Dispositiv des Vortrags zum »Negativen Nachmittag« des Seltsamen Zusammenschluss´ in Stuttgart am 5.11.2006

Maoismus und ML-Sekten

 

Einleitung:

»Man erinnert sich, dass China und die Tische zu tanzen anfingen, als alle übrige Welt still zu stehn schien – pour encourager les autres.« (MEW 23: 85, dazu Anmerkung S.848: »Während man sich nach der Niederlage der 1848er Revolution in Europa innerhalb aristokratischer und bürgerlicher Kreise fürs Tischrücken begeisterte, entfaltete sich in China eine mächtige Befreiungsbewegung vor allem unter den Bauern: die Taiping-Revolution.«)

Der »Marxismus-Leninismus« (ML) trat und tritt seit einem halben Jahrhundert als Maoismus auf. Was ist der Unterschied? Maoismus als ein Leninismus, »der Leninismus« als Erfindung Stalins. Maoismus als Stalinismus von oben und unten.

Was war »die ML-Bewegung«? Gibt es so etwas wie Neo-MLismus? Eine Antwort auf diese 2 Fragen setzt voraus, dass wir wiederkehrende Charakterzüge maoistischer bzw. MListischer Praxis und Theorie bestimmen können. Diese müssten sich in der wirklichen geschichtlichen Bewegung nachweisen lassen, aus der sie sich selber ideologisch erklären, jedoch müssen wir versuchen, sie ideologiekritisch aus der wirklichen Bewegung selbst herzuleiten anstatt umgekehrt (die Bewegung aus ihren ideologischen Selbsttäuschungen und Schablonen abzuleiten).

Um Maoismus und ML-Bewegung auf den Grund zu gehen, kommen wir also nicht umhin, sie auf ihre Entstehung aus der chinesischen Revolution sowie aus der modernen Linken in der kapitalistischen Welt, insbesondere der radikalen Linken in Westeuropa, zurück zu verfolgen. Gelingt eine solche historisch-genetische Skizze, dann ist damit zunächst ein Problembewusstsein angerissen und ein Arbeitsprogramm umrissen. Nur entlang einer kollektiven Aufarbeitung der chinesischen Revolution und ihrer Wechselwirkungen mit den revolutionären Anstrengungen in der radikalen Linken der modernen Welt, insbesondere im Westen, können wir den überkommenen, herrschenden eurozentrischen Blick überwinden, ebenso wie etwa ein sinozentrischer Blick nur in einer cosmopolitisch-communistischen Perspektive aufgelöst werden kann.

Um diese Perspektive theoretisch, praktisch und organisatorisch zu erarbeiten, können sich die kritischen Subjekte jederzeit assoziieren und mit dem Problemaufriss beginnen; was für diesen »Negativen Nachmittag« in 4 viertelstündigen Skizzen versucht werden kann:

  1. als Problemaufriss der chinesischen Revolution aus der weltmarkt-einbeziehenden Konstellation der Geschichte Chinas heraus – bis zur Niederlage der proletarischen Revolution 1927
  2. als Problemaufriss der maoistischen Revolution und Ideologie bis zur »Großen Proletarischen Kulturrevolution« (GPKR) – Mitte der 1930er bis Mitte der 1970er 
  3. als Problemaufriss der Ausstrahlung und Adaption des Maoismus in der modernen Welt der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts 
  4. als Problemaufriss der ML-Bewegung seit Ende der 1970er in der BRD 

– wobei der letztere Teil in eine Reihe von »Thesen über ein verständliches Missverständnis« auslaufen soll, an denen sich dann die Diskussion entzünden kann.

ad 1):

Die chinesische Revolution entsprang nicht einer »feudalen« Gesellschaftsordnung, wie vom ML und auch von MaoZedong immer geglaubt wurde, sondern dem Konflikt mit der uralten »asiatischen Produktionsweise«, einer stagnativen Kultur und Herrschaftsordnung der »asiatischen Despotie«, die seit dem »Opiumkrieg« um 1840 durch den imperialistischen Zugriff und die Durchsetzung des Kapitals gegen das »Reich der Mitte« und durch die Herstellung des fertigen Weltmarkts rapide in ihre Zersetzung und Auflösung getrieben wurde.

[Erläuterung des Begriffs »asiatische Produktionsweise«! MEW23: 535ff; MEW42: 39f: die asiat.Prod.weise gehöre vorbürgerl. Formationen, den ersten Klassengesellschaften an (China, Indien, Iran und Mittelasien, alte mediterrane Welt, altes Ägypten, Teile Afrikas, altes Peru, altes Mexiko), finde sich aber in Travestie- oder Verfallsformen auch in neuerer Zeit, so Marx um 1850. Zusammenfassend L.Krader in HKWM1:630f: » Die Dörfer waren Gemeinschaften von Nachbarn oder Verwandten oder eine Kombination beider in Clan-Dorfgemeinschaften (ching-tien-System in China) ...Der Charakter der aP ist insofern widersprüchlich (: ...) Die substanziellen Verhältnisse des Dorflebens waren die der Arbeit in der Gesellschaft, die Produktion eines gesellschaftlichen Surplus und seine Entfremdung von den unmittelbaren Produzenten durch die Agenturen des Staates. (...) Das Dorfleben war unter diesen Umständen der Form nach gemeinschaftlich, in der Substanz gesellschaftlich und antigesellschaftlich. (...) Der Staat erscheint als vergrößertes Gemeinwesen,das über den wirklichen Gemeinwesen schwebt, und ist als solches der Hauptlandeigentümer [MEW 42:385]; von hier aus wird die Staatsmacht auf die Gottheit, den Gottkönig, den Priesterkönig oder die Priesterkaste projiziert. Umgekehrt wird im Rechtssystem das in concreto der Dorfgemeinschaft zuerkannte Grundeigentum in abstracto der Gemeinschaft als dem Staat zuerkannt. (...) Die Produktionsmittel werden besessen durch die Gemeinschaft als Dorf und durch den Staat als die vergrößerte Gemeinschaft, die in der aP großgeschrieben wird. [Dagegen:] In der kapitalistischen Produktionsweise ist der Unterschied zwischen dem [juristischen] Eigentum und der [faktischen] Kontrolle über die Produktionsmittel entscheidend; dieser Unterschied wird [aber häufig] fälschlich auf frührer Zeiten zurückprojiziert.« (Krader in HKWM1: 631-638 VERVOLLSTÄNDIGEN!)

(MEW 4: ) Niederreissen »aller chinesischen Mauern« durch die Weltexpansion des Kapitals und umgekehrt (MEW 23: S.85FN25): Verrücktwerden der Welt, indem »China und die Tische zu tanzen anfingen, als alle übrige Welt stillzustehn schien – um die anderen zu ermutigen.«

Im Rückblick wurde von Sinologen die Periode 1850 bis 1950 sogar als »das Jahrhundert der chinesischen Revolution« bezeichnet. Seit der Taiping-Revolution ( ) war es mit der »geschichtslosen Gesellschaft« und »stationären Produktionsweise« vorbei, und während »die Wirren, die China zum weltweit blutigsten Bürgerkriegsschauplatz des 19.Jahrhunderts machten«, von der kaiserlichen Despotie und konfuzianistischen Bürokratie noch gerade bis ins erste Jahrzehnt des 20.Jh. in Schach gehalten werden konnten, bildete sich in diesen Irrungen und Wirrungen der rebellierenden »negativen Seite« das gigantische soziale Potenzial einer communistischen Revolution in utopischer Form, aber schon als »wirkliche Bewegung, die den bestehenden Zustand aufhebt« heraus, während auf der »positiven Seite« die bürgerliche Revolution sich vorbereitete: »Die langfristig wichtigste sozialgeschichtliche Tendenz des 19.Jahrhunderts war die wachsende Emanzipation der Kaufmannschaft von der Bevormundung durch den Staat und von der Geringschätzung, mit der ihr die (...) konfuzianischen Beamtengelehrten zu begegnen pflegten.«

Schon hier ist der chinesische Begriff von »Kultur« festzuhalten, der gesellschaftlich eine viel tiefergreifende Struktur bezeichnet als im westlichen Sprachgebrauch! [ ]

Als diese uralte (seit dem 3.Jh.v.u.Z. etablierte) Herrschaftsordnung aus identischer Macht- und Bildungs-Elite 1911 unter der Wucht des Zugriffs der imperialistischen Kapitalgruppenmächte von aussen (Niederlage gegen Japan 1895) und nach der katastrofalen fremdenfeindlichen Niederlage der Boxeraufstandsbewegung (1900) zerbrach, konnte der zentralstaatliche Rahmen für das ganze »Reich«, das in seine 18 Provinzen auseinanderfiel und unmittelbar den Warlords ausgeliefert war, bis 1949 (also in einem mehr als »dreissigjährigen Krieg«) nicht wieder zu einem Territorialstaat vereint werden (»spätestens seit 1916 hat die Revolution kein eindeutiges Zentrum mehr. (...) wie ein avantgardistisches Theaterstück trägt sich die chinesische Revolution auf mehreren Bühnen gleichzeitig zu.«). Die »positive Seite« -- die bürgerlich-republikanische Macht (formelle Republik/ Zentralregierung) – ebenso wie die »negative Seite« -- die Organisationen des Proletariats und der Landarmut – bedürfen jeweils der militärischen Selbstorganisation, um sich überhaupt politisch und sozial bewegen zu können! »Alle politische Macht kommt aus den Gewehrläufen.« und: »Wenn das Volk kein Gewehr hat, gibt es nichts für das Volk.« [»Mao-Bibel«] -- diese lapidarste maoistische Formulierung der »Volkssouveränität« ist einfach die elementarste Feststellung für diese ganze lange Revolution, für ihre wirkliche Bewegung im 20. Jahrhundert gewesen. »Man versteht die Besonderheiten der chinesischen Entwicklung nicht, wenn man die enge Verquickung von Revolution und Krieg übersieht. Seit der Taiping-Revolution war China eine in hohem Maße bewaffnete und militarisierte Gesellschaft.«

Die Ersetzung des Kaisertums durch den Umsturz zu einer chaotischen Militärdiktatur war noch keine Revolution, sondern setzte deren Entwicklung erst frei: Bis zum Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929 befand sich die Bauernbevölkerung erst in neuer sozialer Gärung. »Nach dem Boxeraufstand (der übrigens Mittel- und Südchina nicht berührt hatte) blieben die Bauern einstweilen politisch stumm und ohne Fürsprecher unter den revolutionären Wortführern. Der soziale Sprengstoff hatte zwei andere Quellen. Beide fanden sich in den Städten, vor allem in den kolonialen Häfen des Ostens. Erstens entstand dort, hauptsächlich in Shanghai, Kanton und Hongkong, unter Fabrik- und Transportarbeitern ein modernes Proletariat. Es unterhielt in seiner ersten Generation noch enge Verbindungen zu seiner dörflichen Herkunft und bestand, etwa in der Leichtindustrie, zu einem höheren Prozentsatz aus Frauen, als man dies von der europäischen Frühindustrialisierung her kennt.« Die Ideologie, die sich aus seinen Klassenkämpfen herausbildete, war aber spontan diffus »antiimperialistisch«-patriotisch gerichtet und trade-unionistisch sowieso (Streiks und Boykottbewegungen gegen kolonialistische Entwürdigung im Alltag, gegen Einwanderungsgesetzgebung der USA, ...).

Dieser Antiimperialismus traf sich mit der Herausbildung eines chinesischen Nationalismus in der neuartigen Intelligentsia, denn – noch als Reform unter dem Kaisertum –: schlagartig hatte die »Abschaffung der staatlichen Beamtenprüfungen und dann vollends das Verschwinden der kaiserlichen Bürokratie die Karrierechancen einer ganzen Generation zunichte gemacht. Schulen und Universitäten neuen Stils, in denen auch westliches Wissen gelehrt wurde, dazu neuartige Gelegenheiten für ein Auslandsstudium (die von Zehntausenden genutzt wurden) eröffneten neue Möglichkeiten, für die sich jedoch ein Arbeitsmarkt erst langsam herausbilden musste. So entstand eine junge städtische Intelligentsia: überwiegend sozial privilegierter Herkunft, aber ohne tradierte Statussicherheit und vorhersehbare Lebenschancen. In der offiziellen Politik fand sie kein Betätigungsfeld, denn die regionalen Militärmachthaber (Warlords), die China (...) beherrschten (...), regierten autokratisch und mit einem Minimum an Zivilverwaltung. Diese 'freischwebende Intelligenz' (...) stürzte sich in Wissenschaft, Publizistik und Literatur. Zeitschriften und Buchverlage, Diskussionszirkel und Studiengruppen schossen wie Pilze aus dem Boden.« Sie bildeten eine »Bewegung für Neue Kultur«, die zum überwiegenden Teil stark nationalistisch, teilweise aber auch schon cosmopolitisch orientiert zum Angriff auf die überkommenen kulturellen Selbstverständlichkeiten des Konfuzianismus, d.h. auf »die konfuzianische Ziviltheoologie« (Opitz) überging: »für empirische Wissenschaftlichkeit, für die Emanzipation der Frau und für eine Überwindung der Untertanengesinnungen.« Diffus war man für »Demokratie«. Mit der durch die (China -- mit der frustrierendsten Arroganz der Macht der Imperialistengruppen -- zurücksetzende) Pariser Friedenskonferenz ausgelösten »4.Mai-Bewegung« 1919, »auf die sich bis heute chinesische Demokraten berufen, ging die zunächst nur auf dem Papier betriebene Kulturrevolution auf die Straße. Sie wurde zum politischen Erweckungserlebnis jener Generation, die China in den Sozialismus führen sollte« -- wie diese ideologische Fusion aus »positiver« und »negativer Seite« der sich auflösenden, aber noch lange nicht aufgebrochenen »asiatischen Produktionsweise« eben »Sozialismus« oder »Kommunismus« verstand.

[Tatsächlich waren die eher anarcho-communistischen Vorstellungen zutiefst sowohl aus daoistischen wie konfuzianistischen Denktraditionen, aber an der historischen Basis aus den durch Jahrtausende hindurch immer wieder aufflackernden chiliastischen Bauernaufständen, die sich um Geheimgesellschaften organisierten, gespeist und geprägt.]

Als diese »Jungchina«-Bewegten nun von den insgeheim bewunderten USA und den anderen bürgerlich-demokratischen Westmächten sich im Stich gelassen und düpiert sahen, gleichzeitig aber erstmals die Erfahrung machten durften, im Zeichen des Nationalismus und Antiimperialismus die städtischen Massen von Studenten, Schülern und auch Professoren zu einem Aufbruch mobilisieren zu können, nach den Massenaktionen jedoch ratloser denn je vor der Frage einer Verbindung und Vermittlung zu den großen Volksklassen der alten und modernen Gesellschaft standen, »tauchten 1920 die ersten Abgesandten der Kommunistischen Internationalen (...) in China auf.

Die Oktoberrevolution hatte von Anfang an viel Interesse unter den Intellektuellen geweckt, unter denen bis dahin der Anarchismus bekannter und populärer gewesen war als der Marxismus. Nun brachten die Agenten der jungen Sowjetmacht eine fertige theoretische Analyse der Lage Chinas und der Welt aus Moskau mit, berichteten von den praktischen Erfahrungen der Bolschewiki, verkündeten den Verzicht der Sowjetmacht auf die imperialistischen Rechte des Zarenreiches in China und gaben Ratschläge, wie man eine kommunistische Partei organisiert.«

Die KomIntern – d.h. damals noch direkt: die Leninsche Führung – konnte in China noch nicht auf eine proletarische Selbstorganisierung in parteikommunistischer Richtung setzen, setzte deshalb auf das, was an fortschrittlichen Institutionen und Organisationen da war und was sie für die politische Repräsentation einer nationalen Bourgeoisie hielt.

Schon für die russische Entwicklungsform von der halbasiatischen Despotie zu einem russischen Weg in eine communistische Produktion und Verteilung hatte Lenin Ende des 19. Jahrhunderts alle diesbezüglichen Marxschen (und durchaus auch Engels'schen, siehe beide in MEW19: , ) Überlegungen und Empfehlungen (um 1880) ignoriert und auf »Die Entwicklung des Kapitalismus in Russland« gesetzt; jetzt, nachdem die Revolution in Russland vermeintlich am Ziel einer »sozialistischen Revolution« angelangt war, die sich allerdings gerade um 1920 lediglich als alleingelassene kriegskommunistische »Sammlung der russischen Länder« mit Kurs auf einen polit-ökonomischen Rückzug in offen erklärten Staatskapitalismus befand (nach der Niederschlagung der vom Kronstädter Sowjet ausgehenden Revolutionsfortsetzung 1921, LW : ), jetzt ignorierte die Leninsche Analyse erst recht den Charakter der asiatischen Gesellschaftsformation in China und ging von einer »feudalen« Gesellschaftsordnung mit sich entwickelndem Kapitalismus aber »unreifem« Proletariat aus, eine zwar viele Wesenszüge empirisch erfassende, aber analytisch und historisch-materialistisch arg verzerrte Vorstellung der chinesischen Wirklichkeit.

Wissenschaftliche CommunistInnen stellten sich damals durchaus dieser Wirklichkeit, so fasst L.Krader zusammen (HKWM1: 634): »Die Probleme der Revolution in China in den 1920er Jahren warfen erneut die doppelte Frage nach der Theorie der asiatischen Produktionsweise und ihrer Anwendbarkeit auf die Alte Geschichte und auf die aktuellen revolutionären Zielsetzungen auf. Die Auffassungen in der KI waren geteilt. Eugen Varga, Ökonom und Berater Stalins, hielt die historische Kategorie der aP für gültig und anwendbar auf den Kampf gegen die herrschende Klasse in China, die kein Privatkapital repräsentiert, sondern die Verwaltungskontrolle über die Produktionsmittel. G. Dubrovski, der in der KomIntern eine offizielle Position innehatte, verwarf die Theorie der aP gänzlich, (...) desgleichen E. Iolk, ein weiterer Repräsentant der KI, und M. Godes. (...) Lajos Magyar unterstützte an der Seite E.Varga's die These ihrer Anwendbarkeit auf die Frage der revolutionären Bewegungen im 20. Jh. in Asien. Auch D. Rjasanov (1925) vertrat generell die These der aP. (...)«. Viele TeilnehmerInnen der Debatte sind dann in den Stalinschen Säuberungen der 1930er »verschwunden«. Insbesondere die Leistung von Lajos Magyar ist als überragende Pionierarbeit zu würdigen und aus der Verschüttung zu befreien: siehe dazu: »Ein ungarischer Chinaforscher – Lajos Magyar«, in: Ferenc Tökei: »Karl Marx – unser Zeitgenosse?« Budapest1990,S.125-135)

Im Weltbild der Leninschen Imperialismustheorie wurde jedenfalls China der Part in der Reihe der vom Imperialismus »unterjochten Nationen und unterdrückten Völker des Ostens« zugewiesen -- als Reserve der proletarischen Weltrevolution und keineswegs in einer Rolle, in der dem chinesischen Proletariat selbständig als Abteilung des Weltproletariats nennenswerte Geltung zugekommen wäre. Auch die chinesischen Bauern wurden pauschal als rückständige Masse angesehen, kurz: nur der »nationalen Bourgeoisie« käme vorerst das entscheidende Gewicht, die Bedeutung der antiimperialistischen Triebkraft zu.

Die KPCh, welche 1921 gegründet wurde, sollte sich als Anhängsel der guoMinDang (abgekürzt im folgenden: KMT = »Staat-Volk-Partei« des bürgerlich-elitären Republikaners einer national-sozialreformerischen Erziehungsdiktatur, Sun Wen = Sun Yatsen) verhalten und um die Organisierung der Arbeiterschaft kümmern. Dieser »Nationalpartei« KMT und ihrem kleinen KP-Pilotfisch (GongChanDang = Kommuinistische Partei Chinas, gegründet 192[0]) verhalf nun die KomIntern »zu einer autoritären und effizienten Organisation nach bolschewistischem Muster und einer kleinen aber bestens ausgebildeten und ausgerüsteten Parteiarmee, die bald die undisziplinierten Massenheere der Warlords in die Flucht schlagen sollte. (Der später als »Mao-Anzug« im Westen zur Mode gewordene Militäruniformschnitt, der in jener Zeit die republikanischen Kader beider Parteien kleidete, ist in Wirklichkeit ein »SunYatsen-Anzug«.)

1924 war die Reorganisation der KMT beendet. Gleichzeitig stand die neugegründete KPCh halbwegs auf eigenen Füßen. Die Jahre, in denen auf sowjetisches Betreiben diese bürgerlich-parteikommunistische Einheitsfront gegen den Imperialismus geschlossen wurde, »sind von entscheidender Bedeutung für die Geschichte der chinesischen Revolution. Sie bedeuten das Ende liberaler Gedankenexperimente und den Beginn der autoritären Formierung der Intelligentsia.« Diese den chinesischen Territorialstaat militärisch aufrollende Intellektuellenschicht spaltete sich in Kürze jedoch in eine völlig demoralisierte und korrumpierte Schicht von »Kopflangern« (wie B.Brecht sie genannt hat) auf der einen Seite, nämlich auf seiten der »Kompradorenbourgeoisie« und des Großgrundbesitzes, eine Klassenkenntlichkeit, zu der die KMT schon ab Mitte der 1920er mutierte – politisch kulminierend in den Massakern des SunYatsen-Nachfolgers JiangKaishek 1927: weitgehende, katastrofale Vernichtung der revolutionären Arbeiterbewegung und der KP-Kader in den großen Städten und Industriezentren, und auf der anderen Seite eine große Zahl opfermütiger, idealistisch-protokommunistischer Parteifunktionäre, die sich aus dieser Katastrofe retten konnten. Diese neuartigen ParteiarbeiterInnen einer demokratisch-parteikommunistischen Intelligenz und proletarischen Elite wirkten von nun an in den chinesischen Rückzugsgebieten der zu reorganisierenden KP, einer in abgelegenen Gebirgsregionen Südchinas zäh aufgebauten und militärisch gehaltenen Bauernrätemacht, einem KP-Militärregime, das hervorgegangen war aus den ersten großen Bauernaufständen der neuen Revolutionsära »Herbsternteaufstand« in MaZedong's Heimatprovinz Hunan), aus der Flucht vor der konterrevolutionären Vernichtung in den Städten, aus der Defensive gegen die »Einkreisungs- und Vernichtungsfeldzüge« des KMT-Regimes und aus dem Abfallen bedeutender, hervorragend ausgebildeter Truppenteile von der reaktionär gewordenen KMT-Armee -- Truppen und hochqualifizierte Kommandeure, die der keimhaften Roten Macht alsbald rettend zu Hilfe kamen. Damit entstand auch im Keim die »Dreierverbindung« der späteren maoistischen Herrschaftsorgane im Namen der Hegemonie des Proletariats über die chinesische Revolution (Parteikader+ Soldat + Bauern-Arbeiter ); während der Bauern-Organisator MaoZedong nunmehr eine von der KomIntern-Direktive abweichende Strategie für die chinesische Revolution formulierte und allmählich durchsetzen konnte, deren Kern die Mobilisierung der armen und mittleren Bauernschaft gegen die Ausbeutung und Herrschaft der Grundbesitzer war.

Dabei gelang es MaoZedong von Anbeginn, den Sockel der asiatischen Despotie in ihrer Grundzelle anzugreifen: im konfuzianistisch legitimierten und tradierten Familiensystem. Auch wenn im MaoZedong-Denken diese überkommene chinesische Gesellschaftsordnung durchhaltend pauschal mit »dem Feudalismus« verwechselt wird, dessen zersetzender Einfluss auf die asiatische Produktionsweise allerdings im 20. Jh. damals wie heute noch strittig ist, so hat die Mao-Konzeption doch genau erfasst, was der marxistische Chnaforscher (und Pionier der Analyse der »asiatischen Produktionsweise) Karl August Wittfogel 1936 festhielt: »Nirgends in der Welt hat die Erziehung zur vollkommenen Unterordnung der Ehefrau und der Kinder unter die Autorität des Vaters und der älteren Familienangehörigen eine derart konsequente und differenzierte Gestalt angenommen wie im konfuzianischen China. Man muss den Alten dienen und sie ernähren.«

Denn die Art der bäuerlichen Produktion in China, die auf langfristig gelerntem und verfeinertem Arbeitsgeschick basiert, weist dem Familienoberhaupt die zentrale Stellung im Familiensystem zu. Der staatliche und patriarchale Despotismus korrespondiert mit dem familialen Despotismus des häuslichen Patriarchen. Der Vater im bäuerlichen Haushalt wurde zum Stellvertreter des Vaters aller Chinesen, des Kaisers. Mit einem extrem weitgefassten Verfügungsrecht des Vaters über seine Familienangehörigen wurde von staatlicher Seite die Stellung des Familienoberhauptes sanktioniert (U.Vogel1974:130).

Auch nach der Republikanischen Gesetzgebung waren die faktischen Produktions- und Herrschafts-Beziehungen dieser konfuzianistisch legitimierten Pyramide keineswegs angetastet, sie wurden einerseits langsam aber stetig von aussen ökonomisch zersetzt, mussten jedoch als subjektive und objektive Grundbedingung für eine Revolution gewaltsam durch unerhörte Rebellionsformen aufgebrochen werden, damit die Klassenkampfentfaltung überhaupt eine Chance, einen Spielraum gewinnen konnte.

[zit. Lászlo Ladany: Hinweis auf die soziale Basis, welche Mao mobilisierte!]

Das Dilemma (»Hic Rhodus, hic salta!«, Situation aus der es keine Rückkehr gibt): »Quadratur des Zirkels« zwecks »Ausbrechen aus dem Teufelskreis«! In dieser paradoxen Kombination lässt sich vielleicht die maoistische historische Leistung am ehesten pointieren:  ihre ungeheure Gewaltsamkeit gepaart mit ihrer ungeheuren List.

ad 2) :

(Problemaufriss der maoistischen Revolution und Ideologie bis zur »Großen Proletarischen Kulturrevolution« (GPKR) – Mitte der 1930er bis Mitte der 1970er)

1935 (Zunyi) – 1975 (neue Verfassung). (Verlauf bis 1949 geschildert bei J.Osterhammel in Peter Wende2000: 255unten bis 258)

1966 bis zum »Januarsturm«1967:

Ordnungsmacht Armee, Oktroi »Kommune von Shanghai« seitens maoist. ParteiStaatsPartei-Zentrum , nachdem der zweite Ansturm, die »Revolutionären Rebellen«, im Januar 1967 aufgelaufen sind. Zerfall des Reiches droht, da »Purpur«- bzw. »Scharlach-Garden« der oberen Arbeiterschichten gegen Rotgardisten und Rebellen vorgehen (R.Hoffmann zur Polarisierung in den Betrieben!)

ad 3):

zur Ausstrahlungskraft des Maoismus weltweit:

Exkurs:  Wahrnehmung und Zurückweisung/Kritik des Maoismus durch die Situationistische Internationale (bis 1972)

Das Original eher durch die Kopie gesehen, linkskommunistische Aburteilung und Verständnislosigkeit in der Fixierung auf die Katastrofe von 1927. Schauder vor der »Arbeitsreligion« und dem sich überschlagenden Personenkult verstellte einigermaßen das genaue Hinsehen auf die Klassenkämpfe unter der konzentriert-spektakulären Oberfläche.

Unbestechliches Urteil über die maoistische Variante schein-alternativer stalinistischer Aussenpolitik.

ad 4):

Maoismus in BRD:  Es gab eine deutsche ML-Bewegung – wie war sie möglich?

Thesen:

  1. Die Besonderheit der deutschen Linken traf im spektakulären Bild der »GPKR« in der Konstellation der ausgehenden 1960er Jahre auf die Besonderheit der chinesischen Revolution und glaubte darin spiegelbildlich-projektiv die Lösung ihrer Probleme wahrzunehmen. Das Kardinalproblem beider Klassenkampfgeschichten war die vordemokratische Rückständigkeit zutiefst autoritärer Gesellschaftsordnungen – in China die Hypothek der »asiatischen Produktionsweise« und des Konfuzianismus, in Deutschland die »unbewältigte« Vergangenheit eines verpreussten Staatsvolks, das anstatt bürgerlich-demokratischer bis proletarisch-communistischer Revolution-in-Permanenz seit 1848 und seit den letzten Projekten eines »Reiches« immer nur konterrevolutionär mobilisiert worden war, während die revolutionären Elemente der Arbeiterbewegung 1914, 1918/19, 1923 und 1933 sukzessive niedergeworfen und vernichtet worden waren. Durch die darauffolgende Shoah war das historische Versagen des Proletariats und der demokratischen Revolution in Deutschland ebenso unwiderruflich bestätigt worden, wie das volksstaatliche Projekt »Deutschland« selbst dadurch für immer sein historisch-moralisches Existenzrecht verwirkt hat. Diese nichtwiedergutzumachende Kränkung für die demokratische Linke und die revolutionär gesonnenen Elemente in der BRD – dem offiziellen staatlichen Nachfolger des Dritten Reiches – bewirkte die verschiedensten Verleugnungsleistungen im gesellschaftlichen Unbewussten: viele deutsche Linke identifizierten sich einfach mit dem sogenannten »anderen«, »anständigen Deutschland« und gingen in eine apologetische Dauerstellung zur Abwehr jeglicher Kritik an der DDR und am sogenannten »Realsozialismus« insgesamt.

    Nach dem KPD-Verbot 1956 konnten sich deutsche Linke auf diese Weise gleichzeitig den Opferstatus zurechnen – als die eigentlichen, wesentlichen, ewigen Opfer der deutschen Geschichte -- und als die eigentlichen Sieger fühlen, nämlich auf seiten der SU – als der welthistorischen Besiegerin des NS-Deutschlands und der vermeintlichen Garantin einer künftigen Welt des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus. Darin war die direkte oder indirekte, offene oder versteckt-vermittelte (»relativiernede«, bagatellisierende, anti-«antikommunistische«) staatssozialistische Apologetik eines jeglichen Stalinismus eingebaut. Auf dieser Linie konnte sogar noch der Mythos vom guten, »anderen Deutschland« kultiviert werden (Stalins Wort: »Die Hitler kommen und gehen, das deutsche Volk, der deutsche Staat bleibt.«) Diese linke Verleugnungsmentalität war jedoch mit einer besonders verlogenen, besonders masochistischen Staats- und Partei-Autoritätshörigkeit erkauft, die sogar sehr kritische Gemüter durchdrang und auf die »anti-autoritären« nachgewachsenen Linksradikalen in der BRD der Sixties nicht gerade anziehend wirkte. Diese rebellisch gestimmten Antiautoritären wollten aktionistisch handeln, nicht staatstragend, sie wollten angesichts der Durchsetzung der »Notstandsgesetze« in der BRD nicht länger die legalistische Beteuerung von »Demokratie und Sozialismus auf der Basis des Grundgesetzes« herbeten, sondern wieder offen und radikaldemokratisch von Kommunismus, proletarischer Revolution und Diktatur des Proletariats in der Form von Räten und Kommune sprechen – alle diese Formeln erschienen plötzlich wieder als Resurrektion der 1933 niedergeschlagenen kommunistischen Arbeiterbewegung, ihres militanten »Antifaschismus« und der Organisation, welche in der BRD der Adenauer- und Erhard-Regierungen und erst recht gegenüber der Großen Koalition als fast undenkbare Provokation, als extremste Herausforderung der Autoritäten wirken konnte: der stalinistischen KomIntern und der 1918/19 gegründeten KPD.

    Doch erst die »kulturrevolutionäre« Aufmischung dieses extremen Autoritarismus durch den antiautoritären Rebellionsgestus der maoistischen »Roten Garden« und die spektakuläre programmatische »Weiterführung der Revolution unter der Diktatur des Proletariats« in der VR China ermöglichte schliesslich das Einschwenken eines Teils der antiautoritären Linken – zunächst besonders Schülern, StudentInnen, Lehrlingen und JungarbeiterInnen – auf die maoistische revolutionäre Ideologie und parteistaatssozialistische Organisationskonzeption, und zwar weit über die modische, naive, geradezu poppige Kopie-Adaption des »KPD/ML«-Gründungsfiebers hinaus, vielmehr gerade durch diejenigen geläuterten SDS-Köpfe und AgitatorInnen für ein Zusammengehen der neulinken Intelligenz mit der neu sich regenden jungen Arbeiterbewegung in der BRD, welche die Septemberstreiks 1969 und die in den darauffolgenden Jahren entbrennenden Klassenauseinandersetzungen als willkommenes Menetekel für den herrschenden Klassenburgfrieden von postNS-Bourgeoisie und SPD/DGB-Ordnungsmacht wahrnahmen. Diese kritischen Geister, die z.T. durchaus mit einem H.-J.Krahl als mit ihresgleichen über »die Organisationsfrage« und über Klassenanalyse und -bewusstsein im modernsten Kapitalismus stritten, wollten vor allem nur eins: von der Theorie endlich zur Praxis kommen, und zwar so, dass die kommunistische Selbstorganisation des neu sich regenden Proletariats auch in den deutschen Zuständen – nicht nur in Frankreich und vor allem in Italien, in Polen und sogar auf den britischen Inseln um 1970 – schleunigst und rechtzeitig wieder auf die Beine kam. Die These ist also kurz: Der als entsetzlich, unerträglich empfundene Mangel einer effektiven Theorie-Praxis-Vermittlung, und zwar als Lösung der Organisationsfrage von theoretisch aufgeladenen linken Intellektuellen und rebellisch werdendem neuen Proletariat in der BRD war es, der so zahlreiche junge Leute um 1970 nach einigem Zögern zur Bildung einer »ML-Bewegung« motivierte, die sich als maoistische Alternative zur ganzen überkommenen Linken verstand.
  2. In dieser Wende zur chinesischen Revolution – der größten in Zeit und Raum während der Herstellung des fertigen Weltmarkts während dem 19. und 20. Jahrhundert – seitens der gescheiterten RevolutionärInnnen in Deutschland zeigte sich aber auch eine zutiefst archaische Unterströmung, die völlig im gesellschaftlichen Unbewussten versteckt geblieben ist.

    Der junge Marx hatte 1844 von der Gründlichkeit der Revolution gesprochen, welche die Deutschen vollbringen würden, sobald sie sie endlich überhaupt einmal wirklich beginnen würden, anstatt immer nur bei der Beerdigung der Revolutionen dabei zu sein (MEW1:Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie). Suchte die deutsche idealistische »Gründlichkeit« nun wiederum ihre Erfüllung in der wirklichen Gründlichkeit der chinesischen Revolution, welche mit der zähen überkommenen »Kultur« zugleich die ganze asiatische Gesellschaftsformation zu zerstören versuchte, so verkannte sie im Kokettieren mit diesem Vandalismus »neuer Barbaren« ihre eigene, nie abgetragene archaische Hypothek.

    Adorno hat in dem Versuch »Antwort auf die Frage: Was ist deutsch« das schon von Lukács aufgeworfene Problem des Widerspruchs zwischen Geistesrevolution und Barbarei in der deutschen Misere wiederaufgenommen und diagnostiziert: »Waren tatsächlich über lange Zeiträume der frühen bürgerlichen Geschichte hinweg die Maschen des zivilisatorischen Netzes – der Verbürgerlichung – in Deutschland nicht so eng gesponnen wie in anderen Ländern, so erhielt sich ein Vorrat unerfasst naturhafter Kräfte. Er zeugte ebenso den unbeirrten Radikalismus des Geistes wie die permanente Möglichkeit des Rückfalls.« (GS10.2,1965:695). Die eingefleischte Autoritätshörigkeit war auch von den Anti-Autoritären in der Bewegung der zweiten Hälfte der 1960er in der BRD nicht einfach abgefallen sondern hatte größtenteils nur einen Formwandel durchgemacht. Die ungeheure Aufbäumung der jungen chinesischen Rebellen gegen die perennierende »Kultur« und Struktur der asiatischen Produktionsweise fand ausgerechnet in der BRD-Linken solches Wohlgefallen, weil auch die perennierenden, nicht enden wollenden deutschen Zustände eine geradezu vandalistische, selber wieder archaische Revolte herausfordern, auf deren vielfältige Gesten und Formen im 20 Jh. hier nicht eingegangen werden kann (nur soviel: Bier spielt dabei eine nichtwegzudenkende Rolle).

    Was die für viele Weltregionen zutreffende Bestimmung der »asiatischen Produktionsweise« betrifft, so hat Marx mit diesem Hilfsbegriff die Diskussion und Forschung aufgemacht. Der Lukács-Schüler Ferenc Tökei hat diese Theorie ebenfalls Mitte der 1960er aufgegriffen und die moderne Problemlage dieser soziohistorischen Erblast von der Kategorie des »Asiatischen« getrennt; er hat eine neue historische Kategorie, die des »Germanischen«, vorgeschlagen und stellt sie neben das »Asiatische« und die »klassische Antike« in der Periodisierung der Formationen bei Marx. Jedenfalls könnte auch diese historisch-materialistische Anregung einen Hinweis geben, um zu erklären, warum in den Windungen und Wendungen auch der deutschen Linken immer wieder auf die uralte, nie aufgehobene Tiefenstruktur von »Gemeinschaft« regrediert wird, warum auch und gerade noch in den modernsten »teams« sowohl auf dem rechten wie auf dem linken Flügel dieser Gesellschaft »Gefolgschafts«-Patterns durchschlagen und wie es zugeht, dass antiautoritäre oder »autonome« Bewegungen hier immer wieder so bald in repressiv-vergemeinschaftlichende Strömungen, Szenen und Sekten, in autoritäre Verinnerlichung und Entäusserung »linker« Normen und unkritischer Sprachregelungen umschlagen »müssen«. Für diese immer wieder zu machende Erfahrung mit vermeintlich durch und durch nichtautoritären Persönlichkeiten, die mitten in den Gesten ihrer radikalen Rebellion in autoritäre Normendurchsetzung sich und anderen gegenüber umkippen, ist die westdeutsche ML-Bewegung, diese Maoismuswelle am Ausgang der Sixties, bis heute das Paradigma. (Hinzu kommt der deutsche eingefleischte politische Partikularismus, der sich im permanenten Gründungs- und Spaltungsfieber, im Duodezfürstentum des ML-Fürstentums etc. bis in die längst nicht mehr offen / bewusst MLigen Strukturen der deutschen Restlinken bis heute reproduziert).
  3. Die diffuse Vorstellung vom »Volk« und den »Massen« ist tragend, ebenso wie die Weltanschauung von den »gegen den Imperialismus kämpfenden Völkern und Nationen«. Sie alle bilden eine fortschrittliche Masse, die einfach irgendwie gut ist, weil sie aus einfachen, armen Menschen besteht; diese sind dann im einzelnen weniger gut, sobald sie sich etwa als Individualitäten begreifen und verhalten, denn dann gelten sie dem Maoismus als gefährlich und unberechenbar »individualistisch«. Zum »Volk« gehört klassenmäßig jeweils alles, was nicht zum Feind gehört, und wer momentan gerade der Feind ist, bestimmt der einzige klassenanalytische Souverän: die marxistisch-leninistische Partei. In ihr bestimmt das wiederum entweder die falsche (bürgerliche, links- oder rechtsopportunistisch auftretende) Linie oder eben die richtige, die proletarische Linie, die Hauptwiderspruch und Nebenwidersprüche ebensowenig verwechselt wie die Widersprüche im Volk und die Widersprüche zwischen dem Volk und dem Feind.

    Mit dieser Kennzeichnung einer bestimmten ML-Denke soll sich in keiner Weise über die ungeheure Leistung MaoZedongs und seiner GenossInnen in China alteriert werden, dass sie mit der Lehre »Über den Widerspruch« eine äusserst praxistaugliche theoretische Konzeption entwickelt haben, mit der tatsächlich im Massenmaßstab einfache Bauern, Soldaten, ArbeiterInnen zu listigen und mutigen StrategInnen und TaktikerInnen im »Volkskrieg« gegen grausame und mächtige reaktionäre Feinde werden konnten, darüber hinaus auch bei der Bemächtigung von Produktion und Verteilungssystem in der Reproduktion und Akkumulation des gesellschaftlichen Reichtums ungeheure Leistungen hervorbringen konnten. Vielmehr muss an der ML-Versimpelung und Mechanisierung der maoistischen Widerspruchslehre kritisiert werden, dass sie diese noch des durchaus dialektischen Gehalts und Vermögens beraubt, indem sie die Bestimmung von Grund-, Haupt- und Nebenwidersprüchen zur willkürlichen und beliebigen Legitimationsideologie für die jeweilige politische Praxis zu missbrauchen pflegt. Die Linie der BRD-«Vaterlandsverteidigung« in der sozialpatriotischen maoistischen KPD Mitte der 1970er im Rahmen der Deutung der maoistischen »Theorie der drei Welten« ist ein solches Beispiel.
  4. Staatsfetischismus des ML:
    Der »Volksstaat«, diese fixe Idee »mit dem demokratischen Wunderglauben an den Staat« hatte schon Marx radikal kritisiert (MEW 19: ), sie geistert aber ebenso in der ML-Ideologie als tragendes Subjekt herum, wobei der Maoismus genau wie der ganze Leninismus davon ausgeht, die revolutionäre Diktatur des Proletariats sei ganz einfach »der Staat des Proletariats«. Marx und Engels kennzeichneten diese politische Übergangsform jedoch ganz im Gegensatz dazu als »schon kein Staat im eigentlichen Sinne mehr«, sondern ein »Gemeinwesen« wie die Pariser Commune. Die Staatsgläubigkeit deutscher Maoisten konnte sich in der selbsterklärten Rolle als künftige staatliche VolkserzieherInnen schon in ihren Organisationen ausleben, die weitgehend »Schulungs«-Kader aufbauten.
  5. Die von Karl Marx begründete Kritik der politischen Ökonomie wird vom ML durch positive »politische Ökonomie des Sozialismus« ersetzt, wobei der Kern der Marxschen Kritik, die Analyse von Substanz und Formen des Werts der Waren und die Analyse der Warenform selbst, unter den Tisch fällt ebenso wie die Analyse und Kritik des Fetischismus der Warenproduktion und der Fetischgestalten der kapitalistischen Klassengesellschaft in ihrer Weiterentwicklung. In dieser Verkürzung des sogenannten Marxismus auf Effektivitätsberechnungen der von den Produktionsbedingungen nach wie vor getrennten Arbeitenden, die bürokratisch »planwirtschaftlich« weiterhin als Lohnabhängige und TauschwerteproduzentInnen verwaltet werden (»materielle« und/oder »ideelle Stimuli«), tritt zutage, dass es sich auch beim maoistischen »Aufbau des Sozialismus in einem Lande« nicht wirklich um den Übergang vom Kapitalismus zum Communismus handeln kann in der Umwälzungsperiode der Produktionsweise, sondern lediglich um den Versuch einer staatlich organisierten nachholenden kapitalistischen »ursprünglichen Akkumulation«, die überhaupt erst durch rapide Herstellung eines riesigen Proletariats ihre Grundlage erhält. Gegenüber dieser staatskapitalistischen Realität aller »realen Sozialismus«-Regimes, auch und gerade des maoistischen (Marx kennzeichnete so etwas im »Manifest« 1848 schon schlicht als »Bourgeoissozialismus«), blieb der Teil der Linken, der sich neoleninistisch oder auch trotzkistisch organisierte, immer blind. Für alle »politische Ökonomie« des ML ist die Mogelei tragend, mit der Lenin den Staatskapitalismus in der jungen SU begonnen und die Lebenslüge vom vollendbaren (nicht nur – wie Lenin: -- nur einstweilen zu beginnenden) »Aufbau des Sozialismus in einem Lande« ideologisch genährt hat: die Übergangs-, Transformationsperiode vom Kapitalismus zum Kommunismus -- die sicherlich mehrere Phasen braucht – wurde kurzerhand zu einer eigenständigen Gesellschaftsformation erklärt und »Sozialismus« getauft. Dieser darf dann noch frisch-fröhlich Warenproduktion, Lohnarbeit und »sozialistischen Profit« betreiben, er soll »den Kapitalismus ein- und überholen«. Gleichzeitig wird der Staat – anstatt zerschlagen und durch die Commune ersetzt – vielmehr gestärkt und ausgebaut, bei tüchtiger »Heranziehung der Werktätigen« oder eben auch nicht. Nur weil die maoistische Kulturrevolution in ihrer Abwicklungsphase um 1970 diese Heranziehung in Teamwork und Selbstverwaltungssystem, allseitige demokratische Selbstausbeutungsdiktatur im Dienste des Staates so herrlich weit getrieben hatte, konnte der Übergang in eine offen und schamlos erklärte »sozialistische Marktwirtschaft« durch die chinesische Staatsparteibourgeoisie innerhalb weniger Jahre nach der Mao-Ära so reibungslos durchgezogen werden, während die nicht auf »Massenlinie« regierten staatskapitalistischen Regimes als staats-«sozialistische« fast ausnahmslos zusammenbrachen.

    Aber auch für den Neo-MLismus, der aus purer »Autonomie«-Ideologie vermeintlich jenseits jedes Staatsfetischismus hervorgehen konnte, gilt, dass er, ebenso wie die alten Maoisten es taten, die Selbstverwaltung idealisiert und kultiviert, während er von ihrem Klassencharakter und vom Verhältnis zum herrschenden Staat nicht sprechen mag. Damit liefert sich solche Selbstorganisation langsam aber sicher immer wieder der Vereinnahmung, der Eingliederung in substaatliche, »non-gouvernementale« oder »bündnispolitisch vernetzte« Institutionen aus, d.h. sie »zieht die Werktätigen zur Mitarbeit im Staat heran«, durch linke »AktivistInnen«, und beutet für diesen ihre Arbeitskraft und ihr ideelles Engagement nach Strich und Faden aus. Wie aber auch schon die KPD-Massenmobilisierung im Deutschen Reich und die ML-Bewegung in der BRD trotz ihrer aufgeblähten Revolutionsrhetorik letzten Endes legalistisch in die Kapitulation (1933), in die Selbstauflösung bzw. in die karrieristische Kooptation des opportunistischsten Teils ihres Führungskräfte-Kaders in die herrschende Klasse (Beispiel Joscha Schmierer und Konsorten) übergegangen sind, ebenso gesetzmäßig gehen seit 2000 in der Berliner Republik die FunktionärInnen der aus »Autonomen«und »radikaler Linken« hervorgegangener anti-«Empire«- und antifa-Bewegung immer kenntlicher nach rechts, ordnen sich legalistisch (staats-antifa-konform, Innenstadtkampagnen-&Karawanen-kulturpolitisch) in die große substaatliche linkspopulistische Volksfront / Einheitsfront ein, wo im vergemeinschaftenden Affekt gegen die revolutionär-cosmopolitischen Möglichkeiten im Schoße der kapitalistischen »Globalisierung« bei diesen schamlosen »Kompromittierungen des Reformismus oder der gemeinsamen Aktion pseudorevolutionärer Trümmerhaufen« von einer »antistaatlichen revolutionären Diktatur des Proletariats« schon gar keine Rede und kein Gedanke mehr sein kann (Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels« Thesen 220,129). Dafür wird für diese Heranziehung und Eingliederung Linker vornehmlich als Kampagne für »Demokratie als unvollendeter Prozess« ohne Ende auf allen Ebenen und im Weltmaßstab mobilisiert. »Selbst die vulgäre Demokratie, die in der demokratischen Republik das Tausendjährige Reich sieht und keine Ahnung davon hat, dass gerade in dieser letzten Staatsform der bürgerlichen Gesellschaft der Klassenkampf definitiv auszufechten ist – selbst sie steht noch berghoch über solcherart Demokratentum innerhalb der Grenzen des polizeilich Erlaubten und logisch Unerlaubten.« (MEW 19: S.29)

    Wusste die alte ML-Bewegung noch genau und trat dafür in den deutschen Zuständen ein, dass die Formel von der »Weiterführung des Klassenkampfes unter der Diktatur des Proletariats« nach Mao's Leitdevise »Nie den Klassenkampf vergessen!« geradezu die soziale Seele aller politischen Austragungsformen von Demokratie im Übergang zu einer communistischen Gesellschaftlichkeit sein muss, so haben die meisten ihrer einstigen ProtagonistInnen und alle ihre WiedergängerInnen in der Gegenwart genau diesen revolutionären Gehalt »vergessen«, abgehakt. Was sich heute in DeutschEUROland um die staatskommunistischen Parteiapparate und »kulturrevolutionären« Kongresse wie Metallspäne an den radikalreformistischen Magnetpol des politischen und kulturellen »Aktivismus« ankristallisiert, spricht von nichts anderem mehr als einer verwässert neo-leninistischen »Demokratisierung bis ans Ende«, die (wie schon »das demokratische Programm der westdeutschen Kommunisten« des KBW 1973) angeblich direkt an und in den Übergang zum Sozialismus führen soll.

»Doch das ganze Programm, trotz allen demokratischen Geklingels, ist durch und durch vom Untertanenglauben (...) an den Staat verpestet oder, was nicht besser, vom demokratischen Wunderglauben, oder vielmehr ist es ein Kompromiss zwischen diesen zwei Sorten, dem Sozialismus gleich fernen, Wunderglauben.« (Marx, MEW 19: S.31)

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