Anmerkung zum Arbeitsblatt zu Franz Neumann: Behemoth (Antikapitalismusphantasien der Nazis)

Speers System - trotz dem Anschein schärfster staatlicher Lenkung zugleich größte Entfaltung der Monopole.


1. Nach 1945 taten viele Konzernchefs so, als seien sie in der ganzen Zeit des NS-Systems einer staatlichen Lenkung unterworfen gewesen, die Staatssozialismus sehr nahe gekommen wäre.

Tatsächlich - da sie als Kriegsindustrie, und die war am Ende jede Industrie im Reich - immer nur für einen einzigen Auftraggeber arbeiteten, konnte der Schein totaler Abhängigkeit entstehen. In Wirklichkeit war die Zusammenarbeit von Krupp und Armee nicht enger als die zwischen Boeing und dem amerikanischen Präsidenten. Sie tritt im Kriegsfall in jedem kapitalistischen Land auf, ohne dass das gleich zentrale Lenkungswirtschaft wäre.

Tatsächlich geht aus Speers eigenen Aussagen immer neu hervor, dass er als Minister sich als Vollstrecker des Willens sah, der in Kartellen und Monopolen sich gesammelt hatte - nämlich sämtliche kleineren Konkurrenten zu unterwerfen.

Diesen ohnedies vorhandenen Willen können die Monopole durch geliehene staatliche Macht in den »Produktionsringen« verwirklichen. Insofern entspricht dem Schein größter Abhängigkeit des Kapitals die Wirklichkeit größter Schrankenlosigkeit.

2. Den letzten Teil seiner »Erinnerungen« widmet Speer ausschließlich seinem isolierten Kampf gegen Hitlers »Verbrannte Erde«-Bestrebungen - im Dienst der Industrie, sogar in Frankreich oder Ungarn. Nun wären in einer wirklich sozialistischen Gesellschaft Zerstörungsaktionen überlegenswert und unter Umständen sinnvoll, um dem Feind keine Nutzung zu erlauben.

Speer missachtet sofort den Führerbefehl und schließt sich mit dem Überlebenswillen der Firmen zusammen. Selbst Brückensprengungen, die doch zur Normalität des Bewegungskriegs gehören, unterbindet er nach Kräften.

Es ergibt sich also, dass die Monopole keineswegs verstaatlicht waren, noch weniger vergesellschaftet, sondern sich zwar die Gelegenheit zunutze machten, solange der imperialistische Ausgriff Surplus-Profite versprach, ab Herbst 1944 aber schon wieder auf mögliche Kontinuität im Frieden setzten. Wer sich kollektiv und entschlossen gegen den eigenen Staat zur Wehr setzen kann, kann nicht zugleich als verstaatlicht angesehen werden.

3. In seinem letzten Buch »Der Sklavenstaat« stellt Speer sich als unerschrockener Vorkämpfer der »selbstverantworteten Wirtschaft« gegen die »sozialistischen« Absichten Himmlers und der gesamten SS. Insbesondere richtet er in diesem Sinn Angriffe gegen Ohlendorf.

Er »vergisst« bei diesem Preis der wirtschaftlichen Führungskräfte, die so lange den Karren noch am Laufen gehalten hätten, eines: man braucht Arbeiterinnen und Arbeiter, um Mehrwert zu produzieren. Führungskräfte allein stehen sehr dumm da, ohne jemand zum Antreiben. Dass alle Führer zu diesen unter den gegebenen Umständen nur durch Zwang kommen konnten, wird nach Kräften verhüllt. Tatsächlich trieb Sauckel, der dafür in Nürnberg gehängt wurde den Speer-Mannschaften, mit brutalen Mitteln Arbeitskräfte aus Frankreich, Polen, der Ukraine zu - und von sonst woher, wo er sie kriegen konnte. Andererseits übernahm Speer widerspruchslos KZ-Kräfte, etwa um unter grausigen Umständen die V2 fertigzustellen.

Der Kampf gegen die SS war also widersprüchliches Zusammenspiel mit ihr.

4. In seinen »Erinnerungen« gibt Speer vor, von Auschwitz nur einmal ohne genaue Ortsbezeichnung gehört zu haben. In »Sklavenstaat« zitiert er wörtlich aus Himmlers Posener Rede, in der dieser das Programm der Judenvernichtung offen ausspricht, und in der »Parteigenosse Speer« direkt als Mitstreiter angeredet wird, will aber bei dieser Stelle der Rede schon wieder abgereist sein. (Idiotenausrede Speers nachträglich: Himmler hatte keine Brille auf, und konnte nicht sehen, dass Speer schon nicht mehr da war, während er ihn vor versammelter Mannschaft ansprach)(Zur Gesamteinschätzung der Zusammenarbeit Speers mit Himmler vergl. Besprechung Tooze:Ökonomie der Zerstörung - auf dieser website)

Speer rühmt sich, in all seinen Äußerungen keine emotionalen Äußerungen gegenüber Juden getan zu haben. Das mag sein.

Trotzdem ist gerade bei ihm und seiner Wirtschaftsführergefolgschaft angelegt die strukturelle Vernichtung der Arbeitskraft, aus der der Mehrwert gepresst wird. Dass das nicht unmöglich ist, zeigt das Verhalten der Standgerichte der Bourgeoisie nach der Niederlage der Commune: die besten Facharbeiter wurden schonungslos beseitigt.

Vernichtungswillen in diesem Sinn richtet sich konzentriert gegen Juden, als die Arbeitskraft, deren Vernutzung am leichtesten erzwungen werden kann unter den gegebenen Umständen. Weil sie am bedrohtesten waren. Immer wieder schildert Speer den Zwiespalt, dass Goebbels und Himmler die Juden möglichst schnell beseitigt wissen wollen, auf ihre Arbeitskraft aber nicht schnell genug verzichten können. Dieser Konflikt wirkt von außen als unlösbar. Im Kapitalverhältnis zeichnet sich folgende Lösung ab:

Juden sind die, denen nichts anderes übrig bleibt, als sich zu unterwerfen, sich in der Arbeit verbrauchen zu lassen, um eine Frist vor dem Tod zu gewinnen. Zugleich drohendes Muster für die, die als nächste dran zu sein befürchten müssen.

Bedingung der Möglichkeit, Führungskraft in einem System sein zu können, in dem es nicht mehr auf Reproduktion, sondern auf Raub ankommt, ist, dass es Wesen gibt, die restlos Vernichtung und Verbrauch ausgeliefert sind.

Wie ist das mit Postones Definition zu vereinbaren? wohl nur in einer Art Umkehrung! Für die Wirtschaftsführer wäre der Jude dann nicht das zu vernichtende Abstrakte, sondern umgekehrt : das quälend Konkrete, das ewig den großartigen Plänen der »Führer« sich widersetzt. Die Schicht der Führer braucht den Anblick des zu vernichtenden Juden, um auf der Ebene der Abstraktion zu verharren. Gemeint: Um in der Sphäre des hochgemuten Planens, Entwerfens, Perspektivenentwickelns sich weiterhin bewegen zu können, in Nichtachtung und Vernichtung des Zufällig-Konkreten, das in irdischer Zulänglichkeit immer wieder den hochfahrenden Gedanken ein Bein stellt.

5. Speer vertritt insgesamt die Interessen und den Zusammenschluss der »totalitären Monopole«. Wie kommt es zur widersprüchlichen Zusammenarbeit dieses Blocks mit den anderen vier Blöcken nach Neumann:

Antwort: nur über die gemeinsame Bedrohung durch den Feind, der für den Dollar und den Roten Stern zugleich steht, insofern auch die Erdrückung durch den Zwei-Fronten-Krieg vertritt. Durch die Bedrohung und die Aufgabe des gemeinsamen Vernichtungskampfes gegen ihn. Antisemitismus ist dasjenige, in dessen Bekämpfung die vier Blöcke zusammenfinden, und zwar nur in dieser Perversion des antagonistischen Widerspruchs. Ohne diesen als antagonistisch und absolut phantasierten Gegensatz würde das Zusammenspiel der vier Blöcke durch ihre nicht-antagonistischen Widersprüche zerrissen.

Vernichtungswillen gegen Juden funktioniert jedenfalls bei der Speer-Fraktion ohne emotionalen Aufwand. Antisemitismus ist das in der Kriegführung unausgesprochen Vorausgesetzte.

Auch dieser Antisemitismus als Axiom und Prämisse ist auf Vernichtung aus. Und zwar- wie die Geschichte gezeigt hat- mit fürchterlicheren und umfassenderen Folgen als die planloseren Attacken des Pogrom-Antisemitismus.

 


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Weitere Anmerkungen zum Arbeitsblatt zu Franz Neumann: Behemoth:

→ Beispiel Hans Frank, zur Illustration der am Ende katastrophalen Reibung zwischen den vier Blöcken, bzw. zur Vereinbarkeit von Maßnahmenstaat und bürgerlichem Vertragsrecht.

→ Zur Rolle Schachts bei Neumann (Behemoth) / bei Tooze (Ökonomie der Zerstörung) / in der eigenen Autobiogaphie

→ Dokumentation einer Romanstelle aus Zöberlein: »Der Befehl des Gewissens« mit kritischen Anmerkungen und einem typischen NS-Tryptichon (Arbeiter / Bauer / Soldat) aus Theweleit »Männerphantasien«.

→ Zur unlöslichen Verbindung des »Antisemitismus der Vernunft mit dem »Antisemitismus des Pogroms«

 

 

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