Guy Debord - Die Gesellschaft des Spektakels (1967)

Vom Autor gebilligte Übersetzung aus dem französischen von Jean-Jacques Raspaud. Edition Nautilus. Hamburg, 1978

 

3. Kapitel   EINHEIT UND TEILUNG IM SCHEIN

»An der Front der Philosophie durchzieht eine neue lebhafte Polemik das Land über die Begriffe »eins teilt sich in zwei« und »zwei vereinigen sich zu einem«. Dieser Streit ist ein Kampf zwischen denjenigen, die für, und denjenigen, die gegen die materialistische Dialektik sind, ein Kampf zwischen zwei Weltanschauungen, der proletarischen und der bürgerlichen. Diejenigen, die die Meinung verfechten, daß »sich eins in zwei teilt« das grundlegende Gesetz der Dinge ist, stehen auf der Seite der materialistischen Dialektik; diejenigen, die die Meinung verfechten, daß »sich zwei zu einem vereinigen«, sind Gegner der materialistischen Dialektik. Die beiden Seiten haben eine klare Demarkationslinie zwischen einander gezogen, und ihre Argumente sind diametral entgegengesetzt. Diese Polemik spiegelt auf der ideologischen Ebene den zugespitzten und komplexen Klassenkampf wider, der sich in China und in der Welt abspielt.«

Die Rote Fahne – Peking, 21. September 1964

54.

Wie die moderne Gesellschaft ist das Spektakel zugleich geeint und geteilt. Wie sie baut es seine Einheit auf die Zerrissenheit auf. Aber wenn der Widerspruch im Spektakel auftaucht, wird ihm seinerseits durch eine Umkehrung seines Sinnes widersprochen; so daß die aufgezeigte Teilung einheitlich ist, während die aufgezeigte Einheit geteilt ist.

55.

Der Kampf von Gewalten, die zur Verwaltung desselben sozialökonomischen Systems entstanden sind, entfaltet sich als der offizielle Widerspruch, der in Wirklichkeit zur tatsächlichen Einheit gehört; das gilt ebenso im Weltmaßstabe wie innerhalb jeder Nation.

56.

Die falschen, spektakulären Kämpfe zwischen den rivalisierenden Formen der getrennten Gewalt sind zugleich real, indem sie die ungleiche, konfliktorische Entwicklung des Systems äußern, und auch die relativ widersprüchlichen Interessen der Klassen oder Klassenunterabteilungen, die das System anerkennen und ihre eigene Teilnahme an seiner Gewalt definieren. Wie die Entwicklung der fortgeschrittenen Wirtschaft im Zusammenstoß bestimmter Prioritäten mit anderen besteht, so werden die durch eine Staatsbürokratie ausgeübte totalitäre Verwaltung der Wirtschaft und der Zustand der Länder, welche sich in die Sphäre der Kolonisation oder Halbkolonisation gestellt fanden, durch beträchtliche Besonderheiten in den Produktions- und Machtbedingungen definiert. Diese verschiedenen Gegensätze können sich im Spektakel mit ganz unterschiedlichen Kriterien gemessen, als absolut verschiedenartige Gesellschaftsformen geben. Aber ihrer Wirklichkeit als besonderen Bereichen gemäß, liegt die Wahrheit ihrer Besonderheit im allgemeinen System, das sie enthält: in der einzigen Bewegung, die den ganzen Planeten zu ihrem Spielraum gemacht hat, d.h. im Kapitalismus.

57.

Die Gesellschaft, die das Spektakel unterhält, beherrscht die unterentwickelten Gebiete nicht allein durch ihre wirtschaftliche Hegemonie. Sie beherrscht sie auch als Gesellschaft des Spektakels. Dort, wo die materielle Grundlage noch fehlt, hat die moderne Gesellschaft bereits spektakulär auf die gesellschaftliche Oberfläche jedes Kontinents übergegriffen. Sie definiert das Programm einer herrschenden Klasse und leitet deren Herausbildung. Wie sie die zu begehrenden Pseudogüter zeigt, so bietet sie den lokalen Revolutionären die falschen Vorbilder von Revolutionen dar. Das besondere Spektakel der bürokratischen Gewalt, die einige industrielle Länder unter ihrer Macht hält, gehört eben zum Gesamtspektakel, als seine allgemeine Pseudo-Negation und seine Stütze. Wenn das Spektakel, in seinen verschiedenen Lokalisierungen betrachtet, totalitäre Spezialisierungen der gesellschaftlichen Sprache und Verwaltung an den Tag legt, so verschmelzen diese auf der Ebene der Gesamtfunktion des Systems zu einer weltweiten Teilung der Aufgaben im Spektakel.

58.

Die Teilung der Aufgaben im Spektakel, die die Allgemeinheit der bestehenden Ordnung erhält, erhält hauptsächlich den beherrschenden Pol ihrer Entwicklung. Die Wurzel des Spektakels liegt im Boden der zum Überfluß gewordenen Wirtschaft, und von dort kommen die Früchte her, die schließlich nach der Herrschaft über den spektakulären Markt trachten, und dies trotz der polizeilich-ideologischen Schutzzollschranken irgendeines lokalen Spektakels, das Autarkie beansprucht.

59.

Die Banalisierungsbewegung, die hinter den schillernden Ablenkungen des Spektakels die moderne Gesellschaft weltweit beherrscht, beherrscht sie auch auf jedem der Punkte, wo der entwickelte Warenkonsum die zur Auswahl stehenden Rollen und Gegenstände scheinbar vervielfacht hat. Die Überreste von Religion und Familie – die die Hauptform des Erbes der Klassengewalt bleibt –, und folglich der von ihnen ausgeübten moralischen Repression, können als ein und dasselbe mit der weitschweifigen Behauptung des Genusses dieser Welt kombiniert werden; während diese Welt gerade nur als Pseudogenuß produziert wird, der die Repression in sich bewahrt. Mit der seligen Hinnahme des Bestehenden kann auch die rein spektakuläre Empörung als ein und dasselbe verbunden werden: dies äußert die einfache Tatsache, daß die Unzufriedenheit selbst zu einer Ware geworden ist, sobald der wirtschaftliche Überfluß fähig wurde, seine Produktion bis auf die Bearbeitung eines solchen Rohstoffes auszudehnen.

60.

Indem er das Bild einer möglichen Rolle in sich konzentriert, konzentriert der Star – d.h. die spektakuläre Vorstellung des lebendigen Menschen – diese Banalität. Der Stand eines Stars ist die Spezialisierung des scheinbaren Erlebten, ist das Objekt der Identifizierung mit dem untiefen, scheinbaren Leben, welches die Zerstückelung der wirklich erlebten Produktionsspezialisierungen aufwiegen soll. Die Stars sind da, um verschiedenerlei Typen von Lebensstilen und Gesellschaftsauffassungen darzustellen, denen es global zu wirken freisteht. Sie verkörpern das unzulängliche Resultat der gesellschaftlichen Arbeit, indem sie Nebenprodukte dieser Arbeit mimen, die als deren Zweck magisch über sie erhoben werden: die Macht und die Ferien, die Entscheidung und der Konsum, die am Anfang und am Ende eines unbestrittenen Prozesses stehen. Dort personalisiert sich die Regierungsgewalt zu einem Pseudostar, hier läßt sich der Star des Konsums als Pseudogewalt über das Erleben durch Plebiszit akklamieren. Aber diese Aktivitäten des Stars sind ebensowenig wirklich global wie verschiedenartig.

61.

Der als Star in Szene gesetzte Agent des Spektakels ist das Gegenteil, der Feind des Individuums, an sich selbst ebenso offensichtlich wie bei den anderen. Indem er als Identifikationsmodell ins Spektakel übergeht, hat er auf jede autonome Eigenschaft verzichtet, um sich selbst mit dem allgemeinen Gesetz des Gehorsams gegenüber dem Lauf der Dinge zu identifizieren. Wenn er auch nach außen hin die Darstellung verschiedener Persönlichkeitstypen ist, zeigt der Konsumstar jeden dieser Typen, als ob er gleichmäßig zur Gesamtheit des Konsums gelangen und dabei gleicherweise sein Glück finden könne. Der Star der Entscheidung muß den vollständigen Bestand all dessen besitzen, was an menschlichen Eigenschaften zugelassen wird. So werden die offiziellen Gegensätzlichkeiten zwischen ihnen durch die offizielle Ähnlichkeit vernichtet, die die Voraussetzung ihrer Vortrefflichkeit in allem ist. Chruschtschow ist General geworden, um über die Schlacht von Kursk zu entscheiden, doch nicht auf dem Felde, sondern am zwanzigsten Jahrestag, als er der Machthaber des Staates war. Kennedy blieb ein Redner noch als er selbst seine Leichenrede an seinem eigenen Grabe hielt, denn Theodore Sorensen redigierte zu dieser Zeit noch für den Nachfolger die Reden in jenem Stil, der so viel dazu beitrug, daß die bewundernswerten Leute, in denen sich das System personifiziert, nicht das sind, was sie sind; sie sind große Männer geworden, weil sie unter die Realität des bescheidensten, individuellen Lebens herabgesunken sind, und jedermann weiß das.

62.

Die falsche Auswahl im spektakulären Überfluß, die in der Nebeneinanderreihung von konkurrierenden und solidarischen Spektakeln sowie in der Nebeneinanderstellung von einanderausschließenden und ineinandergreifenden Rollen (die hauptsächlich von Gegenständen getragen und ausgedrückt werden) besteht, entwickelt sich zu einem Kampf zwischen gespenstischen Qualitäten, die die Zustimmung zur quantitativen Trivialiät leidenschaftlich begeistern sollen. So erstehen falsche, archaische Gegensätze, Regionalismen oder Rassismen wieder, die die Vulgarität der hierarchischen Platzverteilung innerhalb des Konsums zu einer phantastischen, ontologischen Überlegenheit verklären sollen. So setzt sich die endlose Reihe der lächerlichen Zusammenstöße wieder zusammen, die von den sportlichen Wettkämpfen bis zu den Wahlen ein noch nicht einmal ludistisches Interesse mobilisieren. Dort, wo sich der Konsum im Überfluß niedergelassen hat, nimmt ein hauptsächlicher schauspielhafter Gegensatz zwischen der Jugend und den Erwachsenen den Vordergrund des trügerischen Rollenspiels ein: denn nirgends gibt es einen Erwachsenen, einen Herrn über sein Leben, und die Jugend, die Änderung des Bestehenden, ist keineswegs das Eigentum derjenigen, die jetzt jung sind, sondern sie gehört dem Wirtschaftssystem, dem Dynamismus des Kapitalismus an. Dinge sind es, die herrschen und jung sind, die einander verjagen und ersetzen.

63.

Hinter den spektakulären Gegensätzen verbirgt sich die Einheit des Elends. Wenn verschiedene Formen derselben Entfremdung einander unter den Masken der totalen Auswahl bekämpfen, so deswegen, weil sie alle auf den verdrängten, wirklichen Widersprüchen aufgebaut sind. Nach den Erfordernissen der besonderen Stufe des Elends, das es verleugnet und aufrechterhält, existiert das Spektakel in einer konzentrierten oder diffusen Form. In beiden Fällen ist es nur ein von Trostlosigkeit und Grausen umgebenes Bild glücklicher Vereinigung im stillen Zentrum des Unglücks.

64.

Das konzentrierte Spektakuläre gehört wesentlich zum bürokratischen Kapitalismus, wenn es auch als Technik der Staatsgewalt über rückständigere halbstaatliche Wirtschaften oder in bestimmten Krisenzeiten des fortgeschrittenen Kapitalismus eingeführt werden kann. Das bürokratische Eigentum ist tatsächlich selbst konzentriert in dem Sinne, daß der einzelne Bürokrat lediglich vermittels der bürokratischen Gemeinschaft, nur als deren Mitglied, mit dem Besitz der Gesamtwirtschaft verbunden ist. Außerdem stellt sich auch die hier weniger entwickelte Warenproduktion in einer konzentrierten Form dar: die von der Bürokratie verwahrte Ware ist die ganze gesellschaftliche Arbeit, und was sie der Gesellschaft wiederverkauft, ist deren Überleben im ganzen. Die Diktatur der bürokratischen Wirtschaft kann den ausgebeuteten Massen keine nennenswerte Wahlfreiheit lassen, denn sie hat alles selbst wählen müssen und jede andere äußere Wahl, ob sie nun die Ernährung oder die Musik betrifft, ist deshalb bereits die Wahl ihrer vollständigen Zerstörung. Sie muß von einer ständigen Gewaltsamkeit begleitet werden. Das in ihrem Spektakel aufgedrängte Bild des Guten versammelt in sich die Gesamtheit des offiziell Bestehenden und konzentriert sich normalerweise auf einen einzigen Menschen, der der Garant seines totalitären Zusammenhaltes ist. Jedermann muß sich entweder magisch mit diesem absoluten Star identifizieren oder verschwinden. Denn dieser Star ist der Herr seines Nichtkonsums und das heroische Bild einer annehmbaren Deutung für jene absolute Ausbeutung, worin die vom Terror beschleunigte ursprüngliche Akkumulation in Wirklichkeit besteht. Wenn jeder Chinese Mao lernen und folglich Mao sein muß, so heißt das, daß er nichts anderes zu sein hat. Wo das konzentrierte Spektakuläre herrscht, da herrscht auch die Polizei.

65.

Das diffuse Spektakuläre begleitet den Warenüberfluß, d.h. die ungestörte Entwicklung des modernen Kapitalismus. In diesem Fall ist jede einzelne Ware im Namen der Größe der Gesamtproduktion der Gegenstände gerechtfertigt, deren Spektakel ein apologetischer Katalog ist. Unvereinbare Behauptungen drängen sich auf der Bühne des vereinigten Spektakels der Überflußwirtschaft, ebenso wie verschiedene Star-Waren gleichzeitig ihre widersprüchlichen Einrichtungspläne der Gesellschaft vortragen, in der das Spektakel der Kraftwagen einen vollkommenen Verkehr verlangt, der die Altstädte zerstört, während das Spektakel der Stadt selbst Museen-Viertel braucht. Daher wird die bereits problematische Zufriedenheit, die angeblich dem Konsum der Gesamtheit eignet, unmittelbar verfälscht, indem der wirkliche Konsument direkt nur eine Aufeinanderfolge von Bruchstücken dieses Warenglücks berühren kann, denen jedesmal die der Gesamtheit zugeschriebene Qualität offensichtlich fehlt.

66.

Jede bestimmte Ware kämpft für sich selbst, kann die anderen nicht anerkennen, will sich überall durchsetzen, als ob sie die einzige wäre. Damit wird das Spektakel zum epischen Gesang dieses Zusammenstoßes, den der Fall keines Ilion beenden könnte. Das Spektakel besingt nicht die Männer und ihre Waffen, sondern die Waren und ihre Leidenschaften. In diesem blinden Kampf vollbringt jede Ware, indem sie sich von ihrer Leidenschaft hinreißen läßt, bewußtlos ein Höheres: das weltlich-Werden der Ware, das ebenso das zur-Ware-Werden der Welt ist. So kämpft sich, dank einer List der Warenvernunft, das Besondere der Ware aneinander ab, während die Warenform auf ihre absolute Verwirklichung zugeht.

67.

Die Befriedigung, die die Ware im Überfluß durch den Gebrauch nicht mehr verschaffen kann, wird in der Anerkennung ihres Wertes als Ware gesucht: dies ist der Gebrauch der Ware, der sich selbst genügt; und dies ist für den Konsumenten der religiöse Erguß vor der souveränen Freiheit der Ware. So breiten sich mit großer Geschwindigkeit Begeisterungswellen für ein mit allen Informationsmitteln gestütztes und angekurbeltes bestimmtes Produkt aus. Ein Kleidungsstil entsteht aus einem Film, eine Zeitschrift lanciert Klubs, die ihrerseits verschiedenen Ausrüstungen lancieren. Das »Gadget« spricht diese Tatsache aus, daß im gleichen Augenblick, da die Masse der Waren dem Irrsinn zugleitet, das Irrsinnige selbst zu einer besonderen Ware wird. An den Werbeschlüsselringen z.B., die nicht mehr gekauft werden, sondern als Zugabe bei dem Verkauf von Prestigegegenständen geschenkt werden oder die durch Austausch aus ihrer eigenen Sphäre herkommen, läßt sich die Äußerung einer mystischen Selbsthingabe an die Transzendenz der Ware erkennen. Wer die Schlüsselringe sammelt, die nur zum Sammeln erzeugt wurden, häuft die Ablaßbriefe der Ware, ein ruhmreiches Zeichen ihrer wirklichen Gegenwart unter ihren Getreuen. Der verdinglichte Mensch trägt den Beweis seiner Intimität mit der Ware zur Schau. Wie bei dem krampfhaften Taumeln oder den Wunderheilungen der Schwärmer des alten religiösen Fetischismus, gelangt auch der Warenfetischismus zu Momenten schwärmerischer Erregung. Der einzige Gebrauch, der sich hier noch äußert, ist der grundlegende Brauch der Unterwerfung.

68.

Zweifellos läßt sich das im modernen Konsum aufgezwungene Pseudobedürfnis keinem echten Bedürfnis oder Begehren entgegensetzen, das nicht selbst durch die Gesellschaft und ihre Geschichte geformt wäre. Aber die Ware im Überfluß existiert als der absolute Bruch einer organischen Entwicklung der gesellschaftlichen Bedürfnisse. Ihre mechanische Akkumulation macht ein unbeschränktes Künstliches frei, angesichts dessen die lebendige Begierde entwaffnet ist. Die kumulative Macht eines unabhängigen Künstlichen zieht überall die Verfälschung des gesellschaftlichen Lebens nach sich.

69.

Im Bild der glücklichen Vereinheitlichung der Gesellschaft durch den Konsum ist die reale Teilung nur bis zum nächsten Nichterfüllen im Konsumierbaren aufgeschoben. Jedes besondere Produkt, das die Hoffnung auf eine blitzschnelle Abkürzung darstellen soll, um endlich ins gelobte Land des totalen Konsums zu gelangen, wird der Reihe nach zeremoniös als die entscheidende Einzelheit hingestellt. Aber wie im Falle der augenblicklichen Verbreitung der Moden von scheinbar aristokratischen Vornamen, die von fast allen gleichaltrigen Individuen getragen werden, so konnte der Gegenstand, von dem eine besondere Gewalt erwartet wird, nur dadurch der Andacht der Massen angeboten werden, daß er in einer hinreichend großen Zahl von Exemplaren vervielfältigt wurde, um massenhaft konsumiert zu werden. Der Prestigecharakter kommt diesem beliebigen Produkt nur dadurch zu, daß es als offenbares Mysterium der Produktionsfinalität für einen Moment ins Zentrum des gesellschaftlichen Lebens gestellt wurde. Der Gegenstand, der im Spektakel ein Prestige hatte, wird vulgär, sobald er bei diesem Konsumenten und gleichzeitig bei allen anderen eintritt. Zu spät bringt er seine wesentliche Armut ans Tageslicht, die er natürlich vom Elend seiner Produktion her hat. Aber schon trägt ein anderer Gegenstand die Rechtfertigung des Systems und die Forderung, anerkannt zu werden.

70.

Der Betrug der Befriedigung muß sich selbst denunzieren, indem er sich erneuert, indem er die Veränderung der Produkte und der allgemeinen Produktionsbedingungen verfolgt. Was mit der vollkommensten Unverschämtheit seine eigene endgültige Vortrefflichkeit behauptet hat, ändert sich dennoch im diffusen Spektakel, aber auch im konzentrierten Spektakel, und das System allein muß fortdauern: Stalin wie die veraltete Ware werden von ebendenen denunziert, die sie eingeführt haben. Jede neue Lüge der Werbung ist auch das Eingeständnis ihrer vorigen Lüge. Jeder Sturz einer Gestalt der totalitären Gewalt offenbart die illusorische Gemeinschaft, die sie einstimmig guthieß und die nur ein Agglomerat von illusionslosen Einsamkeiten war.

71.

Was das Spektakel als dauernd präsentiert, ist auf die Veränderung gegründet und muß sich mit seiner Basis verändern. Das Spektakel ist absolut dogmatisch und zugleich ist es ihm unmöglich, zu irgendeinem festen Dogma zu kommen. Für das Spektakel hört nichts auf; dies ist sein natürlicher und dennoch seiner Neigung entgegengesetztester Zustand.

72.

Die durch das Spektakel ausposaunte irreale Einheit ist die Maske der Klassenteilung, auf der die reale Einheit der kapitalistischen Produktionsweise beruht. Was die Produzenten verpflichtet, an dem Erbauen der Welt teilzunehmen, ist auch das, was sie davon ausschließt. Was die von ihren lokalen und nationalen Schranken befreiten Menschen in Beziehung zueinander bringt, ist auch das, was sie voneinander entfernt. Was zur Vertiefung des Rationellen verpflichtet, ist auch das, was das Irrationelle der hierarchischen Ausbeutung und der Repression nährt. Was die abstrakte Gewalt der Gesellschaft erzeugt, erzeugt auch ihre konkrete Unfreiheit.

 

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