Guy Debord - Die Gesellschaft des Spektakels (1967)

Vom Autor gebilligte Übersetzung aus dem französischen von Jean-Jacques Raspaud. Edition Nautilus. Hamburg, 1978

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel      Die Vollendete Trennung
  2. Kapitel      Die Ware Als Spektakel
  3. Kapitel      Einheit Und Teilung Im Schein
  4. Kapitel      Das Proletariat Als Subjekt Und Als Repräsentation
  5. Kapitel      Zeit Und Geschichte
  6. Kapitel      Die Spektakuläre Zeit
  7. Kapitel      Die Raumordnung
  8. Kapitel      Die Negation Und Der Konsum In Der Kultur
  9. Kapitel      Die Materialisierte Ideologie

 

1. Kapitel      DIE VOLLENDETE TRENNUNG

»Aber freilich [...] diese Zeit, welche das Bild der Sache, die Kopie dem Original, die Vorstellung der Wirklichkeit, den Schein dem Wesen vorzieht [...]; denn heilig ist ihr nur die Illusion, profan aber die Wahrheit. Ja die Heiligkeit steigt in ihren Augen in demselben Maße, als die Wahrheit ab- und die Illusion zunimmt, so daß der höchste Grad der Illusion für sie auch der höchste Grad der Heiligkeit ist.«

Feuerbach (Das Wesen des Christentums, Vorrede zur zweiten Auflage.)

1.

Das ganze Leben der Gesellschaften, in welchen die modernen Produktionsbedingungen herrschen, erscheint als eine ungeheure Sammlung von Spektakeln. Alles was unmittelbar erlebt wurde, ist in eine Vorstellung entwichen.

2.

Die Bilder, die sich von jedem Aspekt des Lebens abgetrennt haben, verschmelzen in einen gemeinsamen Lauf, in dem die Einheit dieses Lebens nicht wiederhergestellt werden kann. Die teilweise betrachtete Realität entfaltet sich in ihrer eigenen allgemeinen Einheit als abgesonderte Pseudo-Welt, Objekt der bloßen Kontemplation. Die Spezialisierung der Bilder der Welt findet sich vollendet in der autonom gewordenen Bildwelt wieder, in der sich das Verlogene selbst belogen hat. Das Spektakel überhaupt ist als konkrete Verkehrung des Lebens, die eigenständige Bewegung des Unlebendigen.

3.

Das Spektakel stellt sich zugleich als die Gesellschaft selbst, als Teil der Gesellschaft und als Vereinigungsinstrument dar. Als Teil der Gesellschaft ist das Spektakel ausdrücklich der Bereich, der jeden Blick und jedes Bewußtsein auf sich zieht. Aufgrund dieser Tatsache, daß dieser Bereich abgetrennt ist, ist er der Ort des getäuschten Blicks und des falschen Bewußtseins; und die Vereinigung, die es bewirkt, ist nichts anderes als eine offizielle Sprache der verallgemeinerten Trennung.

4.

Das Spektakel ist nicht ein Ganzes von Bildern, sondern ein durch Bilder vermitteltes gesellschaftliches Verhältnis zwischen Personen.

5.

Das Spektakel kann nicht als Übertreibung einer Welt des Schauens, als Produkt der Techniken der Massenverbreitung von Bildern begriffen werden. Es ist vielmehr eine tatsächlich gewordene, ins Materielle übertragene Weltanschauung. Es ist eine Anschauung der Welt, die sich vergegenständlicht hat.

6.

In seiner Totalität begriffen, ist das Spektakel zugleich das Ergebnis und die Zielsetzung der bestehenden Produktionsweise. Es ist kein Zusatz zur wirklichen Welt, kein aufgesetzter Zierat. Es ist das Herz des Irrealismus der realen Gesellschaft. In allen seinen besonderen Formen: Information oder Propaganda, Werbung oder unmittelbarer Konsum von Zerstreuungen ist das Spektakel das gegenwärtige Modell des gesellschaftlich herrschenden Lebens. Es ist die allgegenwärtige Behauptung der in der Produktion und ihrem korollären Konsum bereits getroffenen Wahl. Form und Inhalt des Spektakels sind identisch die vollständige Rechtfertigung der Bedingungen und der Ziele des bestehenden Systems. Das Spektakel ist auch die ständige Gegenwart dieser Rechtfertigung, als Beschlagnahme des hauptsächlichen Teils der außerhalb der modernen Produktion erlebten Zeit.

7.

Die Trennung selbst gehört zur Einheit der Welt, zur globalen gesellschaftlichen Praxis, die sich in Realität und Bild aufgespalten hat. Die gesellschaftliche Praxis, vor die sich das autonome Spektakel stellt, ist auch die das Spektakel umfassende wirkliche Totalität. Aber die Aufspaltung dieser Totalität verstümmelt sie so sehr, daß sie das Spektakel als ihren Zweck erscheinen läßt. Die Sprache des Spektakels besteht aus Zeichen der herrschenden Produktion, die zugleich der letzte Zweck dieser Produktion sind.

8.

Das Spektakel und die wirkliche gesellschaftliche Tätigkeit lassen sich nicht abstrakt einander entgegensetzen; diese Verdoppelung ist selbst doppelt. Das Spektakel, das das Wirkliche verkehrt, wird wirklich erzeugt. Zugleich wird die erlebte Wirklichkeit durch die Kontemplation des Spektakels materiell überschwemmt und nimmt in sich selbst die spektakuläre Ordnung wieder auf, indem sie ihr eine positive Zustimmung gibt. Die objektive Realität ist auf beiden Seiten vorhanden. Jeder so festgesetzte Begriff gründet sich nur auf seinen Übergang in die Gegenseite. Ins Spektakel tritt die Wirklichkeit ein, und das Spektakel ist wirklich. Diese gegenseitige Entfremdung ist das Wesen und die Stütze der bestehenden Gesellschaft.

9.

In der wirklich verkehrten Welt ist das Wahre ein Moment des Falschen.

10.

Der Begriff des Spektakels vereinigt und erklärt eine große Mannigfaltigkeit von erscheinenden Phänomenen. Ihre Verschiedenheiten und Kontraste sind die Erscheinungen dieses gesellschaftlich veranstalteten Scheins, der in seiner allgemeinen Wahrheit erkannt werden muß. Das Spektakel ist, seinen eigenen Begriffen nach betrachtet, die Behauptung des Scheins und die Behauptung jedes menschlichen, d.h. gesellschaftlichen Lebens als eines bloßen Scheins. Aber die Kritik, die die Wahrheit des Spektakels trifft, entdeckt es als die sichtbare Negation des Lebens; als eine Negation des Lebens, die sichtbar geworden ist.

11.

Untrennbare Elemente müssen künstlich unterschieden werden, um das Spektakel, seine Herausbildung und seine Funktionen sowie die Kräfte, die zu seiner Auflösung hinstreben, zu beschreiben. Bei der Analyse des Spektakels muß in einem gewissen Maß die Sprache des Spektakulären geredet werden, insofern dabei der methodologische Boden dieser Gesellschaft, die sich im Spektakel ausdrückt, betreten wird. Aber das Spektakel ist nichts anderes als der Sinn der ganzen Praxis einer ökonomischen Gesellschaftsformation, sein Zeitplan. Es ist der geschichtliche Moment, in dem wir enthalten sind.

12.

Das Spektakel stellt sich als eine ungeheure, unbestreitbare und unerreichbare Positivität dar. Es sagt nichts mehr als: »Was erscheint, das ist gut; und was gut ist, das erscheint.« Die durch das Spektakel prinzipiell geforderte Haltung ist diese passive Hinnahme, die es schon durch seine Art, unwiderlegbar zu erscheinen, durch sein Monopol des Scheins, faktisch erwirkt hat.

13.

Der zutiefst tautologische Charakter des Spektakels geht aus der bloßen Tatsache hervor, daß seine Mittel zugleich sein Zweck sind. Es ist die Sonne, die über dem Reich der modernen Passivität nie untergeht. Es deckt die ganze Oberfläche der Welt und badet sich endlos in seinem eigenen Ruhm.

14.

Die Gesellschaft, die auf der modernen Industrie beruht, ist nicht zufällig oder oberflächlich spektakulär, sie ist zutiefst spektakularistisch. Im Spektakel, dem Bild der herrschenden Wirtschaft, ist das Endziel nichts, die Entwicklung alles. Das Spektakel will es zu nichts anderem bringen als zu sich selbst.

15.

Als unerläßlicher Schmuck der jetzt erzeugten Waren, als allgemeine Darstellung der Rationalität des Systems und als fortgeschrittener Wirtschaftsbereich, der unmittelbar eine wachsende Menge von Objekt-Bildern gestaltet, ist das Spektakel die hauptsächliche Produktion der heutigen Gesellschaft.

16.

Das Spektakel unterjocht sich die lebendigen Menschen, insofern die Wirtschaft sie gänzlich unterjocht hat. Es ist nichts als die sich für sich selbst entwickelnde Wirtschaft. Es ist der getreue Widerschein der Produktion der Dinge und die ungetreue Vergegenständlichung der Produzenten.

17.

Die erste Phase der Herrschaft der Wirtschaft über das gesellschaftliche Leben hatte in der Definition jeder menschlichen Realisierung eine offensichtliche Degradierung des Seins zum Haben mit sich gebracht. Die gegenwärtige Phase der völligen Beschlagnahme des gesellschaftlichen Lebens durch die akkumulierten Ergebnisse der Wirtschaft führt zu einer verallgemeinerten Verschiebung vom Haben zum Scheinen, aus welchem jedes tatsächliche »Haben« sein unmittelbares Prestige und seinen letzten Zweck beziehen muß. Zugleich ist jede individuelle Wirklichkeit gesellschaftlich geworden, direkt von der gesellschaftlichen Macht abhängig und von ihr geformt. Nur sofern sie nicht ist, darf sie erscheinen.

18.

Da, wo sich die wirkliche Welt in bloße Bilder verwandelt, werden die bloßen Bilder zu wirklichen Wesen und zu den wirkenden Motivierungen eines hypnotischen Verhaltens. Das Spektakel als Tendenz, durch verschiedene spezialisierte Vermittlungen die nicht mehr unmittelbar greifbare Welt zur Schau zu stellen, findet normalerweise im Sehen den bevorzugten menschlichen Sinn, der zu anderen Zeiten der Tastsinn war; der abstrakteste und mystifizierbarste Sinn entspricht der verallgemeinerten Abstraktion der heutigen Gesellschaft. Das Spektakel läßt sich jedoch nicht mit dem bloßen Zusehen identifizieren, wenn dieses auch mit dem Zuhören kombiniert wäre. Das Spektakel ist das, was der Tätigkeit der Menschen, der Wiedererwägung und der Berichtigung ihres Werkes entgeht. Es ist das Gegenteil des Dialogs. Überall, wo es unabhängige Vorstellung gibt, baut sich das Spektakel wieder auf.

19.

Das Spektakel hat die ganze Schwäche des abendländisch-philosophischen Entwurfes geerbt, der in einem von den Kategorien des Sehens beherrschten Begreifen der Tätigkeit bestand; so wie es sich auch auf die unaufhörliche Entfaltung der genauen, technischen Rationalität, die aus diesem Gedanken hervorgegangen ist, gründet. Es verwirklicht nicht die Philosophie, es philosophiert die Wirklichkeit. Das konkrete Leben aller ist es, welches sich zu einem spektakulären Universum degradiert hat.

20.

Als Gewalt des getrennten Gedankens und als Gedanke der getrennten Gewalt, ist es der Philosophie nie durch eigene Kraft gelungen, die Theologie aufzuheben. Das Spektakel ist der materielle Wiederaufbau der religiösen Illusion. Die spektakuläre Technik hat die religiösen Wolken nicht aufgelöst, in die die Menschen ihre von ihnen losgerissenen, eigenen Kräfte gesetzt hatten: sie hat sie nur mit einer weltlichen Grundlage verbunden. So ist es das irdischste Leben, welches undurchsichtig und erstickend wird. Es verweist nicht mehr auf den Himmel, sondern beherbergt bei sich seine absolute Verwerfung, sein trügerisches Paradies. Das Spektakel ist die technische Verwirklichung der Verbannung der menschlichen Kräfte in ein Jenseits; die vollendete Entzweiung im Innern des Menschen.

21.

Je nachdem wie die Notwendigkeit gesellschaftlich geträumt wird, wird der Traum notwendig. Das Spektakel ist der schlechte Traum der gefesselten, modernen Gesellschaft, der schließlich nur ihren Wunsch zu schlafen ausdrückt. Das Spektakel ist der Wächter dieses Schlafes.

22.

Die Tatsache, daß die praktische Macht der modernen Gesellschaft sich von selbst abgehoben und sich ein selbständiges Reich im Spektakel fixiert hat, ist nur aus dieser anderen Tatsache, daß diese mächtige Praxis immer noch selbstzerrissen und sichselbstwidersprechend geblieben war, zu erklären.

23.

Die älteste gesellschaftliche Spezialisierung ist es, die Spezialisierung der Gewalt, die an der Wurzel des Spektakels liegt. Das Spektakel ist somit eine spezialisierte Tätigkeit, die für die Gesamtheit der anderen Tätigkeiten spricht. Es ist die diplomatische Repräsentation der hierarchischen Gesellschaft vor sich selbst, wo jedes andere Wort verbannt ist. Hier ist das Modernste auch das Archaischste.

24.

Das Spektakel ist die ununterbrochene Rede, die die gegenwärtige Ordnung über sich selbst hält, ihr lobender Monolog. Es ist das Selbstportrait der Macht in der Epoche ihrer totalitären Verwaltung der Existenzberechtigungen. Der fetischistische Schein reiner Objektivität in den spektakulären Beziehungen verbirgt deren Charakter als Beziehung zwischen Menschen und zwischen Klassen: eine zweite Natur scheint unsere Umwelt mit ihren unvermeidlichen Gesetzen zu beherrschen. Aber das Spektakel ist nicht dieses notwendige Produkt der als eine natürliche Entwicklung betrachteten technischen Entwicklung. Die Gesellschaft des Spektakels ist im Gegenteil die Form, die ihren eigenen technischen Inhalt wählt. Wenn das Spektakel, – unter dem engeren Gesichtspunkt der »Massenkommunikationsmittel« genommen, die seine erdrückendste Oberflächenerscheinung sind –, als einfache Instrumentierung auf die Gesellschaft überzugreifen scheinen kann, so ist diese Instrumentierung in Wirklichkeit nichts Neutrales, sondern genau die Instrumentierung, die seiner ganzen Selbstbewegung entspricht. Wenn die gesellschaftlichen Bedürfnisse der Epoche, in der sich solche Techniken entwickeln, nur durch die Vermittlung dieser Techniken befriedigt werden können, wenn die Verwaltung dieser Gesellschaft sowie jeder Kontakt zwischen den Menschen nur mittels dieser Macht augenblicklicher Kommunikation stattfinden können, ist dafür der Grund, daß diese »Kommunikation« wesentlich einseitig ist; folglich läuft ihre Konzentrierung darauf hinaus, in den Händen der Verwaltung des bestehenden Systems die Mittel anzuhäufen, die es ihm erlauben, diese bestimmte Verwaltung fortzuführen. Die verallgemeinerte Entzweiung des Spektakels ist untrennbar vom modernen Staat, – d.h. von der allgemeinen Form der Entzweiung in der Gesellschaft –, dem Produkt der Teilung der gesellschaftlichen Arbeit und dem Werkzeug der Klassenherrschaft.

25.

Die Trennung ist das Alpha und Omega des Spektakels. Die Institutionalisierung der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit und die Herausbildung der Klassen hatten eine erste heilige Kontemplation gebaut, die mythische Ordnung, mit der sich jede Macht schon von Urbeginn an umhüllt. Das Heilige hat die kosmische und ontologische Anordnung gerechtfertigt, die den Interessen der Herren entsprach und es hat das erklärt und beschönigt, was die Gesellschaft nicht tun konnte. Also war jede getrennte Macht spektakulär, aber die Zustimmung aller zu einem solchen feststehenden Bild bedeutete nur die gemeinsame Anerkennung einer imaginären Verlängerung für die Armut der wirklichen gesellschaftlichen Tätigkeit, die noch sehr viel als einheitliche Bedingung empfunden wurde. Im Gegenteil drückt das moderne Spektakel das aus, was die Gesellschaft tun kann, aber in dieser Äußerung stellt sich das Erlaubte absolut dem Möglichen entgegen. Das Spektakel ist die Erhaltung der Bewußtlosigkeit in der praktischen Veränderung der Existenzbedingungen. Das Spektakel ist sein eigenes Produkt, es selbst ist es, das seine Regeln aufgestellt hat: es ist ein Pseudo-Heiliges. Es zeigt was es ist: die getrennte Macht, welche – bei dem Produktivitätswachstum durch die unaufhörliche Verfeinerung der Teilung der Arbeit zur Zerstückelung der zugleich von der unabhängigen Maschinenbewegung beherrschten Gesten – sich in sich selbst entwickelt und für einen stets weiteren Markt arbeitet. Jedes Gemeinwesen und jeder kritische Sinn haben sich während dieser ganzen Bewegung aufgelöst, in der sich die Kräfte, die bei ihrer Trennung wachsen konnten, noch nicht wiedergefunden haben.

26.

Bei der verallgemeinerten Trennung des Arbeiters von seinem Produkt geht jeder einheitliche Überblick über die ausgeführte Tätigkeit, jede persönliche, direkte Mitteilung zwischen den Produzenten verloren. Im Laufe des Fortschritts der Akkumulation der getrennten Produkte und der Konzentration des Produktionsprozesses werden die Einheit und die Mitteilung zum ausschließenden Attribut der Systemleitung. Das Gelingen des wirtschaftlichen Systems der Trennung ist die Proletarisierung der Welt.

27.

Am Pol der Entwicklung des Systems verschiebt sich durch das Gelingen selbst der getrennten Produktion als Produktion des Getrennten die Grunderfahrung, die in den Urgesellschaften mit einer hauptsächlichen Arbeit verbunden war, zur Nichtarbeit und zur Untätigkeit. Doch diese Untätigkeit ist keineswegs von der Produktionstätigkeit befreit: sie hängt von ihr ab, sie ist unruhige und bewundernde Unterwerfung unter die Erfordernisse und Ergebnisse der Produktion; sie ist selbst ein Produkt von deren Rationalität. Außerhalb der Tätigkeit kann es keine Freiheit geben, und im Rahmen des Spektakels wird jede Tätigkeit verneint, genauso wie die wirkliche Tätigkeit vollständig für den Gesamtaufbau dieses Ergebnisses aufgefangen worden ist. Daher ist die heutige »Befreiung von der Arbeit«, die Ausdehnung der Freizeit, keineswegs Befreiung in der Arbeit oder Befreiung einer durch diese Arbeit geformten Welt. Nichts von der in der Arbeit gestohlenen Tätigkeit kann sich in der Unterwerfung unter ihr Ergebnis wiederfinden.

28.

Das auf die Vereinzelung gegründete Wirtschaftssystem ist eine zirkuläre Produktion der Vereinzelung. Die Vereinzelung begründet die Technik und der technische Prozeß vereinzelt rückwirkend. Alle durch das spektakuläre System ausgewählten Güter, vom Auto bis zum Fernsehen sind auch seine Waffen, um beständig die Vereinzelungsbedingungen der »einsamen Massen« zu verstärken. Das Spektakel findet immer konkreter seine eigenen Voraussetzungen wieder.

29.

Der Ursprung des Spektakels ist der Verlust der Einheit der Welt, und die riesengroße Ausbreitung des modernen Spektakels drückt die Vollständigkeit dieses Verlustes aus: die Abstraktion jeder besonderen Arbeit und die allgemeine Abstraktion der Gesamtproduktion äußern sich vollkommen im Spektakel, dessen konkrete Seinsweise gerade die Abstraktion ist. Im Spektakel stellt sich ein Teil der Welt vor der Welt dar, und ist über sie erhaben. Das Spektakel ist nur die gemeinschaftliche Sprache dieser Trennung. Was die Zuschauer miteinander verbindet, ist nur ein irreversibles Verhältnis zum Zentrum selbst, das ihre Vereinzelung aufrechterhält. Das Spektakel vereinigt das Getrennte, aber nur als Getrenntes.

30.

Die Entfremdung des Zuschauers zugunsten des angeschauten Objekts (das das Ergebnis seiner eigenen bewußtlosen Tätigkeit ist) drückt sich so aus: je mehr er zuschaut, um so weniger lebt er; je mehr er sich in den herrschenden Bildern des Bedürfnisses wiederzuerkennen akzeptiert, um so weniger versteht er seine eigene Existenz und seine eigene Begierde. Die Äußerlichkeit des Spektakels im Verhältnis zum tätigen Menschen erscheint darin, daß seine eigenen Gesten nicht mehr ihm gehören, sondern einem anderen, der sie ihm vorführt. Der Zuschauer fühlt sich daher nirgends zu Hause, denn das Spektakel ist überall.

31.

Der Arbeiter produziert nicht sich selbst, sondern eine unabhängige Macht. Der Erfolg dieser Produktion, ihr Überfluß, kehrt zum Produzenten als Überfluß der Enteignung zurück. Die ganze Zeit und der ganze Raum seiner Welt werden ihm bei der Akkumulation seiner entfremdeten Produkte fremd. Das Spektakel ist die Landkarte dieser neuen Welt, eine Landkarte, die genau ihr Territorium deckt. Eben die Kräfte, die uns entgangen sind, zeigen sich uns in ihrer ganzen Macht.

32.

Das Spektakel in der Gesellschaft entspricht einer konkreten Herstellung der Entfremdung. Die wirtschaftliche Expansion ist hauptsächlich die Expansion dieser bestimmten industriellen Produktion. Was mit der sich für sich selbst bewegenden Wirtschaft anwächst, kann nur die Entfremdung sein, die gerade in ihrem ursprünglichen Kern enthalten war.

33.

Der von seinem Produkt getrennte Mensch produziert immer machtvoller alle Einzelheiten seiner Welt und findet dadurch immer mehr von seiner Welt getrennt. Je mehr sein Leben jetzt sein Produkt ist, um so mehr ist er von seinem Leben getrennt.

34.

Das Spektakel ist das Kapital, das einen solchen Akkumulationsgrad erreicht, daß es zum Bild wird.

 

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel      Die Vollendete Trennung
  2. Kapitel      Die Ware Als Spektakel
  3. Kapitel      Einheit Und Teilung Im Schein
  4. Kapitel      Das Proletariat Als Subjekt Und Als Repräsentation
  5. Kapitel      Zeit Und Geschichte
  6. Kapitel      Die Spektakuläre Zeit
  7. Kapitel      Die Raumordnung
  8. Kapitel      Die Negation Und Der Konsum In Der Kultur
  9. Kapitel      Die Materialisierte Ideologie

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