aus dem Zirkularbrief Nr. 7, Juni 2002

Die KPD und der Antisemitismus -Ein Lehrstück ökonomistischer Kapitalismuskritik  

Bericht von der Veranstaltung am 8.5. mit der Gruppe MAGMA (Bonn)  

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Die Autorengruppe, von der antifaschistischen Arbeit der 1990er geprägt, ging in ihrer Untersuchung »'denn Angriff ist die beste Verteidigung' - Die KPD zwischen Revolution und Faschismus« (Bonn 2001) als historische Materialisten und nicht als Moralisten-post-festum an die zeitgenössischen Quellen heran. Sie taten nicht so, als ob die KPD-AntifaschistInnen damals etwas derartiges wie die Shoah in Ausmaß und »deutscher Gründlichkeit« überhaupt ahnen konnten - selbst wenn sie die NS-Prophezeiungen ernster genommen hätten als sie es im tagtäglichen Nahkampf mit den Todfeinden taten.

Die historische Anstrengung der KPD sollte also keineswegs herabgesetzt werden. Auch kritisiert die HistorikerInnengruppe am vorläufigen Resultat ihrer Forschung selbst, dass die Perspektive from the bottom up, z.B. auch die literarische Verarbeitung durch kommunistische SchriftstellerInnen (wie z.B. den im US-Exil verschollenen Walter Schönstedt) über die engere »Parteiliteratur« hinaus noch kaum einbezogen werden konnte.

Auch die Quellenauswertung auf der Ebene etwa der systematischen Sichtung der gesamten »Rote Fahne«-Jahrgänge betrachten sie als noch höchst lückenhaft, gerade was den Komplex »Antisemitismus und KPD« betrifft: das auch in der Linken bisher am meisten ausgesparte Untersuchungsgebiet! (So war dies auch der erste Vortrag zu diesem Thema, den sie auf ihren bisherigen Darstellungen aus ihrem Buch zu referieren Gelegenheit hatten.)  

Dies vorausgeschickt, konzentrierten sich Darstellung und anschliessende Diskussion auf eine »grausam-gründliche« Kritik: jedenfalls wurde versucht, die Irrungen und Wirrungen der KPD-Propaganda und Agitation sowie der ausgesprochen schmalen Theoriebildungsanstrengung der KPD-Ideologie aus ihrem ökonomistischen, klassen-mechanistischen, basis-überbau-schematischen und nationalismus-opportunistischen Weltbild zu erklären.

Als Fazit konnte herausgearbeitet werden, dass und wie dieses Kapitalismusbild eine gründliche Analyse entlang den Kategorien der Fetischformen von Warenproduktion, Geld, Kapital und Lohnarbeit bis hin zur »trinitarischen Form« (Marx: Kapital III) nie erreicht bzw. allesamt verfehlt und ignoriert hat, weshalb sie den Antisemitismus lediglich als Funktion des Klassenkampfes-von-oben, als eine Taktik »der Großbourgeoisie« - und dies auch noch unter Absehen von der deutschen Eigentümlichkeit und besonderen historischen Gefährlichkeit eines imperialistischen Nachkömmlings, der sich »nach Versailles« eines tiefsitzenden völkischen »nationalen Befreiungskampfes«-Mythos befleissigte, an den die KPD sich sogar noch heranzuschmeissen versuchte - sowie als eine Art von verkapptem »Antikapitalismus« sah, dem die KommunistInnen lediglich in »revolutionärer«, sprich: staats-sozialistischer (stalinistischer) Richtung »weiterzuhelfen« brauchten.

Trotz ein, zwei Büchern von KP-Seite (Hans Günter 1935, Otto Heller 1931, offiziöser Diskussions-Sammelband » 'Der Jud ist schuld ... ?' » 1932 wurden als Belege vorgestellt), die auf sozialhistorischer Ebene streckenweise scharfsichtig argumentierten, wurde aber gerade dort die Einsicht a limine verfehlt, dass der Antisemitismus (besonders in seiner eliminatorisch angelegten deutsch-völkischen Form) mehr als ein Spaltungsmanöver, eine Ablenkungstechnik der Bourgeoisie von sich selber als »parasitärer« Zielscheibe des Klassenkampfes ist: sondern dass er eine Art tiefsitzende, nicht allein bürgerliche und insbesondere »kleinbürgerliche«, sondern im modernen kapitalistischen Lohnarbeits-Subjekt überhaupt, in der »Ware Arbeitskraft« ebenfalls entspringende »Weltanschauung« darstellt: erklärbar und entmystifizierbar aus der kapitalistischen »Religion des Alltagslebens« (Marx, MEW 25,838) heraus.

Anstatt an dieser Analyse anzusetzen und sie für die deutschen Zustände der Zwischenkriegszeit zu konkretisieren, legten die KPD-Ideologen , sehr spät, schliesslich »eine leninistische Stellung zur 'Judenfrage'» vor, die Marx' klassische Kritik an der »Judenfrage«-Stellung umbog in eine Kritik am Zionismus als« ein »Element der Konterrevolution« und Agentur des britischen Imperialismus usw. und »den Untergang des Judentums« einklagte, aber auch die Rezeption der Imperialismustheorie von Hilferding und darauf fußend Lenin selbst verflachte und verengte, wie der Referent es darstellte.

Diese Kritik kann hier nicht weiter zusammengefasst werden, näheres siehe unseren erweiterten Bericht auf der website. Hier soll nur noch erwähnt werden, dass die Darstellung der Antisemitismus-Theorie von Moishe Postone, wie sie die Autoren in kritischer Absicht gegen den ökonomistischen Funktionalismus der KPD-Ideologie ins Feld führen, in unserer Diskussion selber kritisiert wurde als verflachende Version und relativ unverstandene Vorstellung von der kapitalfetischistischen »Kerngestalt« (Marx), der Wert- und Warenform, insbesondere vom Doppelcharakter der Arbeit und von Abstraktion/Konkretion als Kategorie überhaupt - ein positiv-kritischer Einwand, der in die Weiterführung revolutionärer Antisemitismuskritik anhand der Rezeption des M.A.G.M.A. -Projekts einzubringen wäre.  

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