Klaus Winter: Monopolkapitalismus und Finanzkapital. (2a+b)

2. Das Finanzkapital

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a) Zur Definition

Als Ausgangspunkt für die Darstellung der Herrschaft des Finanzkapitals nimmt Lenin Hilferdings Definition und zitiert: »‘Ein immer wachsender Teil des Kapitals der Industrie’, schreibt Hilferding, ‘gehört nicht den Industriellen, die es anwenden. Sie erhalten die Verfügung über das Kapital nur durch die Bank, die ihnen gegenüber den Eigentümer vertritt. Andererseits muß die Bank einen immer wachsenden Teil ihrer Kapitalien in der Industrie fixieren. Sie wird damit in immer größerem Umfang industrieller Kapitalist. Ich nenne das Bankkapital, also Kapital in Geldform, das auf diese Weise in Wirklichkeit in industrielles Kapital verwandelt ist, das Finanzkapital.’ Das Finanzkapital ist also ‘Kapital in der Verfügung der Banken und in der Verwendung der Industriellen’.« [104]

Auf den ersten Blick besteht ein Problem dieser Definition darin, daß sie - soweit sie richtig ist - zu allgemein zu sein scheint: sie gibt die allgemeine Bestimmung des zinstragenden Kapitals wieder. Geld wird verliehen, um in der Hand des Borgers als Kapital zu fungieren - d.h. den geliehenen Wert zu erhalten und zusätzlich Mehrwert zu produzieren -, so daß nach Ablauf des Verwertungsprozesses dem Geldverleiher nicht nur die geliehene Geldsumme zurückerstattet werden, sondern ein Teil des Mehrwerts (der Zins) übergeben werden kann. »Die ganze Transaktion findet nach der Voraussetzung statt zwischen zwei Sorten Kapitalisten, dem Geldkapitalisten und dem industriellen oder merkantilen Kapitalisten.« [105] Die Voraussetzung war, »daß das Geld wirklich als Kapital verwandt wird.« [106] Warum ein neues Wort nötig wird, um auszudrücken, daß die Banken in größerem Umfang Geld an Industrielle verleihen, läßt die Definition auf Anhieb nicht erkennen.

Falsch ist die Behauptung, daß mit der »Fixierung« des Geldkapitals in der Industrie die Bank industrieller Kapitalist wird. Industrieller Kapitalist würde die Bank dann, wenn sie ihr Geld, statt es zu verleihen, im Ankauf von Produktionsmitteln und Arbeitskräften veräußern würde. In diesem Fall würde die Bank als Käufer von Waren auftreten. Ihr Geldkapital verrichtet dann eine Geldfunktion, es dient als Kaufmittel von Ware. Wenn die Bank dagegen Geld verleiht, tritt sie als Verkäufer einer Ware auf. Sie verkauft Geld als Kapital, als eine Ware, deren Gebrauchswert darin besteht, in der Hand des Industriellen, des Käufers, als Kapital zu fungieren. Zwar ist es in beiden Fällen Geldkapital, das die Bank veräußert. Aber im ersten Fall ist dieses Geldkapital ein unselbständiges Stadium im Kreislauf des industriellen Kapitals und wird ergänzt durch weitere Stadien, die Verwandlung in produktives Kapital (Produktionsmittel und Arbeitskräfte) und dann in Warenkapital - lauter Formen desselben Kapitals in der Hand desselben Besitzers. Im zweiten Fall ist das Geldkapital eine selbständige Form von Kapital, dessen besondere Bewegungsform - das Ausleihen an andere Kapitalisten - der Inhalt eines besonderen Geschäftszweiges ist. Welche Besonderheit auch immer Hilferding mit dem Begriff des Finanzkapitals zu fassen versucht, er wiederholt den alten Fehler, »daß hierbei aber Geldkapital verwechselt wird mit moneyed capital in dem Sinn des zinstragenden Kapitals, während im ersteren Sinn das Geldkapital stets nur eine Durchgangsform des Kapitals ist, als unterschieden von den ändern Formen des Kapitals, dem Warenkapital und dem produktiven Kapital«. (107)

Ein zweiter Fehler kommt in dem Satz zum Ausdruck, daß das Finanzkapital »Kapital in der Verfügung der Banken und in der Verwendung der Industriellen« ist. Der Industrielle kann kein Kapital verwenden, über das er nicht verfügt. Zwar ist das geborgte Kapital nicht sein Eigentum, aber er hat es sich ja gerade geborgt, um darüber zu verfügen. Er verfügt eben über fremdes Eigentum. Der Kredit bietet »dem einzelnen Kapitalisten oder dem, der für einen Kapitalisten gilt, eine innerhalb gewisser Schranken absolute Verfügung über fremdes Kapital und fremdes Eigentum und dadurch über fremde Arbeit«. [108]

Hilferding meint zusätzlich, daß die Banken als die Eigentümer des ausgeliehenen Kapitals über das in der Industrie verwendete Kapital verfügen. Denn er sagt, daß »die Abhängigkeit der Industrie von den Banken (...) die Folge der Eigentumsverhältnisse« ist. [109] Auch das ist einseitig. Die Bank ist nicht nur Kreditgeber, sondern auch Kreditnehmer. Ein großer Teil des Bankkapitals, das von den Banken zinstragend verliehen wird, ist ihnen von den Industriellen geliehen worden. Insofern »ist es falsch, die Mittel, worüber das moderne Bankwesen verfügt, bloß als die Mittel der Müßigen zu betrachten. Erstens ist es der Teil des Kapitals, den Industrielle und Kaufleute momentan unbeschäftigt in Geldform halten, als Geldreserve oder erst anzulegendes Kapital; also müßiges Kapital, aber nicht Kapital der Müßigen. Zweitens der Teil der Revenuen und Ersparungen aller, der permanent oder transitorisch für Akkumulation bestimmt ist. Und beides ist wesentlich für den Charakter des Banksystems.« [110] Die Folge ist, »daß weder der Verleiher noch der Anwender dieses Kapitals dessen Eigentümer oder Produzenten sind«. [111] übrigens sagt Hilferding in demselben Abschnitt richtiger: die Industriellen »erhalten die Verfügung über das Kapital nur durch die Bank, die ihnen gegenüber den Eigentümer vertritt.« Also verfügen die Industriellen doch über das Kapital, und die Bank ist nicht, sondern vertritt nur den Eigentümer. In der Definition des »Finanzkapitals« hat Hilferding dann das Richtige als das Unwesentliche weggelassen.

Infolge der genannten Fehler bekommt .das »Finanzkapital«, das sich ursprünglich vom zinstragenden Kapital nicht abzuheben schien, seinen besonderen Charakter. Einerseits wird die Rolle der Banken als Kreditnehmer nicht genannt und damit nach dieser Seite die Abhängigkeit des Kreditwesens vom Reproduktionsprozeß übersehen; andererseits bekommen sie als Kreditgeber Verfügungsgewalt über das industrielle Kapital. Schließlich werden die Kreditinstitute zu industriellen Kapitalisten und damit direkt in den unmittelbaren Produktionsprozeß einbezogen. Dadurch wird die abhängige Sphäre zur unabhängigen geschlagen, der Kreditüberbau zur bestimmenden Grundlage gemacht. [112]

Diese Fehler laufen alle darauf hinaus, die Grenzen, die der Macht der Banken durch den Reproduktionsprozeß gesetzt sind, in der Theorie aufzuheben und den Kredit zum bestimmenden und beherrschenden Faktor der Industrie zu erklären. »Die Macht der Banken wächst, sie werden die Gründer und schließlich die Beherrscher der Industrie.« [113] Lenin sagt dasselbe mit anderen Worten: »In dem Maße, wie sich das Bankwesen und seine Konzentration in wenigen Instituten entwickeln, wachsen die Banken aus bescheidenen Vermittlern zu allmächtigen Monopolinhabern an, die fast über das gesamte Geldkapital aller Kapitalisten und Kleinunternehmer sowie über den größten Teil der Produktionsmittel und Rohstoffquellen des betreffenden Landes oder einer ganzen Reihe von Ländern verfügen.« [114]

Hilferdings Definition hat Lenin samt ihrer theoretischen Fehler übernommen. Er hat nur den Hinweis auf die Monopole hinzugefügt, sieht aber, daß sich auch aus dem Zusammenhang der Darstellung Hilferdings die Rolle der Monopole ergibt. Entsprechend dieser Ergänzung schreibt er: »Konzentration der Produktion, daraus erwachsende Monopole, Verschmelzung oder Verwachsen der Banken mit der Industrie - das ist die Entstehungsgeschichte des Finanzkapitals und der Inhalt dieses Begriffs.« [115] Zugeschnitten auf die Verschmelzung von Bankmonopolen und Industriemonopolen definiert er an späterer Stelle das Finanzkapital als »das Bankkapital einiger weniger monopolistischer Großbanken, das mit dem Kapital monopolistischer Industriellenverbände verschmolzen ist.« [116]

Von der »Verschmelzung« oder dem »Verwachsen« der Banken mit der Industrie war bisher nur in der groben Form die Rede, die über Grundtatsachen der ökonomischen Theorie hinweggeht: die Bank wird industrieller Kapitalist. Was der Begriff des »Finanzkapitals« wirklich zu bedeuten hat und welche historische Realität sich in ihm widerspiegelt, ist damit noch nicht geklärt. Den wesentlichen Hinweis darauf gibt Lenin anhand eines Zitats von Otto Jeidels, der 1905 eine Arbeit unter dem Titel »Das Verhältnis der deutschen Großbanken zur Industrie mit besonderer Berücksichtigung der Eisenindustrie« veröffentlicht hat. Hilferding, dem diese Studie bei der Ausarbeitung des »Finanzkapitals« vorlag, äußerte sich lobend [117], Lenin sprach von »einer der besten Arbeiten über ‘das Verhältnis der deutschen Großbanken zur Industrie’' [118]. »Wir halten es für notwendig«, schreibt Lenin, »genau die Formulierungen von Jeidels über diese Frage anzuführen, der die Dinge am eingehendsten studiert hat.« [119] Es sind zwei Erscheinungen, die Jeidels anspricht: zum einen der »universale Charakter der für die Industrie tätigen Finanzinstitute«, zum anderen deren »Bestreben, die Industriebeziehungen zu fundieren auf die reguläre dauernde Geschäftsverbindung und ihnen Ausdruck und die Möglichkeit der Erweiterung und Vertiefung zu geben durch ein verzweigtes System der Besetzung von Aufsichtsratsstellen; diesen beiden Einflußsphären gegenüber tritt die Emissionstätigkeit relativ an Bedeutung für die Industriebeziehungen der Großbanken zurück. Die Verbindung mit der Industrie allgemein zu machen ist die eine, sie dauernd und intensiv zu machen die andere Tendenz (...)« [120]

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b) Die Industriebeziehungen der deutschen Großbanken (Jeidels)

Im folgenden sollen die Ergebnisse und Auffassungen von Jeidels in ihren Grundzügen skizziert werden. Da die Darstellung der Geschäfte einer Universalbank nicht Jeidels' eigentliches Thema ist, sind hierzu einige Vorbemerkungen nötig.

Die Entwicklung der deutschen Banken aus Instituten mit begrenzten Tätigkeitsbereichen zu Universalbanken vollzog sich ungefähr im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. Hinter der Vielseitigkeit oder dem »universalen Charakter« der Geschäfte verbergen sich im wesentlichen zwei Gruppen von Kreditgeschäften. Zum einen nahmen die Banken Depositen herein und betrieben die verschiedensten Formen kurzfristiger Kreditgeschäfte (Kontokorrentkredit, Wechselgeschäfte, pfandmäßige Bankkredite). Zum zweiten vergaben sie langfristige Kredite, die - soweit nicht auch in der Form des Kontokorrentkredits - in Form von Wertpapiergeschäften (Effektengeschäften) vor sich gingen. Das konnte zum Beispiel bei Gründung neuer Aktiengesellschaften dadurch geschehen, daß die Bank die neuen Aktien oder Obligationen (festverzinsliche Papiere) übernahm - durch Kauf oder auf Kommission - und für ihren Verkauf an der Börse bzw. bei der eigenen Kundschaft sorgte. Ähnliche Emissionsgeschäfte konnten bei Kapitalerhöhungen, Umwandlung bestehender Privatunternehmen in Aktiengesellschaften, Sanierungen und Fusionen vorgenommen werden. Darüber hinaus handelten die Banken mit Effekten, legten Bankkapital in Effekten an und besorgten deren Aufbewahrung, Ankauf und Verkauf im Auftrag ihrer Kunden.

Die zweite Gruppe, das Effektengeschäft in allen seinen Formen, machte die Banken in besonderem Maße abhängig von der Konjunktur und den Bewegungen an der Börse, aber auch von der Prosperität einzelner Industrieunternehmen, an die sie - teils freiwillig, teils unfreiwillig - für längere Zeiträume gebunden waren. Die Tendenz zu dauerhaften Geschäftsbeziehungen zur Industrie entsprang einerseits der gewöhnlichen Konkurrenz um einen festen Kundenkreis; zum ändern war sie bedingt durch das hohe Risiko langfristiger Kreditgewährung, für die es keine wertmäßigen Sicherheiten gab, da der Bankrott eines Unternehmens sowohl das industrielle Kapital wie dessen Aktien entwertete. Wenn die Bank nicht auf die Vergabe langfristiger Kredite verzichten wollte, mußte sie Formen finden, die ihr eine laufende Information über die Entwicklung des industriellen Unternehmens und zudem gegebenenfalls eine Einflußnahme auf dessen Geschäftsentscheidungen ermöglichten.

Eine umfassende Überwachung des finanziellen Geschäftsverkehrs war dann möglich, wenn das betreffende industrielle Unternehmen seinen Zahlungs- und Kreditverkehr ausschließlich über eine einzige Bank abwickelte und dauerhaft mit derselben Bank verbunden blieb. Zumindest von seiten der Bank wurde eine solche Bindung dadurch ermöglicht, daß die Bank tatsächlich sämtliche Arten von Bankgeschäften anbot, für die ein Industrieunternehmen Bedarf haben konnte. Die Ausgestaltung der deutschen Banken zu Universalbanken legte erst die Basis für umfassende und langfristige Beziehungen zu industriellen Unternehmungen. Mit dem kurzfristigen Kredit- und Depositengeschäft bot die Bank die Vermittlung des gewöhnlichen Zahlungsverkehrs an, für umfassenderen Kapitalbedarf oder für außergewöhnliche Fälle wie Sanierungen, Fusionen usw. lieferte sie die entsprechenden Formen des langfristigen Kredits. Auf der Grundlage dieses universellen Angebots konnte Jeidels den Grundsatz aussprechen:

»Die Banken müssen eine industrielle Unternehmung von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod, von der Gründung bis zur Auflösung begleiten, ihr bei allen gewöhnlichen und außergewöhnlichen finanziellen Vorgängen des gewerblichen Lebens helfend und ihrerseits profitierend zur Seite stehen. Diese vollkommene Form der Verbindung zwischen Bankwelt und Industrie hat zwar viele Widerstände zu überwinden und ist noch durchaus nicht die Regel, sie ist aber in der Geschichte mancher industriellen Unternehmungen bereits deutlich zu beobachten.« [121]

Welche Mittel hatte nun die Bank, die Beziehungen zu einzelnen Unternehmen dauerhaft zu machen und wie geeinigt waren sie für diesen Zweck? Als wichtigstes und grundlegendes Mittel, das zudem im weitesten Umfang anwendbar ist, sieht Jeidels die reguläre Geschäftsverbindung auf Basis des Kontokorrentgeschäfts an, durch das ein laufender Einblick in die finanzielle Situation des Unternehmens möglich ist und in dessen Rahmen u. U. auch Anlagekredite gewährt werden. »(Es gibt) - wie mehrfach betont - kein besseres Mittel zur planvollen und dauerhaften Einwirkung auf eine industrielle Unternehmung und damit zur indirekten Förderung der Bank.« [122] Die zweite Einflußsphäre von Bedeutung sieht Jeidels in der Institution des Aufsichtsrats. »Die Banken können mit der Ausnutzung dieses Rechtsinstituts zwei Ziele verfolgen: Beziehungen zur Industrie - übrigens auch zu anderen Banken - anzuknüpfen oder einen unmittelbaren Einfluß auf Gesellschaften auszuüben, einerlei, ob sie sich dabei auf die bloße Überwachung beschränken und dafür sorgen, daß nichts gegen ihr Interesse geschieht, oder ob sie mit eigener Initiative in die Schicksale des Unternehmens eingreifen.« [123] Dagegen hat nach seinen Beobachtungen die direkte Aktienbeteiligung an Industriegesellschaften nur untergeordnete Bedeutung, sie ist »keine charakteristische und nicht die gewöhnliche Form der Industriebeziehungen einer Großbank« [124] »Man wird sagen dürfen, daß dauernde Beteiligung an Industrieunternehmungen ein Mittel industrieller Konzentration und als solches Betätigungsform industrieller Unternehmungen ist, während es im Wesen der Bank liegt, nur die entsprechende Transaktion zu besorgen und in der Aktienbeteiligung an Industriegesellschaften nur ein Mittel zu einem speziellen Zweck, nicht ein System allgemeiner Industriepolitik zu sehen.« [125] Ähnliches gilt von dem Emissionsgeschäft, das, wie Jeidels zeigt, starken Einflüssen der Konjunktur und der Konkurrenz unterliegt und sich daher als Basis stabiler Verbindungen zur Industrie wenig eignet. »Wesentlich auf Übernahmegeschäften die Verbindung mit industriellen Unternehmungen stützen zu wollen, hieße, auf die Dauer solcher Verbindung verzichten und die Übernahme von Emissionsgeschäften selbst noch mehr dem Zufall und dem Konkurrenzkampf aussetzen.« [126]

Mit diesen Instrumenten sind aber erst die Formen umrissen, in denen die Beziehungen der Banken zur Industrie vor sich gehen können. Was die wirkliche Einwirkung der Banken auf die Industrie betrifft, so stellt Jeidels zwei Fragen: »1. üben die Banken einen Einfluß auf den Fortschritt der industriellen Konzentration aus? und 2. ergreifen sie selbst die Initiative oder überlassen sie diese der Industrie, deren Tendenzen sie nur folgen?« [127] In der Beantwortung dieser Fragen unterscheidet er zwischen dem Verhältnis zu Einzelwerken, zu »Kollektivunternehmungen« (Loewekonzern, Elektrizitätsgesellschaften, Kleinbahnwesen) und schließlich zu ganzen Industriezweigen.

Bezüglich der Einzelwerke kommt Jeidels zu dem Schluß, daß die Stellung der Banken »im ganzen eine passive« [128] ist. Er stellt den allgemeinen Satz auf, »daß die Industrieunternehmungen - die großen mit kompliziertem Geschäftsbetrieb am meisten - sich nach technischen Prinzipien entwickeln, aus eigenem Antrieb, mit eigener Initiative, aber vielfach mit dem Geld und der anderweitigen Unterstützung der Banken; wenn hier eine Konzentration der Industrie zu beobachten ist, so wird sie von den Banken nur erleichtert, nicht positiv veranlaßt.« [129]

Ganz ähnlich sieht Jeidels das Verhältnis der Großbanken zu den »Kollektivunternehmungen«. Er wendet sich dagegen, die Ursache für den raschen Konzentrationsprozeß etwa der Elektroindustrie im »Einwirken neuer Kräfte, die man dann in den Banken sucht« [130], zu sehen. Vielmehr liege die Ursache für die größere Rolle der Banken hier nur darin, »daß die Entwicklung dieser Unternehmungen durch ihr schnelles Tempo und ihre Vielseitigkeit einen außergewöhnlich großen Kapitalbedarf erzeugt und mit so vielen finanziellen Transaktionen verbunden ist, daß den Banken weit mehr Gelegenheit zur Mitwirkung gegeben wird als in anderen Industrien. Der Standpunkt der Banken, das einzelne Werk unter normalen Verhältnissen sich selbst zu überlassen und nur da helfend einzugreifen, wo sie als Institute der Kreditvermittlung und Kapitalinvestierung benötigt sind, kann dabei unverändert bleiben.« [131] Für die beiden bisher betrachteten Fälle gilt grundsätzlich: »Ein planvolles unmittelbares Einwirken auf die industrielle Entwicklung hat sich im Verhältnis der Banken zur Industrie nicht herausgebildet: die industrielle Initiative ist nicht auf die Banken übergegangen.« [132]

Was Jeidels bezüglich des Verhaltens der Großbanken gegenüber ganzen Industriezweigen feststellt, ist eine bestimmte »Industriepolitik«, nämlich die bewußte Förderung der Konzentration. Hierzu rechnet er auch das Verhalten gegenüber den Kartellen, dem Kohlensyndikat und dem Stahlwerksverband, betont aber aufgrund der bisherigen Erfahrungen: »Für jede Art von Kartellen, zu denen die Banken in Beziehung treten, und für jede Form, in der sie dies tun, selbst für die rein bankgeschäftliche Maßnahme der Errichtung eines Syndikatskontors, gilt der allgemeine Satz, daß der treibende Faktor die Industrie ist, deren Entwicklung sich die Banken durchaus anpassen.« [133] Im Gegensatz zu der Vorstellung, die Entwicklung liefe darauf hinaus, daß die Großbanken die Leitung der gesamtgesellschaftlichen Produktion übernehmen, sagt er: »es liegt den Großbanken fern, eine allgemeine industrielle Gestaltung von einem einheitlichen Gesichtspunkt aus planvoll anzustreben. Selbstverständlich bedauern die Banken, daß im wirtschaftlichen Leben nicht ewiger Sonnenschein herrscht, besprechen sie in ihren Geschäftsberichten warnend oder resigniert die drohende oder eingetretene Überproduktion, aber Grundsätze, wie man das eine herbeiführen, das andere vermeiden könnte, haben sie nicht. Mit der Richtung auf industrielle Konzentration ist ihr zielbewußtes Einwirken erschöpft.« [134] Was Jeidels auch in diesem Fall nachzuweisen versucht, ist die Tatsache, daß »die Industriepolitik der Großbanken im wesentlichen von der Industrie diktiert wird« [135].

Als Kontrast zu diesem Bild stellt Jeidels bestimmte Aktionen deutscher Großbanken im Ausland dar. »Die Bestrebungen der deutschen Großbanken, einen Teil der Petroleumindustrie, die rumänische im Mittelpunkt, unter ihrer Herrschaft zu organisieren, stellen - prinzipiell betrachtet - das Maximum an Initiative und eigener industrieller Betätigung dar, das die Großbanken bisher in Deutschland und im Ausland aufzuweisen haben.« [136] Im einzelnen wird beschrieben, »wie eine Bank alle zur Schaffung einer Industrie erforderlichen Kräfte technischer, finanzieller kaufmännischer Art systematisch in kurzer Zeit in einer Weise in Bewegung setzt, wie es einem Industrieunternehmen oder kleineren Finanzmächten kaum ebenso gelingen wird.« [137] In Rumänien ein Maximum an Initiative bei der Schaffung einer Industrie - in Deutschland eine Industriepolitik, die im wesentlichen von der Industrie diktiert wird: die Ursache für diesen Unterschied sieht Jeidels in dem verschiedenen Entwicklungsgrad der industriellen Produktion selbst. Während in Deutschland die große Industrie bereits besteht, deren Kreditansprüchen sich die Banken anpassen müssen, konnten diese in einem rückständigen Land, wie Rumänien es war, mit weitaus größerer Selbständigkeit operieren. »Es liegen also bei der industriellen Betätigung der Banken im Ausland Bedingungen vor, die für ihre inländischen Industriebeziehungen nicht existieren.« [138] Auslandsanlagen in industriell entwickelten Ländern bestätigen diese Erklärung, so die »Emissionstätigkeit für nordamerikanische Bahnen, die keinen entscheidenden und nachhaltigen Einfluß auf diese herbeiführt (...) Der Unterschied der beiden Länder (USA und Rumänien - d. V.) an Kapitalreichtum, an wirtschaftlicher, politischer, gesamter kultureller Entwicklungsstufe liegt dieser verschiedenen Stellung der deutschen Bankwelt zugrunde.« [139]

Das Bild von den »Beherrschern der Industrie« und »allmächtigen Monopolinhabern«, zu denen die Banken anwachsen, wird von Jeidels, der, wie Lenin mit Recht sagt, »die Dinge am eingehendsten studiert hat«, nicht gestützt. In vielfältiger Form weist er auf die Grenzen hin, innerhalb derer sich die Banken bewegen. Ihre Abhängigkeit von der Industrie tritt gerade da hervor, wo die große Industrie am weitesten entwickelt ist. Die Macht, die sie durch die Verfügung über das disponible Kapital der Gesellschaft erhalten, bleibt gebunden an die wechselnden Verwertungsbedingungen eines Reproduktionsprozesses, den sie nicht bestimmen, dem sie sich aber anpassen müssen. Von der Auffassung, die Banken könnten durch »bewußte Regelung« objektive Gesetze beschneiden, ist Jeidels weit entfernt. Auch einer »Verschmelzung« von Bankkapital und Industriekapital in dem Sinne, daß die Banken selbst Industrielle werden oder über das industrielle Kapital »verfügen«, hat er nicht das Wort geredet; »die Gestalt dieser Kreditvermittlung und damit auch die Organisation der Banken haben sich mit der großkapitalistischen Industrieentwicklung verändert, ihrem Wesen nach ist die Bank aber geblieben, was sie war: Kreditinstitut.« [140] Ihrem Wesen nach bleibt die Bank außerhalb des unmittelbaren Reproduktionsprozesses, auf den sie im wesentlichen reagiert; selbst ihr zielbewußtes Eingreifen in Richtung auf industrielle Konzentration besteht nur darin, daß »die Großbanken die Politik der Industrie zu der ihrigen« [141] machen.

Was das Wort »Verschmelzung« auf den ersten Blick ausdrückt, ist das Entstehen einer gleichförmigen Substanz, in der die Unterschiede ursprünglich getrennter Dinge verloren gehen. Insofern ist es geeignet, bildlich auszudrücken, daß Kreditinstitut und Industrieunternehmung eins werden, die grundsätzliche Abhängigkeit des Kreditwesens vom Produktionsprozeß nicht mehr wiederzugeben und so Raum zu schaffen für die umgekehrte Idee, daß allmächtige Monopolbanken die Industrie beherrschen. [142] Für eine differenzierte Betrachtung der Verbindungen von Bank und Industrie, wie wir sie bei Jeidels finden, ist dieser Begriff untauglich. Wie wenig er auf konkreten Untersuchungen fußt, zeigt zudem ein Blick in andere Länder. Jeidels hatte seine Studie bewußt auf deutsche Verhältnisse beschränkt, »diese Zusammenhänge für Österreich und Frankreich, England und die Vereinigten Staaten, die in dieser Hinsicht verschiedene Typen darstellen, aufzuklären, ist selbstverständlich Aufgabe besonderer Untersuchung«. [143]


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Fussnoten

  1. LW 22, S. 230
  2. MEW 25, S. 366
  3. MEW 25, S. 362
  4. MEW 25, S. 481
  5. MEW 25, S. 454 f.
  6. Hilferding, a. a  O., S. 309 / a. a. O., S. 3O5
  7. MEW 25, S. 619 f.
  8. MEW 25, S. 620
  9. Bezüglich des Verhältnisses von staatlichem Überbau und ökonomischer Basis bedienten sich die Theoretiker des staatsmonopolistischen Kapitalismus in »Imperialismus heute« desselben Verfahrens: »Die wirtschaftliche Tätigkeit des westdeutschen Staates ist zu einem immanenten Faktor des Reproduktionsprozesses und damit zu einer im unmittelbaren Sinne ökonomischen Potenz geworden, ohne die der kapitalistische Reproduktionsprozeß nicht mehr vonstatten gehen kann.« (a. a. O., S.138)
  10. Hilferding, a. a. O., S. 310 / a. a. O., S. 307
  11. LW 22, S. 214
  12. LW 22, S. 230
  13. LW 22, S. 270; An anderer Stelle setzt Lenin das »Weltfinanzkapital« einfach mit der Summe aller Wertpapiere gleich (S. 243 f.), so daß sich der Inhalt des Begriffs völlig verflüchtigt.
  14. Hilferding, a. a. O., S. 113, Fußnote / a. a. O., S. 98, Fußnote
  15. LW 22, S. 212
  16. LW 22, S. 226
  17. Otto Jeidels, Das Verhältnis der deutschen Großbanken zur Industrie mit besonderer Berücksichtigung der Eisenindustrie, München und Leipzig, 1913, 2. unveränderte Auflage. S. 180; vgl. LW 22, S. 227
  18. Jeidels, a. a. O., S. 50
  19. ebd., S. 121
  20. ebd., S. 150
  21. ebd., S. 121
  22. ebd., S. 112
  23. ebd., S. 179 f.
  24. ebd., S. 184
  25. ebd., S. 198
  26. ebd., S. 199
  27. ebd., S. 222
  28. ebd., S. 222
  29. ebd., S. 250
  30. ebd., S. 258
  31. ebd., S. 269 f.
  32. ebd., S. 153
  33. ebd., S. 192
  34. ebd., S. 197
  35. ebd., S. 197
  36. ebd., S. 187
  37. ebd., S. 182
  38. ebd., S. 268
  39. Eine ähnliche Problematik findet sich später wiederum im Versuch, das Verhältnis von Ökonomie und Staat neu zu bestimmen. Stalin hatte noch in der »Frage des Zusammenwachsens der Monopole mit dem Staatsapparat« argumentiert: »Der Ausdruck ‘Zusammenwachsen’ paßt nicht. Dieser Ausdruck stellt oberflächlich und beschreibend die Annäherung der Monopole und des Staates fest, deckt aber nicht den ökonomischen Sinn dieser Annäherung auf. Es ist so, daß der Prozeß dieser Annäherung nicht einfach zum Zusammenwachsen führt, sondern zur Unterordnung des Staatsapparats unter die Monopole. Darum sollte man auf das Wort ‘Zusammenwachsen’ verzichten und es durch die Worte ‘Unterordnung des Staatsapparats unter die Monopole’ ersetzen.« (Josef Stalin, ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR, Dietz-Verlag 1952; zitiert nach: J. Stalin, F. Behrens, J. Kuczynski, ökonomische Probleme des Sozialismus, Frankfurt 1972, S. 44) Unter Kritik an Stalins »Dogmatismus« wählten später die Autoren von »Imperialismus heute« Formulierungen, die zwar auf das Wort verzichten, inhaltlich aber das »Zusammenwachsen« umschreiben, so z. B. »(...) die staatliche Tätigkeit (ist) auf längere Sicht berechnet in die ökonomischen Prozesse unmittelbar eingebaut und organisch aufs engste mit ihnen verbunden« (a. a. O., S. 138; vgl. auch S. 157 f.).
  40. Jeidels, a. a. O., S. 13

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