Veranstaltungen Januar - Juni 2001:

 

Alle Veranstaltungen des Veranstaltungscafés finden, wenn nicht anders angekündigt, in den Räumen der DFG/VK in der Mühlgasse 13 statt.

 

Tagesveranstaltungen, Seminare:

 

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Wir suchen Streit!

Das vorliegende kleine Heft enthält unser mittlerweile drittes Veranstaltungsprogramm. Wir haben im Laufe des letzten Jahres etliche Erfahrungen im strömungsübergreifenden linken Diskurs gesammelt, uns nach Kräften über Grundsatzfragen herumgestritten, uns trotzdem weder gespalten noch aufgelöst, und nun haben wir auch noch einen Umzug aus dem Nordend nach Bockenheim gut verkraftet. So richtig groß und stark fühlen wir uns zwar immer noch nicht (was Wunder nach gerade einmal knapp anderthalb Jahren Zusammenarbeit und weniger als einem Jahr organisierter Veranstaltungs- und Seminartätigkeit ?), aber wir konnten bei etlichen Gelegenheiten feststellen, dass unsere Arbeit bei jenen Teilen der antikapitalistischen Linken wahrgenommen wird, die aus der gegenwärtigen Schwäche an glaubwürdigen und zukunftsträchtigen Alternativen zum kapitalistischen Ausbeutungssystem heraus das Bedürfnis nach unvoreingenommener und nicht-doktrinärer (Wieder-)Aneignung revolutionärer Theorie entwickeln.

Wir haben einiges vor und versuchen weiterhin im Rahmen unserer Kräfte, Infrastrukturen für eine an der kritischen Freilegung der Marxschen Theorie und der auf ihr basierenden Perspektive orientierte oder sich an ihr abarbeitende revolutionäre Strömung zu schaffen. Dass wir dabei Bildungsarbeit politisch verorten, Theorie nicht als Selbstzweck betreiben, geht wohl schon aus den Themen unserer Veranstaltungen hervor. Wir bieten Diskussionsmöglichkeiten zu Themen an, die unsere eigenen Bedürfnisse nach Reflexion und Veränderung unserer politischen und gesellschaftlichen Praxis widerspiegeln. Und, wie oben angedroht: Wir suchen Streit. Wir bieten keine fertigen Lehrgebäude, sondern lebendige Auseinandersetzung innerhalb des breiten Rahmens, den wir uns in unserer Grundsatzerklärung vom April 2000 gesteckt haben: Sichtbarmachen von Widersprüchen, polemische Debatten, kontroverse Fragestellungen mit dem Ziel, Klarheit über die zentralen Streitpunkte der KommunistInnen und radikalen Linken bei der revolutionären Überwindung des bestehenden Systems zu schaffen, den Einzelnen in die Lage zu versetzen, die ökonomischen, politischen und psychomentalen Strukturen zu verstehen, denen er/sie unterworfen ist — und sie infrage zu stellen.

Einige Veränderungen gibt es bei uns:

1. Abendveranstaltungen finden, von Ausnahmen abgesehen, nur noch zirka einmal im Monat statt, um sowohl uns eine bessere inhaltliche und organisatorische Vorbereitung zu ermöglichen als auch interessierten MitdiskutantInnen zum jeweiligen Thema einen längeren Einstieg anzubieten. Die inhaltlichen Debatten, die wir auf unseren Gruppentreffen zur Vor- und Nachbereitung der Veranstaltungen führen, sind öffentlich und Interessierte immer willkommen.

2. Dafür bieten wir in verstärktem Maße Tages- und Wochenend-Seminare an, da ein Thema an einem Abend allenfalls angerissen, aber nicht vertieft werden kann. Unter anderem wollen wir im April ein Wochenende lang gemeinsam Marx' klassischen Text über die Pariser Commune und den Bürgerkrieg in Frankreich lesen und diskutieren.

3. Ab Mitte Februar wird unsere Studienbibliothek öffentlich zugänglich sein. Montags und mittwochs jeweils von 17.30 bis 19.30 Uhr gibt es die Möglichkeit, in den Räumen in der Mühlgasse vorbeizukommen, benötigte Literatur zu den verschiedensten Bereichen linker Theorie und Geschichte auszuleihen oder an Ort und Stelle zu kopieren. Da sich die Bibliothek noch im Aufbau befindet, nehmen wir zu den gleichen Zeiten auch gerne Bücherspenden entgegen.

4. Schließlich, schon mehrmals erwähnt und im letzten halben Jahr oft genug angekündigt: Wir sind jetzt erreichbar in der Mühlgasse 13 in Frankfurt-Bockenheim, ebenso wie auch die DFG/VK (Gruppe Frankfurt und Landesverband Hessen), die FAU-IAA-Ortsgruppe Frankfurt und die Selbstorganisation der Zivildienstleistenden.

Ansonsten gilt das Gleiche wie bisher auch: Wir treffen uns an jedem veranstaltungsfreien Mittwoch um 19.30 Uhr. Wer sich an unserer Arbeit beteiligen oder gar in unserem Verein Mitglied werden möchte, aber auch wer sich lediglich für bestimmte Projekte interessiert, Anregungen, Lob oder Kritik loswerden möchte, ist herzlich eingeladen, daran teilzunehmen.

 

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Mittwoch, 24. Januar 2001, 19.30 Uhr

Trotzki ohne Mythen

Eine neue Diskussion zum 60. Jahrestag seiner Ermordung Referent: Robert Steigerwald

{zum Vortrag → / zur Kritik →}

Was bleibt von Trotzkis Wirken heute noch? Das Beispiel des südrussischen jüdischen Bauernsohns, der einer der Anführer der Revolution wurde, aus ein paar Partisaneneinheiten und Arbeitermilizen eine schlagkräftige Revolutionsarmee schuf, von der Bürokratie, die er mitgeschaffen hat, verfolgt und schließlich ermordet wurde? Seine klarsichtigen Schriften zum deutschen Faschismus? Seine Theorie der permanenten Revolution? Eine Diskussion anhand der veränderten Einschätzungen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion könnte einige historische Gräben, sofern noch vorhanden, überschreitbarer machen, ohne bestehende politische Widersprüche zu verdecken.

 

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Mittwoch, 21. Februar 2001, 19.30 Uhr     

Arbeit als Chiffre für Antisemitismus

Referent: René Pilack

Verschiedene Formen von ›Arbeitsethos‹ — Arbeit hierbei verstanden als selbstlose Mühsal für Gott, Gemeinwohl, Volk oder Staat — haben seit Luther und der Reformation eine Kontinuität entwickelt, in der ›Arbeit‹ als Akt der Unterordnung unter ein übergeordnetes Prinzip und der Einordnung in ein bestimmtes repressives Normensystem verstanden wurde. Konstitutiv für dieses Disziplinierungsprogramm ist die Denunziation einerseits von ›Nichtarbeit‹ als Ausdruck einer den gesellschaftlichen Normen zutiefst zuwiderlaufenden Lebensweise und andererseits von ›Arbeit‹ zum Zwecke der persönlichen Bereicherung (›Wucher‹ etc.). Ein solches Selbstverständnis bedarf also, um seine gesellschaftliche Wirkmächtigkeit zu erhalten, stets auszugrenzender und möglichst zu bekämpfender Gruppen. Antisemitismus spielt in den Konzepten dieses ›Arbeitsethos‹ eine besondere Rolle, weil in der Projektion des Jüdischen alles zusammenläuft, was an Hassphantasien über Müßiggang und Bereicherung in den Köpfen des deutschen Bürgertums in den letzten Jahrhunderten anzutreffen war.

Von Luther über Sombart bis zum nationalsozialistischen Arbeitsbegriff soll die Entwicklung dieses strukturell antisemitischen ›Arbeitsethos‹ nachvollzogen werden. Dabei kann und soll geklärt werden, was denn Arbeit eigentlich ist, wie ihr Verhältnis zur gesellschaftlichen Formbestimmung der Lohnarbeit beschaffen ist und wie tief der antisemitische Gehalt des ›Arbeitsethos‹ in die Kategorie selbst hineinreicht. Auf dieser Basis kann diskutiert werden, inwiefern solche Vorstellungen heute, da allenthalben vom ›Ende der Arbeitsgesellschaft‹ die Rede ist, noch aktuell sind — oder gerade deswegen ?

 

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Mittwoch, 21. März 2001, 19.30 Uhr

130 Jahre Pariser Commune

Straßenkampf und Wortgefecht — in unterschiedlicher Beleuchtung. Referent: Fritz Güde

Zwei Sichtweisen sollen einander gegenübertreten: Die der Brüder Goncourt, denen die Revolte zum niedrigen, aber auch bedrohlichen Spektakel wird. Die Art der Darstellung selbst soll schon das Dargestellte beseitigen, noch bevor die Hinrichtungs­kommandos der Versailler ihre Arbeit verrichten. Dagegen die unmittelbare, zuckende, qualvolle Hervorrufung der Ereignisse vor allem durch Jules Vallès und Louise Michel. Sie versuchen auf ihre Weise — wie Marx auf ganz andere —, die Niederlage festzu­halten und die Revolution vor der Endverarbeitung durch die Goncourts und ihres­gleichen zu bewahren.

Die zeitgenössische und spätere Verarbeitung durch die bürgerliche Literatur be­diente sich vor allem der Bilder des Terroristen und der ›petroleuse‹, um in lustvollem Grusel über die erste ernsthafte Bedrohung der eigenen Gesellschaft hinwegzukommen.

 

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Mittwoch, 18. April 2001, 19.30 Uhr. {zum Bericht →}

Gewerkschaftsarbeit, Widerstand und Interessenvertretung in Call-Centern

Eine Diskussion mit KOLINKO - Kollektiv in kommunistischer Bewegung

Die Gruppe kolinko arbeitet im Ruhrgebiet an der Organisation revolutionärer Interessenvertretung der Beschäftigten im Bereich der ›new economy‹, schwerpunkt­mäßig in Call-Centern.

»Wir wissen, dass wir uns selbst nur in den Auseinandersetzungen befreien können, in denen die Ausgebeuteten die Alltäglichkeit des Kapitalismus und seiner Beziehungen zer­stören ... Im Ruhrgebiet müssen wir uns ansehen, was mit der übrig gebliebenen Schwer- und Metallindustrie passiert und welche neuen Sektoren und Produktionsketten entste­hen. Es stellt sich die Frage, ob die ArbeiterInnenfigur des Facharbeiters der Montan­industrie und der Haus- bzw. Nebenjobarbeiterin ihre zentrale Position verliert und ob sich in Elektronikklitschen, den Zulieferbetrieben und ›Dienstleistungsunternehmen‹ eine neue mobilere ArbeiterInnenfigur entwickelt. Diese Untersuchung ist notwendig, um die materielle Grundlage für kommende Klassenauseinandersetzungen zu begrei­fen.« (Aus dem KOLINKO-Papier ›Subversion des Alltags‹)

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Mittwoch, 16. Mai 2001, 19.30 Uhr

Wohin gehen die DGB-Gewerkschaften?

Möglichkeiten und Probleme linker Betriebspolitik heute Referent: Willi Hayek

»Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals. Sie verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie von ihrer Macht einen unsachgemäßen Gebrauch machen. Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zuführen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als einen Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d. h. zur end­gültigen Abschaffung des Lohnsystems.« (Marx)

In einer Situation gewerkschaftlichen ›Co-Managements‹, des ›Ringens‹ um den Erhalt von ›Standorten‹ hieße das für die Gewerkschaften, dem gesamtgesellschaftlichen Terrain der Auseinandersetzung mehr Gewicht zu geben, nicht das ›Gespräch‹ und das Bündnis mit den Vertretern der Marktwirtschaft und der offiziellen Politik, sondern mit den anderen in sozialen Auseinandersetzungen stehenden Gruppen und Bewegungen zu suchen. Natürlich auch, die wesentlichen Abwehrkämpfe am Arbeitsplatz um Lohn/Ge­halt, gegen Prekarisierung und für Reduzierung der Arbeit und für bessere Arbeits­bedingungen und Qualifizierung zu führen.

Zunächst brauchen wir sicher eine Radikalisierung der Inhalte und neue Formen der Kämpfe: etwa um radikale Arbeitszeitverkürzung, einen gesamtgesellschaftlichen Tarif­kampf der das billige Wohnen, die Existenz der immer größeren Zahl der workingpoor und Herausgefallenen, die Reproduktionsebene und dabei die Ansätze nicht-waren-förmiger Projekte und Vernetzungen einbezieht. Über die Sackgassen der Linken hinaus: What's left ? Eine Linke, die die Benennung des Kapitals als Kapital und des Pro­fits als Profit ernst meinte, würde die Suche selbst aufnehmen, ihre eigene Geschichte reflektieren und mit dem brechen, was bisher ihre einzige Beschäftigung war: dem ver­geblichen Versuch, mit der illusionär gewordenen Perspektive eines Kapitalismus der vergoldeten Ketten die Lohnabhängigen zum Kampf gegen das Kapital zu mobilisieren.

zum Bericht zum Bericht

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Mittwoch, 30. Mai 2001, 19.30 Uhr

Israel — im Oktober 2000

Ein politischer Reisebericht und Diavortrag von Olaf Argens, Ulla Diekmann, Rolf Heinemann, Sabine Kirsch, Anita Quakernack

Als wir im letzten Sommer unsere Reise nach Israel vorbereiteten, war nicht abseh­bar, dass sich der dortige Konflikt binnen weniger Wochen dramatisch zuspitzen würde. Bis auf eine Teilnehmerin hatten wir das Land noch nicht besucht, und unsere Kenntnisse waren nicht besonders ausgeprägt. Als dann die Berichte und Bilder über die aggressive Politik der israelischen Besatzungsmacht in den palästinensischen Autonomiegebieten erschienen, waren wir kurz davor, die Reise abzusagen. Wir haben uns dann doch anders entschieden. Die Diskussionen mit MitarbeiterInnen der besuchten Gedenkstätten hät­ten verschoben werden können. Die Gespräche mit Überlebenden des Holocaust und Pionieren der Kibbuzim-Bewegung, die im Mittelpunkt der Reise stehen sollten, wären dagegen schon deshalb nicht ohne weiteres nachholbar gewesen, weil viele das 70. Le­bensjahr bereits weit überschritten hatten. Ein wichtiges Ergebnis dieser Gespräche war ein ausgeprägteres Problembewusstein über die Bedeutung des Holocaust und des Anti­semitismus für die israelische Politik. Wir erhielten durch die Reise auch einen Eindruck von den aktuellen Widersprüchen einer multikulturellen Einwanderungsgesellschaft, die die politische Bewegung des Zionismus nur noch eingeschränkt zusammenhält. Ob­gleich wir unseren ursprünglichen Plan, auch das palästinensische Autonomiegebiet zu bereisen, nicht umsetzen konnten, war der israelisch-palästinensische Konflikt ebenfalls fast immer Gegenstand unserer Gespräche. Wir wollen einige unserer Dias zeigen und von der Reise berichten.

 

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Mittwoch, 13. Juni 2001, 19.30 Uhr

Die Kritische Theorie und das Proletariat

Der politische Widerspruch der ›Frankfurter Schule‹ Referent: Heinz Brakemeier

{zum Bericht →}

Die Kritische Theorie, die sich seit Ende der zwanziger Jahre um das Institut für Sozialforschung herum entwickelte, war im Laufe der Zeit gravierenden Wandlungen unterworfen, die in hohem Maße das politische Geschehen und die gesellschaftlichen Veränderungen in Europa und der westlichen Hemisphäre insgesamt widerspiegeln. Be­gannen die Philosophen, Ökonomen und Soziologen im seit 1929 von Max Horkheimer geleiteten Institut als Marxisten mit einem demonstrativ bekundeten Bezug zur prakti­schen Arbeiterbewegung, der seinen Widerhall in zahlreichen Studien und Forschungs­arbeiten etwa über Klassenbewusstsein und autoritären Charakter fand, so führte die Integration auch von Teilen der Arbeiterklasse in die ›Volksgemeinschaft‹ des deutschen Nationalsozialismus zu einem Bruch mit bisherigen Bezügen sich als revolutionär-kri­tisch verstehender Wissenschaft. Aus der Erfahrung der völligen Isolation im Exil, der kritiklosen Bejahung eines im Kern totalitären Systems der noch entwickelteren kapita­listischen Warenproduktion durch die Lohnabhängigen in den USA, der Tendenz der bürgerlichen Gesellschaft, sich mit Riesenschritten der Barbarei und nicht dem Sozia­lismus zu nähern, und der daraufhin notwendigen Infragestellung des frisch-fröhlichen Geschichtsoptimismus, der die marxistische Theorie aller Schattierungen bis dahin beherrscht hatte, entstand eine jeglicher politischer Praxis zutiefst skeptisch gegenüber­stehende Haltung, gerade bei Horkheimer und Adorno, die die Arbeit des Instituts am nachhaltigsten prägten.

Die strukturelle Praxisabstinenz wirkt bis heute nach, sowohl in den Diskursen der universitären Linken als auch in verschiedenen Strömungen, deren radikal gemeinte Kritik an der bestehenden Gesellschaft mit Verweis auf das historische Versagen der deutschen Arbeiterbewegung und der Konsequenzen, die die Vertreter der Kritischen Theorie daraus zogen, in schärfster Abgrenzung von jeglicher Klassenorientierung vor­getragen wird. Wir wollen diese Diskussion anhand der theoretischen und praktischen Entwicklung der Kritischen Theorie neu aufrollen und dabei an die zugrunde liegenden Fragen nach dem Verhältnis von Theorie und Praxis, Klassenkampf und ›Volksgemeinschaft‹, Proletariat, Faschismus und sozialistischer Perspektive herankommen.

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Tagesveranstaltungen, Seminare:

 

Samstag, 10. Februar 2001, 14 Uhr

Lektürenachmittage Psychoanalyse

Ausgehend von der Veranstaltung ›Zur Verdrängung der Psychoanalyse‹ im letzten Halbjahr bieten wir für Interessierte eine Vertiefung des Themas in einer Reihe von Lektürenachmittagen an.

Die Verdrängung der Psychoanalyse bewirkt, dass die Grundbegriffe heute zwar vielen bekannt vorkommen, dass aber Theorie, Entwicklungsgeschichte und die wissen­schaftlichen Ergebnisse und ihre Konsequenzen für ›linke‹ Politik weitgehend aus dem Blickfeld verschwunden sind. Wir versuchen eine Annäherung an diese verdrängte Wissenschaft anhand von Tex­ten von Vertretern der emanzipatorisch-authentischen Psychoanalyse (Freud, Fenichel, Reich u. a.) zu drei Schwerpunkten:

  1. Grundfragen psychoanalytischer Theorie (wurde am 16. 12. 2000 besprochen)
  2. Historische Einordnung: Ursprünge und Degeneration einer Wissenschaft
    (Schwerpunkt dieses Nachmittags)
  3. Die theoretischen Unterschiede zwischen authentischer und angepasster Psycho­analyse (Termin: 2. Halbjahr 2001)

Wir lesen Texte von Freud zur Kultur- bzw. Massenpsychologie, Auszüge aus Wilhelm Reich: Massenpsychologie des Faschismus, sowie Otto Fenichel. Die Texte für die gemeinsame Lektüre werden zur Verfügung gestellt.

 

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Samstag, 3. März 2001, 14 Uhr

Ist Solidarität heute noch möglich? [2]

Tagesseminar zur Theorie Pierre Bourdieus (Fortsetzung). Vorbereitung: Georg Stingl

Wie ist angesichts der unerhört wirksamen und festen Reproduktionsmechanismen der kapitalistischen Gesellschaften eine verändernde Praxis denkbar, und wie kann sie wirksam werden ? Wie kann die Festigkeit der in den Grenzen der diversen sozialen Milieus bewährten Überlebenspraktiken aufgebrochen werden und die Solidarität der arbeitenden, ausgebeuteten Klassen sich entwickeln ?

Die Theorie des französischen Soziologen Pierre Bourdieu schlägt eine Brücke zwi­schen den ökonomischen Interessenlagen, die die Klassenlage mit ausmachen, und den Kulturtechniken, die die Reproduktion einer darauf abgestimmten Lebensweise ermög­lichen. Die Bourdieusche Analyse macht die Festigkeit der Klassenschranken begreiflich. Mit dem Begriff des ›kulturellen Kapitals‹ hat er das von Marx konstatierte ›historische Element‹ im Wert der Arbeitskraft um eine Dimension erweitert und seine Analyse unter ökonomischen Gesichtspunkten möglich gemacht.

Das Seminar setzt die im letzten Halbjahr begonnene Reihe von Lektürenachmitta­gen zu Bourdieu fort, wendet sich aber auch an Interessierte, die diese nicht besucht haben. Erörtert werden sollen insbesondere die möglichen politischen Konsequenzen aus Bourdieus analytischem Ansatz.

zum 1. Teil des Seminars Fortsetzung

 

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Samstags, 17.März und 2.Juni 2001 um 14 Uhr  { zum Einleitungsreferat → /zum Seminar-Bericht →}

Wie funktioniert Althusser?

Eine Marx-Rezeption jenseits von Orthodoxie und Revisionismus. Referenten: Henning Böke und Reinhard Schweicher

Die Bemühungen von Louis Althusser (1918 —1990) galten einer Neuaneignung der Marxschen Theorie, die sich gleichermaßen von ›stalinistischen‹ wie von revisionisti­schem und sozialdemokratischen Lesarten abgrenzt, sich gleichzeitig aber auch dem Illusionismus einer ›Zurück zu Marx‹-Apologetik widersetzt. Theorien nicht buchsta­bieren, sondern ihre Funktionsweise erkennen: so lautete Althussers Forderung, die eine radikale Perspektive der Fortsetzung des durch die theoretische Revolution von Marx begonnenen Diskurses eröffnet.

Nach einem Einleitungsreferat soll zunächst anhand des kompakten Artikels »Der Marxismus heute« (1978) Althussers Befund der ›Krise des Marxismus‹ und ihrer möglichen Auswege diskutiert werden. Anschließend kann an ausgewählten Textpassagen aus »Ideologie und ideologische Staatsapparate« (1970) Einblick in Althussers psychoanalytisch geschärften Versuch genommen werden, die von Marx hinterlassene Lücke einer Ideologietheorie zu füllen. Daran mag deutlich werden, warum Althussers Verwerfung der hier und dort in der Linken immer noch hartnäckig herumspukenden Illusion des ›Subjekts‹ notwendige Bedingung von Emanzipation ist: weil Subjekt sein immer schon unterworfen sein (être assujetti) heißt.

Texte werden zur Verfügung gestellt. Zur Vorbereitung empfohlen: Althussers Aufsatz »Ideologie und ideologische Staatsapparate«, im Internet zugänglich unter www.txt.de/b_books/ texte/althusser. Empfehlenswert auch: Gudrun Werner-Hervieu, Begegnungen mit Louis Alt­husser, Berlin 1998.

 

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Samstag/Sonntag, 7./8. April 2001, jeweils 11 Uhr

Karl Marx: Der Bürgerkrieg in Frankreich

Lektüreseminar mit Fritz Güde

Im Anschluss an die Veranstaltung ›130 Jahre Pariser Commune‹ soll der einschlägige Text von Marx vor allem unter folgenden Fragestellungen gelesen werden:

  1.   Die Communards klebten weitgehend an ihren Stadtvierteln. Einmal ist es sicher
    eine Bemächtigung des von ›uns‹ Produzierten, wenn wir das Stadtviertel, das uns bisher
    konditionierte, als unser Produkt, unsere Kampfstätte entdecken. Nur hängt damit die
    verhängisvolle Unfähigkeit zur Offensive gegen Versailles offensichtlich zusammen.
    Muss das eine das andere notwendig behindern ?
  2. Wie alle kritisierten, war die fixe Idee einer Wiederbelebung der Losungen von
    1789 eher hinderlich. Trotzdem scheint der Rückbezug auf die vorige Revolution so un­vermeidlich gewesen zu sein wie der Rückbezug der echten 1789er auf Rom und Grie­chenland. Damit wäre an einem konkreten Fall Benjamins Theorem von der Vergangen­heit als revolutionierender Kraft zu überprüfen.
  3. Schließlich das Problem der Diktatur des Proletariats als Räteherrschaft. Die Wahl der Offiziere bei den schon bestehenden Milizen war ja ein solches Rätemodell im Kleinen. Reicht aber diese immer noch formaldemokratische Verfahrensweise aus, nach den späteren Erfahrungen mit Räten in Russland, Deutschland und Ungarn 1956 ?

 

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Samstag, 5. Mai 2001, 14 Uhr

Wissenschaftlicher Sozialismus, Warenproduktion und Übergangsgesellschaft

Vorbereitung: Nadja Rakowitz, Peter Christoph

Utopien von ›Sozialismus‹, ›Kommunismus‹ und auch einer ›gerechten Gesellschaft‹ gab und gibt es viele. Leider sind sie gerade durch vermurkste Experimente gewaltsamen Übergangs und idealistischer ›Revolution‹ als bloße Übernahme der Staatsmacht diskreditiert. Die Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus/Kommunismus beschränkten sich dagegen zunächst auf die radikale Kritik der politischen Ökonomie, d. h. auf die Negation der bestehenden bürgerlichen Gesellschaft, bevor sie positive Aussagen über eine zukünftige Gesellschaft wagten, welche die Bezeichnung ›Kommunismus‹ verdient. Aber sie drückten sich keineswegs davor, die Notwendigkeiten und Möglichkeiten eines Übergangs als nicht-utopische, realistische Perspektive zu skizzieren: Ihre aus der Kritik des Kapitalismus heraus entwickelten wissenschaftlichen Folgerungen sind ebenso knapp und grundsätzlich wie präzise. Deshalb sind sie auch gut überschaubar, wenn auch in der Linken noch immer kaum bekannt. Auch wurden die Passagen über den ›Verein freier Menschen‹ oder die Kritik am sozialdemokratischen Gothaer Programm zumeist einfach als ›positive‹ Beschreibung des ›Sozialismus‹ als ›erster Stufe des Kommunismus‹ gelesen und überdies kurzerhand mit der ›Periode des Übergangs zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft‹ in eins gesetzt. Unter anderem dadurch kam es in Theorie wie Praxis zur Dominanz falscher und verkürzter Vorstellungen wie sozialistischer Warenproduktion, ›Staat des ganzen Volkes‹, der gestärkt werden müsse, um endlich abzusterben, und ähnlichen Monstrositäten.

Das Wesentliche der kategorialen Aussagen von Marx und Engels mitsamt ihrer Problemstellung ging verloren: mit ihren Kriterien ›Aufhebung der Wert- und Warenform‹ (Ökonomie) und revolutionäre Diktatur des Proletariats‹ (Politik) als Grundbestimmungen für einen Übergang. Wir wollen diese ausgewählten Passagen lesen und gemeinsam diskutieren, dabei auch traditionelle Lesarten überprüfen: Was bedeuten sie konkret für ökonomische und politische Formen wie Produktion/Verteilung und Demokratie ? Wie plausibel erscheinen sie uns heute für eine radikale sozialistische Gesellschaftskritik und Praxis ? — Texte werden zur Verfügung gestellt.

 

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Donnerstag, 24. Mai 2001, bis Sonntag, 27. Mai

Faschismus erkennen, um ihn zu bekämpfen

Seit Enzensberger haben sich Hitlers Wiedergänger vervielfacht: Von Saddam Hussein und Ghaddafi bis Milosevic stapfte alle paar Monate ein neuer über den Bildschirm. Die Degradierung des Begriffs Faschismus (und Hitler) zur Mehrzweckwaffe macht ihn für jede Analyse unbrauchbar.

In einem verlängerten Wochenendseminar möchten wir den Begriff des Faschismus wieder scharf machen und ihn in den Konturen seiner geschichtlichen Wirksamkeit nachzeichnen. Unser Augenmerk richtet sich einmal auf diejenigen Theorien, die vor allem die im Endeffekt von der faschistischen Politik profitierenden Interessen hervorheben. Zum anderen schauen wir auf die subjektiven Voraussetzungen, die Menschen dazu bereit machen, den »eigenen Untergang als Schauspiel erster Ordnung zu genießen«. Schließlich gehen wir den Erklärungsversuchen nach, die den Nationalsozialismus vor allem aus der deutschen Geschichte auf ihrem Sonderweg entstehen lassen.

Der Verweis auf die Macht der Monopole erklärt nicht ausreichend Erscheinungsformen faschistischer Politik, die kaum wirtschaftsrational zu deuten sind. Die nur psychologischen Herleitungen scheitern umgekehrt an dem Umstand, dass psychische Dispositionen auf lange Dauer angelegt sind, andererseits aber nach 1945 in Deutschland und Italien nur wenige noch bekennende Faschisten sein wollten. Wo war ihr Faschismus dann hingegangen? Der Bezug auf die deutsche Geschichte ist dauernd in Gefahr, Hitlers Behauptung zu wiederholen, wenn auch negativ: die ganze bisherige Geschichte laufe auf ihn als ihren Erfüller und Vollstrecker zu.

Wie tritt Antisemitismus als vereinheitlichendes und durchhaltendes Element jeweils in diese verschiedenen Strukturen ein? Nur die Nationalsozialisten haben Todesfabriken wie die von Auschwitz errichtet. Lässt sich daraus der fundamentale Unterschied des deutschen Nationalsozialismus im Vergleich zu allen anderen Faschismen bestimmen?

Wir lehnen uns an einen Reader aus Göttingen an, erweitern diesen aber um Autoren wie Helmuth Plessner, der nach der deutschen Sonderentwicklung fragte, diejenigen wie Trotzki oder Thalheimer, deren Analysen und Gegenstrategien sich verhängnisvollerweise nicht durchsetzen konnten, Theweleit, der Ansätze Wilhelm Reichs fruchtbar weiterführte, und Franz Neumann, der in seinem unübertroffenen Behemoth die Frage stellte und auch beantwortete, wie ein halbwegs rationaler Staat mit einiger Effizienz auf der Grundlage zerstörerischer Vorgaben überhaupt zwölf Jahre lang funktionieren konnte. Schließlich würden wir uns an den Ansatz Postones heranwagen, der im Anti­semitismus der Faschisten genau deshalb das konstituierende Moment herausarbeiten kann, weil im Judenhass die Wertabstraktion selbst scheinhaft fassbar gemacht und dadurch bekämpft werden soll, dass das Abstrakte einer konkreten Menschengruppe zugeschrieben wird.

 

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