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im physiologischen Sinn« gebildet wird (MEW 23, S.61), hat Wertproduktion und damit schon Reduktion der Arbeit auf ihr abstraktestes Bestimmungsmoment, Arbeitszeit, zur Voraussetzung. Das naturhafte, physiologische Moment an der Arbeit enthält in sich die Bedingung der Möglichkeit Tauschwert setzender Arbeit. Man verkennt aber die Intention von Marx, wenn man dem Bildungselement Arbeitszeit für den Warenwert, bar aller Qualitäten, eine überhistorische Geltung zuschreibt. Je geringer der Anteil industrieller Arbeit an der gesellschaftlichen Gesamtarbeit, um so obsoleter die Arbeitszeit als quantifizierendes Maß für nicht mehr Quantifizierbares wie die Arbeit des Gesundheits- und des Bildungsarbeiters. Was unter dem Kapitalverwertungsimperativ unmöglich ist, die Proportionierung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit entsprechend Bedarf und Bedürfnis, bleibt einer künftigen, kommunistischen Gesellschaft aufbehalten. Unter kapitalistischen Verhältnissen heisst diese Proportionierung Arbeitslosigkeit für die einen und Arbeitsverdichtung / Arbeitszeitverlängerung nun auch für die im Gesundheits- und Bildungssektor abhängig Beschäftigten.
Juli/August 2005