6 Thesen zur krisenhaften Entwicklung der kapitalistischen Agrikultur und zu einigen Problemstellungen ihrer kommunistischen Aufhebung (Fortsetzung)

x1. Mündiger Verbraucher als Warenkundler oder Teil des gesellschaftlichen Gesamtarbeiters?

zum Introzum Inhaltzum SeitenendenaechsterAbschnitt

Winter 2000/1:

{ Intro / These 1 / These 2 / These 3 / These 4 / These 5 / These 6 }

 

Erstaunt rieben wir uns als Konsumenten in Deutschland die Augen, in welcher Vielzahl von Artikeln Anteile vom Rind nachgewiesen wurden. Offensichtlich versteht es das Kapital, viele unterschiedliche Eigenschaften des Rohstoffs Rind herauszufinden, die es in seiner Warenproduktion zu nutzen weiß. Hätten wir weiter recherchiert, dann hätten wir herausgefunden, dass sich die stofflichen Flüsse von Agrar- & Nahrungsmittelindustrie und ihrer Zulieferer sowie der übrigen Wirtschaftszweige auf einer relativ schmalen Rohstoffbasis im globalen Maßstab zusehends enger ineinander verschlingen. 

Rindertalg oder Knochengelatine oder Rinderhäute als Nebenprodukte der Rinderproduktion finden, wie die meisten Produkte der landwirtschaftlichen Urproduktion, mannigfache Verwendung als Rohstoffe aller Industriezweige, also keineswegs nur im Ernährungsgewerbe. Immer, wenn z.B. unsere Haut in Berührung mit gut gleitenden Konsumgütern kommt, seien sie Nahrungsmittel, Hygieneartikel oder Medikamente, dann sind pflanzliche & tierische Öle & Fette in der Produktion verwendet worden. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang z.B. der aktuelle (Frühjahr 2001) Start der Serienproduktion von Autoreifen unter Einsatz von Maisanteilen zur Elastizitätserhöhung des Gummimaterials.

Die althergebrachte, überwiegend lokale Kreislaufwirtschaft der materiellen Produktion wurde und wird in der Epoche des Kapitalismus modifiziert fortgeführt als globaler industrieller stofflicher Fluß auf wachsender Stufenleiter. Die stofflichen Abfälle, der "Dreck" bei der Produktion der einen Warensorte werden als preisgünstige Rohstoffe eingesetzt in der Produktion einer anderen Warensorte, ohne deren Qualität per se zu beeinträchtigen (siehe B2B Auktionsportal für manche Sorte "Dreck": www.clickwaste.de). Auch die Fütterung von Nutztieren mit tierischen Abfällen ist übrigens nicht neu, es sei denn, der Jahrtausende alte Einsatz von Fischereiabfällen sei nicht tierischen Ursprungs. Was können wir über die Qualität der angebotenen Waren sagen?

Zu Abteilung I & II des Reproduktionsprozesses des gesellschaftlichen Gesamtkapitals

Wie das Gerede von "profitablen Arbeitsplätzen" und der massenhafte Konkurs von Firmen in der jetzigen Krise belegen, ist der wesentliche Zweck der kapitalistischen Warenproduktion die Produktion von Profit – von mehr Wert, als in der Produktion an konstantem (Maschinen, Rohstoffen) und variablem (Lohn) Kapital vorgeschossen wird. Der stoffliche Arbeitsprozess der Erzeugung der Waren ist das Mittel hierzu. Als Waren können sie nur einen Tauschwert besitzen, insofern sie Gebrauchswert für andere Warenbesitzer haben. Mit der Erfassung des Gebrauchswerts beschäftigt sich die Warenkunde. Sehen wir uns das gesellschaftliche Gesamtprodukt kapitalistischer Warenproduktion an, so zerfällt es in zwei große Abteilungen von Waren.

x Die erste Abteilung sind die produzierten Waren des konstanten Kapitals, die Produktionsmittel zur Reproduktion des Kapitals beider gesellschaft-lichen Abteilungen  auf erweiterter Stufenleiter. Die Ka4pitalistenklasse, die sich die Produktionsmittel im privatrechtlichen Austausch von Waren gegen Geld gegenseitig überträgt, sichert deren Gebrauchswert durch warenkundliche und verfahrens-technische Qualitätskontrollen z.B. nach DIN-Normen, TÜV-Abnahmen oder als iso-2000 ab. Diese sind juristisch sowohl privat- als auch staats- und zwischenstaatsrechtlich fixiert und wertmäßig rückversichert durch haftpflichtförmige  versicherungstechnische Schadensbegrenzungsmaßnahmen. Der hochgradig arbeitsteilige weltgesellschaftliche Arbeitsprozess organisiert sich auf einem gewachsenen Qualitätsniveau von Produktionsmitteln – den Gebäuden, Maschinerie, Vorprodukten, Rohstoffen (dem sachlichen Faktor der Produktion im Unterschied zur Ware Arbeitskraft als menschlichem/persönlichem Faktor).

Der im historischen Maßstab steigende Gebrauchswert des als kapitalistische Waren produzierten konstanten Kapitals erfolgt durch die permanente wissenschaftlich-technische revolutionäre Umwälzung der technologischen und arbeitsorganisatorischen Momente des Arbeitsprozesses. Er trägt bei zur Stabilisierung der gesellschaftlichen Produktion als naturnotwendig kontinuierlichem Fluss der gesellschaftlichen Reproduktion auf erweiterter materieller Stufenleiter. Da die Produktion von Kapital gerade im kontinuierlichen Gebrauch der Arbeitskraft, in ihrer Anwendung zur Herstellung von mit Mehrwert geschwängerten Waren besteht, muss die gesamtgesellschaftliche Produktion Kontinuität wahren, wenn nicht die ureigene privat-kapitalistische Produktionsweise samt Klassenherrschaft ihres Trägers, der Bourgeoisie, gefährdet werden soll. Ein Heer von Laboranten, Technikern, Arbeitstechnikern, Juristen etc., samt Fußvolk, erledigt die warenkundliche Absicherung der Gebrauchswertseite des produzierten konstanten Kapitals.

Die größten Industriezweige in Deutschland

Pro­duk­tions­zweige Zahl der Unter­neh­men Be­schäftigte
2000
In Tsd. 1999 Veränd. in % Um­satz in 2000 in Mrd. DM 1999 Veränd. in %
Maschinen­bau 5787 893 892 0,1 255 235 8,4
Elektro­technik 3330 856 829 0,3 292 252 15,7
Straßen­fahr­zeug­bau 942 754 738 2,1 371 341 8,7
Er­nährungs­gewerbe 5487 524 521 0,6 208 203 2,5
Chemische Industrie 1288 452 457 - 1 213 190 12,1
Zwischen­summe 6834 3479 3437 0,4 1339 1221
Ver­arbeiten­des Gewerbe 40296 6108 6090 0,3 2207 2021   9,2

Die zweite Abteilung des Gesamtprodukts des gesellschaftlichen Gesamtkapitals sind die produzierten Waren des variablen Kapitals, die Konsumtionsmittel, also der "Warenkorb"  zur Reproduktion der Gesamtheit der Ware Arbeitskraft auf erweiterter Stufenleiter. Anders als beim Gebrauchswert der Waren des konstanten Kapitals – den Produktionsmitteln für seine erweiterte Reproduktion – sieht es beim Gebrauchswert des produzierten variablen Kapitals – der Qualität der Konsumtionsmittel der allgemeinen Lohnarbeiterklasse – aus. Die Auswirkungen der allgemeinen Gesetzmäßigkeiten kapitalistischer Warenproduktion beschränken wir in der vorliegenden These auf Fragen der Qualität der Nahrungsmittel und erwähnen stellvertretend für andere Konsumgüterbranchen das Werkzeug in deutschen Baumärkten, dessen mindere Qualität abgestimmt ist auf Heimwerker, von denen die Marktstudien wissen, dass sie dieses Werkzeug nur sehr selten in ihrem Leben nutzen werden.

Gegessen wird, was auf den Tisch kommt

So, wie nun handwerklich unbedarfte Verbraucher solches Werkzeug unter Kosten-Nutzen-Abwägung kaufen und sogar vor dem Kauf selbst um dessen Schrottcharakter wissen, so sieht es auch mit dem durchschnittlichen Verbraucher, also Käufer von Nahrungsmitteln aus. Die Texte über die  Nahrungsmittelskandale der letzten 100 Jahre füllen Regalwände. Angefangen von der literarischen Darstellung der Zustände in den Schlachthöfen von Chicago verkürzt sich seit 30 Jahren der zeitliche Abstand bis zur nächsten Schreckensmeldung über Lebensmittelpanschereien. Ob bakteriell verseuchte Eiernudeln, Frostschutzmittel-Glykol gepanschter Wein, mit Antibiotika, Hormonen, Pestiziden, Nitrat, Schwermetall, Altöl belastete Nahrungsmittel jedweder Art – das medial immer doller geschürte Erschrecken ist jedes Mal groß bei den Verbrauchern und mündet (nach Langzeitstudien zu urteilen) nach einem Zeitraum der Verdrängung nach drei Monaten im alten angewöhnten Kaufverhalten. Der Regel nach. Bezüglich des zukünftigen Verzehrs von Rindfleisch deuten die aktuellen Meinungsumfragen schon im April 2001 in dieselbe Richtung.

Dagegen nahmen z.B. die Genossen des Arbeiterbunds für den Wiederaufbau der KPD die hypemäßige mediale Schürung einer BSE-Panik á la `Kampfhund´-Hysterie als bare Münze: " Nach Angaben der Landwirtschaftsministerin findet die deutsche Hausfrau nachts keinen Schlaf mehr, weil sie nicht weiß: Kann ich meinen Lieben noch Rindersteaks braten (im Muskelfleisch, behaupten sie, sind keine BSE-Erreger)? Oder darf ich nur noch Schweineschnitzel nehmen? Ist wenigstens Pferdewurst sicher? Und überhaupt: Was ist mit der Milch? Millionen Menschen auf der Welt wären ganz fröhlich, wenn sie unsere Probleme hätten." (siehe Flugschrift: Wenn Deutschland spinnt, dann nicht vom Rind, in `junge Welt´, Inland 03.04.2001 http://www.jungewelt.de/2001/04-03/012.shtml .) Schlaflose Nächte hatte sicherlich Frau Künast selbst, um in die auf sie maßgeschneiderte Rolle der grünen Gouvernante der Nation hineinzuwachsen. Und schlaflose Nächte hat die mediale Zunft, welche mit ihrem Lifestyle-Auge den Durchschnittsverbraucher sieht und im Wesentlichen über sich selbst schreibt. Zudem: Wer kann sich zur Ausnahme von der bürgerlichen Regel zählen, was die spezielle individuelle hochneurotische Ausprägung bezüglich irgendeines Alltagsbezugs betrifft?

Manche Verbraucher versuchen, der Problemlage schadstoffkontaminierter Nahrungsmittel zu entkommen durch den Einkauf "gesunder, ökologisch produzierter" Lebensmittel oder der Umstellung ihrer Nahrung auf z.B. vegetarische Basis. Dies mag zwar ihr Gemüt beruhigen. Doch jede kritische Verbraucherberatung wird ihnen offen legen, dass die "ökologische" Landwirtschaft zwar etliche Schadstoffklassen reduzieren kann, ohne jedoch ihren umfassend kontaminierten natürlichen Grundlagen Boden, Wasser, Luft zu entkommen. Warum dies so ist, wird im  Thesenkomplex zu wissenschaftlichen und verfahrenstechnischen Problemstellungen erörtert.

Tatsächlich stellt sich also die nackte Reproduktion als Ware Arbeitskraft – als Arbeiterklasse – nur subjektiv als unendliche Konsumentenfreiheit dar. Objektiv heißt das nur: Das variable Kapital – als die Lohnsumme der globalen Lohnsklavenarmee – ist die geldmäßige Anweisung auf jene Konsumgüter, die jene industrielle Armee selbst als Warenkapital produzierte. Gewiss: Als Warenkäufer kann sich die globale Arbeiterklasse aus den gesamten Konsumgütern einen ihr zustehenden "Warenkorb", gefüllt mit "ihren" "Markenartikeln",  "frei" zusammenstellen. Jedoch: Gegessen wird, was auf den Tisch kommt! Unsere Stellung im gesellschaftlichen Produktionsprozess bestimmt – vermittelt über unsere Klassen- & hiermit verknüpfter Einkommensschichtzugehörigkeit – auch über unsere durchschnittliche Stellung am Futtertrog.

Der allergrößte Teil der globalen Lohnsklavenheere wird durch die stetige Senkung des Werts der Ware Arbeitskraft erpresst, die von ihnen selbst produzierten Nahrungsmittel zu kaufen, welche Qualität diese auch immer im einzelnen haben mögen. Die Senkung des Werts der Ware Arbeitskraft wird an vorliegender Stelle daran ablesbar, dass die im Agrar- und Ernährungsgewerbe fungierenden Einzelkapitale mit immer weniger Arbeitskrafteinsatz auf steigender Stufenleiter Nahrungsmittel produzieren. Jede Senkung des Durchschnittspreises, gerade der Grundnahrungsmittel als unbedingtem Bestandteil des proletarischen Warenkorbes, senkt den Preis oder Wert der Ware Arbeitskraft nachhaltig und erhöht entsprechend die Masse und Rate des Mehrwerts.

Hierbei handelt es sich um die Produktion des relativen Mehrwerts als der charakteristischen Gesetzmäßigkeit kapitalistischer Warenproduktion. Sie beruht auf der permanenten Umwälzung des Arbeitsprozesses, der betrieblichen & gesellschaftlichen Kooperation & Arbeitsteilung und der großen Maschinerie. Letztere bildet die materielle Grundlage des Produktionsprozesses der Gesamtheit der industriellen Einzelkapitale. Um der Tendenz der fallenden Profitrate entgegenzuwirken, ist jedes Einzelkapital gezwungen, die technologischen und arbeitsorganisatorischen  Seiten des Arbeitsprozesses "kontinuierlich zu verbessern" (=KVP) und neue Kooperationsfelder im gesellschaftlichen Produktionsprozess aufzutun. Die hierdurch gesteigerte Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit ist der Hebel zur Senkung des Werts der Arbeitskraft der unmittelbaren Produzenten und der Aneignung einer entsprechend größeren Mehrwertmasse durch die Bourgeoisie beim Losschlagen der Warenmassen.

Während also die übergroße Mehrheit des Weltproletariats gezwungen ist, das zu essen, was sie in den überquellenden Nahrungsmittelregalen Preiswertes findet und sich andererseits die Suche des "mündigen" Verbrauchers nach "naturbelassenen" Lebensmitteln als wahre Odyssee erweist, gibt uns der Lebensstil des oberen Management und der verschwindenden Minderheit der großen Privateigentümer (ca. 7 Millionen Individuen weltweit mit mehr als 1 Mill. $ liquidem Geldvermögen) einen Fingerzeig auf genussvolles Essen. Nehmen wir z.B. das Pflichtblatt des deutschen Managements, das Handelsblatt ( www.handelsblatt.com ). Der Freitagsausgabe sind regelmäßig zwei Sonderbeilagen beigefügt. Die eine, "Karriere" befasst sich mit dem Arbeitsmarkt für Führungskräfte und den entsprechenden leitungsfunktionalen Strategien des Personalwesens. Die andere Sonderbeilage – "Galerie" – spiegelt die Lebensart der Stabsmannschaft des Heeres heutiger kapitalistischer Produktionsweise wieder. "Galerie" umfasst alle Segmente bourgeoiser Daseinsweise. (Der gesamte Kunstmarkt, alle wichtigen weltweiten Auktionen, Galerien, Ausstellungen, Festspiele, Neuinszenierungen von Oper, Schauspiel, Orchester, hinüber zur Musik- und Filmindustrie, zu Neuerscheinungen der Literatur und deren Messen hin zu exklusiven Tagungs- und Erholungsorten und Treffpunkten der globalen Bourgeoisie; zudem  angemessene Luxusartikel für den Alltagsgebrauch und entsprechende, käuflich erwerbbare Domizile in aller Herren Länder inklusive exklusivem Interieur samt Dienstpersonal.) {Nachtrag Anfang 2003: entsprechend der ökonomischen Krise der Tageszeitungen wegen scharfem Werbe- & Stellenanzeigen-Rückgang ist die Beilage sehr dünn geworden und von `Galerie´ in `Weekend´ umbenannt worden – gut angepasst an das sich die Wunden leckende Heer des Managements und anderer Führungskräfte – Wunden, geschlagen durch die ökonomische Krise des Weltmarkts, deren Schärfe die bürgerlichen Ökonomen analytisch nicht begriffen haben, wie ihre lächerlichen Prognosen beweisen – bar jeder objektiven Krisentheorie}

Die letzte Seite der Sonderbeilage "Galerie" heißt Gourmet – ohne Anführungszeichen. Hier wird vornehmlich die Küche des europäischen Netzes von Feinschmeckerrestaurants vorgestellt. Diese servieren durch die Bank landwirtschaftliche Produkte – bevorzugt der Region und der Jahreszeit, möglichst kurz vorher geerntet samt artspezifisch abgehangenen Fleisch- bzw. Tierprodukten. Der Ehrgeiz der Köche besteht darin, den aromatischen Eigengeschmack der Lebensmittel in jedem Kochgang erneut experimentierend zur Entfaltung zu bringen. Die Bourgeoisie als Genießer dankt es ihnen durch Weiterempfehlung ihrer Kochkünste und somit eines florierenden Geschäfts. Der Haken an der Angelegenheit ist, dass der Gast mitsamt dem Wein etliche Euro für diesen Genuss hinblättern muss und eben kann. Es ist der Preis dafür, dass für ihn Warenkundler als Glieder der gesellschaftlichen Arbeitsteilung beim Einkauf der landwirtschaftlichen Rohprodukte und anderer Zutaten unterwegs waren, jenseits einer individuellen gebrauchswertfetischistischen Odyssee. Die große Bourgeoisie beschäftigt ihrerseits für die hochwertige Zubereitung ihrer Speisen temporär Leibköche an ihren jeweiligen privaten Domizilen zu Land, zu Wasser, in der Luft.

Vorstehende bourgeoise Genussweise des Essens ist keineswegs zur Unterstützung von sozialen Neidkampagnen beleuchtet worden. Vielmehr verweist dieser Blick auf den Lebensstil in den Palästen, als Luxusproduktion und -konsumtion auf die Eigenart der notwendigen Zubereitung von Speisen, welche die laufende Ausbildung der menschlichen Geschmackssinne als Moment der Entfaltung des individuellen Genusses befördert als eines Entwicklungsmoments aller menschlichen produktiven Triebe und Anlagen.

Hierbei öffnet sich zugleich die klassenmäßige Kluft zwischen dieser arbeitsintensiven und somit wertmäßig hohen Luxusware – einem mit höchster Kochkunst servierten Menü – und den Nahrungsmitteln in unserem durchschnittlichen Warenkorb. Käufer jener Luxusware ist die Klasse der großen Eigentümer und des hohen Managements. Sie beziehen ihre Einkommen vom erzeugten Mehrwert, dessen entsprechender Anteil auf der stofflichen Seite in eben diesem "Warenkorb" produzierter Luxuswaren vergegenständlicht ist (siehe z.B.: zum Luxusgüter-Konzern  Moët Hennessy Louis Vuitton (LVMH) www.main-rheiner.de/wirtschaft/liste.phtml?rubrik=4 )  

So, wie man nun dem Weizen, Reis und Mais nicht ansieht, wer ihn angebaut hat, ob Kleinbauer, Sklave oder Lohnsklave, so wenig verlieren sie ihren Charakter als Träger von Nährstoffen für die Grundversorgung von 6 Milliarden Erdenbewohnern, wenn sie mit Schadstoffen der jeweiligen Produktionsweise kontaminiert sind. Ob übrigens je in der Menschheitsgeschichte Weizen angebaut wurde, ohne mit Schwermetallen kontaminiert gewesen zu sein, wäre eher zu bezweifeln.

Doch die Prioritätenliste der Qualitätskriterien für Nahrungsmittel wird anders bestimmt. So ist die Qualität heutiger industriell erzeugter Nahrungsmittel  hochwertig vor allem vom Gesichtspunkt der Lebensmittelhygiene. Hierzu muss man wissen, dass z.B. verdorbene Eiweißprodukte für den Menschen hoch toxisch sind und in vorindustrieller Herstellungsweise nicht einfach zu handhaben waren. Nun erklärt sich die mindere Qualität im Hinblick auf die Lebensmittelfrische durchaus zum Teil aus der industriellen Bearbeitung, welche ja immer auch Denaturierung lebendiger Substanzen bedeutet. Noch jeder Blauschimmelkäse und jedes Bier ist biotechnologisches Produkt. Da uns die Herstellung der Nahrungsmittel verborgen bleibt, projizieren wir "reine Natur" in die Produkte und unterschlagen den Arbeitsprozess ihrer Herstellung, welche nie ohne Verfahrenstechniken & Zusatzstoffe zur Konservierung & Geschmacksverfeinerung auskommt.

Nicht nur, dass die Vielfalt der Nahrungsmittel, die auf den Tisch der metropolitanen Arbeiterklasse gelangen, abwechslungsreicher ist, als es sich der Feudaladel je träumen ließ. Sondern die landwirtschaftlichen Rohstoffe, die heute im Ernährungsgewerbe weiterverarbeitet werden, haben zudem eine durchschnittliche Qualität, die keineswegs den Vergleich zu scheuen braucht mit der Qualität jener Rohstoffe, die in obig beschriebenen Küchen der Bourgeoisie eingesetzt werden. Der wesentliche Unterschied zwischen den Speisen, die auf den Tischen der Paläste serviert werden und denen, die auf dem durchschnittlichen ArbeiterInnen-Tisch der BRD landen, besteht in der aufwendigen Zubereitung mit frischen Rohstoffen durch arbeitsteiliges Dienstpersonal.

x

Dass ein tiefgefrostetes Fertiggericht im Durchschnitt nicht an ein mit frischen Lebensmitteln zubereitetes Essen herankommt und dass ein Festessen für dreißig Personen ganz andere Kochkunst erfordert als für 4 Leute, dies wissen alle Kochkünstler und hierauf verweist auch die vorige Beleuchtung der Speisegewohnheiten der Bourgeoisie. Welcher Proletarier würde sich nicht gerne tagtäglich hierzu einladen lassen? Das Proletariat produziert jene Speisen jedoch nicht für sich selbst. Und es bekocht nicht nur tagtäglich die Bourgeoisie, sondern sich (vor allem seine weibliche   Hälfte) selbst gegenseitig, arbeitsteilig, tagtäglich, weltweit, massenhaft, mit allen althergebrachten lokalen Rezepturen, auf vielen Punkten der Erde, angefangen von familialen und clanmäßigen Pflichtessen bis hin zu freiwilligen Essgelagen. Hier stehen immer die Geselligkeit und der Geschmack des Essens im Vordergrund.

Somit rücken wir zum Kern des Verbraucherverhaltens vor. Essen gehört zwar zu unseren unbedingten Grundbedürfnissen als Naturwesen, die Formen der Befriedigung sind jedoch gesellschaftlich bestimmt. Der Kreis der menschlichen Bedürfnisse erweitert sich zugleich mit der Entwicklung der Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit. Somit erweist sich der Spruch, dass der Mensch nicht nur vom Brote lebt, heute als profane Tatsache. Aus der Zusammenstellung des Warenkorbs können wir ablesen, dass der Verbraucher im Durchschnitt der BRD nur noch 16% seines Einkommens für Nahrungsmittel ausgibt. Ihren Lohn geben sie für andere angenehme Dinge des Lebens aus. So wie sie schlechtes Werkzeug einkaufen, so vorsätzlich gehen sie ihre Nahrungsmittel in Supermärkten einkaufen und verdrängen ihr Wissen um deren regelmäßige Verunreinigungen mit Schadstoffen. Sie wägen ab zwischen dem Nutzen "ihrer" Markenartikel und deren Preis. Als Warenkäufer besitzen sie zudem der rechtlichen Fiktion nach enzyklopädische Warenkenntnisse. Durch die Einrichtung eines Ministeriums für Verbraucherschutz wird diese Illusion verstärkt werden. Doch die proletarischen Erfahrungen lösen solche Illusionen regelmäßig auf und führen zu einem ernüchterten Resümee des Schulterzuckens und `nach mir die Sintflut´.

x  Die Essgewohnheiten des Weltproletariats sind zudem im Umbruch. Der heimische Herd verliert an Bedeutung. Essen und Trinken wird zunehmend in gesellschaftlichen Räumen (in Deutschland in Richtung 50%) eingenommen. Dieser weltweite Trend zur massenhaften Außer-Haus-Verpflegung mit Essen, Trinken, (Kleiden) in allen erdenklichen Formen, zeigt jenen Sprung in der Entfaltung der Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit an, wo industriell angerichtete Fertiggerichte, rein ökonomisch, günstiger sind als individuell hergerichtetes Essen – für den durchschnittlichen allgemeinen Lohnarbeiter. Dass die hierbei individuell  freigesetzte Zeit zugunsten unbezahlter Mehrarbeit als Arbeitstagverlängerung von der Bourgeoisie eingeklagt wird, ist weltweiter Erfahrensalltag des Proletariats – in seinen Abstufungen von der Arbeiteraristokratie bis hin zu den zunehmend großen Heeren des working poor. 

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Hiermit sind wir ans Ende des Märchens vom Verbraucher als Warenkundler gekommen. Bezüglich der als Waren produzierten Nahrungsmittel als stofflicher Teilinhalt des weltweiten variablen Kapitals und des von der Bourgeoisie individuell konsumierten Anteils des Mehrwerts lässt sich folgendes festhalten: 

(a)     Die Menschheit kann sich trivialer Weise nur von dem ernähren, was sie laufend produziert und dieses ist gegenwärtig in zwei Qualitätssegmente gegliedert entsprechend den zwei gesellschaftlichen Hauptklassen Bourgeoisie und Proletariat. 

(b)    Die Bourgeoisie und ihre politischen und kulturellen Speichellecker kaufen die Waren des wertmäßig, quantitativ unbedeutenden Luxussegments. Im vorliegenden Falle der Nahrungsmittel werden sie durch warenkundliches Dienstpersonal und Fachkräfte des Gastronomiegewerbes als frisch zubereitete Speisemenüs serviert.

(c)     Die moderne Arbeiteraristokratie des globalen Lohnsklavenheeres, die in der BRD einer ihrer größten national-territorialen Stützpunkte hat und deren Durchschnittslohn über ihrem Wert als Ware Arbeitskraft liegt, treibt an ihren kulturalistischen Rändern sektenmäßig ernährungsfixierte Individuen hervor als Elemente eines facettenreichen kleinbürgerlichen Bonsai-Hedonismus – das seitenverkehrte Spiegelbild bürgerlicher Askese. 

(d)    Der übergroße Teil des Weltproletariats ist lebenslang genötigt, die von ihnen – als der Naturalform des variablen Kapitals – selbst produzierten und ihnen dann zum Kauf angebotenen Nahrungsmittel in ihrer vorgegebenen (Gebrauchswert)-Qualität mit ihrer Löhnung zu begleichen. Die Ironie der Lohnarbeit besteht darin, dass der Lohn dem  Einzelkapitalisten beim Verkauf seiner Waren zurückfließt, die Lohnsklaven also mit dem Erlös ihres eigenen Arbeitsprodukts bezahlt werden. Und noch wesentlicher: zugleich realisiert der Einzelkapitalist darüber hinaus anteilmäßig den in den Waren steckenden Mehrwert – die anteilige unbezahlte Mehrarbeitszeit des Weltproletariats. Dieser Geldmittelrückfluss aus dem Verkauf der Waren gewährleistet die fortlaufende Produktion und Konsumtion eben dieser Warensorten mit vorbestimmter Qualität auf erweiterter Stufenleiter. (Zur Undurchlässigkeit der jetzigen Klassengesellschaft: zur Entmythologisierung des Märchens `vom Tellerwäscher zum Millionär´ siehe Victoria Griffith: `Es war einmal in Amerika´ in der Weekend-Beilage der Financial Times Deutschland vom 8.4.01 www.ftd.de )

(e)     Mindere oder höhere Qualität von Nahrungsmitteln als Produktionserscheinung ist nicht systematisch zu erklären aus der Konkurrenz der Einzelkapitale oder regelmäßige kriminelle Handlungen Einzelner oder der "Marktmacht" des Handelskapitals, wie es z.B. die Genossen der Gruppe Landplage vorexerzieren (siehe: `Kommentierte Chronologie der marktwirtschaftlichen Produktion und Betreuung einer Seuche´ unter www.landplage.de ); die Konkurrenz ist nämlich kein eigenständiger Grund für irgendeine kapitalistische Erscheinung, vielmehr sind die Konkurrenz der Verkäufer und Einkäufer der Waren (gerade auch der Ware Arbeitskraft) ebenso wie die Konkurrenz der Einzelkapitale wie der Nationalstaaten ausschließlich Bewegungsformen, in denen sich das Wertgesetz des Kapitals als Gesamtheit der unterschiedlich organisch zusammengesetzten Einzelkapitale durchsetzt; hierzu mehr im Themenkomplex zur "Marktwirtschaft". Vielmehr wäre weiter zu recherchieren bezüglich der Erpressungsformen des Proletariats durch die ständige Senkung des Werts seiner Ware Arbeitskraft und ständigem Lohndruck durch die riesige industrielle Reservearmee. (Marx behandelt erstere Fragestellung an Hand des mit übelsten Zuschlagstoffen gebackenen Brotes der undersellers, zu welchen über 90% der Bäcker Londons zählten ( http://www.marxists.org , MEW 23, Seiten 188ff, 263f, 626ff).

Die Mär vom mündigen Verbraucher als Warenkundler entpuppt sich also als ideologisch verkehrter Ausdruck der bürgerlichen Verkehrsweise: als privat unabhängig voneinander wirtschaftende Rechtssubjekte gewähren sie im formalen Akt des Warentauschs ihrem Vertragskontrahenten gegenüber juristische Anerkennung des Gebrauchswert der eingetauschten Waren. Tatsächlich besteht jedoch auf Seiten der individuellen Konsumenten in der Regel keinerlei Einsicht in die Qualitäten des Gebrauchswerts der weltweit arbeitsteilig produzierten Waren – deren "Auswahl" zudem von der individuellen Stellung im Produktionsprozeß abhängig ist.

Die reale alltägliche Wirklichkeit ist eine andere: Der gesellschaftliche Gesamtarbeiter "weiß" in Gestalt einer Mehrheit seiner einzelnen Glieder darum, dass ausnahmslos alle landwirtschaftlichen Rohstoffe mehr oder minder kontaminiert sind mit unterschiedlichsten Schadstoffklassen. Das was wir als Warenkunde – als wissenschaftliche Erfassung ihrer Gebrauchswertseite – bezeichnen können, existiert nicht im Erfahrungshorizont des einzelnen Individuums als solchem, sondern in ihm als Teilarbeiter des gesellschaftlichen Gesamtarbeiters.

Die Trennung des warenkundlichen gesellschaftlichen Wissens der individuellen Wissensträger als bürgerlichen Rechtssubjekten voneinander – patentrechtlich abgesichert als Privateigentum eines industriellen Einzelkapitals – verläuft in der Form der Konkurrenz der Lohnarbeiter untereinander – als einziger Bedingung fortwährender Existenz des Kapitalverhältnisses. Dieses Produktionsverhältnis des privaten Kommandos über fremde Arbeit verunmöglicht die dem warenkundlichen Wissensstand angemessene bewusste globale Kooperation als Glieder des gesellschaftlichen Gesamtarbeiters.

Das Umschlagen der laufend erzwungenen privat-kapitalistischen Kooperation im gesellschaftlichen Arbeitsprozess zur freiwilligen Assoziation zwecks Bündelung dieser gesellschaftlichen Potenzen kann erst in der revolutionären Umwälzung sämtlicher gesellschaftlicher Verhältnisse durch die Aktion der sich befreienden Produzenten praktisch wahr werden. Unter anderem wird dabei die öffentliche Verpflegung aller Gesellschaftsmitglieder nach warenkundlichen & ernährungsphysiologischen Kriterien auf bewusstem gesellschaftlichem Grad der Produktion der Lebensmittel, ihrer Lagerung, Verarbeitung, Zubereitung und Verteilung im Weltmaßstab in Gang gesetzt.

voriger Abschnittzum InhaltnaechsterAbschnitt

2013 || theoriepraxislokal.org