Veranstaltungen April - Juli 2000:

 

Alle Veranstaltungen des Veranstaltungscafés finden, wenn nicht anders angekündigt, in den Räumen der DFG/VK in der Vogelsbergstr. 17 statt.

 

Lektürenachmittage, Seminare:

 

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Mittwoch 12. April 2000, 19.30 Uhr

Peter Christoph

Proletariat als Prozeß

Von den Marx´schen Kategorien zur Aktualität

Das Verhältnis der westlichen Linken zum Proletariat glich im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts einer Achterbahnfahrt: zwischen dem Jammertal des »Abschieds vom Proletariat« und der himmelhochjauchzenden »Wiederkehr der Proletarität« - oder umgekehrt. Bei der verzweifelten Suche von immer weniger Unentwegten nach der empirischen Existenz und atomisierten Strukturierung dieser fundamentalen Gesellschaftsklasse scheint der Begriff selbst längst verlorengegangen: unter dem soziologischen Datenschutt wurde die »Daseinsform, Existenzbestimmung« (Marx über die Kategorie) unsichtbar, während die Proletarisierung immer weiterer Teile der Weltbevölkerung als Prozeß der Negation und Destruktion extensiv und intensiv ein nie gekanntes Ausmaß angenommen hat. Wir sehen also den Wald vor Bäumen nicht mehr. Hier geht es deshalb erst einmal um eine Rekonstruktion des Begriffs in der wissenschaftlichen Annäherung ab Marx. Die verschüttete Dimension kommunistischer Theorie und Praxis wird über die Marx´sche Kategorie des »Produktiven Gesamtarbeiters« freigelegt. Zu entdecken sind historische MaterialistInnen wie Rosa Luxemburg, Walter Benjamin, Raya Dunayevskaya, der unbekannte Lukács, der nichtrezipierte Hans-Jürgen Krahl und die Situationisten... Kritisch zu würdigen sind dabei auch mehr oder weniger strukturalistische Positionen und einzelne Vertreter der Regulationstherorie. Überraschend kann die Rekonstruktion des gleicherweise verschütteten, entstellten und diskriminierten psychoanalytischen Zugangs (Otto Fenichel u.a.) eine Alternative provozieren zum gängigen postmodernistischen Abschied vom Subjekt.
»Das Proletariat ist revolutionär oder es ist nichts.« (Karl Marx) Daß es heute hierzulande einstweilen nichts ist und warum - diese Diskussion ist zu eröffnen.

 

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Mittwoch 26. April 2000, 19.30 Uhr

Eberhard Dähne

Vor achtzig Jahren: Der Kapp-Putsch

Staatsstreich - Generalstreik - bewaffnete Arbeiterkämpfe an der Ruhr - und was passierte in Frankfurt?

Vor achtzig Jahren versuchten konservative Spitzenbeamte, Reichswehroffiziere und Freikorps die bürgerliche Demokratie zu beseitigen, kaum anderthalb Jahre, nachdem sie gemeinsam mit der Führung der Sozialdemokratie diese gegen den Widerstand der revolutionären Teile der Arbeiterbewegung installiert hatten. Während aber die Reichsregierung aus Berlin floh, die SPD-Führung kapitulierte und die bürgerlichen Parteien schon auf das Arrangement mit den »neuen« alten Militärmachthabern und kaiserlichen Chefbürokraten setzten, wurden aus der Arbeiterbewegung heraus, Widerstandsaktionen in Gang gebracht, die zeigten, wozu die Arbeiterklasse, einmal aus dem Dämmerschlaf erwacht, fähig ist. Der Generalstreik brachte den Kapp-Lüttwitz-Putsch zu Fall, die Rote Ruhr-Armee, als Selbstverteidigungsorganisation der ArbeiterInnen organisiert, stellte in einer der wichtiigsten Industrie- und Bergbauregionen Deutschlands die Machtfrage. Und wiederum war es die Sozialdemokratie, die zum Bluthund wurde...

Eberhard Dähne stellt den Gang der Ereignisse dar und stellt sie in einen Zusammenhang mit jenem Kampfzyklus der revolutionären Arbeiterbewegung, der in Deutschland von der Novemberrevolution 1918/19, den Räterepubliken u.a. in Bayern und Bremen, über den Generalstreik und die Kämpfe der Roten Ruhr-Armee 1920 sowie den mitteldeutschen Arbeiteraufstand 1921 bis zum gescheiterten Hamburger Aufstand 1923 reichte. Er suchte auch in Frankfurt nach den Spuren die die revolutionären Kämpfe in dieser Stadt hinterlassen haben.

 

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Mittwoch 10. Mai 2000, 19.30 Uhr

»Nicht Marxistin, auch nicht Anarchistin...«

Buchvorstellung und Diskussion über Wurzeln der proletarischen Frauenbewegung. Referentin: Antje Schrupp

An der Ersten Internationalen (1864 - 1872), des legendären ersten Dachverbandes der Arbeiterbewegung waren Frauen maßgeblich beteiligt. Das ist wenig bekannt. Antje Schrupp rollt diesen historischen Aspekt in ihrem Buch auf und stellt ihn - aus der Perspektive der Frauen - neu dar. Sie porträtiert vier der Beteiligten und zeigt auf, welche originellen Lösungen sie in der Beschäftigung mit den anarchistischen, marxistischen und frauenrechtlerischen Bewegungen entwickelten: Die Französinnen Virgine Barbet und André Leo, die Russin Elisabeth Dimitreff und die US-Amerikanerin Victoria Woodhull. Ihr gemeinsamer Ansatz - Feminismus und Sozialismus zu verbinden - war in diesen Jahrzehnten ausgesprochen unpopulär. Im Rahmen eines solchen Versuchs der historischen Zusammenführung von Arbeiterbewegung und Frauenbewegung ergibt sich auch ein anderer Blick auf die Geschichte und das Scheitern der ersten internationalen Organisationen der Arbeiterbewegung.

 

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Mittwoch 24. Mai 2000, 19.30 Uhr

Existenzgeld

Buchvorstellung: Resümée und Ausblicke einer Debatte um die Zukunft der Lohnarbeitsgesellschaft. Referent: Hans-Peter Krebs

Bereits seit Anfang der achtziger Jahre wird die Forderung nach einem garantierten Grundeinkommen vor allem von Erwerbsloseninitiativen thematisiert. In den letzten Jahren war einerseits festzustellen, daß die Existenzgeld-Diskussion europaweit in sozialen Bewegungen eine größere Rolle gespielt hat (etwa in der französischen Erwerbslosenbewegung) andererseits aber auch in bürgerlichen Kreisen Modelle für die Einführung eines garantierten Existenzminimums (»Bürgergeld«) ins Gespräch kamen. Vor einem Jahr organisierte die Berliner Gruppe f.e.l.s. (Für eine linke Strömung) und die mit ihr verbundene Zeitschrift »Arranca«  einen Kongreß zum Thema, gemeinsam mit anderen Initiativen, darunter auch Gruppen aus Frankfurt. Im Vorfeld und auf diesem Kongreß wurde heftig z.B. diskutiert, ob die Existenzgeldforderung Ansatzpunkt für eine Strategie der Linken sein könne - oder doch vielleicht nur ein Instrument sozialer Befriedung. Seitdem schien die Debatte mehr oder weniger versandet zu sein. Hans-Peter Krebs hat nun gemeinsam mit Harald Rein im Verlag Westfälisches Dampfboot einen Band herausgegeben, in dem verschiedene Autoren von unterschiedlichen Blickwinkeln aus das Thema beleuchten. Im Veranstaltungscafé wird er das Buch vorstellen und dabei den Stand der Diskussion resümieren

 

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Mittwoch 14. Juni 2000, 19.30 Uhr

Wer waren die Situationisten wirklich?

Einführung in Geschichte und Theoriebildung der Situationistischen Internationale (1958 - 1972). Referent: Peter Christoph

Seit Marx, Bakunin un der Ersten Internationale ist kaum eine historische Theorie/Praxis - Initiative dermaßen beschwiegen, entstellt, halbiert, retuschiert, stilisiert und auch totgelobt worden, wie diese moderne kommunistische »Theoretiker- und Experimentatorengruppe«. Von den Marxisten wurde sie völlig ignoriert, von den Anarchisten wie selbstverständlich beschlagnahmt, vom bürgerlichen Kulturbetrieb hierzulande seit 1995 zu einem bizarren Fall von Spaßguerilla bzw. Künstleravantgarde umgefälscht. Wegretuschiert wird dabei vor allem ihr entscheidender Impuls für den ersten (und bisher auch letzten) proletarischen Revolutionsanlauf im Westen nach dem Zweiten Weltkrieg: die französische »Bewegung der Besetzungen« im Mai 1968, deren wirklicher Charakter heute ebenfalls verdunkelt ist. Wie die Situationisten diese Erhebung durch zehnjährige theoretisch-praktische Wühlarbeit in dieser Qualität vorbereiteten und auslösten, ist ebenso zu rekonstruieren, wie ihre umfassende theoretische Kritik an der überkommenden, herrschenden Bourgeois- und Staats-Partei-Ideologie der Marx-Ismen, am Anarchismus und Spontaneismus ebenso wie am »Situationismus« und »Prosituationismus« selbst. Als erster Stichwortgeberin wie Kritikerin des »Postmodernismus« der Sixties bleibt der Bezugspunkt der SI »jetzt erst recht« das moderne Proletariat und die Möglichkeit seines authentisch-kommunistischen Durchbruchs als praktisch/theoretische Suche nach der »Nordwestpassage der Revolution« aus der totalitären Gesellschaft der »spektakulären Warenproduktion« heraus.

 

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Mittwoch 28. Juni 2000, 19.30 Uhr

Italien nach dem Fordismus

Ein Fallbeispiel für die Veränderungen im modernen Kapitalismus. Referent: Thomas Sablowski

Italien hat in den neunziger Jahren einen dramatischen politischen Umbruch erlebt. Thomas Sablowski geht in seinem 1998 erschienenen Buch zum Thema den tiefen ökonomischen und sozialen Ursachen der Staatskrise nach. Die Restrukturierung der Produktion, die sich verändernden Kräfteverhältnisse der Klassen und die Transformation der politischen  Parteien werden dabei ebenso thematisiert, wie die Veränderungen der räumlichen Disparitäten und die Auswirkungen der Globalisierungs- und Regionalisierungsprozesse. Von der flexiblen Automatisierung bei Fiat zu den »industriellen Distrikten«, von der Offensive der Massenarbeiter zur Ausbreitung der »neuen Selbständigen«, vom Niedergang der kommunistischen Partei zu Berlusconi: Italien erweist sich als ein Laboratorium des Postfordismus, dessen Bedeutung trotz aller nationalen Besonderheiten weit über die Grenzen des Landes hinausreicht. Insofern lassen sich am italienischen Beispiel die Veränderungen der kapitalistischen Produktionsstrukturen und die sich gleichzeitig verändernden Bedingungen für soziale Kämpfe diskutieren.

 

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Lektürenachmittag. Samstag 20. Mai 2000, 14 Uhr

Adornos Theorie der Halbbildung [1]

{zum 2. Teil}

Die Bildung ist tot - es lebe die Anti - Halbbildung! So ließe sich das Fazit von Adornos Bestandsaufnahme von 1959 auf eine etwas vulgarisierte Formel bringen. »Was aus Bildung wurde« in der bürgerlich-modernen Gesellschaft der kapitalistischen Warenproduktion - die einst mit Humanismus und dem Ideal vom mündig-autonomen Citoyen/ne-Individuum zu beginnen schien - »ist zu sozialisierter Halbbildung geworden, der Allgegenwart des entfremdeten Geistes«. »Inbegriff eines der Selbstbestimmung entäußerten Bewußtseins«, schockt uns indessen ihr von Adorno hier vorgehaltenes Spiegelbild heute besonders als Bild der alten wie »Neuen« wie gegenwärtigen Linken: Im Geist des 20. Jahrhunderts nehmen wir die entstellten oder kenntlich gewordenen Züge unserer Utopie und Ohnmacht, Kurz: unserer Bildungsillusionen und Machtverstrickungen wahr.
Wenn »Wissen = Macht« ist und »Wissensgesellschaft«, »Informationsgesellschaft« deren Fetischgestalt, wie ist dann überhaupt noch praktisch eine autonome, revolutionäre Kommunikation und Wissensaneignung möglich? Wie kann sich aus dem bildungsbürgerlichen und denkfeindlichen Bilder-Waren-Spektakel heute doch noch ein bewußtes, kommunistisch assoziiertes »Gesellschaftsindividuum« (Marx) heraus-bilden? »Das Halbbildung, aller Aufklärung und verbreiteten Information zum Trotz und mit ihrer Hilfe, zur herrschenden Form des gegenwärtigen Bewußtseins wird - eben das erheischt weiter ausgreifende Theorie«. Textgrundlage:Theodor W. Adorno: Theorie der Halbbildung, 28 Seiten in: Adorno: Soziologische Schriften Bd. I (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft), Kopien werden bereitgestellt

{zum 2. Teil}

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Samstag 24. Juni 2000, 14 Uhr Tagesseminar:

Die Linke und die Nation

Über den Mythos nationaler Befreiung. Mit VertreterInnen der Gruppe Demontage (Hamburg, angefragt)

Für dieses Seminar gibt es noch keine Konzeption. Interessierte können sich gerne an uns wenden.

 

 

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