Anmerkung zum Arbeitsblatt zu Franz Neumann: Behemoth (Antikapitalismusphantasien der Nazis)
Das Beispiel Hans Frank.
Zum Problem der Möglichkeit der Zusammenarbeit der vier Blöcke: Staat - Partei - Armee - Wirtschaft. Hier: Vereinbarkeit von Maßnahmenstaat und bürgerlichem Vertragsrecht.
Problem:
F.Neumann schildert im Behemoth S. 509: wie das Recht im Nationalsozialismus den Charakter der Allgemeinverbindlichkeit und damit der Berechenbarkeit »für alle« verliert.
Neumann leitet das aus der wachsenden Monopolisierung ab. Wenn dem Gesetzgeber nur noch pro Gebiet ein Einzelwesen - genaugenommen: eine einzige Juristische Person- gegenübersteht, gehen Weisung für den Einzelfall und Gesetz notwendig ineinander über. Das Recht verliert zusätzlich seinen individualistischen, auf die einzelne, körperliche Person bezogenen Charakter: Die Deduktion geht im entwickelten NS-Systems jeweils von einer gegebenen übergeordneten Ganzheit aus. Also: der Betrieb und seine berechtigten Forderungen an den Gefolgsmann, das Heer und seine Ansprüche an den Einzelnen usw. Nicht mehr: das Individuum, das sich durch Vertrag einem anderen Individuum - realer oder juristischer Person - verpflichtet.
Demnach nimmt der einzelne - ins Monopolgefüge eingeordnete Angestellte, vor allem die Leitenden, die mangelnde Berechenbarkeit hin, solange er annehmen darf, dass ihm in seinem privilegierten, vom Führer anerkannten, Monopolbereich nichts passieren kann.
Frage: Wie kann es dann doch zu Konflikten zwischen den Blöcken kommen?
Beispiel Hans Frank, Vorsitzender des Reichsrechtswahrerbundes, Generalgouverneur in Polen hält im Jahr 1942 eine Reihe von öffentlichen und halböffentlichen Vorträgen, in denen er keineswegs gegen KZs und Sondergerichtsbarkeit an sich vorgeht, wohl aber gegen die Verletzung des Grundsatzes »audiatur et altera pars« (lat. »man höre auch die andere Seite«). Er verlangt Möglichkeit der Verteidigung des Unschuldbeweises und der Öffentlichkeit des Verfahrens.
In einer kurz vorher gehaltenen Reichstagsrede hatte sich Hitler als »Oberster Gerichtsherr« eigens vom Reichstag bestätigen lassen und ebenfalls das Recht verlangt und erhalten, Richter jeden Grades aus ihrem Amt zu entfernen.
Franks Rede musste als offener Affront dagegen aufgefasst werden.
Zugrundelag für Frank außer dem Dauerclinch mit der SS die Erfahrung, dass sein Freund Lasch, selbst Bezirksgouverneur im Generalgouvernement, von der SS wegen möglicher Unterschlagungen verhaftet und im Gefängnis in Breslau ohne Verfahren erschossen worden war. (Um Aufsehen zu vermeiden).
Zu Unrecht wird von beiden Autoren alles nur auf Franks subjektive Wut wegen des Freundes geschoben. Vor allem zu Unrecht wird ein unversöhnlicher Widerspruch gesehen zwischen den Maßnahmen Franks im Generalgouvernement und seinen Forderungen im Reich .
In Polen war Frank Anhänger des unumschränkten Maßnahmenrechts gegen Juden und Polen. Es gab ausschließlich die summarische Erschießung.
Das entspricht für Frank aber der Gesamtkonzeption: Recht als Garantie kann nur den eingehegten Volksgenossen zuerkannt werden; damit diese Hegung intakt bleibt, muss gegen »Fremdvölkische« der Krieg unerbittlich geführt werden.
Die Forderung nach minimalen Rechtsgarantien gilt nur im eingehegten Bezirk - für die Eingehegten.
Franks vier Vorträge fanden großen Beifall - nicht nur unter Fachjuristen. Offenbar hatten breite Wirtschaftskreise erkannt, dass mit dem Wegfall jeder Berechenbarkeit über den eigenen Monopolbereich hinaus die Grundlagen des bürgerlichen Vertragswesens und der bürgerlichen Sicherheit selbst gefährdet waren.
Es ist anzunehmen, dass bei einem längeren Bestand des NS-Systems sich dieser Widerspruch verschärft hätte. Vergl. die Entwicklung bis ins Jahr 1944 hinein. In der Endentwicklung konnten beliebigen Kommissionen - auch außerhalb der SS-Exekutivrechte bis zur Hinrichtung zuerkannt werden.
So ließen Mitglieder des Saur-Jäger-Stabs zwei Subunternehmer des Messerschmitt-Konzerns ohne weiteres erschießen, weil sie den Wiederaufbau der Fabrik verzögert hätten mit der Begründung, erst mal Unterkünfte für ihre Arbeitskräfte gebaut zu bekommen.
Die Zugehörigkeit zum Konzern nützte also nichts mehr gegenüber gewaltförmig durchgesetzten Forderungen von Block 1+3: Staat und Militär. Die Einhegenden wurden zunehmend zu Jägern im Gehege.
Kennzeichnend für den Mangel an Konsequenz und damit für den Zerfall des Rests von Rechtseinheit die Folgen für Frank. Frank musste zwar all seine Ämter innerhalb der Partei aufgeben, blieb aber in seinem staatlichen Amt als Generalgouverneur bis ans Kriegsende- und Nürnberg. Hitler scheute offenbar vor der Öffentlichkeit in diesem Augenblick noch vor einer demonstrativen Neubesetzung des Postens zurück, weil er den Grund nicht angeben hätte können, ohne eine unerwünschte Diskussion über Recht und Rechtsstaat zu entfesseln.
Quellen: Niklas Frank: Der Vater // Dieter Schenk: Hans Frank. (Der vollständige Text der Ansprachen in Berlin und Heidelberg wird von beiden Autoren nicht geliefert; Er muss in Franks Rechenschaftsbericht enthalten sein: Frank: Im Angesicht des Galgens, das mir im Augenblick nicht zugänglich ist,auch nicht antiquarisch)
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Weitere Anmerkungen zum Arbeitsblatt zu Franz Neumann: Behemoth:
→ Dokumentation einer Romanstelle aus Zöberlein: »Der Befehl des Gewissens« mit kritischen Anmerkungen und einem typischen NS-Tryptichon (Arbeiter / Bauer / Soldat) aus Theweleit »Männerphantasien«.
→ Zur unlöslichen Verbindung des »Antisemitismus der Vernunft mit dem »Antisemitismus des Pogroms«