Veranstaltungen September - Dezember 2000:

 

Lektürenachmittage, Seminare:

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In eigener Sache

Unser aktuelles Halbjahresprogramm, das ihr in den Händen haltet, bietet hoffentlich wieder einige Anlässe für kontroverse und produktive Diskussionen. Während uns einige wahrscheinlich für eine Eintagsfliege gehalten haben, deren Projekt im Umfeld der zerklüfteten Kraterlandschaft der Frankfurter Restlinken kaum über die ersten Monate und Grundsatzdebatten hinauskommen würde, haben wir im kleinen Rahmen Stabilität und Kontinuität bewiesen. In der Sache durchaus mitunter uneins, konnten wir unseren Grundkonsens, auf einer antikapitalistischen Basis mit Bezug auf die emanzipatorischen Traditionen der revolutionären Arbeiterbewegung Bildungsarbeit und Theorieaneignung zu entwickeln, zunächst umsetzen. Unser Projekt lebt jedoch langfristig nicht davon, dass sich zehn Leute kluge Gedanken machen und dreißig andere gelegentlich zu Veranstaltungen kommen, sondern aus der kritischen Mitgestaltung. Wir würden gerne mehr tun — etwa regelmäßige Filmabende oder Arbeitskreise, die längerfristig an einem Thema arbeiten —, wenn sich mehr Menschen fänden, die ihre Ideen einbringen könnten. Dass dieses Klagelied in allen Projekten der Linken zur Zeit bei verschiedenen sich bietenden Gelegenheiten vorgetragen wird, ist uns dabei bewusst. Ansonsten geht es uns, den Umständen entsprechend, prächtig. Wäre da nur nicht das Raumproblem: Die DFG/VK, deren Räume wir nutzen, verliert diese zum 31. 3. 2001. Damit werden auch wir zum Umzug gezwungen sein.

Ihr könnt uns, und auch diese Leier wird euch bekannt sein, auch finanziell unterstützen, nötig hätten wir es und verdient hätten wir es auch. Noch besser fänden wir es, wenn sich einige von euch entschließen könnten, unserem Verein beizutreten (Formular). Ansonsten sind wir nach wie vor eine offene Basisgruppe, die sich jeden zweiten Mittwoch (immer dann, wenn keine Abendveranstaltung ist) um 19.30 Uhr (noch) in der Vogelsbergstraße 17 trifft. Wer mag, kann einfach vorbeikommen.

Alle Veranstaltungen und Seminare finden, sofern nicht anders angekündigt, in den Räumen der DFG/VK, Vogelsbergstraße 17, statt.

 

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Mittwoch, 6. September 2000, 19.30 Uhr

Veranstaltung mit Fritz Güde

Wer war Walter Benjamin?

60 Jahre nach seinem Tod auf der Flucht vor den Nazis

Benjamin hat seine letzten wichtigen Schriften verfasst in den Jahren 1938 und 1939. Er schrieb also aus einer Zeit der Windstille und der inszenierten Kirchhofsruhe heraus, die der nach 1989 in vielem entspricht. Umso wichtiger, die Hoffnungen des Hoffnungslosen zu bedenken, der sich für seine hinfällige Person vor sechzig Jahren im September 1940 schließlich dem Feind geschlagen geben musste.
Es sollten vor allem herausgearbeitet werden die gemeinsamen Schnittmengen mit den im Juni vorgestellten Situationisten.
Solche wären aufzusuchen:
- im Willen, die Abgeschlossenheit der Teilbereiche des bürgerlichen Denkens aufzusprengen,
- in der Konzentration auf ein Leben außerhalb der Fabrik in den Straßen der Stadt als dem neuen Gehäuse der Arbeit,
- im Begriff eines die Menschen gefangen haltenden und verführenden Scheins. Es wäre zu überprüfen, welche Schnittmenge Benjamins Phantasmagorie mit dem Spektakel der Situationisten hat.
Benjamin hat seine Vorstellungen am Berlin und Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts entwickelt. Der Versuch scheint der Mühe wert, seine Kategorien auf ihre Brauchbarkeit für den »Krieg in den Städten« unseres Jahrhunderts hin näher anzuschauen.

 

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Mittwoch, 20. September 2000, 19.30 Uhr

Bertolt Brecht: Flüchtlingsgespräche

Eine szenische Lesung von Mitgliedern der Sozialistischen Studienvereinigung

1940 war Bertolt Brecht auf der Flucht vor den Nazis, »öfter die Länder als die Schuhe wechselnd«, in Finnland angelangt. Abgehängt vom politischen Leben wie vom Kulturbetrieb, schrieb er hier unter dem Druck des sich europaweit auf dem Vormarsch befindenden Faschismus unter anderem auch seine Flüchtlingsgespräche, die ganz und gar von der Situation des Emigranten geprägt sind, die er reflektiert. »Der Pass ist der edelste Teil des Menschen«, heißt es denn auch gleich am Anfang, »er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.«

Im Bahnhofsrestaurant in Helsingfors disputieren Ziffel und Kalle, zwei Flüchtlinge aus dem faschistischen Deutschland, über die Widersprüche und Merkwürdigkeiten deutscher Herrschaftsverhältnisse, Erziehung, Kommunismus, Freiheitsdurst und das äußerst angebrachte Misstrauen gegenüber jedem Land, in dem bei den Herrschenden viel von Freiheit die Rede ist. Auch auf die Tücken der Ordnung kommt das Gespräch:

»Sie könnens so ausdrücken: Wo nichts am rechten Ort liegt, da ist Unordnung. Wo am rechten Ort nichts liegt, da ist Ordnung ... Ordnung ist heute meistens dort, wo nichts ist. Es ist eine Mangelerscheinung.«

Aus dem spöttischen Geplauder wird eine Erörterung der großen, viel propagierten und um jeden Preis durchgesetzten Werte und Postulate der bürgerlichen Gesellschaft und die Notwendigkeit, angesichts der in letzter Zeit grassierenden Inflation von Größe und Heldentum eine antiheldische Haltung anzunehmen. Schließlich, mangels besserer Alternativen, stößt Ziffel mit Kalle auf den Sozialismus an als auf einen Zustand, der »solch anstrengende Tugenden wie Vaterlandsliebe, Freiheitsdurst, Güte, Selbstlosigkeit« genauso überflüssig macht »wie ein Scheißen auf die Heimat, Knechtseligkeit, Rohheit und Egoismus«, den zu erreichen aber »allerhand nötig sein wird. Nämlich die äußerste Tapferkeit, der tiefste Freiheitsdurst, die größte Selbstlosigkeit und der größte Egoismus.«

 

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Mittwoch, 4. Oktober 2000, 19.30 Uhr

Veranstaltung mit Peter Christoph

Die Verdrängung der Psychoanalyse

Das Beispiel des kommunistischen Kreises um Otto Fenichel

Die Psychoanalyse, wie S. Freud sie begründet hat, galt Rechten wie Linken stets als »die jüdische Wissenschaft«: sie darin der Marxschen Theorie/Praxis gleichsetzend, hat die bürgerliche Konterrevolution des 20. Jahrhunderts alles daran gesetzt, den subversiven, alle »Herr-im-Hause«-Gewissheiten zersetzenden Charakter dieser Lehre zu vernichten. Im Deutschen Reich wurden die Werke Freuds verbrannt, er und seine Schüler/innen mussten fliehen oder kamen um — während die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft ihre jüdischen Mitglieder ausschloss, um sich im nationalsozialistischen »Göring-Institut« der Techniken zeitgemäßer kapitalistischer »Lebenstüchtigkeit« und Kriegsertüchtigung zu verschreiben.

— In der Sowjetunion, nach hoffnungsvollen Anfängen, erklärte Mitte der dreißiger Jahre die ursprüngliche Psychoanalytikerin Wera Schmidt etwa: Wir brauchen keine Debatte über Psychoanalyse und Marxismus, denn wir haben Stalin, und einen Ödipuskomplex gibt es bei unseren Kindern nicht.

— Und in den USA begann mit dem Siegeszug der institutionalisierten, medizinalisierten und sozialmoralisierenden Technik das, was heute von ihr als respektable Anpassungs-»Psychoanalyse« zurückgeblieben ist — der staatstragende Betrieb saturierter Musterbürger/innen mit dem speziellen »therapeutischen« Geschäft, das beschädigte Leben im Kapitalismus (»Krankheit«) in eine mehr oder weniger »normale« Mitwirkung am Kapitalismus umzumodeln.

Diese Entwicklung kann jedoch die Wiederkehr des wohlbekannten »unheimlichen« Inhalts nicht verhindern. Kurz nach dem 100. Geburtstag des kommunistischen Psychoanalytikers Otto Fenichel (1897—1946) konnte eine umfangreiche »Flaschenpost« geöffnet werden: 2000 Seiten geheimer Rundbriefe 1934 bis 1945: eine einzigartige Quelle aus dem Untergrund einer revolutionären Theoriebildung, deren Übermittler offiziell stets als »der Enzyklopäde der Psychoanalyse« galt. In den »Rundbriefen« tritt jetzt erst die Chronik und Kritik der revolutionären, »freudomarxistischen« Unterströmung der finstersten Jahre des 20. Jahrhunderts hervor. Um dieses Dokument einer klassisch-»orthodoxen« und zugleich avanciert-kritischen, wissenschaftlich-kommunistischen Psychoanalyse nicht sogleich wieder in den akademischen Windungen der fachhistorischen und philologischen Verwaltungs- und Entsorgungsspezialisten bzw. der anpassungspsychologischen Zünfte verschwinden zu lassen, sondern es der Aneignung für proletarischen Klassenkampf zu erschließen, soll ihr für uns wesentlicher Gehalt hier in erster Annäherung skizziert werden.

 

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Mittwoch, 18. Oktober 2000, 19.30 Uhr

Ein Abend für Anna Seghers

Der antifaschistischen Schriftstellerin zum Hundertsten

Anna Seghers (1900—1983) ist entweder als Kommunistin oder als Schriftstellerin gelobt und kritisiert worden — es kommt aber darauf an, beides als Einheit zu verstehen. Sie hat sich in allen ihren Werken darum bemüht, zwei Dinge zusammenzubringen, die selten so vorstellungsstark zusammengedacht wurden: die Lebensschwierigkeit des einzelnen Menschen in seiner Verlassenheit und die unverbrüchliche Bindung an die Bewegung und Partei des Sozialismus, mit seinem Anspruch für die Mehrheit, das Kollektiv, ja tendenziell für alle zu sprechen.
Wir wollen in der Veranstaltung untersuchen, wie sie beides in den verschiedenen Etappen ihres Lebens zusammenzubringen suchte: von den expressionistischen Anfängen bis zu den — auf viele erstarrt wirkenden — Romanen der Spätzeit in der DDR.

Einen Schwerpunkt soll dabei die Erzählung »Der Ausflug der toten Mädchen« darstellen, die wir in Auszügen lesen wollen. Anna Seghers geht hier — fast das einzige Mal — auf ihr eigenes Schicksal als Jüdin ein. Vom mexikanischen Exil aus »sieht« sie all die wieder, mit denen sie einst die Schule besuchte — und folgt den Wegen, die jede einzelne ihrer Schulkameradinnen genommen hat.

Vielleicht ist es ihr hier am eindringlichsten gelungen, etwas so Allgemeines wie Antisemitismus aufzulösen in jeweils individuell begründete Entscheidungen von Einzelnen, ohne dass doch die Notwendigkeit des Zusammenschlusses zu Kampf und Widerstand jemals weggeschoben würde.


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Mittwoch, 1. November 2000, 19.30 Uhr

Veranstaltung mit Henning Mächerle

Geld als Perpetuum Mobile

Von Produktion, Zirkulation und der Unmäglichkeit der Gleichgewichte im Kapitalismus

Im Zeitalter der Globalisierung scheint Geld alles zu sein. Geld wird gemacht, und zwar an der Börse. Mit der Produktion von Gütern, so wird geraunt, gibt sich der kluge Kapitalist heute gar nicht mehr ab. Die Börsenzeitungen, die herrschende Meinung und die Sozialdemokratie raten uns allen: Werdet ein Volk von Aktionären! Spekuliert mit euren paar ersparten Kröten an der Börse, kauft euch Aktien, Staatsanleihen, Obligationen und anderes mehr. Dann setzt euch alle in den Lehnstuhl und wartet. Das Geld arbeitet jetzt für euch, und ihr werdet reich. So richtig reich sind Kleinaktionäre nicht geworden, so manche ärmer als zuvor.

Die Frage nach dem Woher des Geldes sparen die Auguren aus. Geld hat man oder man hat es nicht. Zunächst müsste dazu jedoch die Frage gestellt werden, was Geld eigentlich ist. Jede/r, der/die arbeitet, erhält den Lohn in Geld ausgezahlt, und zwar dafür, dass die Arbeitskraft dem Arbeitgeber für eine bestimmte Zeit zur Verfügung gestellt wird. Die Arbeit, die im Kapitalismus geleistet wird, wird zunächst als private, zersplitterte Arbeit, die unter dem Kommando des privaten Kapitalisten steht, geleistet. Der gesellschaftliche Charakter der Arbeit erscheint nun als Ding außerhalb der Ware selbst — nämlich als Geld. Nur wenn andere Menschen einen Preis als konkreten Geldbetrag für ein Gut zu bezahlen bereit sind, wird der gesellschaftliche Charakter der Warenproduktion deutlich. Das gesellschaftliche Verhältnis der Menschen zueinander erscheint als Verhältnis von Dingen. Ich kaufe, also bin ich!

Anhand der vertrackten Diskussion ums liebe Geld wollen wir versuchen, in eine Klärung der notwendigen Kategorien einzutreten. Wobei zu erklären bleibt, dass und warum die Kritik des Kapitalismus nicht auf die Kritik des Geldes reduzierbar ist.

 

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Mittwoch, 15. November 2000, 19.30 Uhr. {zur Broschüre →}

Veranstaltung mit Nadja Rakowitz

Die Kritik am Zins

Eine Sackgasse der Kapitalismuskritik

Wenn inzwischen nahezu jeder meint, er könne sich bereichern durch den Kauf und Verkauf von Aktien, und wenn an einer »natürlichen« Wirtschaftsordnung orientierte Kritiker des Kapitalismus im Zins dessen zentrales Problem sehen, dann haben beide eines gemeinsam: Die Fixierung auf das Phänomen G-G.

Einer der prominentesten Vertreter der Kritik an der »Zinsknechtschaft« ist nach wie vor Silvio Gesell. In seiner Theorie der »natürlichen Wirtschaftsordnung« stellt er die Utopie eines »natürlichen Kreislaufs« und einer einfachen Warenproduktion der kapitalistischen Akkumulation von Geld gegenüber. Diese »Marktwirtschaft ohne Kapital« funktioniere dann, wenn das Geld lediglich als Zirkulationsmittel gebraucht werde und in ausreichender Menge vorhanden sei. Da der Zins als unnatürliche Form des Geldes verstanden wird, ist in dieser Art Vorstellung auch immer das Geld der Hebel zur gesellschaftlichen Veränderung. Ob nun Silvio Gesell das »Schwundgeld« einführen will oder Pierre Joseph Proudhon, wie viele Frühsozialisten, den Arbeitsstundenzettel, es wird immer durch die Vordertür hinausgeworfen, was durch die Hintertür sofort wieder hereinkommt: das Kapitalverhältnis. Karl Marx hat exemplarisch an der Stundenzettelutopie von Proudhon gezeigt, dass auf die Sphäre der Zirkulation fixierte Ökonomievorstellungen bloß wohlfeile Abstraktionen sind. Sie geben nicht falsche Antworten auf richtige Fragen, sondern sie stellen die Frage nach gesellschaftlicher Veränderung falsch.

Es ist, wie Marx in den Grundrissen schreibt, eben der Irrtum jener Sozialisten, die den Sozialismus als Realisation der von der Französischen Revolution historisch in Umlauf geworfenen Ideen der Freiheit und Gleichheit verstehen. Mit der Kritik der politischen Ökonomie kann, so die Referentin, gezeigt werden, dass das Tauschwert- und Geldsystem in der Tat das System der Freiheit und Gleichheit ist. Ihre notwendige Voraussetzung ist aber das Kapitalverhältnis. Dieses aufzuheben, muss etwas anderes bedeuten als die bloße Verwirklichung bürgerlicher Freiheitspostulate.

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Mittwoch, 29. November 2000, 19.30 Uhr

Veranstaltung mit Heribert Schiedel (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes)

Kleiner Mann ganz groß

Zu den sozialpsychologischen Wurzeln des Haider-Erfolges

Bis dato wenig Beachtung fand der Hinweis, dass die Anhänglichkeit an Jörg Haider auch eine Form der Verarbeitung von narzisstischen Kränkungen darstellt. Als »magischer Helfer« (Erich Fromm) heilt Haider die vielfältigen Verwundungen der Ohnmächtigen, ohne die Wurzeln dieser Ohnmacht zu thematisieren. Die Bindung der Masse an Haider ist von daher maßgeblich unbewußten Ursprungs und bezieht ihre Energie aus der Umlenkung narzisstischer Libido auf den idealisierten »Führer«, mit dem man sich identifiziert.

Als symbolischer »Sozialist« bekämpft Haider nicht die Verhältnisse, sondern ruft die »kleinen Leute« als von übermächtigen (staatlichen) Institutionen und von »Bonzen« und »Bürokraten« ausgebeutete Opfer an. Die autoritären Aggressionen werden von Haider, der sich stellvertretend als Rebell stilisiert, aufgegriffen und gegen »die da oben« sowie Gruppenfremde gerichtet. Die psychische Erleichterung daraus bindet die »kleinen Leute« noch enger an Haider, der als ideeller Gesamt-Österreicher auch »ein meisterhafter Verkäufer seiner eigenen psychischen Defekte« (Adorno) ist.

 

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Mittwoch, 13. Dezember 2000, 19.30 Uhr

Veranstaltung mit Ati Recla

Trendy transgender!?

Politische Dimensionen von transgender

Die Veranstaltung soll das Konzept transgender und die Vorstellung von Geschlecht, die diesem Konzept inhärent ist, vorstellen. Die politischen Dimensionen, die sich aus transgender ableiten lassen, sollen ebenfalls beleuchtet werden.

Ein Impulsreferat soll in die Thematik einleiten, der Schwerpunkt wird jedoch auf dem Erfahrungsaustausch der Teilnehmer und Teilnehmerinnen liegen. Hier sollen die eigene Vorstellung von Geschlecht und die Verstrickung mit dem binären Geschlechtersystem thematisiert werden.

 

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Lektürenachmittag:  Samstag, 9. September 2000, 14 Uhr

Lektürenachmittag:

Adornos Theorie der Halbbildung [2]

{zum 1. Teil}

Im ersten Teil trat zunächst »der Geist« auf, der eigentlich unnennbar bleiben will, sich aber unter der historischen Fuchtel des Bürgertums als menschliche Emanzipation schlechthin verkaufen muss. In seinem proteischen Gestaltwandel entpuppt er sich zudem in Deutschland bloß als »Bildung« — ein idealistischer Popanz für das ihn anbetende, nicht totzukriegende Bildungsbürgertum und eine Vogelscheuche für die Proletarisierten. Doch diese lassen sich nicht abschrecken und nehmen — in Weiterbildungsvereinen, Parteischulungen und Zweiter Kultur — das Label »Wissen ist Macht« allzu wörtlich. Traditionelle Theorie (»der Marxismus«) begrüßt zwar freudig die »Masse Bildungselemente«, die dem Proletariat »durch den Fortschritt der Industrie selbst zugeführt werden« (MEW4, 471), muss aber vor der neuen Gestalt dieser »Bildung« — die als Kulturindustrie die kapitalistische Macht perfektioniert — alsbald die Waffen strecken. Die Kritische Theorie zieht ernüchternd Bilanz: »Was aus Bildung wurde« in der totalen Warenproduktion und Profitgesellschaft, »ist zu sozialisierter Halbbildung geworden — der Allgegenwart des entfremdeten Geistes« (Adorno 1959).

Wie wird es nun mit der übrig gebliebenen, wuchernden Halbbildung weitergehen, deren Anblick unerträglich ist? Lassen sich die genetischen Früchte der Entfremdung noch emanzipatorisch verwursten? Aber wozu und wie wäre dieses dubiose bürgerliche Erbe anzueignen, und wo ist überhaupt das moderne Proletariat als das von vornherein enterbte Subjekt der ganzen Angelegenheit geblieben? Welche zwielichtige Rolle spielt dabei eigentlich die ganze Zeit die gute alte Dialektik — oder verhält sich diese in der un- entschiedenen Tragödie der positiven Bildung nur noch negativ?

Um Aufklärung der rätselhaften und verhängnisvollen Geschichte soll es gehen. Keine Vorkenntnisse und Teilnahme am ersten Teil nötig! Textgrundlage:Theodor W. Adorno: »Theorie der Halbbildung« (28 Seiten), in: Adorno, Soziologische Schriften Bd.1 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft) — Kopien werden bereitgestellt .

{zum 1. Teil}

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Samstag, 21. Oktober 2000, 11 Uhr

Tagesseminar zur Theorie Pierre Bourdieus

Ist Solidarität heute noch möglich?

Wie ist angesichts der unerhört wirksamen und festen Reproduktionsmechanismen der kapitalistischen Gesellschaften eine verändernde Praxis denkbar, und wie kann sie wirksam werden? Wie ist eine Verständigung über die vielen Milieus hinaus möglich, in welche sich nicht nur die »alternative Szene«, sondern alle Linken und die von ihnen repräsentierten sozialen Bereiche aufgesplittert haben? Wie kann die Festigkeit der in den Grenzen der Milieus bewährten Überlebenspraktiken aufgebrochen werden und sich die Solidarität der arbeitenden, ausgebeuteten Klassen entwickeln?

Diese und ähnliche Fragen treiben uns und wahrscheinlich viele Linke in Westdeutschland seit Jahr und Tag um, ohne dass unsere Praxis Fortschritte machen konnte.

Die Theorie des französischen Soziologen Pierre Bourdieu kann einen Einblick in die Reproduktionsprozesse der sozialen Klassen geben. Sie schlägt eine Brücke zwischen den ökonomischen Interessenlagen, die die Klassenlage mit ausmachen, und den Kulturtechniken, die die Reproduktion einer darauf abgestimmten Lebensweise ermöglichen. Die Bourdieusche Analyse macht die Festigkeit der Klassenschranken begreiflich. Mit dem Begriff des »kulturellen Kapitals« hat er das von Marx konstatierte »historische Element« im Wert der Arbeitskraft um eine Dimension erweitert und seine Analyse unter ökonomischen Gesichtspunkten möglich gemacht.

Das Seminar soll dem Kennenlernen der wichtigsten methodischen Begrifflichkeiten Bourdieus dienen — dies in Zusammenhang mit Grundlagen der sozialistischen Diskussion (Marx: Thesen über Feuerbach, Arbeitsprozess und Verwertungsprozess).

zur Fortsetzung Fortsetzung

 

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Samstag, 16. Dezember 2000, 14 Uhr

Ein Lesenachmittag

Psychoanalyse als Mittel der Gesellschaftskritik

Ausgehend von der Veranstaltung »Zur Verdrängung der Psychoanalyse« bieten wir für Interessierte eine Vertiefung des Themas in einer Reihe von Lektürenachmittagen an. Die Verdrängung bewirkt, dass die Grundbegriffe heute zwar vielen bekannt vorkommen, dass aber Theorie, Entwicklungsgeschichte und die wissenschaftlichen Ergebnisse und ihre Konsequenzen für »linke« Politik weitgehend aus dem Blickfeld verschwunden sind.

Wir versuchen eine Annäherung an diese verdrängte Wissenschaft anhand von Texten von Vertretern der emanzipatorisch-authentischen Psychoanalyse (Freud, Fenichel, Reich u.a.) zu drei Schwerpunkten:

  1. Grundfragen psychoanalytischer Theorie (Termin: 16. 12. 2000)
  2. Historische Einordnung: Ursprünge und Degeneration einer Wissenschaft (Termin: 1. Halbjahr 2001)
  3. Die theoretischen Unterschiede zwischen authentischer und angepasster Psychoanalyse (Termin: 2. Halbjahr 2001)

Die Texte für die gemeinsame Lektüre sowie weitere Materialien werden jeweils rechtzeitig als Reader zur Verfügung gestellt. Interessierte bitten wir diese anzufordern.

 

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