erweiterte, aktualisierte fassung, frankfurt a.m. oktober 2007

protokolle des kritischen kurses  [Teil 2 von 3]
»Die Gesellschaft des Spektakels« von Guy Debord

{→ zum Buch von 1967 in der vom Autor gebilligten Übersetzung aus dem französischen von Jean-Jacques Raspaud. Edition Nautilus. Hamburg, 1978.→ // → zur Übersicht: Situationistische Revolutionstheorie →}

 

zu kapitel 1  DIE VOLLENDETE TRENNUNG

{Zu den Thesen: präambel / 1 / 2 / 3 / 4 / 5 / 6 / 7-9 / 10-14 / 15-17 / 18 / 19-20 / 21 / 22 / 23 / 24 / 25 / 26/ 27 / 28 / 29 / 30 / 31 / 32 / 33 / 34 }

zu these 7:

die trennung [la séparation]:
globale gesellschaftliche praxis hat sich aufgespalten in realitaet und bild.

(nicht zeichen & sprache der beduerfnisbefriedigungsproduktion, sondern:)
... zeichen der herrschenden produktion sind zugleich der letzte zweck dieser produktion(sweise).

MARX kennzeichnet die kapitalistische produktionsweise als »produktion um der produktion halber – von tauschwerten.«

der zeichencharakter der tauschwerte (aequivalentform, auf der rechten seite in der wertformgleichung: als »wertspiegel« MEW 23:, »darstellung« des gesellschaftlichen charakters der privat produzierten gesellschaftlichen produkte am/durch den »fetisch« gebrauchswert-mit-keimhaft/tendenziell-geldfunktion) wird hier herausgestellt. die gesellschaftlichkeit der allgemeinen warenproduktion in der realitaet (produktivkraefte) wird durch den privaten charakter ihrer eigentumsform (=produktionsverhaeltnis) zur erscheinung (=verkehrter + realer schein!) privaten reichtums (kapital) -- & seiner zugaenglichkeit ueber individuelle arbeit/geldverfuegung fuer alle – und umgekehrt: es ist eine »Eigentuemlichkeit der Aequivalentform, dass Privatarbeit zur Form ihres Gegenteils wird, zu Arbeit in unmittelbar gesellschaftlicher Form.« (MEW 23:73).

zu these 8:

abstrakte entgegensetzung zur wirklichen gesellschaftlichen praxis geht nicht: »doppelte Verdoppelung«.

fetischismus-wirklichkeit (1): [GWFHegel: «Identitaet des Identischen & des Nichtidentischen«, »Das Wesen ist in der Erscheinung.« etc.], positivitaet.
»Die objektive Realitaet ist auf beiden Seiten vorhanden.«

fetischismus-wirklichkeit (2):
begriffs(logische)dialektik.
speculum, reflexion
»Das Spektakel ist wirklich« (MARX: »Die Goetter Griechenlands herrschten wirklich, weil/solange die Menschen an sie glaubten«)
»diese gegenseitige Entfremdung« zweier wirklichkeiten – der objektiven und der subjektiven -- als wesen des bestehenden (»identisches subjekt/objekt«).

zu these 9:

Dans le monde réellement renversé, le vrai est un moment du faux.

[die lüge:]
»das Wahre ein Moment des Falschen«
(MARX' bestimmung von ideologie MEW 13: S.9)

siebte bestimmung (selbstdefinition) des spektakels:
»die Behauptung [jedes gesellschaftlichen Lebens als eines/] des Scheins«

{Zu den Thesen: präambel / 1 / 2 / 3 / 4 / 5 / 6 / 7-9 / 10-14 / 15-17 / 18 / 19-20 / 21 / 22 / 23 / 24 / 25 / 26/ 27 / 28 / 29 / 30 / 31 / 32 / 33 / 34 }

zu these 10:

gesellschaftliche inszenierung der einzelnen erscheinungen:
DEBORD postuliert hier erstmals direkt: theoretische verallgemeinerung, durch welche »der Sinn einer allgemeinen Wahrheit erkannt werden muss«! dies richtet sich materialistisch-ontologisch & erkenntnistheoretisch gegen jeden radikalen konstruktivismus.

»Aber die Kritik entdeckt das Spektakel [durch sie erst] als die sichtbare Negation des Lebens«.

zu these 11:

zur [dialektischen] analyse: kuenstliche trennungen noetig!

»der Communismus als die wirkliche Bewegung« (MEW 3:35f):
sich der sprache des spektakels bedienen, denn sie drueckt den historischen »Sinn«, den »Zeitplan« unserer oekonomischen gesellschaftsformation aus.
dies fuehrt zum historischen materialismus (dynamisch ueber FEUERBACH hinaus).

zu these 12:

positivitaet des bestehenden (statik, zyklizitaet) fordert passive haltung als zuschauer (mitmacher) ab.

»Monopol des Scheins« = unbestreitbare legitimation durchs faktische: »So wie es ist, ist es gut und vernuenftig, sonst waere es nicht so.«[1]

zu these 13:

tautologie: seine mittel sind zweck.

[MARX: »Geld = Sonne«] sonne ueberm reich der passivitaet,
[werbung:] eigenes loblied, lied des selbstlobs

(ur-reformist E.BERNSTEIN: »Die Bewegung ist uns alles, das Ziel nichts.« der weg ist das ziel, etc.etc.)

zu these 14:

tautologie: die moderne industriegesellschaft als oekonomische basis ist wurzelhaft-oekonomisch »spektakularistisch«.

das spektakel ist das bild der herrschenden wirtschaft.

{Zu den Thesen: präambel / 1 / 2 / 3 / 4 / 5 / 6 / 7-9 / 10-14 / 15-17 / 18 / 19-20 / 21 / 22 / 23 / 24 / 25 / 26/ 27 / 28 / 29 / 30 / 31 / 32 / 33 / 34 }

zu these 15:

achte bestimmung des spektakels: (umschlagen:) aus 3 gruenden ist das spektakel (als bilderproduktion) »die hauptsaechliche Produktion der heutigen Gesellschaft«.

zu these 16:

verhaeltnis dieser oekonomie zu (dem ganzen leben der) lebendigen menschen:
verdinglichung, warenfetischismus der produzent_innen selbst ...

zu these 17:

oekonomische entfremdungs-fasen:
zuerst »Degradierung des Seins zum Haben«, dann (gegenwaertig) »verallgemeinerte Verschiebung vom Haben zum Scheinen«. [umschlagen] des habens ins bloße scheinen: Prestige, Zweck«!
(vgl.ADORNOs beobachtung von einer »Verlurchung« der subjekte:) »jede individuelle Wirklichkeit« wird von der gesellschaftlichen macht so [vernichtet].

{Zu den Thesen: präambel / 1 / 2 / 3 / 4 / 5 / 6 / 7-9 / 10-14 / 15-17 / 18 / 19-20 / 21 / 22 / 23 / 24 / 25 / 26/ 27 / 28 / 29 / 30 / 31 / 32 / 33 / 34 }

zu these 18:

verwandlung(s-tendenz) der welt in bloße bilder: bilder werden zu wirklichen wesen! & zu wirkungsmotiven eines hypnotischen verhaltens[2]: das sehen / schauen als der sinn, der der verallgemeinerten abstraktion & mystifizierbarkeit entspricht.

ansatz schon der MARXsche vergleich des fetischisierungsvorgangs bei der wert&warenform – als gesellschaftlicher »Phantasmagorie«! -- mit dem physiologisch-reflektienden vorgang beim sehen: »Durch dies Quidproquo werden die Arbeitsprodukte Waren, sinnlich übersinnliche oder gesellschaftliche Dinge. So stellt sich der Lichteindruck eines Dings auf den Sehnerv nicht als subjektiver Reiz des Sehnervs selbst, sondern als gegenständliche Form eines Dings ausserhalb des Auges dar. Aber beim Sehen wird wirklich Licht von einem Ding, dem äusseren Gegenstand, auf ein anderes Ding, das Auge geworfen. Es ist ein physisches Verhältnis zwischen physischen Dingen. Dagegen hat die Warenform [frz. Edition: »la forme valeur«] und das Wertverhältnis der Arbeitsprodukte, worin sie sich darstellt [in der frz. Edition der Übersetzung von Roy weggelassen: »worin sie sich darstellt«], mit ihrer physischen Natur und den daraus entspringenden dinglichen Beziehungen absolut nichts zu schaffen. Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt. Um daher eine Analogie zu finden, müssen wir in die Nebelregion derreligiösen Welt flüchten. Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eignem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen im Verhältnis stehende selbständige Gestalten. So in der Warenwelt die Produkte der menschlichen Hand. Dies nenne ich den Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt, sobald sie als Waren produziert werden, und der daher von der Warenproduktion unzertrennlich ist. Dieser Fetischcharakter der Warenwelt entspringt (…) aus dem eigentümlichen gesellschaftlichen Charakter der Arbeit, welche Waren produziert.« (MEW 23: 86f)

aber das spektakel ist mehr als zuschauen, sondern vielmehr der blinde fleck, die verblendung sowie »das Gegenteil des Dialogs« [nicht-zuhoeren-koennen, monolog], »ueberall [da reproduziert sich das spektakel], wo es unabhaengige Vorstellung/Repraesentation [i.s.v. ersatz der wirklichkeit an sich] gibt.«

{Zu den Thesen: präambel / 1 / 2 / 3 / 4 / 5 / 6 / 7-9 / 10-14 / 15-17 / 18 / 19-20 / 21 / 22 / 23 / 24 / 25 / 26/ 27 / 28 / 29 / 30 / 31 / 32 / 33 / 34 }

zu these 19:

kritik an den (okzidentalen) filosofen (wie MARX an FEUERBACH):

das spektakel »verwirklicht nicht die Philosophie« [das waere communistische revolution], sondern »es philosophiert die Wirklichkeit«.

selbst-degradation des konkreten lebens der menschen zu einem spektakulaeren universum (seit dem [DES]CARTesianismus etc...)

zu these 20:

neunte bestimmung: »Das Spektakel ist der materielle Wiederaufbau der religiösen Illusion.«

dies durch die spektakuläre technik vermittelt.

nicht-transparenz der modernen welt.

[»religiöser atheismus«, so LUKACS’ kennzeichnung des modernen philosophischen »mythenschöpfens« ab NIETZSCHE]

statt verweis auf jenseits: jetzt diesseitiges »trügerisches Paradies«: zugleich als verbannung der menschlichen kräfte in ein jenseits: »die vollendete Entzweiung im Innern des Menschen«.
(vgl. MARX: kritik des bürgers als schizo: naturwesen vs. gesellschaftliches wesen, privatmensch vs. politische person (staatsbuerger_in)

{Zu den Thesen: präambel / 1 / 2 / 3 / 4 / 5 / 6 / 7-9 / 10-14 / 15-17 / 18 / 19-20 / 21 / 22 / 23 / 24 / 25 / 26/ 27 / 28 / 29 / 30 / 31 / 32 / 33 / 34 }

zu these 21:

À mesure que la nécessité se trouve socialement rêvée, le rêve deviant nécessaire. Le spectacle est le mauvais rêve de la société moderne enchaînée, qui n’exprime finalement que son désir de dormer. Le spectacle est le gardien de ce sommeil.

[stichworte des diskussionsprotokolls 2004:]

notwendigkeit zu arbeiten, notwendigkeit zu schlafen – traum als geträumte verwirklichung der möglichkeit, besser oder weniger oder gar nicht mehr zu arbeiten; traumarbeit (S.FREUD).

schlechter traum / (un)gestörter schlaf: »Das Spektakel ist der Wächter dieses Schlafes.« (entwendung / plagiat von S.FREUDs lehrsatz »Der Traum ist der Waechter des Schlafes, nicht sein Störer.« in: »Die Traumdeutung« GW II/III:239)

[anmerkungen im kurs 2007:]

[»Je nachdem, wie die Notwendigkeit gesellschaftlich geträumt wird,« ist eine eher irreführende übersetzung. korrektere übersetzung 1971: à mesure que = »in dem Maße, wie … erträumt wird«! dies bedeutetet die intensität des träumens und des traumschlafes - nicht schon die form, das »wie« des träumens und den inhalt, das, »was« geträumt wird. letzteres ist jedoch in den dt. übersetzungen 1974, 1977, 1996 impliziert.

die genaue übersetzung müsste lauten: »In dem Maße, in welchem sich die Notwendigkeit geträumt findet, wird der Traum notwendig.« ]

Die These behandelt zum ersten Mal den Zusammenhang zwischen Freuds Psychoanalyse und Marx' Kritik der politischen Ökonomie. Freud bezeichnet den »Traum als Wächter des Schlafes«. Bei Marx kommt das Motiv des Traumes vor allem in den frühen Schriften vor. In den 1843 verfassten Deutsch-französischen Jahrbüchern (MEW 1, S. 346) heißt es: »Die Reform des Bewußtseins besteht nur darin, daß man die Welt ihr Bewußtsein innewerden lässt, daß man sie aus dem Traum über sich selbst aufweckt, daß man ihre eigenen Aktionen ihr erklärt.« Und: »Es wird sich dann zeigen, daß die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt, von der sie nur das Bewußtsein besitzen muß, um sie wirklich zu besitzen.«(ebd.)

Der Traumschlaf des Proletariats[3] entspricht dem Zustand, in dem das Proletariat, weil nicht revolutionär, Nichts ist. (MEW 31:446)

Der Begriff Notwendigkeit spielt auf Marx' Rede vom bleibenden »Reich der Notwendigkeit«(MEW 25, S. 828), also den in allen Gesellschaftsformen und Produktionsweisen zu bewältigenden Stoffwechselprozess des Menschen mit der Natur durch Arbeit, an. Dieser kann nicht »abgeschafft« werden, wohl aber seine jeweiligen gesellschaftlichen Formen ändern. (Lukács vertritt die Auffassung, dass Marx »Notwendigkeit« immer im Sinne einer »wenn-dann« Notwendigkeit verwendet.)

Das Wort gefesselt verweist auf die Produktionsverhältnisse, die, so Marx, in der bisherigen Geschichte ab einem gewissen Punkt zu einer Fessel der innerhalb ihrer erzeugten Produktivkräfte wurden. »Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein.«(MEW 13, S. 9. Ähnliche Stellen finden sich in MEW 3, S. 72 und MEW 4, S. 467.) Die Fessel der kapitalistischen Produktionsweise »ist das Kapital selbst »(MEW 25, S. 260). Ähnlich formuliert Marx es im ersten Band des »Kapital«:

»Das Kapitalmonopol wird zur Fessel einer Produktionsweise, die mit und unter ihm aufgeblüht ist. Die Konzentration der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Expropriateurs werden expropriiert.« (MEW 23, S. 791)

Aber das »Kapital« ist nicht nur Fessel oder »wahre Schranke« der kapitalistischen Produktion, sondern fesselt bzw. schmiedet »den Arbeiter fester an« sich »als den Prometheus die Keile des Hephaistos an den Felsen.«(MEW 23, 675)

Meine Interpretation des ersten Satzes der These:

Die Art und Weise des gesellschaftlichen Bewusstseins über das Reich der Notwendigkeit (= die Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses) bestimmt darüber, ob der Traum (= »verkehrtes Bewusstsein«) notwendig (wenn... dann...) ist. Das heißt nicht, dass sich das »verkehrte Bewusstsein« durch bloßes »Umdenken« aufheben ließe. Aber das Begreifen des verkehrten Bewußtseins ist die unerlässliche Bedingung für die praktische Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise als einer historisch-gesellschaftlichen Form des »Reiches der Notwendigkeit«. Debord spielt hier m.E. mit der Doppelbedeutung des Wortes Traum, als a) die wirklichen Verhältnisse nicht adäquat abbildendes Bewusstsein (»träumst du?«) und als b) Vorstellung einer noch nicht verwirklichten Realität (»Mein Traum wäre...«). Wenn die Notwendigkeit »kapitalistisch« geträumt wird, also die Vorstellungen von der Produktion sich im Rahmen des in den Fetischformen befangenen Bewußtseins bewegen, wird der Traum, d.h. das verkehrte Bewusstsein notwendig (= Tautologie). Ein anderer Traum vom Reich der Notwendigkeit erfordert dagegen »revolutionäres« Bewußtsein.

Die Doppelbedeutung des Wortes Traum wird im nächsten Satz weitergeführt. Das Spektakel ist der »schlechte Traum« der durch das Kapital gefesselten Gesellschaft. Das Spektakel bzw. der schlechte Traum wacht über ihren Schlaf. Was die Rede vom Wunsch der auf dem Kapital beruhenden Gesellschaft, zu schlafen, soll, ist mir nicht klar. Geht es Debord um Interessen? Marx schreibt irgendwo, dass es das Interesse der herrschenden Klasse sei, die Konfusion über die bestehende Gesellschaft zu verewigen.

[in der diskussion dieses kommentars wurde eingewandt / hinzugesetzt:]

1.) die tautologie des verhältnisses: traum - realität entspricht nur der tautologie des verhältnisses: ideologie - produktionsverhältnisse; in beiden sind die ideellen spiegelungen zugleich funktion ihrer reellen basis. trauminhalt und traumarbeit funktionieren S.FREUD zufolge mehr oder weniger so, dass sie die widersprüche des wachzustands, also des alltagslebens und der äusseren notwendigkeiten im überlebensprozess dem unbewussten so weit erträglich erscheinen lassen, dass der organismus weiterschlafen kann; die ideologie in einer klassengesellschaft funktioniert ebenfalls stets als legitimation des durchsetzens der eigenen klasseninteressen sowie als »einsicht in die notwendigkeit« des gesellschaftlichen geradesoseins; alle verzerrungen der realität sind also funktional, zugleich sind die entsprechungen von materiellen und ideellen formen mehr oder weniger tautologisch: d.h. die reale »notwendigkeit« drückt sich als ideelle »notwendigkeit« im unbewussten, vorbewussten und im bewusstsein adäquat-spiegelbildlich aus – wenn auch verzerrt, »auf dem kopf stehend« usw.

2.) wenn die notwendigkeit der wert&warenförmigen produktion, also der privatproduktion, gesellschaftlich als idealbild einer universellen perfekten warenproduktion ohne schattenseiten erträumt wird, dann »wird der Traum notwendig« als schlechter traum. er wird notwendig nur so lange und nur in dem maße, wie die gesellschaft aufgrund ihrer stumpfsinnig-blinden produktion-um-der-produktion-von-tauschwerten, d.h. ihrer tautologischen reproduktion der wertformgleichung (ware – geld) und erweiterten produktion von mehrwert, willen ganz einfach müde wird (überarbeitung im massenmaßstab führt zu müdigkeit im massenmaßstab), ebenso wie sie durch die historische »wenn/dann-notwendigkeit« von klassenkampf/reaktion/revolution/konterrevolution usw. usf. nach einigen generationen müde wird. auch die vergeblichen anstrengungen von reformpolitik, »realpolitik« sowie von nicht hinreichender revolutionärer theoriebildung … machen über kurz oder lang eine gesellschaft müde. die ideologischen utopien, tröstungen, legitimationen denkmoden und sonstigen ideellen gestaltungen haben die funktion, die ermüdeten kollektive so lange im gesellschaftlichen traumschlaf zu halten, bis sie jeweils wieder zu kräften gekommen sind, mittels derer sie erneut die klassenkämpfe wiederaufnehmen können (»Die Arbeiterklasse ist revolutionär oder sie ist nichts.« MARX)

3.) aber zugleich drücken die träume der unterdrückten ihr emanzipationsinteresse aus. dabei ist zur deutung / dechiffrierung / bewusstmachung dieses vorbewussten (denn S.FREUD zufolge ist der traum nichts anderes als »das Vorbewusste«, »System Vbw«; und die psychoanalytische Traumdeutung »die Sonde zum Unbewussten«) die deutungstechnische unterscheidung zwischen »manifestem« und »latentem Trauminhalt« entscheidend, ebenso wie die erkenntnis in die »Überdeterminierung« der traumgestalten, -bilder, welche ihre widersprüchlichkeiten sowohl verschwinden als auch sichtbar werden lässt.]

Das Spektakel als konkreteste (»Einheit des Mannigfaltigen«) Form des Fetischs wäre dann das Haupthindernis für das Proletariat auf dem Weg zur »Klasse des Bewußtseins«.

[das spektakel ist dann aber immer noch pseudokonkretion! als »real«abstraktion begriffen, stellt es gerade keine »vernünftige«, sondern eine »verrückte«, »phantasmagorische« einheit des mannigfaltigen dar, und ist »keineswegs aber der Entstehungsprozess des Konkreten selbst. Zum Beispiel die einfachste ökonomische Kategorie, sage z.B. Tauschwert, (…) kann nie existieren ausser als abstrakte einseitige Beziehung eines schon gegebenen konkreten, lebendigen Ganzen« – wie MARX in »Grundrisse …«S.22 methodologisch herausarbeitet.

die spektakelkritik versucht gerade das »gespenstische«, einseitig-abstrakte dieser modernsten ausgestaltung der tauschwerte- oder »warengesellschaft« begreiflich zu machen, so wie MARX das ganze der HEGELschen logik-wahrheit als resultat der spekulativen konstruktionsmethode philosophischer anschauung bloßlegte: »Das Ganze, wie es im Kopf als Gedankenganzes erscheint, ist ein Produkt des denkenden Kopfes, der sich die Welt in der ihm einzig möglichen Weise aneignet (…) Das reale Subjekt bleibt nach wie vor ausserhalb des Kopfes in seiner Selbständigkeit bestehn; solange sich der Kopf nämlich nur spekulativ verhält, nur theoretisch. Auch bei der theoretischen Methode muss das Subjekt, die Gesellschaft, als Voraussetzung stets der Vorstellung vorschweben.« der traum, auch HEGELs traum, von der perfekten, logisch-systematisch geschlossenen bürgerlichen gesellschaft ist in der gesellschaft des spektakels vollendet, aber nicht als konkrete gesellschaftliche objektive wirklichkeit, von der er nur das einstweilen noch notwendige subjektiv-verkehrte spiegelbild ist: eine abstraktion von der totalität des wirklichen lebensprozesses.]

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zu these 22:

Le fait que la puissance pratique de la société moderne s’est détaché d’elle-même, et s’est édifié un empire independent dans le spectacle, ne peut s’expliquer que par cet autre fait que cette pratique puissante continuait à manquer de cohesion, et était demeurée en contradiction avec elle-même.

[stichworte des diskussionsprotokolls 2004:]

selbstzerrissenbleiben, selbstwiderspruch der praktischen macht der modernen gesellschaft, ihr selbstaendig fixiertes reich im spektakel (vgl. MARX these4 adFEUERBACH)

MARX knüpft in »Das Kapital« ausdrücklich geschichtstheoretisch materialistisch an VICO an und postuliert für die erklärungsmethode der gesellschaftsformationen: sie (d. h. insbesondere die geschichte der technologie) »enthüllt das aktive Verhalten des Menschen zur Natur, den unmittelbaren Produktionsprozess seines Lebens, damit auch seiner gesellschaftlichen Lebensverhältnisse und der ihnen entquellenden geistigen Vorstellungen. Selbst alle Religionsgeschichte, die von dieser materiellen Basis abstrahiert, ist – unkritisch. Es ist in der Tat viel leichter, durch Analyse den irdischen Kern der religiösen Nebelbildungen zu finden, als umgekehrt, aus den jedesmaligen wirklichen Lebensverhältnissen ihre verhimmelten Formen zu entwickeln. Die letztere ist die einzig materialistische und daher wissenschaftliche Methode.« (MEW 23:393)

[anmerkungen im kurs 2007:]

Es handelt sich um eine Paraphrase [Entwendung] der 4. Feuerbachthese von Marx (Vgl. MEW 3, S. 6). Schon dort zeigt sich der Unterschied zwischen Marx' und Feuerbachs Religionskritik. Über den Unterschied in der Methode siehe vor allem MEW 23, S. 392f, FN 89. Die Verdoppelung in »weltliche Grundlage« und »religiöses Wolkenreich« muss nach Marx aus der »Selbstzerrissenheit« der weltlichen Grundlage erklärt werden. [Staat, homme bourgeois / homme citoyen]

Die konkrete Analyse dieser Selbstzerrissenheit erfolgt dann im »Kapital« und dort bereits im ersten Kapitel, insbesondere im Abschnitt über den »Fetischcharakter der Ware«. In den Feuerbachthesen fordert Marx die praktische Revolutionierung der weltlichen Grundlage.

[Waren-] Fetischformen und Religion unterscheidet, dass in ersteren das Produkt der eigenen Hand als mit eigenem Leben und untereinander in Beziehung stehend erscheint, während in letzterer die Produkte des eigenen Kopfes als selbständige und mit eigenem Leben begabte Gestalten erscheinen.

Alle Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit projektieren sich, so Marx, im Kapital. Dadurch ist das Proletariat unmittelbar seiner Fähigkeit, historisches Subjekt zu sein, beraubt. Es muss die Kräfte des Kapitals erst als seine eigenen erkennen und dann die gesellschaftlichen Existenzbedingungen der Trennung praktisch aufheben. Durch die warenförmige Vermittlung der gesellschaftlichen Beziehungen als Konsequenz der voneinander unabhängig betriebenen Privatproduktion [Privatarbeiten], erscheinen die eigenen gesellschaftlichen Verhältnisse der ProduzentInnen als Natureigenschaften der sie vermittelnden Waren (»Verdinglichung«). Daher auch der notwendige Schein, dass die Waren gesellschaftliche Verhältnisse eingehen bzw. ein Eigenleben führen (»Fetischcharakter«). [Einwand in der Diskussion: Trennung schärfer herausarbeiten. Markt und Staat als vermittelndes Drittes.]

Debord weist auch auf die Ursache der Selbstzerrissenheit dieser mächtigen Praxis hin (mächtig = historisch höchstentwickelte Stufe der Produktivkräfte), nämlich auf ihre Form (Widerspruch zwischen Wert und Gebrauchswert als abstrakteste, einfachste Form des Widerspruchs dieser Praxis). [Klassentrennung. Die praktische Macht aber: Staat, Heiliges, Kapital-«als Reichtum«.]

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zu these 23:

C’est la plus vieille spécialisation sociale, la spécialisation du pouvoir, qui est à la racine du spectacle. Le spectacle est ainsi une activité spécialisée qui parle pour l’ensemble des autres. C’est la representation diplomatiquede la société hiérarchique devant elle-même, où toute autre parole est bannie. Le plus moderne y est aussi le plus archaique.

[stichworte des diskussionsprotokolls 2004:]

älteste spezialisierung: die macht [pouvoir -- nur die 1971 dt.übersetzung wählt dieses wort, die anderen übersetzen: »Gewalt«. warum? Gewalt = force, kann auch mit pouvoir übersetzt werden. ]. sie ist nicht nur an der wurzel, sondern sie ist selbst die wurzel des spektakels (!)

»Das Modernste ist hier auch das Archaischste.«

zehnte bestimmung somit des spektakels: »Das Spektakel ist somit [!] eine spezifische Tätigkeit, die fuer die Gesamtheit der anderen Tätigkeiten spricht.«

repräsentant der hierarchie ...

[anmerkungen im kurs 2007:]

An der Wurzel des Spektakels liegt die älteste gesellschaftliche Spezialisierung, nämlich die der Gewalt [richtig(er) zu übersetzen: Macht (le pouvoir)]. Was meint Debord damit? Die Entstehung der Klassen und der damit verbundenen Notwendigkeit der Absicherung der Klassenherrschaft (ideologisch, militärisch...)?

Das Spektakel (weitere Bestimmung!) ist eine spezialisierte Tätigkeit, die für alle anderen (spezialisierten) Tätigkeiten spricht. Das Spektakel wird hier also auf der Ebene des Bewusstseins und des »praktischen auch für andere Menschen, also auch für mich selbst erst existierende(n), wirklichen Bewusstseins«(MEW 3, S. 30), der Sprache, angesiedelt. Engels sieht den Ursprung der Sprache darin, dass die füreinander arbeitenden Menschen »sich etwas zu sagen hatten«. Die Sprache entstehe aus der Notdurft des Verkehrs mit anderen Menschen.

[vgl. Foucault! Sprache / Wissen / Macht]

Weitere Bestimmung des Spektakels als »diplomatische Repräsentation« der kapitalistischen [aber auch schon der früheren Formen von] Klassengesellschaft vor sich selbst. Es versöhnt die Interessen der Privaten, ihrer Gesellschaftlichkeit beraubten Individuen. Daher hebt die Versöhnung die Privatinteressen nicht auf, sondern ist nur die Allgemeinheit der Interessen der Privaten. Repräsentation vor sich selbst verstehe ich als unmittelbar, spontan aus dieser [nur aus dieser?] Produktionsweise entstehende Vorstellungen über diese.

Jedes andere Wort ist verbannt = unmittelbar erscheint alles verkehrt.

Das Modernste ist deshalb auch das Archaischste, weil an der Wurzel des Spektakels die älteste gesellschaftliche Spezialisierung, die der Gewalt, liegt.

Das Spektakel ist DIE herrschende Ideologie = Ideologie der Herrschenden (Vgl. MEW 3, S. 46). In Band 3 des »Kapital« heißt es über die »trinitarische Form«: »Diese Formel entspricht zugleich dem Interesse der herrschenden Klassen, indem sie die Naturnotwendigkeit und ewige Berechtigung ihrer Einnahmequellen proklamiert und zu einem Dogma erhebt.«(MEW 25, W. 839)

Auch die Naturnotwendigkeit, von der hier die Rede ist, ist als Naturalisierung ein Rückgriff auf »reine Natur«, auf die Entstehung der Gattung Mensch, also archaische Verhältnisse. [Staatlichkeit!]

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zu these 24:

[stichworte des diskussionsprotokolls 2004:]

elfte bestimmung von »spektakel«: monolog ... in der »Epoche der totalitären Verwaltung der Existenzbedingungen«.

hier erstmals das wort »fetischistisch«!

»in den spektakulären Beziehungen« zwischen menschen und klassen

mediale vermittlungsnotwendigkeit, wesentlich einseitige »kommunikation«: diese entzweiung gleichbedeutend mit klassenherrschaft. untrennbar vom modernen staat (dessen definition!)

[anmerkungen im kurs 2007:]

Das Spektakel bestimmt als ununterbrochene Rede, die die gegenwärtige Ordnung über sich selbst hält. Ununterbrochen, weil die kapitalistische Produktionsweise den Trieb hat, Mehrarbeit während aller 24 Stunden des Tages anzueignen bzw. der Produktionsprozess kontinuierlich (auch »automatische Subjekt«, »automatisches Maschinensystem«) ist. Ununterbrochen aber auch deshalb, weil das Spektakel aufgrund der aktuellen Kräfteverhältnisse und der theoretischen Unterentwicklung weder begriffen noch praktisch in Frage gestellt werden kann.

Das Spektakel als Selbstportrait der Macht in der Epoche ihrer totalen Verwaltung der Existenzbedingungen. Verstehe ich als »reelle Subsumtion« unter das Kapital, spezifisch kapitalistischer Produktionsprozess und nicht nur formelle Unterordnung des Arbeitsprozesses unter das Kapitalverhältnis.

Der fetischistische Schein reiner Objektivität in den spektakulären Beziehungen verbirgt deren Charakter als Beziehungen zwischen Menschen und Klassen. Das Ganze der Fetischformen versteckt die gesellschaftlichen Verhältnisse der Menschen und zeigt sie als Verhältnisse der Sachen. Daher die zu lösende Frage von Marx im »Kapital« »wie, warum und wodurch Ware Geld ist«. Ware und Geld als unter dinglicher Hülle versteckte Verhältnisse von Personen (Vgl. MEW 23, S. 88 FN 27: »Wenn daher Galiani sagt: Der Wert ist ein Verhältnis zwischen Personen - ... -, so hätte er hinzusetzen müssen: unter dinglicher Hülle verstecktes Verhältnis.«).

Es fragt sich, warum Debord hier von Menschen und Klassen redet. Meint er die Menschen als Klassenindividuen? Auf der Abstraktions- und Darstellungsstufe des ersten Kapitels im »Kapital« existieren jedenfalls noch keine Klassen (wenn sie auch in der Wirklichkeit vorausgesetzt sind). Von den handelnden Personen wird dort ganz abstrahiert. Sie tauchen nur zu Illustrationszwecken auf. Die einseitige Beziehung der Waren aufeinander wird vom Theoretiker Marx vorgenommen, »war nur eine theoretische, gedachte.«(MEW 13, S. 29) Allerdings ist das Spektakel nach meinem bisherigen Verständnis nicht bloß der Warenfetisch, sondern die Gesamtheit der Fetischformen, beinhaltet also auch die die Klassenverhältnisse versteckenden oder verzerrenden entwickelteren Fetischformen.

»Zweite Natur« im Gegensatz zur »ersten Natur«. Die erste Natur ist die reale Natur, sowohl die menschliche als außermenschliche. Weil die kapitalistische Produktionsweise als Ganzes eine anarchische, ungeplante Veranstaltung ist, sagt Marx, dass er die »Naturgesetze der kapitalistischen Produktionsweise«(MEW 23, S.) im »Kapital« untersucht. Die gesellschaftlichen Verhältnisse werden von ihm nicht naturalisiert (auch handelt es sich nicht um eine unglückliche Formulierung!), sondern als »quasi-natürliche« erkannt. Aus der Summe der bewussten Einzelhandlungen (bei Lukács die »teleologischen Setzungen«) ergibt sich eine Gesamtbewegung, die so von keinem der Handelnden beabsichtigt war und auch nicht geplant werden konnte. Es lassen sich also, wie in der Natur, nur Kausalitäten dieser gesellschaftlichen Gesamtbewegung feststellen. Auch deshalb ist der »Kommunismus« das Ende der Vorgeschichte der Menschheit, nicht wie manchmal behauptet, das Ende der Geschichte.

Das Spektakel ist nicht das Produkt von Technik und technischem Fortschritt als natürlichen Prozessen, sondern im Gegenteil eine (gesellschaftliche) Form, die ihren eigenen technischen Inhalt wählt. Man könnte das jetzt so lesen, dass Debord die bereits zitierte Auffassung von Marx, wonach die Entwicklung der Produktivkräfte (wozu auch die revolutionäre Klasse selbst zählt) die Produktionsverhältnisse ab einem gewissen Punkt sprengen werde, aufgibt, und die Form dafür verantwortlich ist, dass es keine Widersprüche mehr gibt. Manche Leute behaupten dann, dass das »Kapital« mehr Argumente gegen eine Revolution als für sie enthalte.

Die Instrumentierung, z.B. Massenkommunikationsmittel ist nichts Neutrales, da der Zweck (Verwertung des Wertes, Mehrwertproduktion) in die Konstruktion der Produktionsmittel eingeflossen ist. Die Kommunikationsmittel entspringen den gesellschaftlichen Produktionsbedingungen dieser Epoche, sind ihre adäquaten Vermittler. Diese Kommunikation ist wesentlich einseitig. Im »Kapital« weist Marx schon auf die despotische Form des Produktionsprozesses, auf »kasernenmäßige Disziplin« und das »Fabrikregime«(MEW 23, S. 447) hin. Die Einseitigkeit ist nur ein anderer Ausdruck für die Bestimmung des Spektakels als Monolog.

Ein ähnlicher Gedanke, findet sich in Brechts »Radiotheorie« von 1932 (Brecht Werke, Band 18. S. 119-134). Brecht: »Die Resultate des Radios sind beschämend, seine Möglichkeiten sind unbegrenzt.«(S. 120) Der Rundfunk sei ein Distributions- und kein Kommunikationsapparat (Vgl. S. 129). »Er hat nur eine Seite, wo er zwei haben müßte. Er ist ein reiner Distributionsapparat, er teilt lediglich zu.«(ebd.) Das Radio sendet nur, es empfängt nicht. Der Zuhörer hört nur, spricht nicht, bleibt stumm und passiv.

Die Konzentration des Kapitals läuft darauf hinaus, dass in den Händen der Verwaltung der bestehenden Gesellschaft diese einseitigen Kommunikationsmittel gehäuft werden, wodurch deren Herrschaft gestärkt wird. (Auch interessant an dieser Stelle ist Marx' Bemerkung wonach die Erfindung und Einführung einer Reihe von Maschinen auf ihren Einsatz als Kriegsmittel des Kapitals gegen Arbeiteraufstände zurückzuführen ist. Vgl. MEW 23, S. 459)

Die verallgemeinerte Entzweiung des Spektakels ist (= die Proletarisierung der Welt, Verwandlung der Mehrheit in doppelt freie Lohnarbeiter ?) untrennbar vom modernen Staat, d.h. der allgemeinen Form der Entzweiung in der Gesellschaft. Diese ist Produkt (der kapitalistischen Form) der Teilung der Arbeit (Privatproduktion für andere) und Werkzeug der Klassenherrschaft.

{Zu den Thesen: präambel / 1 / 2 / 3 / 4 / 5 / 6 / 7-9 / 10-14 / 15-17 / 18 / 19-20 / 21 / 22 / 23 / 24 / 25 / 26/ 27 / 28 / 29 / 30 / 31 / 32 / 33 / 34 }

 


Fussnoten

[1] DEBORD spitzt dieses selbstverstaendnis, diese selbstlegitimatorische generalauskunft der »Oberhoheit des Spektakulaeren« spaeterhin (1988) noch weiter zu: »das integrierte Spektakel« legitimiere sich gar nicht mehr, sondern verfuege einfach nur noch: So ist es eben. »Allenthalben regiert es allein und vollstreckt seine summarischen Urteile.« (Guy Debord: Kommentare zur Gesellschaft des Spektakels. Paris 1988, dt. in: »Die Gesellschaft des Spektakels.« Berlin 1996, S.202. »In ihrer Ausgabe vom 19.September 1987 illustrierte die Tageszeitung LeMonde auf das Trefflichste das Motto ‚Über das, was einmal da ist, wird nicht geredet’, regelrechtes Grundgesetz dieser spektakulären Zeiten (…): ‚Dass die moderne Gesellschaft eine Gesellschaft des Spektakels ist, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Bald wird es die zu bemerken gelten, die sich nicht bemerkbar machen. (…)’ » S.197

[2] vgl. Adorno »Die psychologische Struktur der faschistischen Propaganda« sowie: Otto Fenichel (1937): »Schautrieb und Identifizierung«

[3] Vgl. WALTER BENJAMINs »Theorie des Erwachens”, die dieser historische Materialist bis 1940 ausgearbeitet hat:
 »Der Kapitalismus war eine Naturerscheinung, mit der ein neuer Traumschlaf über Europa kam und in ihm eine Reaktivierung der mythischen Kräfte. [K I a,8]« Walter Benjamin: Das Passagenwerk. Frankfurt am Main 1982. S.494) Im folgenden weitere Elemente zu dieser Theorie aus dem »Passagenwerk«:
»Die Verwertung der Traumelemente beim Aufwachen ist der Schulfall des dialektischen Denkens. Daher ist das dialektische Denken das Organ des geschichtlichen Aufwachens. Jede Epoche träumt nicht nur die nächste, sondern träumend drängt sie auf das Erwachen hin. Sie trägt ihr Ende in sich und entfaltet es – wie schon Hegel erkannt hat – mit List. Mit dem Untergange der Warenwirtschaft beginnen wir, die Monumente der Bourgeoisie als Ruinen zu erkennen, noch ehe sie zerfallen sind.« (ibid.:S.1249)

»Der Form des Produktionsmittels, die am Anfang noch von der des alten beherrscht wird (Marx), entsprechen im gesellschaftlichen Überbau Wunschbilder, in denen das Neue sich mit dem Alten in phantastischer Art durchdringt. Diese Durchdringung erhält ihren phantastischen Charakter vor allem daher, dass das Alte im Zuge der gesellschaftlichen Entwicklung sich niemals scharf gegen das Neue abhebt, das letzte aber, im Bestreben sich gegen das Veraltete abzusetzen, archaische, urzeitliche Elemente erneuert. Die utopischen Bilder, die das Heraufkommen der Neuen begleiten, greifen gleichzeitrig stets auf Urvergangnes zurück. Ijn dem Traum, in dem jeder Epoche die ihr folgende in Bildern vor Augen tritt, erscheint diese vermählt mit Elementen der Urgeschichte. Die Spiegelungen des Unterbaus durch den Überbau sind also inadäquat nicht darum, weil sie durch die Ideologen der herrschenden Klasse bewusst verfälscht worden wären, sondern weil das Neue, um sich bildhaft zu getalten, seine Elemente stets mit solchen der klassenlosen Gesellschaft verbindet. Das kollektive Unbewusste hat an ihnen mehr Anteil als das Bewusstsein des Kollektivs. Aus ihm stammen die Bilder der Utopie, die in tausend Konfigurationen des Lebens, von den Bauten bis zu den Moden, ihre Spur hinterlassen haben.« (ibid.:S.1225)

 »Das Erwachen als ein stufenweiser Prozess, der im Leben des einzelnen wie der Generationen sich durchsetzt. Schlaf deren Primärstadium. Die Jugenderfahrung einer Generation hat sehr viel gemein mit der Traumerfahrung. Ihre geschichtliche Gestalt ist Traumgestalt. (…) Was hier im folgenden gegeben wird, ist ein Versuch zur Technik des Erwachens. Ein Versuch, der dialektischen, der kopernikanischen Wendung des Eingedenkens inne zu werden. [K1,1]«

 »Es ist eine der stillschweigenden Voraussetzungen der Psychoanalyse, dass der konträre Gegensatz von Schlaf und Wachen für die empirische Bewusstseinsform der Menschen keine Geltung hat, vielmehr einer unendlichen Varietät konkreter Bewusstseinszustände weicht, die durch alle denkbaren Gradstufen des Erwachtseins aller möglichen Zentren bedingt sind. Der Zustand des von Schlaf und Wachen vielfach gemusterten, gewürfelten Bewusstseins ist nur vom Individuum auf das Kollektiv zu übertragen.Ihm ist natürlich sehr vieles innerlich, was dem Individuum äusserlich ist, Architekturen, Moden, ja selbst das Wetter sind im Innern des Kollektivums, was Organempfindungen, Gefühl der Krankheit oder der Gesundheit im Innern des Individuums sind.Und sie sind, solange sie in der unbewussten, ungeformten Traumgestalt verharren, genau so gut Naturvorgänge wie der Verdauungsprozess, die Atmung etc. Sie stehen im Kreislauf des ewig Selbigen, bis das Kollektivum sich ihrer in der Politik bemächtigt und Geschichte aus ihnen wird. [K1,5]«

 »Das kommende Erwachen steht wie das Holzpferd der Griechen im Troja des Traumes. [K2,4]«

»Zur Lehre vom ideologischen Überbau. Zunächst scheint es, als habe Marx hier nur ein Kausalverhältnis zwischen Überbau und Unterbau feststellen wollen. Aber bereits die Bemerkung, dass die Ideologien des Überbaus die Verhältnisse falsch und verzerrt abspiegeln, geht darüber hinaus. Die Frage ist nämlich: wenn der Unterbau gewissermaßen im Denk- und Erfahrungsmaterial den Überbau bestimmt, diese Bestimmung aber nicht die des einfachen Abspiegelns ist, wie ist sie dann – ganz abgesehen von der Frage ihrer Entstehungsursache – zu charakterisieren? Als deren Ausdruck. Der Überbau ist der Ausdruck des Unterbaus. Die ökonomischen Bedingungen, unter denen die Gesellschaft existiert, kommen im Überbau zum Ausdruck; gernau wie beim Schläfer ein übervoller Magen im Trauminhalt, obwohl er ihn kausal ‚bedingen’ mag, nicht seine Abspiegelung sondern seinen Ausdruck findet.Das Kollektiv drückt zunächst seine Lebensbedingungen aus.Sie finden im Traum ihren Ausdruck und im Erwachen ihre Deutung. [K2,5]« (ibid.:S.490-496)

»Die kopernikanische Wendung in der geschichtlichen Anschauung ist dies: man hielt für den fixen Punkt das ‚Gewesene’ und sah die Gegenwart bemüht, an dieses Feste die Erkenntnis tastend heranzuführen. Nun soll sich dieses Verhältnis umkehren und das Gewesenen seine dialektische Fixierung von der Synthesis erhalten, die das Erwachen mit den gegensätzlichen Traumbildern vollzieht. Politik erhält den Primat über die Geschichte. Und zwar werden die historischen ‚Fakten’ zu einem uns soeben Zugestoßenen: sie festzustellen ist die Sache der Erinnerung. Und Erwachen ist der exemplarische Fall des Erinnerns.Jener Fall, in dem es uns gelingt, des Nächsten, Naheliegendsten (des Ich) uns zu erinnern. Was Proust mit dem experimentierenden Umstellen der Möbel meint, Bloch als das Dunkel des gelebten augenblicks erkennt, ist nichts anderes als was hier in der Ebene des Geschichtlichen und kollektiv gesichert wird. Es gibt ‚noch nicht bewusstes Wissen’ vom Gewesenen, dessen Förderung die Struktur des Erwachens hat. [h°,2]«

»… Diese echte Ablösung von einer Epoche hat die Struktur des Erwachens auch darin, dass sie durchaus von der List regiert wird. Denn das Erwachen operiert mit der List. Mit List, nicht ohne sie, lösen wir uns vom Traumbereich los. Es gibt aber auch eine falsche Ablösung, deren Zeichen ist die Gewaltsamkeit. Auch hier gilt das Gesetz von der das Gegenteil bewirkenden Anstrengung. (…) [h°,3]

»Dialektische Struktur des Erwachens: Erinnerung und Erwachen sind aufs engste verwandt. Erwachen ist nämlich die dialektische, kopernikanische Wendung des Eingedenkens. Es ist ein eminent durchkomponierter Umschlag der Welt des Träumers in die Welt der Wachen. (…) Die neue dialektische Methode der Historik lehrt mit der Schnelligkeit und Intensität von Träumen nim Geiste das Gewesene durchzumachen, um so die Gegenart als Wachwelt zu erfahren, auf die zuletzt sich jeder Traum bezieht. [h°,4]« (ibid.: S.1057f)

[aus den Manuskripten des Nachlasses:]

Motive zur Passagenarbeit

(…) (Darstellung der geschichtlichen Erkenntnis nach dem Bilde des Erwachens) (…) Entstehung des Proletariats; sein Erwachen in der Juniinsurrektion (…) Die Inthronisierung der Ware (Reklame und Ausstellungen) – Einwirkung der Industrie auf die Sprache später als auf das Bild (bei den Surrealisten) (…) Die Passagen als Traum- und Wunschbild des Kollektivs (…) (Grandville und die Reklame): Traum und Erwachen (Rettung der Utopisten; Anschauungen von Marx und Engels über Fourier) (…) die wahre Bedeutung der Utopie: sie ist ein Niederschlag kollektiver Träume
(…) Polemik gegen C.G. Jung, der vom Traum das Erwachen fernhalten will. (…)
Noch nicht bewusstes Wissen von Gewesenem. Struktur des Gewesenen auf dieser Stufe. Wissen vom Gewesenen als ein Bewusstsichmachen, das die Struktur des Erwachens hat. Noch nicht bewusstes Wissen der Kollektive.
Alle Einsicht nach dem Schema des Erwachens zu fassen. Und sollte das ‚noch nicht bewusste Wissen’ nicht Traumstruktur haben? (…) Wir konstruieren das Erwachen theoretisch, das heisst wir bilden im Bereich der Sprache denTrick nach, der physiologisch im Erwachen das entscheidende ist, Erwachen operiert mit der List. Mit List, nicht ohne sie, lösen wir uns vom Traumbereich los. (…)
Hier stellt sich die Frage, auf welche verschiedene kanonische Art der Mensch (der einzelne Mensch, aber auch das Kollektivum) sich zu Täumen verhalten kann. Und welche Art wahrhaftem Wachsein im Grund adäquat ist.

Wir fassen den Traum 1) als historisches, 2) als kollektives Phänomen. Versuche[n] in die Träume des Einzelnen Licht durch die Lehre von den historischen Träumen der Kollektive [zu] bringen.  (Wir lehren, dass in den Traumschichten die Wirklichkeit nicht ist sondern dem Träumer zustößt. Und ich handle von den Passagen ganz so, als ob sie mir im Grunde passiert wären)
Wir haben aus dem Dasein unserer Eltern zu erwachen. In diesem Erwachen haben wir von seiner Nähe uns Rechenschaft zu geben, Gehorsam als die Kategorie der Nähe in der religiösen Erziehung. Sammeln als profane Katwegorie der Nähe, der Sammler deutet Träume des Kollektivs.
Die Lehre vom Naturtraum Freuds. Traum als historisches Phänomen.
Gegensatz zu Aragon: dies alles auf die Dialektik des Erwachens hin durchdringen, nicht müde in den ‚Traum’ oder in die ‚Mythologie’ sich einlullen lassen. Welches sind die Laute des erwachenden Morgens, die wir in unsere Träume einbezogen? (…)

Thesis und Antithesis sind zum Traum-Wandel-Bild zusammenzufassen. Die Aspekte vom Glanz und vom Elend der Passagen sind Traumsicht. Der dialektische Umschlag in Synthesis ist Erwachen. Seine Mechanik. Wie wir durch List von der Welt unserer Eltern uns loslösen. Antinomie des Sentimentalen. Über die halluzinatorische Funktion von Architekturen. Traumbilder, die in die Wachwelt ragen. (…)

Theorie des Erwachens auf Grund der Lehre von der Langeweile zu entwickeln. (…)
(Beginn: Darstellung der heutigen Passagen -- Ihre dialektische Entwicklung: Ware / Perspektive
 Aktualität der Passagen in ihrer Traumstruktur) (…)

Grundfragen:

Die geschichtliche Bedeutung des Scheins (Was sind die Ruinen der Bourgeoisie?) Wo verläuft im Neuen die Grenze zwischen Realität und Schein 8…) Verhältnis von falschem Bewusstsein und Traumbewusstsein.
Das Abspiegeln findet im Traumbewusstsein statt. Kollektives Traumbewusstsein und Überbau.
Die Dialektik macht im Stillstand ein Bild. Diesem ist der Schein wesentlich
Das Jetzt der Erkennbarkeit ist der Augenblick des Erwachens
Im Erwachen steht der Traum still.
Die historische Bewegung ist eine dialektische. Aber die Bewegung des falschen Bewusstseins nicht. Dieses wird dialektisch auch im Erwachen.

Methodische Reflexionen:

(…) Das Erwachen als der kritische Augenblick im Lesen der Traumbilder
Besondere Anforderungen des Jüngstvergangenen an die Methode des Historikers
Abgrenzungen gegen die Kulturgeschichte
Hegel über Dialektik im Stillstand nachzulesen
Die Erfahrung unserer Generation: dass der Kapitalismus keines natürlichen Todes sterben wird.«
(ibid.:S.1208 -1218)

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