Bericht über Teil 2 des Lektürenachmittags
Wissenschaftlicher Sozialismus, Warenproduktion und Übergangsperiode
Eingangs wurde die Kontroverse des ersten Lektürenachmittags zusammengefasst:
ob die Regelung der ersten Phase kommunistischer Produktion und Verteilung mittels »Anteilsscheinen« für die individuellen Produzent/inn/en bzw. Konsument/inn/en bei Marx »sinnlos«, Rückfall in den von ihm sonst doch kritisierten Proudhonismus wäre oder »nur zur Parallele mit der Warenproduktion«(MEW 23,S.93) gleichsam als Analogie gesetzt werde, »unvermeidbar in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft nach langen Geburtswehen hervorgegangen ist«, weil »hier offenbar dasselbe Prinzip, das den Warenaustausch regelt,« herrscht, aber »unter den veränderten Umständen« der Aufhebung des Klassen-Privateigentums an den Produktionsbedingungen seien«Inhalt und Form verändert«. Damit handele es sich trotz aller formalen ähnlichkeiten in der arbeitszettelartigen Verteilung der Produkte nach der Arbeitsleistung (Arbeitsquanta) nicht um Warenproduktion und Warenaustausch:
»Innerhalb der genossenschaftlichen, auf Gemeingut an den Produktionsmitteln gegründeten Gesellschaft tauschen die Produzenten ihre Produkte nicht aus; ebensowenig erscheint hier die auf Produkte verwandte Arbeit als Wert dieser Produkte, als eine von ihnen besessene sachliche Eigenschaft, da jetzt, im Gegensatz zur kapitalistischenGesellschaft, die individuellen Arbeiten nicht mehr auf einem Umweg, sondern unmittelbar als Bestandteile der Gesamtarbeit existieren.« (MEW 19,S.19-21)
Ebenso stellte sich die politische Übergangsform als eine weitgehende Analogie heraus, was »das Staatswesen in einer kommunistischen Gesellschaft« betrifft: geht es doch bei der notwendigen »revolutionären Diktatur des Proletariats« als Noch-Staat einer politischen Übergangsperiode zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft gerade um die Aufhebung jeder Staatlichkeit und um »die Rücknahme der Staatsgewalt durch die Gesellschaft«, eine Selbstorganisation der Gesellschaft der frei assoziierten Produzent/inn/en, die jede besondere, von ihnen künstlich-monopolistisch-bürokratisch getrennte, abstrakte Gesellschaftsverwaltungsinstanz zerbricht und überflüssig macht wie einen Kropf: »In anderen Worten, welche gesellschaftlichen Funktionen bleiben dort übrig, die jetzigen Staatsfunktionen analog sind? Diese Frage ist nur wissenschaftlich zu beantworten,« so Marx (MEW19,S.28) . Gleichzeitig pointierteEngels sogar, was die sozialistische Vorstellung vom Zukunftsstaat betrifft: »Man sollte das ganze Gerede vom Staat fallenlassen, besonders seit der Kommune, die schon kein Staat im eigentlichen Sinne mehr war. (...) Wir würden daher vorschlagen, überall statt 'Staat' 'Gemeinwesen' zu setzen«(MEW19,S.6f)
Auf Szenarios vom »Zukunftsstaat« liess sich Marx deshalb höchstens einmal polemisch und pragmatisch ein, indem er solche »Regulations«-Modelle realistisch durchspielte, so in seiner letzten ökonomiekritischen Arbeit, den »Randglossen zum Lehrbuch von Adolph Wagner«, einem typischen Staats-Kathedersozialisten (MEW 19,360f). Auch wenn der kapitalistische »geschäftsführende Ausschuss der Bourgeoisie« im Klassenkampf sogar von der Arbeiterbewegung instrumentalisiert werden muss, um etwa gesetzliche Regelungen wie den Normalarbeitstag, das Verbot der Kinderarbeit usw. verbindlich durchzusetzen (MEW 23,320), so doch nur, um das Terrain für die baldigste Zerschlagung, das »Zerbrechen des Schmarotzers Staat« schlechthin zu erobern. Für Marx war die Pariser Kommune als erste konkrete historische Form
der revolutionären Diktatur des Proletariats »nicht eine Revolution gegen diese oder jene (...) Form der Staatsmacht. Die Kommune war eine Revolution gegen den Staat selbst, gegen diese übernatürliche Fehlgeburt derGesellschaft« (MEW 17,541) und hatte den sozialen, ökonomischen Inhalt, »die Befreiung der 'Arbeit'« zu ermöglichen: als Ausbrüten der Bedingungen für kommunistische Produktionsweise, zu denen es damals noch ein langer Weg gewesen wäre. Die politische Herrschaft des Proletariats kann erst - als Werk der Arbeiterklasse selber - die Selbstaufhebung als Proletariat in Gang setzen: »sie schafft das rationelle Zwischenstadium, in welchem dieser Klassenkampf seine verschiedenen Phasen auf rationellste und humanste Weise durchlaufen kann.« (MEW 17,546) Einmal mehr drängte sich uns die historische Erfahrung etwa der chinesischen »Kulturrevolution« auf (MaoZedong: »Weiterführung des Klassenkampfes unter der Diktatur des Proletariats«), wo es im Sinne der »Revolution in Permanenz« erst die Bedingungen für Kommunismus zu schaffen gälte.
Kontrovers diskutierten wir die Frage des »Zwischenstadiums« und der »niederen« und »höheren« Phase von Kommunismus, ja die Orientierung auf eine Zukunftsgesellschaft überhaupt (»Utopie«, »Ideal«): im Unterschied zu einem »organischen« Vergleich der Metamorphose von den Eiern über den Engerling (Kapitalismus) bis zum Schmetterling (Kommunismus) argumentierten andere eher mit dem prozessualen und modalen (d.h. Wirklichkeits-und Möglichkeits-) Charakter von Kommunismus-als-Bewegung der Proletarisierten und als Prozess der Negation des Bestehenden.:
»Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, woran die Wirklichkeit sich zu richten haben wird. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen dieser Bewegung ergeben sich aus der jetzt bestehenden Voraussetzung.« (MEW 3,S.35)
Diese Geschichtsauffassung liess bei Marx auch schon die politische Übergangsperiode zwischen Kapitalismus und Kommunismus als revolutionären Kommunismus selbst erscheinen und nicht erst ein geschichtsteleologisches, geschichtsdeterministisches Ziel: »während dieser doktrinäre Sozialismus, der im Grunde nur die jetzige Gesellschaft idealisiert, (...) sein Ideal gegen ihre Wirklichkeit durchsetzen will; (...) gruppiert sich das Proletariat immer mehr um den revolutionären Sozialismus, um den Kommunismus (...). Dieser Sozialismus ist die Permanenzerklärung der Revolution, die Klassendiktatur des Proletariats als notwendiger Durchgangspunkt zur Abschaffung der Klassenunterschiede überhaupt, zur Abschaffung sämtlicher Produktionsverhältnisse, worauf sie beruhen,« usw (MEW 7,S.89f).
Bei der späteren Konkretisierung dieses »Durchgangspunkts« hin zum »rationellen Stadium« und zur »Periode zwischen ...« den Gesellschaftsformationen hebt dann Marx immer mehr die politischen Formen der Selbstverwaltung (Kommune, lokale Selbstregierungsformen) als elementare gesellschaftliche Organe hervor anstatt - wie verstärkt später Engels - auf die Tendenz zum Staatsmonopol zu setzen.
Relativer Konsens war, dass in weiterer Lektüre diese Passagen genauer im Kontext ihrer historischen Situation gesehen werden sollten und die Transformation der Arbeit im Hinblick auf das revolutionstheoretische Kriterium der »Reife« für kommunistische Produktionsweise«, gerade auch mental-intersubjektiv im Prozess der Radikalisierung, Neuzusammensetzuing und Aufhebungsmöglichkeit der Proletarisierung - vertieft werden muss (etwa ab Marx' »Grundrisse«).
Hat Marx mit dem Modell »Verein freier Menschen« (Das Kapital I, MEW 23, S.92f) bloß eine weitere utopisch-sozialistische Robinsonade vor Augen geführt? »Alle Bestimungen von Robinsons Arbeit wiederholen sich hier, nur gesellschaftlich statt individuell.« Und: »Nur zur Parallele mit der Warenproduktion setzen wir voraus, der Anteil jedes Produzenten an den Lebensmitteln sei bestimmt durch seine Arbeitszeit.« Um die kontroverse Diskussion zusammenzufassen und zu vertiefen über den bereits kommunistisch--gesellschaftlich-transparenten, also nicht mehr warenförmigen Charakter (so die eine Lesart) oder den in Wahrheit bloß lassalleanisch-proudhonistisch-tauschwertvermittelten (so die andere Lesart) Charakter solcher Assoziation freier und selbstbestimmter ProduzentInnen, »die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeiten selbstbewusst als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben«, setzten wir zum Auftakt des zweiten Teils der Lektüren zur »transitorischen Wirtschaft« (MEW 19,359) noch einmal an einer weniger bekannten Ausführung aus »Das Kapital II« an, wo die transitorische Folgerung aus dem so blind-geldvermittelten Umschlag der zirkulierenden Einzelkapitale in der gesellschaftlichen Gesamtzirkulation gezogen wird:
»Denken wir die Gesellschaft nicht kapitalistisch, sondern kommunistisch, so fällt zunächst das Geldkapital ganz fort, also auch die Verkleidungen der Transaktionen, die durch es hereinkommen. Die Sache reduziert sich einfach darauf, dass die Gesellschaft im voraus berechnen muss, wieviel Arbeit, Produktionsmittel und Lebensmittel sie ohne irgendwelchen Abbruch auf Geschäftszweige verwenden kann, die (...) für längere Zeit (...) weder Produktionsmittel noch Lebensmittel noch irgendeinen Nutzeffekt liefern, aber wohl Arbeit, Produktionsmittel und Lebensmittel der jährlichen Gesamtproduktion entziehn. In der kapitalistischen Gesellschaft dagegen, wo der gesellschaftliche Verstand sich immer erst post festum geltend macht, können und müssen so beständig große Störungen eintreten.« (MEW 24,316f)
Und bei seiner Zusammenfassung der Vermittlungsprobleme einer jeden modernen Ökonomie zwischen »Abteilung I« (Produktion von Produktionsmitteln) und »Abteilung II« (Produktion von Konsumtionsmitteln) stellt Marx ausdrücklich eine gesellschaftlich bewusste, kommunistische Reproduktion der Gesamtwirtschaft einer blinden, krisenträchtigen, geldvermittelten, kapitalistischen gegenüber:
»Auf Basis gesellschaftlicher Produktion ist zu bestimmen der Maßstab, worin diese Operationen, die während längerer Zeit Arbeitskraft und Produktionsmittel entziehn, ohne während dieser Zeit ein Produkt als Nutzeffekt zu liefern, ausgeführt werden können, ohne die Produktionszweige zu schädigen, die kontinuierlich oder mehrmals während des Jahrs nicht nur Arbeitskraft und Produktionsmittel entziehn, sondern auch Lebensmittel und Produktionsmittel liefern. Bei gesellschaftlicher ebenso wie bei kapitalistischer Produktion werden nach wie vor die Arbeiter in Geschäftszweigen von kürzeren Arbeitsperioden nur für kürzere Zeit Produkte entziehn, ohne Produkte wieder zu geben; während die Geschäftszweige mit langen Arbeitsperioden für längere Zeit fortwährend entziehn, bevor sie zurückgeben. Dieser Umstand entspringt also aus den sachlichen Bedingungen des entsprechenden Arbeitsprozesses, nicht aus seiner gesellschaftlichen Form. Das Geldkapital fällt bei gesellschaftlicher Produktion fort. Die Gesellschaft verteilt Arbeitskraft und Produktionsmittel in die verschiedenen Geschäftszweige. Die Produzenten mögen meinetwegen papierene Anweisungen erhalten, wofür sie den gesellschaftlichen Konsumtionsvorräten ein ihrer Arbeitszeit entsprechendes Quantum entziehn. Diese Anweisungen sind kein Geld. Sie zirkulieren nicht.« (MEW 24,358)
Dementsprechend sind solche »Arbeitszettel« auch kein Lohn. Denn in der hier vorausgesetzten gänzlich gesellschaftlichen, d.h. vorab nach bewusstem Plan geregelten und damit kommunistischen Produktion und Verteilung (wirtschaftend wie ein Gesamt-Robinson) ist die Arbeitskraft keine Ware mehr. Eine dies beim Wort nehmende Auffassung würde den Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus also weder proudhonistisch (als warenproduzierende kleine Robinsons/Konkurrenten plus »Arbeitsbank«/Monopol) noch lassalleanisch (staats- bzw. »marktwirtschaftssozialistisch«) vorstellen.
Die kontroverse Auffassung stellt nun den Sinn einer solchen Marxschen Bestimmung von »Anteilsscheinen« oder »Arbeitszetteln« oder »papierenen Anweisungen« (vgl.MEW 19,S.20) überhaupt in Frage: wozu bemüht Marx für diese erste Form gesellschaftlicher Planung denn noch solche Messung individueller Arbeitsquanta, wo er sie doch zugleich radikal relativiert - »nur zur Parallele mit der Warenproduktion« (MEW 23,S.93) voraussetzen will? Handelt es sich nurmehr um ein »technisches« Problem? Worin besteht die »Notwendigkeit« dieses«Muttermals der alten Gesellschaft« (MEW 19,S.20), und liegt sie nicht eher in der historischen Unentwickeltheit der Produktivkräfte zu Marxens Zeit bemessen vom heutigen Stand der Reichtumsproduktion , Kooperation und Technologie (Produktivkraft Wissenschaft ...) ? Wie stellt sich demgegenüber eine kommunistische gesamtgesellschaftliche Arbeitszeitrechnung aktuell dar, ja ist in der heutigen »überflussgesellschaft« nicht überhaupt »diese ganze Planerei« überflüssig? So die Fragen der TeilnehmerInnen.
Damit kamen wir erneut auf das zurück, was Marx »Naturgesetze«, »Naturprozess« der gesellschaftlichen Entwicklung zu nennen pflegt (z.B. im Brief an Kugelmann 11.7.1868) -- auch dies wieder eine Analogie! Der Wert, die Wert- und Warenform ist demzufolge kein »falsches Denken«, nicht bloße »Götzenanbetung« und »Fetischdienerei« verblendeter Subjektivität (wie es heute modische »fundamentale Wertkritik« und Wertmetaphysik von Teilen der Linken will), auch keine bloßen »Begriffe« wie bei den Professoren der Politischen Ökonomie, sondern sie drücken .vielmehr objektive historische Kategorien des gesellschaftlichen Seins aus. Dies stellt Marx in seinem letzten Wort zur Wert- und Staats-, übrigens auch Sprach-Theorie, den (wahrscheinlich kurz vor seinem Tod 1883 geschriebenen) »Randglossen zum Adolph-Wagner-Lehrbuch«, ein für allemal klar:
»Wert. Nach Herrn Wagner ist die Werttheorie von Marx 'der Eckstein seines sozialistischen Systems'. Da ich niemals ein 'sozialistisches System' aufgestellt habe, so dies eine Phantasie (...)« (MEW 19,357)
»und derselbe Wagner rangiert mich unter die Leute, nach denen der 'Gebrauchswert' ganz 'aus der Wissenschaft' 'entfernt' werden soll. Alles das sind 'Faseleien'. De prime abord (zu allererst einmal) gehe ich nicht aus von 'Begriffen', also auch nicht vom 'Wertbegriff', und habe diesen daher auch in keiner Weise 'einzuteilen'.
Wovon ich ausgehe, ist die einfachste gesellschaftliche Form, worin sich das Arbeitsprodukt in der jetzigen Gesellschaft darstellt, und dies ist die 'Ware'. Sie analysiere ich, und zwar zunächst in der Form, worin sie erscheint. Hier finde ich nun, dass sie einerseits in ihrer Naturalform ein Gebrauchsding alias Gebrauchswert ist,, andererseits Träger von Tauschwert und unter diesem Gesichtspunkt selbst 'Tauschwert'.
Weitere Analyse des letzteren zeigt mir, dass der Tauschwert nur eine 'Erscheinungsform', selbständige Darstellungsweise des in der Ware enthaltenen Werts ist, und dann gehe ich an die Analyse des letzteren. (...vgl.MEW 23,S.75) Ich teile also nicht den Wert in Gebrauchswert und Tauschwert als Gegensätze, worin sich das Abstrakte, 'der Wert', spaltet, sondern die konkrete gesellschaftliche Gestalt des Arbeitsprodukts; 'Ware' ist einerseits Gebrauchswert und andererseits 'Wert', nicht Tauschwert, da die bloße Erscheinungsform nicht ihr eigener Inhalt ist. (...) Andererseits hat der Dunkelmann übersehn, dass schon in der Analyse der Ware bei mir nicht stehengeblieben wird bei der Doppelweise, worin sie sich darstellt, sondern gleich weiter dazu fortgegangen wird, dass in diesem Doppelsein der Ware sich darstellt zwiefacher Charakter der Arbeit, deren Produkt sie ist: der nützlichen Arbeit, d.h. den konkreten Modi der Arbeiten, die Gebrauchswerte schaffen, und der abstrakten Arbeit, der Arbeit als Verausgabung der Arbeitskraft, gleichgültig in welcher 'nützlichen' Weise sie verausgabt werde (worauf später die Darstellung des Produktionsprozesses beruht); dass in der Entwicklung der Wertform der Ware, in letzter Instanz ihrer Geldform, also des Geldes, der Wert einer Ware sich darstellt im Gebrauch einer anderen, d.h. in der Naturalform der anderen Ware; dass der Mehrwert selbst abgeleitet wird aus einem 'spezifischen' und ihr exklusive zukommenden Gebrauchswert der Arbeitskraft, etc etc, dass also bei mir der Gebrauchswert eine ganz anders wichtige Rolle spielt als in der bisherigen Ökonomie, dass er aber wohlbemerkt immer nur in Betracht kommt, wo solche Betrachtung aus der Analyse gegebener ökonomischer Gestaltungen entspringt, nicht aus Hin- und Herräsonieren über die Begriffe 'Gebrauchswert' und 'Wert'. Deswegen werden bei Analyse der Ware auch nicht bei Gelegenheit ihres 'Gebrauchswerts' sofort Definitionen des 'Kapitals' angeknüpft, die ja reiner Unsinn sein müssen, solange wir erst bei Analyse der Elemente der Ware stehn.« (MEW 19,368-71)
»Unter 'Arbeit' unterscheidet der Herr Wagner nicht zwischen dem konkreten Charakter jeder Arbeit und der allen diesen konkreten Arbeitsarten gemeinschaftlichen Verausgabung von Arbeitskraft.«(MEW 19,355)
»Ferner. Wonach Marx 'findet die gemeinsame gesellschaftliche Substanz des von ihm allein hier gemeinten Tauschwerts in der Arbeit (...)' Ich spreche nirgendwo von 'der gemeinsamen gesellschaftlichen Substanz des Tauschwerts', sage vielmehr, dass die Tauschwerte (Tauschwert ohne wenigstens deren 2 existiert nicht) etwas ihnen Gemeinsames darstellen, was 'von ihren Gebrauchswerten' (d.h. hier: ihrer Naturalform) ganz unabhängig, nämlich den 'Wert'. So heisst es ( in »Das Kapital »I, MEW 23,S.53): ' Das Gemeinsame, was sich im Austauschverhältnis oder Tauschwert der Waren darstellt, ist also ihr Wert. Der Fortgang der Untersuchung wird uns zurückführen zum Tauschwert als der notwendigen Erscheinungsform des Werts, welcher zunächst jedoch unabhängig von dieser Form zu betrachten ist.' Ich sage also nicht, 'die gemeinsame gesellschaftliche Substanz des Tauschwerts' sei die 'Arbeit'; und da ich weitläufig in besonderem Abschnitt die Wertform, d.h. die Entwicklung des Tauschwerts, behandle, so wäre es sonderbar, diese 'Form' auf 'gemeinsame gesellschaftliche Substanz' die Arbeit, zu reduzieren. Auch vergisst Herr Wagner, dass weder 'der Wert' noch 'der Tauschwert' bei mir Subjekte sind, sondern die Ware.« (MEW 19,3357f)
Die Professorenkonfusion, dieses Geschäft des damals an den preussisch-deutschen Universitäten mit Macht einsetzenden marxtöterischen theoretischen Staatssozialismus, den »kathedersozialistischen Charakter dieser Dunkelmänner« greift Marx hier an der Kritik des »Kapital« von Rodbertus an, indem er dessen schulemachenden undialektischen Dualismus von »Logischem« vs. »Historischem«, von Subjektivem vs. Objektivem und von Inhalt und Form noch einmal grundlegend mit der wissenschaftlichen Dialektik von Erscheinung(sform) und Wesen, von Substanz und Akzidens, mit dem Fetischcharakter der Wert- und Warenform und mit dem allen menschlichen Gesellschaften gemeinsamen Inhalt des Wertes (d.h. der »Wert«-Form, der Form »Wert«, des Werts als Form eines gesellschaftlichen Inhalts) selber aushebelt, kurz: mit dem Doppelcharakter der Arbeit und mit der historisch-materialistischen Arbeitskategorie:
»Wer stellt in 'logischen Gegensatz'? Herr Rodbertus, für den 'Gebrauchswert' und 'Tauschwert' beides von Natur bloße 'Begriffe' sind. In der Tat begeht in jedem Preiskurant jede einzelne Ware diesen unlogischen Prozess, sich als Gut, Gebrauchswert, als Baumwolle, Garn, Eisen, Korn etc. von der anderen zu unterscheiden, von den anderen in jeder Hinsicht qualitativ verschiedenes 'Gut' darzustellen, aber zugleich ihren Preis als qualitativ Dasselbe, aber quantitativ Verschiedenes desselbigen Wesens. Sie präsentiert sich in ihrer Naturalform für den, der sie braucht, und in der davon durchaus verschiedenen, ihr mit allen anderen Waren 'gemeinschaftlichen' Wertform sowie als Tauschwert. Es handelt sich hier um einen 'logischen' Gegensatz nur bei Rodbertus und den ihm verwandten deutschen Professoralschulmeistern, die vom 'Begriff' Wert, nicht von dem 'sozialen Ding', der 'Ware' ausgehen und diesen Begriff sich in sich selbst spalten (verdoppeln) lassen und sich dann darüber streiten, wer von beiden Hirngespinsten der wahre Jakob ist! (...)
Die ganze Flachheit des Rodbertus tritt aber in seinem Gegensatz von 'logischem' und 'historischem' Begriff hervor! Er fasst den Wert (den ökonomischen, im Gegensatz zum Gebrauchswert der Ware) nur in seiner Erscheinungsform, dem Tauschwert, und da dieser nur auftritt, wo wenigstens irgendein Teil der Arbeitsprodukte, die Gebrauchsgegenstände, als 'Waren' funktionieren, dies aber nicht von Anfang an, sondern erst in einer gewissen gesellschaftlichen Entwicklungsperiode, also auf einer bestimmten Stufe historischer Entwicklung geschieht, so ist der Tauschwert ein 'historischer' Begriff.
Hätte Rodbertus nun (...) weiter den Tauschwert der Waren analysiert, - denn dieser existiert bloß, wo Ware im Plural vorkommt, (als) verschiedene Warensorten - , so fand er den 'Wert' hinter dieser Erscheinungsform. Hätte er weiter den Wert untersucht, so hätte er weiter gefunden, dass hierin das Ding, der 'Gebrauchswert', als bloße Vergegenständlichung menschlicher Arbeit, als Verausgabung gleicher menschlicher Arbeitskraft gilt und daher dieser Inhalt als gegenständlicher Charakter der Sache dargestellt ist, als der ihr selbst sachlich zukommt, obgleich diese Gegenständlichkeit in ihrer Naturalform nicht erscheint (was aber eine besondere Wertform nötig macht). Er würde also gefunden haben, dass der 'Wert' der Ware nur in einer historisch entwickelten Form ausdrückt, was in allen anderen historischen Gesellschaftsformen ebenfalls existiert, wenn auch in anderer Form, nämlich gesellschaftlicher Charakter der Arbeit, sofern sie als Verausgabung 'gesellschaftlicher' Arbeitskraft existiert. Ist 'der Wert' der Ware so nur eine bestimmte historische Form von etwas, was in allen Gesellschaftsformen existiert, so aber auch der 'gesellschaftliche Gebrauchswert' wie er den 'Gebrauchswert' der Ware charakterisiert. Herr Rodbertus hat das Maß der Wertgröße von Ricardo, aber ebensowenig wie Ricardo die Substanz des Werts selbst erforscht oder begriffen; z.B. der 'gemeinsame' Charakter des Arbeitsprozesses im primitiven Gemeinwesen als Gemeinorganismus der zusammengehörigen Arbeitskräfte und daher der ihrer Arbeit, d.h. Verausgabung dieser Kräfte.« (MEW 19, 374ff)
Diesen gesellschaftlichen Charakter aller historischen Arbeit, der keineswegs von Ewigkeit zu Ewigkeit in der Form allgemeiner Warenproduktion, vermittelt über Geld, Kapital und Staat auftreten muss, wie die bürgerlichen Ideologen behaupten, führt Marx nun gerade dort ins Feld, wo ein Adolph Wagner ihm die Beweislast für die Möglichkeit einer kommunistischen Produktion und Verteilung zuschieben will:
»'eine Beweisführung (...), welche bisher fehlt, nämlich, dass der Produktionsprozess ganz ohne Vermittlung der Kapital bildenden und verwendenden Tätigkeit von Privatkapitalisten möglich sei'(...)
Statt mir solche Zukunftsbeweise aufzubürden, hätte umgekehrt Herr Wagner erst nachweisen müssen, dass ein gesellschaftlicher Produktionsprozess, vom Produktionsprozess überhaupt gar nicht zu sprechen, in den sehr zahlreichen Gemeinwesen nicht existierte, die vor der Erscheinung von Privatkapitalisten existierten (altindische Gemeinde, südslawische Familiengemeinde etc.). Ausserdem konnte Wagner nur sagen: die Exploitation der Arbeiterklasse durch die Kapitalistenklasse, kurz, der Charakter der kapitalistischen Produktion, wie Marx ihn darstellt, ist richtig, aber er irrt sich darin, dass er diese Wirtschaft als transitorisch betrachtet, während Aristoteles sich umgekehrt darin irrte, dass er die Sklavenwirtschaft als nicht transitorisch betrachtete.« (MEW 19,359)
Es geht also um die Übergangsperiode zwischen kapitalistischer und kommunistischer Gesellschaft (transitorisch: aus latein. »transitorius = mit einem Durchgang versehen; zum Durchgehen geeignet«, übertragen: »vorübergehend«; Transit: »Durchfahrt, Durchreise« aus latein. »transitus«, Abstraktum von »transire=hinübergehen« -- Kluge, Etymologisches Wörterbuch 1999).
Marx, der sich in seinen letzten Lebensjahren intensiv mit der damals entstehenden Ethnologie und Anthropologie beschäftigt hat (siehe dazu Lawrence Krader: Die ethnologischen Exzerpthefte von Karl Marx; sowie Lawrence Krader: Ethnologie und Anthropologie bei Marx. Frankfurt a. M. 1976), weist erstens auf die historische und ethnologische Tatsache gesellschaftlicher Produktionsformen ohne allgemeine und basale Wert- und Warenform, ohne Geld als den universellen Vermittler der Gesellschaftlichkeit und ohne privates Klasseneigentum an den Produktionsmitteln, also ohne Kapital und Kapitalisten, hin. Der Professor hat somit erstmal die schwerfallende »Beweis«last, die historische »Notwendigkeit« von kapitalistischer Produktion »wissenschaftlich« zu apologetisieren.
Zweitens weist Marx lediglich auf den Übergangscharakter der kapitalistischen Produktionsformation selber hin: erstmals historisch Produktion um der Produktion willen zu sein und zugleich als auf dem Tauschwert beruhende Produktionsweise ihre innere Schranke, Widersprüchlichkeit immer verschärfter zu setzen, über die sie selbst hinausdrängt (z.B. »Grundrisse...«S.438ff: »Die universelle Tendenz des Kapitals erscheint hier, die es von allen früheren Produktionsstufen unterscheidet. Obgleich seiner Natur nach selbst borniert, strebt es nach universeller Entwicklung der Produktivkräfte und wird so die Voraussetzung neuer Produktionsweise, die gegründet ist nicht auf die Entwicklung der Produktivkräfte, um einen bestimmten Zustand zu reproduzieren und höchstens auszuweiten, sondern wo die freie, ungehemmte, progressive und universelle Entwicklung der Produktivkräfte selbst die Voraussetzung der Gesellschaft und daher ihrer Reproduktion bildet; wo die einzige Voraussetzung das Hinausgehn über den Ausgangspunkt.
Diese Tendenz - die das Kapital hat, aber die zugleich ihm selbst als einer bornierten Produktionsform widerspricht und es daher zu seiner Auflösung treibt - unterscheidet das Kapital von allen früheren Produktionsweisen und enthält zugleich das in sich, dass es als bloßer Übergangspunkt gesetzt ist. Alle bisherigen Gesellschaftsformen gingen unter an der Entwicklung des Reichtums - oder, was dasselbe ist, der gesellschaftlichen Produktivkräfte. Bei den Alten, die das Bewusstsein hatten (vgl. Marxens Aristoteles-Bezug oben! - Anmerkung P.Chr.) wird der Reichtum daher direkt als Auflösung des Gemeinwesens denunziert. (...) Das Kapital setzt die Produktion des Reichtums selbst und daher die universelle Entwicklung der Produktivkräfte, die beständige Umwälzung seiner vorhandenen Vvoraussetzungen, als Voraussetzung seiner Reproduktion.
Der Wert schliesst keinen Gebrauchswert aus; also keine besondere Art der Konsumtion, des Verkehr etc. als absolute als absolute Bedingung ein; und ebenso erscheint ihm jeder Grad der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte, des Verkehrs, des Wissens etc. nur als Schranke, die es zu überwältigen strebt. Seine Voraussetzung selbst - der Wert - ist gesetzt als Produkt, nicht als über der Produktion schwebende, höhere Voraussetzung. Die Schranke des Kapitals ist, dass diese ganze Entwicklung gegensätzlich vor sich geht und das Herausarbeiten der Produktivkräfte, des allgemeinen Reichtums etc., Wissens etc. so erscheint, dass das arbeitende Individuum selbst sich entäussert (hier i.S.v. »entfremdet«, wie bei Hegel -- Anmerkung P.Chr.), zu den aus ihm herausgearbeiteten nicht als den Bedingungen seines eigenen, sondern fremden Reichtums und seiner eigenen Armut sich verhält. Diese gegensätzliche Form selbst aber ist verschwindend und produziert die realen Bedingungen ihrer eigenen Aufhebung.« Vgl. auch besonders S. 587ff, 592-97).
Damit fordert Marx von dem »wissenschaftlichen« Apologeten den doppelten Nachweis zurück, dass erstens die kapitalistische Form die historisch einzige existierende und logisch einzig mögliche Form für den Inhalt gesellschaftlicher Produktion, ja für Produktion schlechthin wäre; dass zweitens beispielsweise aus der antiken Sklaverei sehr wohl eine immanente Möglichkeit des Übergangs zu höheren Vergesellschaftungsformen der Arbeit herauszuentwickeln gewesen wäre - während sie ja tatsächlich stagnierte, schliesslich erst unterm Ansturm von äusseren, fremden Gesellschaftsformen unterlag und zusammenbrach -, wobei letztere dann mit Elementen der untergegangenen Formation eine neuartige Ausbeutungs- und Reproduktionsform der Gesellschaft in Westeuropa hervorbringen konnten.
Drittens aber hätte der Kathedersozialist zu beweisen, dass die kapitalistische Produktionsweise mit ihrem privaten Klasseneigentum die längst durch es hervorgebrachten Widersprüche und Krisen (Grundrisse ...635f) selber in sich auflösen könnte, so dass ein Übergang zu höherer Gesellschaftlichkeit der Produktion, ohne Vermittlung durch Ware, Geld und Produktionsmittelmonopol, welche ja gerade die Verwertungsschranke und Krisenursache sind, sich erübrigen würde.
Dabei ist das Aufschlussreiche an dieser späten , wenig bekannten und noch weniger genutzten Arbeit von Marx gegen den preussisch-deutschen Kathedersozialismus die enge Verklammerung und der rasche Wechsel von ökonomischer und politischer Kritik, von der wirtschaftlichen zur rechtlich-staatlichen Sphäre. Führt sich doch das »Lehrbuch der politischen Ökonomie« Adolph Wagners als »die sozialrechtliche Auffassung« vor:
»Die historisch-rechtlichen sind nach W. die 'sozialen' Kategorien« ! (MEW 19,355)
»Recht: Für die Phantasie des Dunkelmanns über den wirtschaftlich schöpferischen Einfluss des Rechts genügt eine Phrase, obgleich er den darin enthaltenen absurden Widerspruch wieder und wieder auspatscht:
'Die Einzelwirtschaft hat an ihrer Spitze, als Organ der technischen und ökonomischen Tätigkeit in ihr ... eine Person als Rechts- und Wirtschaftssubjekt. Sie ist wieder keine rein wirtschaftliche Erscheinung, sondern zugleich von der Gestaltung des Rechts abhängig. Denn dieses bestimmt darüber, wer als Person gilt, und damit dann, wer an der Spitze einer Wirtschaft stehen kann.' (...)
Bei ihm ist erst das Recht da und dann der Verkehr (Güter- bzw.Warenverkehr - Anmerkung P.Chr.); in der Wirklichkeit geht's umgekehrt zu: erst ist Verkehr da, und dann entwickelt sich daraus eine Rechtsordnung. Ich habe bei der Analyse der Warenzirkulation dargestellt, dass beim entwickelten Tauschhandel die Austauschenden sich stillschweigend als gleiche Personen und Eigentümer der respective von ihnen auszutauschenden Güter anerkennen; sie tun das schon während sie einander ihre Güter anbieten und Handels miteinander einig werden. Dies erst durch und im Austausch selbst entspringende faktische Verhältnis erhält später rechtliche Form im Vertrag etc.; aber diese Form schafft weder ihren Inhalt, den Austausch, noch die in ihr vorhandene Beziehung der Personen untereinander, sondern umgekehrt.« (MEW 19,376f)
Mit dem realen Schein der Freiheit und Gleichheit aller Menschen als WarenbesitzerInnen und BürgerInnen - und seien es allein Besitz und Verkauf der Ware Arbeitskraft durch die proletarisierten StaatsbürgerInnen - in der Sphäre des Austauschs, der Warenzirkulation und der Konsumtionssphäre ist auch die Rechts(gleichheits)illusion und die politische Vorstellung vom Staat als dem vernünftigen Allgemeinen der Gesellschaft verwurzelt: hier entspringen sämtliche Zwangsideen vom Staat als dem großen Vermittler auch der Ökonomie, von »Wirtschaftsdemokratie« und »Regulation« im Sinne des Staatssozialismus (»Staat und Markt als Regulatoren«, schon bei Professor Wagner tauchen sie auf: »die Kosten als entscheidender Regulator« in einem dem Marx unterschobenen »Sozialstaat« als dem Oberregulator, MEW 19,376f), kurz, der Staat als das letzthinnige gesellschaftliche politökonomische Subjekt.
Als wären Warenproduktion und kapitalistische Ausbeutung keine mehr, sobald sie vom Staat, dieser höchst abstrakten und von der wirklichen, produzierenden Gesellschaft getrennten Gesellschaftlichkeitsform, in Regie genommen werden: »Wo der Staat selbst kapitalistischer Produzent,« stellt Marx hierzu lapidar fest, »... ist sein Produkt Ware und besitzt daher den spezifischen Charakter jeder andren Ware.« (MEW 19,370) In der Tat wurde die banale Phrase, dass Recht, Staat und Politik ihrerseits wieder - als Funktionen und Komponenten des gesellschaftlichen »überbaus« - auf die Basis, die Produktionsverhältnisse und Ökonomie der Gesellschaft, der sie entspringen, wirkungsmächtig eingreifend zurückwirken, von den Katheder- und Staatssozialismen aller Couleur das ganze 20.Jahrhundert hindurch so hartnäckig und breit ausgewalzt und »ausgepatscht«, auf den Kopf gestellt und ad absurdum geführt, dass die jakobinische Ur-Illusion der Linken von der Allmacht »der Politik« und der Omnipotenz »der revolutionären Partei«, hat sie erst einmal »die Macht im Staat« und wähnt sich damit repräsentatives gesellschaftliches Subjekt, geradezu zum Synonym für »Kommunismus« oder »realen Sozialismus« geworden zu sein scheint.
So entstand schon zu Marx' Lebzeiten also die Vorstellung vom »Marxschen Sozialstaat«, mit dem sich der Betroffene auf lehrreiche Weise hier noch selbst auseinandersetzen konnte. Bezeichnend ist sogleich die Doppelung, mit der wir es heute noch zu tun haben: auf der einen (der politisch rechten) Seite wird von dem »Marxschen hypothetischen Sozialstaat« gefaselt, der sowohl den angeblichen Marxschen Theorien selbst als auch der angeblich unwandelbar bürgerlich-allgemeinmenschlich beschaffenen Realität »nicht entspricht« - dieser Popanz ist (oder war) dann der unmögliche Kommunismus, die immer wieder zum Scheitern verurteilte blutige Utopie. Auf der anderen (linken) Seite wird derselbe Sozialstaat geradezu gefordert und eingeklagt - seis als Apologie und Nostalgie des »Realsozialismus« mit ach-so-menschlichem Antlitz , »ohne« Erwerbslosigkeit usw. und halt mit dem Stalinismus als mehr oder weniger bedauerlichem Betriebsunfall, seis als endlich zu realisierender »demokratisch-sozialistischer« Zukunftsstaat, Volksstaat mit »sozialem Auftrag« und Interventionsmacht als Bändiger der Monopole und Bankenmacht etc. Auf dieser (politisch linken) Seite konkurrieren radikale Jakobiner (»mit dem Volk«) und »radikale Reformisten« um die »marxistische« Legitimation und politizistische Repräsentation.
Marx lässt sich - wie immer - auf die Unterstellungen ganz konkret ein, holt den jeweiligen Wirklichkeitsgehalt zunächst immanent heraus und stellt sodann die kopfstehenden Vorstellungen und Begrifflichkeiten auf historisch-materialistische Füße. Hier hat er es mit einem Vordenker des Professor Wagner, mit einem Albert Schäffle und seiner »Quintessenz des Sozialismus« (1875) zu tun, der einen »Marxschen hypothetischen Sozialstaat« ausgetüftelt hatte, worin die Versorgung der Bevölkerung mit den nötigen Gebrauchswerten von »einem System von Sozialtaxen« - d.h. einer sozialen Besteuerungsakrobatik - »reguliert werden müsste«. Da aber dadurch das Wertgesetz verletzt werden müsste, könne weder dieser Marxsche Zukunftsstaat funktionieren noch stimme dann die Marxsche Werttheorie! Marx weist die Unterschiebung zurück und spielt sie aber auch konsequent durch:
»So viel Worte, so viel Blödsinn. Erstens habe ich nirgendwo von 'Sozialtaxen' gesprochen und bei der Untersuchung über den Wert mit bürgerlichen Verhältnissen zu tun, nicht aber mit Anwendung dieser Werttheorie auf den nicht einmal durch mich, sondern durch Herrn Schäffle für mich konstruierten 'Sozialstaat'.« Dann zeigt Marx am Beispiel der Kornpreisentwicklung nach einer Missernte - das dieser Schäffle gewählt hatte, um das Versagen von Marxens Werttheorie wie angeblichem Sozialstaat »schlagend nachzuweisen« -, dass die Werttheorie gerade bestätigt würde durch die Preisbewegungen, in denen sich der Wert realisiert, d.h. in denen er erscheint: Freilich würden durch eine Missernte auf dem Kornmarkt Turbulenzen ausgelöst.
«Was hat das mit meiner Theorie des Werts zu schaffen ? (...) Die Wertsumme aller Waren bleibt nicht nur dieselbe, (sondern sie) bleibt sogar dieselbe im Geldausdruck, wenn das Geld mit unter die Waren gerechnet wird. Ferner: Die Preissteigerung des Korns über dessen mit der Missernte gegebene Steigerung seines Werts hinaus wird jedenfalls im 'Sozialstaat' kleiner sein als mit dem heutigen Kornwuchern. Dann aber wird der 'Sozialstaat' von vornherein die Produktion so einrichten, dass die jährliche Getreidezufuhr nur ganz minimal vom Witterungswechsel abhängt, der Umfang der Produktion - die Zufuhr und die Gebrauchsseite darin - wird rationell reguliert. Endlich, was soll die 'Sozialtaxe', gesetzt, Schäffles Phantasien darüber würden realisiert, für oder gegen meine Theorie des Wertes beweisen? Sowenig als die bei Lebensmittelmangel auf Schiff oder in Festung oder während der Französischen Revolution etc. getroffenen Zwangsmaßregeln, die sich nicht um den Wert kümmern; und das Schreckliche für den 'Sozialstaat', die Wertgesetze des 'kapitalistischen, bürgerlichen Staats' zu verletzen, also auch die Werttheorie! Nichts als kindischer Kohl!«(MEW 19,360f)
Während Marx also jede Staatsutopie (»Zukunftsstaat«, Zukunftsgesellschaft«, »Volksstaat«, »Sozialstaat«) als Ersatz für Theorie und Praxis der gesellschaftlichen Aufhebung von Wert- und Warenform , Geld und Kapitalverhältnis brüsk zurückweist, lässt er sich zugleich auf konkrete historische Situationen, ja Modelle ein - wie hier die Jakobinerdiktatur (vgl. MEW1,357) mit ihrer gewaltsamen Hinwegsetzung über Markt- und Wertgesetz , ja er nimmt sogar einen hypothetischen »Sozialstaat« als zukünftige Form des Übergangs und Aufhebungshebel, »Geburtshelfer« beim Wort, dekliniert seine wirklichen Aufgaben und Möglichkeiten durch: dass dieser »von vornherein die Produktion so einrichten« - also planen wird, dass er den Umfang der Produktion, die Proportionierung von gesamtgesellschaftlicher Arbeitszeit, Ressourcen, Produktionsmitteln auf der einen Seite (»die Zufuhr«) und System der Bedürfnisse, gesellschaftlich benötigten und möglichen Gebrauchswerten (»die Gebrauchsseite darin«) auf der anderen (der Planziel-) Seite »rationell reguliert«. Also doch ein »Planstaat«, eine zentrale Regulationsinstanz über der eigentlichen gesellschaftlichen Produktion, gar »eine bürokratische Utopie« ?
Die gleiche - realistische? - Widersprüchlichkeit fanden wir beim Rückgriff auf die Kritik des Gothaer Programms, die Marx 1875 schrieb, deren (entschärfte) Veröffentlichung aber erst 1891 durchgesetzt werden konnte (MEW 19,S.15-32): hier die Kritik an der im allgemeinen bürgerlichen und im besonderen preussisch-deutschen Staatsvorstellung der vereinigten sozialdemokratischen Arbeiterpartei, in welcher der lassalleanische Staatssozialismus sich seine Plattform schuf:
»... das ganze Programm, trotz alles demokratischen Geklingels, ist durch und durch vom Untertanenglauben der Lassalleschen Sekte an den Staat verpestet oder, was nicht besser, vom demokratischen Wunderglauben, oder vielmehr ist es ein Kompromiss zwischen diesen zwei Sorten dem Sozialismus gleich fernen Wunderglauben.« (MEW 19,S.31)
»Seine politischen Forderungen enthalten nichts ausser der aller Welt bekannten demokratischen Litanei (...) Diese Sorte 'Zukunftsstaat' ist heutiger Staat, obgleich ausserhalb 'des Rahmens' des Deutschen Reichs existierend. » (MEW 19,S.29)
Ausserhalb - nämlich damals erst z.B. in der Schweiz und in den USA -, weil das Bismarcksche Reich eben noch nichtmal eine bürgerlich-demokratische Revolution hinter sich hatte, sondern ein besonders reaktionärer Staat, nämlich »nichts anderes als ein mit parlamentarischen Formen verbrämter, mit feudalem Beisatz vermischter und zugleich schon von der Bourgeoisie beeinflusster, bürokratisch gezimmerter, polizeilich gehüteter Militärdespotismus ist«. Diesem Staatswesen wollte das lassalleanische Programm »demokratisch«-staatssozialistisch in den Arsch kriechen, was Marx auch deshalb als verhängnisvoll kritisiert, weil es zugleich der radikaldemokratischen Staatsgläubigkeit, der Illusion von »sozialer Gerechtigkeit durch Verwirklichung der reinen Demokratie« (d.h. der Idee der »sozialen Demokratie« und des »demokratischen Sozialismus«, »Sozialismus = Demokratie« usw.) als pseudosozialistischer , bürgerlicher Politrevolution wiederum Auftrieb geben muss:
»Selbst die vulgäre Demokratie, die in der demokratischen Republik das Tausendjährige Reich sieht und keine Ahnung davon hat, dass gerade in dieser letzten Staatsform der bürgerlichen Gesellschaft der Klassenkampf definitiv auszufechten ist, selbst sie steht noch berghoch über solcherart Demokratentum innerhalb der Grenzen des polizeilich Erlaubten und logisch Unerlaubten.
Dass man (auf seiten der Vereinigten Sozialdemokraten - Anmerkung P.Chr.) in der Tat unter 'Staat' die Regierungsmaschine versteht oder den Staat, soweit er einen durch Teilung der Arbeit von der Gesellschaft besonderten, eigenen Organismus bildet, zeigen schon die Worte: 'Die deutsche Arbeiterpartei verlangt als wirtschaftliche Grundlage des Staats: eine einzige progressive Einkommenssteuer etc.' Die Steuern sind die wirtschafttliche Grundlage der Regierungsmaschinerie und von sonst nichts In dem in der Schweiz existierenden Zukunftsstaat ist diese Forderung ziemlich erfüllt. Einkommenssteuer setzt die verschiedenen Einkommensquellen der verschiedenen gesellschaftlichen Klassen voraus, also die kapitalistische Gesellschaft.« (MEW 19,S.29f)
Durch »gerechte Verteilung« oder Umverteilung mittels Steuersystem (»Sozialtaxen« etc.) wird in keiner Weise »antikapitalistische Politik« gemacht, wie die vereinigten Sozialdemokraten schon damals suggerieren, sondern lediglich die Staatsmaschine geschmiert, geölt, effektiviert und die Regierungsmaschinerie zur Abstumpfung der Klassenkämpfe, für die Besitzstandswahrung der Besitzenden und an dieser Maschine hängenden staatstragenden und privilegierten Revenuebezieher besser einsetzbar gemacht. (»Es ist also nichts Auffälliges, dass die Financial Reformers von Liverpool - Bourgeois mit Gladstone's Bruder an der Spitze - dieselbe Forderung stellen wie das Programm«., bemerkt Marx zu diesem liberal-reformistischen Staatsverhältnis der Staatssozialisten.)
Mit der sozialdemokratischen Staatsauffassung und dem bürgerlichen Materialismus ist untrennbar die Vorstellung vom Verändern der materiellen Umstände der Menschen durch die Erziehung verbunden,
»die vergisst, dass die Umstände von den Menschen verändert und der Erzieher selbst erzogen werden muss. Sie (diese Lehre - Anmerkung P.Chr.) muss daher die Gesellschaft in zwei Teile - von denen der eine über ihr (=der Gesellschaft - Anmerkung P.Chr.) erhaben ist - sondieren.« (MEW 3,S.5f) Diese schon 1845 von Marx formulierte Einsicht (- im selben Notizbuch »1. ad Feuerbach« pointiert Marx : »Die Entstehungsgeschichte des Modernen Staats oder die französische Revolution«. Die Selbstüberhebung des politischen Wesens - Verwechslung mit dem antiken Staat. Verhältnis der Revolutionäre zur bürgerlichen Gesellschaft. Verdoppelung aller Elemente in bürgerliche und Staatswesen.« MEW 2, 537) führt Marx auch dreissig Jahre später gegen die »Volkserziehungs«-Forderung der Sozialdemokraten, die sich inzwischen zur fixen Idee vom Staat als dem Volkserzieher ausgewachsen hat:
»Ganz verwerflich ist eine 'Volkserziehung durch den Staat'. Durch ein allgemeines Gesetz die Mittel der Volksschulen bestimmen, die Qualifizierung des Lehrerpersonals, die Unterrichtszweige etc., und, wie es in den Vereinigten Staaten geschieht, durch Staatsinspektoren die Erfüllung dieser gesetzlichen Vorschriften überwachen ist etwas ganz anderes, als den Staat zum Volkserzieher zu ernennen! Vielmehr sind Regierung und Kirche gleichmäßig von jedem Einfluss auf die Schule auszuschliessen. Im preussisch-deutschen Reich nun gar (und man helfe sich nicht mit der faulen Ausflucht, dass man von einem 'Zukunftsstaat' spricht; wir haben gesehn, welche Bewandtnis es damit hat) bedarf umgekehrt der Staat einer sehr rauhen Erziehung durch das Volk.«(MEW 19,S.30f)
Da sich der Staatssozialismus, Kathedersozialismus, Demokratische Sozialismus , Sozialdemokratismus und allerweltslinke Jakobinismus die Freiheit der gesellschaftlichen Individuen niemals als freie Assoziation selbstbestimmter ProduzentInnen vorstellen können (das gilt ihnen schlicht als »Anarchismus« und »Individualismus«, als vor-gesellschaftlicher Naturzustand, als Barbarei und Chaos schlechthin - oder, »linksradikal« formuliert, gar als »populistisch«), sondern immer nur als Freiheit des Staates , so heisst es auch im demokratischen Teil des Gothaer Programms, man erstrebe »den freien Staat«. Marx kritisiert den Staatsfetischismus dieser Programmatik., die den gerade erst kaum losgewordenen beschränkten Untertanenverstand der deutschen Arbeiter in das beschränkte Demokratentum eines »freien Volksstaats« überführen will:
»Die deutsche Arbeiterpartei (...) zeigt, wie ihr die sozialistischen Ideen nicht einmal hauttief sitzen, indem sie, statt die bestehende Gesellschaft (und das gilt von jeder künftigen ) als Grundlage des bestehenden Staats (oder künftigen, für künftige Gesellschaft) zu behandeln, den Staat vielmehr als ein selbständiges Wesen behandelt, das seine eigenen 'geistigen, sittlichen, freiheitlichen Grundlagen' besitzt.«(MEW 119,S.28)
Während die idealistische Abstraktion »Staat« von Ewigkeit her zu existieren beansprucht und sich von der abstrakten Fiktion »der heutige Staat« in »die Zukunftsgesellschaft« projiziert als »der Zukunftsstaat«, geht die Marxsche Kritik von der konkreten historischen Gesellschaftsbasis aus und leitet von dieser die Funktionen, die Formen und Veränderungen, ja Vergänglichkeit des jeweiligen Staatswesens ab. Es bleibt, historisch-materialistisch begriffen, das Staatswesen als eine notwendige vernünftige Abstraktion für moderne Gesellschaften, eine Kategorie also, die keineswegs Ewigkeitswert besitzt und im Gegenteil ein wissenschaftliches Problem ausdrückt, und zwar ein transitorisches - das Problem von Revolution und Übergang:
» 'Der heutige Staat' ist also eine Fiktion. Jedoch haben die verschiedenen Staaten der verschiedenen Kulturländer, trotz ihrer bunten Formverschiedenheit, alle das gemeinsam, dass sie auf dem Boden der modernen bürgerlichen Gesellschaft stehn, nur einer mehr oder minder kapitalistisch entwickelten. Sie haben daher auch gewisse wesentliche Charaktere gemein. In diesem Sinn kann man von 'heutigem Staatswesen' sprechen, im Gegensatz zur Zukunft, worin seine jetzige Wurzel, die bürgerliche Gesellschaft, abgestorben ist.
Es fragt sich dann: Welche Umwandlung wird das Staatswesen in einer kommunistischen Gesellschaft untergehn (=eins-zu-eins-Verdeutschung von englisch: »to undergo = durchmachen, durchlaufen, sich unterziehen, erdulden, erleiden« - Anmerkung P.Chr.) ? In anderen Worten, welche gesellschaftlichen Funktionen bleiben dort übrig, die jetzigen Staatsfunktionen analog sind? Diese Frage ist nur wissenschaftlich zu beantworten, und man kommt dem Problem durch tausendfache Zusammensetzung des Wortes Volk mit dem Wort Staat auch nicht um einen Flohsprung näher.
Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andere. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts anderes sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.
Das (vorliegende sozialdemokratische - Anmerkung P.Chr.) Programm nun hat es weder mit letzterer zu tun noch mit dem zukünftigen Staatswesen der kommunistischen Gesellschaft« (MEW 19,S.28) (Unterstreichung von mir - P.Chr.)
Während also der Staatsfetischismus weder die realen Probleme der proletarischen Revolution im Übergang zur kommunistischen Gesellschaft beantwortet und erst recht nicht die dringlichen Fragen danach, wie eine kommunistische Produktion und Verteilung zukünftig funktionieren kann -- denn für jeden Staatssozialismus erübrigen sich ja diese konkreten Fragen allemal durch die überaus beruhigende und bequeme abstrakte Auskunft: Der sozialistische (proletarische oder Volks-)Staat der Zukunft wird's schon richten (fürs Proletariat oder »ganze Volk«) - , wirft dagegen der wissenschaftliche Kommunismus von Marx bewusst die konkrete Problematik auf, dass erstens Staat und »Volk« bzw. Gesellschaft bzw. revolutionäres Proletariat nicht einfach identisch sind, sondern höchst widersprüchlich, eben weil der Staat wesentlich abstrakte und von der Gesellschaft getrennte gesellschaftliche Allgemeinheit und zugleich Sonderinteresse, Sonderapparat einer gesellschaftlichen Klasse und ihrer Herrschaft über die in Klassen gespaltene Gesellschaft verkörpert; zweitens, dass das Staatswesen auch in dieser Besonderheit gegenüber der Gesellschaft noch gesellschaftliche Funktionen an sich gerissen und in sich monopolisiert hat, die zugleich Funktionen des Gemeinwesens, d.h. der Gesellschaft und ihrer notwendigen Reproduktion selber sind, woraus sich die konkrete Frage für eine kommunistische=bewusst-direkt-gesellschaftliche Reproduktion ergibt, welche ehemals besonderen, staatlichen Aufgaben von der Gesellschaft selbst, von den arbeitenden Gesellschaftsindividuen selbst in ihrer freien Assoziation übernommen und in unmittelbar gesellschaftliche »Verwaltung von Sachen und Leitung von Produktionsprozessen« umgewandelt werden sollen und können.
Das Nichtidentische, den entscheidenden Unterschied, ja Gegensatz zur Staatlichkeit bezeichnet Marx bei diesen »übrigbleibenden« Aufgaben des kommunistischen Gemeinwesens als bloße Analogie! Auch sind es keine Apparate, ist es keine bürokratische Maschinerie wie beim modernen Staatswesen mehr, die solche gesellschaftlichen Aufgaben übernehmen, sondern lediglich gesellschaftliche Funktionen, die Marx analog den heutigen, staatlichen der bürgerlichen Gesellschaft als notwendig voraussetzt ( So wurde in unserer Diskussion aufs Beispiel Erziehungswesen hingewiesen). Dabei ist bemerkenswert, dass Marx die Umwandlung des Staatswesens -- zweifellos eben nicht in ein »neues«, perennierendes »Staats«-, sondern in ein Gemeinwesen, in direkte, kommunistische Gesellschaftlichkeit - sogar noch in der kommunistischen Gesellschaft selbst verortet, also nicht schon in der Übergangsperiode zwischen kapitalistischer und kommunistischer Gesellschaft abgeschlossen sieht! Zweifellos handelt es sich dabei um jene erste, niedere Phase der kommunistischen Gesellschaft, welche Marx im ersten Teil der Programmkritik periodisiert als »eine kommunistische Gesellschaft, (...) wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht, also (...) noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt.« (MEW 19,S.20)
Bei »dem zukünftigen Staatswesen der kommunistischen Gesellschaft«, von dem Marx hier - und sonst nie vorher oder nachher! - gesprochen hat, scheint es sich demzufolge um ein solches »Muttermal« zu handeln. Ohnehin -- noch einmal sei dies betont: -- ist »das Staatswesen in einer kommunistischen Gesellschaft«, d.h. in ihrer allerersten, allerniedrigsten Phase, eine bloße Analogie. Und die Umwandlung, die diese Staatsfunktionen dort in analoge Funktionen des Gemeinwesens selbst, der kommunistischen Gesellschaft selbst »erleiden, durchmachen«= »undergo«, ist in der Tat dann ein endgültiges historisches »Untergehn«.
Irritierend war bei der Lektüre schliesslich weniger diese Marxsche Rede vom »zukünftigen Staatswesen der kommunistischen Gesellschaft« - mit welcher Formel er sich offensichtlich ebenso konkret und gut-pragmatisch auf die Sprachregelung, die nun einmal das zu kritisierende Gothaer Programm und sein Parteikosmos vorgab, einliess, wie er sich in den 1880ern ja dann auch kurz auf die Formulierung vom »Marxschen Sozialstaat« einlässt, um ihn wie wir oben gesehen haben zu zerfetzen! --, sondern irritierend ist dann die differentia spezifica von »kommunistischer Gesellschaft niedere Phase, mit allen Muttermalen« einerseits und »politische Übergangsperiode zwischen kapitalistischer und kommunistischer Gesellschaft = revolutionäre Diktatur des Proletariats« andererseits. Denn offensichtlich ist zwischen ihnen ebensowenig eine klare Zäsur und Abgrenzung möglich wie zwischen den beiden historischen Gesellschaftsformationen Kapitalismus und Kommunismus selbst, obwohl der Unterschied ums Ganze fundamental und epochal ist -- aber eben ein Übergang!
Die eindeutigste »Lösung« sorgte in der Diskussion für Streit: das »zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft« mit dem »revolutionären« Charakter der Diktatur des Proletariats zu einer Art Definition zu verklammern, die auf dem politischen Interregnum gewissermaßen beharrt, schien den meisten in einer Art selbständigen »Übergangsgesellschaft« zwischen den beiden Formationen steckenzubleiben, die nicht Fleisch, nicht Fisch ist und den revolutionären Grundcharakter eher abstrakt beschwört als in dem Aufweis kommunistischer Vergesellschaftung konkretisiert. Die Dialektik im Aufzeigen des historischen Werdens sorgt eben bei Marx immer wieder dafür, dass von ihm keine Eindeutigkeit im scholastisch-definitorischen Sinne zu haben ist (noch weniger als bei Hegel).
Jedenfalls stellt die Bestimmung der revolutionären Diktatur des Proletariats in ihrer spätesten Formulierung durch Marx, in seiner Kritik des Gothaer Programmentwurfs, entschieden die politische - und damit auch die noch-staatliche - Seite der Übergangsperiode heraus. Wir wandten uns nun der begrifflichen Genese dieser Formel zu und fanden sie zuerst ausgesprochen in der revolutionspolitischen Analyse von Marx über »Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850«:
»Von der Bourgeoisie wurde das Proletariat zur Juni-Insurrektion gezwungen. .Schon darin lag sein Verdammungsurteil. Weder sein unmittelbares eingestandenes Bedürfnis trieb es dahin, den Sturz der Bourgeoisie gewaltsam erkämpfen zu wollen, noch war es dieser Aufgabe gewachsen. (...) und erst seine Niederlage überzeugte es von der Wahrheit, dass die geringste Verbesserung seiner Lage eine Utopie bleibt innerhalb der bürgerlichen Republik, eine Utopie, die zum Verbrechen wird, sobald sie sich verwirklichen will. An die Stelle seiner, der Form nach überschwenglichen, dem Inhalt nach kleinlichen und selbst noch bürgerlichen Forderungen, deren Konzession es der Februarrepublik abdringen wollte, trat die kühne revolutionäre Kampfparole: Sturz der Bourgeoisie! Diktatur der Arbeiterklasse!
Indem das Proletariat seine Leichenstätte zur Geburtsstätte der bürgerlichen Republik machte, zwang es sie sogleich, in ihrer reinen Gestalt herauszutreten als der Staat, dessen eingestandener Zweck ist, die Herrschaft des Kapitals, die Sklaverei der Arbeit zu verewigen. Im steten Hinblick auf den narbenvollen, unversöhnbaren, unbesiegbaren Feind - unbesiegbar, weil seine Existenz die Bedingung ihres eigenen Lebens ist - musste die von allen Fesseln befreite Bourgeoisherrschaft sofort in den Bourgeoisterrorismus umschlagen.« (MEW 7,S.33)
»Da sie die friedliche Durchführung ihres Sozialismus träumt (...), erscheint ihr natürlich der kommende geschichtliche Prozess als die Anwendung von Systemen, welche die Denker der Gesellschaft, sei es in Kompagnie, sei es als einzelne Erfinder, aussinnen oder ausgesonnen haben . So werden sie die Eklektiker oder Adepten der vorhandenen sozialistischen Systeme, des doktrinären Sozialismus, der nur so lange der theoretische Ausdruck des Proletariats war, als es noch nicht zur freien geschichtlichen Selbstbewegung sich fortentwickelt hatte.
Während so die Utopie, der doktrinäre Sozialismus, der die Gesamtbewegung einem ihrer Momente unterordnet, der an die Stelle der gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Produktion die Hirntätigkeit des einzelnen Pedanten setzt und vor allem den revolutionären Kampf der Klassen mit seinen Notwendigkeiten durch kleine Kunststücke oder große Sentimentalitäten wegphantasiert , während dieser doktrinäre Sozialismus, der im Grunde nur die jetzige Gesellschaft idealisiert, ein schattenloses Bild von ihr aufnimmt und sein Ideal gegen ihre Wirklichkeit durchsetzen will, während dieser Sozialismus von dem Proletariat an das Kleinbürgertum abgetreten wird, während der Kampf der verschiedenen Sozialistenchefs unter sich selbst jedes der sogenannten Systeme als anspruchsvolle Festhaltung des einen der Durchgangspunkte der sozialen Umwälzung gegen den anderen herausstellt -, gruppiert sich das Proletariat immer mehr um den revolutionären Sozialismus, um den Kommunismus (...). Dieser Sozialismus ist die Permanenzerklärung der Revolution, die Klassendiktatur des Proletariats als notwendiger Durchgangspunkt zur Abschaffung der Klassenunterschiede überhaupt, zur Abschaffung sämtlicher Produktionsverhältnisse, worauf sie beruhen, zur Abschaffung sämtlicher gesellschaftlichen Beziehungen, die diesen Produktionsverhältnissen entsprechen, zur Umwälzung sämtlicher Ideen, die aus diesen gesellschaftlichen Beziehungen hervorgehen.« (MEW 7,S.89f) (Unterstreichungen von mir - P.Chr.)
»Was ich neu tat, war, ( ... ) nachzuweisen (...) 2., dass der Klassenkampf notwendig zur Diktatur des Proletariats führt; 3., dass diese Diktatur selbst nur den Übergang zur Aufhebung aller Klassen und zu einer klassenlosen Gesellschaft bildet.« (MEW28,508 Brief an Weydemeyer 5.3.1852)