Veranstaltungen Frühjahr/ Sommer 2004:

 

Veranstaltungen im  Institut für Vergleichende Irrelevanz  [ivi] (Kettenhofweg 130).
Zwecks Unterstützung und Nutzung des während den Aktionen der Studierenden in Frankfurt Ende 2003 angeeigneten Gebäudes haben wir die meisten unserer Veranstaltungen und Kurse dorthin verlegt, solange sich dieser Zeit-Raum halten lässt. Weiter fordern wir die communale theoriepraktische Öffentlichkeit auf, diese in der Region einzigartige Lokalität wahrzunehmen und als Freies Commun. Lernhaus kreativ auszugestalten.

 

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Abendveranstaltung und Tagesseminar. Freitag 23.4. in der Mühlgasse 13, 20 Uhr, und Samstag 24.4.2004 im IVI, ab 11 Uhr

Zur Praxis kritischer Theorie.

Hans Jürgen Krahl und das unabgegoltene Erbe der Neuen Linken

Dieses Wochenende zur Einführung knüpft an unseren Lektürenachmittag vom Dezember 2003 an: »Hans Jürgen Krahl — Adornokritik von links«. Für die Beiträge dürfen wir diesmal ReferentInnen des internet-Projekts www.krahlstudien.de ankündigen, die sich ebenso wie wir eine lebhafte Diskussion wünschen. Sie schreiben:

»In den Sechziger Jahren redeten alle vom Wetter. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund nicht: er bildete die Köpfe von Marx und Engels auf seinen Plakaten ab. Heute reden alle vom Neoliberalismus (attac und Norbert Blüm eingeschlossen). Wir wiederum nicht. Wir stellen Hans-Jürgen Krahl, den Adornoschüler und theoretischen Kopf der Frankfurter Studentenbewegung, vor und werden zu beweisen versuchen, dass sein politisches und theoretisches Vermächtnis nicht aus Zufall, aber sehr zu Unrecht der allgemeinen Vergesslichkeit anheimgefallen ist.

Wie gesagt: Krahl sprach nicht von Neoliberalismus. Er charakterisierte das herrschende System in Anlehnung an den frühen Horkheimer als eines des integralen Etatismus und meinte: im politischen Einvernehmen mit monopolisiertem Kapital und integrierter Sozialdemokratie steuert der autoritäre Staat neben Märkten und Profitraten längst auch die Bedürfnisse des Einzelnen. Als Angehörige subalterner Klassen kommen wir bei dieser Anpassungsprozedur alles andre als gut weg. Dabei lassen wir uns gar nicht mal so sehr von Massenbetrug oder dem kümmerlichen Schein demokratischer Sozialstaatlichkeit blenden. Unsere Subjektivität ist bereits auf einer tieferen Ebene autoritär vorstrukturiert und schleichend entmündigt worden.

Anders als Horkheimer und Adorno aber zog Krahl aus dieser keineswegs fürs Antiquariat bestimmten Gegenwartsanalyse des autoritären Staates nicht nur schriftstellerische sondern ganz praktische Konsequenzen. Er kümmerte sich beispielsweise um die heute etwas aus der Mode gekommene Frage, wie sich sozialistische Systemopposition organisieren muss, um ihrem Namen und Beruf gerecht zu werden. Krahl kam nicht umhin, sich in diesem Zusammenhang auch mit Adorno und Horkheimer zu überwerfen. Er zog sich, das kann den Adornoindustriellen nebenher ins komische Stammbuch geschrieben werden, ziemlich achtbar aus der Affäre. Allein: die Herausbildung einer antiautoritär-proletarischen Kraft im weiten Diesseits von Stalinismus, Sozialdemokratie und Elfenbeinturm konnte er nicht mehr erleben. Die gehört, wem sagen wir’s, erst noch geschaffen.«

 

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Donnerstag 6.5.2004 im IVI 20 Uhr :

Den Beton sprengen über dem Vergangenen ...

Die Methoden Fritz Bauers bei der Wahrheitsfindung über Auschwitz. Vortrag von Fritz Güde

Am 16.Juli des letzten Jahres wäre Fritz Bauer hundert Jahre alt geworden. Er hat in seiner Amtszeit als Generalstaatsanwalt in Hessen einen Prozess durchgesetzt, der im Dezember 1963 in Frankfurt begann: den gegen die noch fassbaren Täter und Exekutoren des Vernichtungslagers Auschwitz. Damit trat er mit ungeheurer Energie an gegen eine Haltung der deutschen Öffentlichkeit und noch mehr der deutschen Regierungen, die Gerechtigkeit vor allem im Zusammenhalt der Überlebenden erblicken wollte, der deutschen Überlebenden. Teilhabe am Aufbau, Teilhabe am Erreichten ... Ausrufen der Stunde Null! Vorher sollte nichts gewesen sein.

Dem widersetzte sich Fritz Bauer. Die Gerechtigkeit, die er verlangte, sollte weniger eine des Vergeltens sein, sondern eine der Erinnerung. Sie sollte das Notdach durchschlagen, unter das sich die Mehrzahl der deutschen Gesellschaft geflüchtet hatte. Unter dem freien Himmel der Geschichte sollte sich das Unerhörte und Unvergessene zeigen, das sich in Auschwitz ereignet hatte.

Damit sollte nicht nur den Toten erneut das Wort erteilt, sondern es sollten auch die Täter aus der Verstocktheit des Schweigens getrieben werden.

In einem Augenblick, da Gerechtigkeit von Regierung und Opposition zusammen erneut zur Teilhabe degradiert wird, zur Erlaubnis zum Mitmachen, käme es darauf an, sich noch einmal der Frage zu stellen, wie Fritz Bauer mit den an sich rein repressiven Mitteln des Strafprozesses eine ganz andere Gerechtigkeit durchzusetzen wusste.

 

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Der Kritische Lektürekurs als Tagesseminar am 20.5.2004 im IVI ab 12 Uhr (bis ca. 18 Uhr)

Guy Debord »Die Gesellschaft des Spektakels« / historischer Teil  (4. Kapitel)

(Mit den Filmsequenzen aus »La Société du Spectacle«, 1973)

{Ankündigung 1 → / Ankündigung 3 → / Protokolle →}

Als theorie praxis lokal vor 1 Jahr mit dem Kritischen Lektürekurs dieses Jahrhundertbuches begann, das 1967 als die situationistische Fortschreibung von Karl Marx »Das Kapital« (1867) erschien und zu den meistgeklauten Büchern unmittelbar vor der revolutionären Bewegung der Fabrik- und Institutsbesetzungen in Frankreich 1968 gehörte (die es maßgeblich mit ausgelöst hat), da ahnten wir noch nicht, wie dicht die Erschliessung dieser 221 Thesen in 9 Kapiteln sein würde und wie sehr sie die wenigen LeserInnen fordert, die sich auf eine systematische (nicht steinbruchartige) Aneignung einlassen. Tatsächlich ist diese Kritik der kapitalistischen Warenproduktion-als-Bilderakkumulation, die bis heute radikalste historisch-materialistische Analyse des post-modernen und globalisierten consumer capitalism dem Totalitätsanspruch nach, in der deutschen Linken nicht rezipiert worden (wenn man von den kulturindustriellen Vereinnahmungs-, Zerstückelungs- und Plünderungsversuchen des vergangenen Jahrzehnts einmal absieht). Am peinlichsten verschwiegen wird von den falschen Bewunderern der situationistischen Spektakeltheorie die »Basisbanalität«: Es ist die privateigentums-klassen-bedingte und staatliche »Spezialisierung der Gewalt, die an der Wurzel des Spektakels liegt« (These 23), und es ist »die Proletarisierung der Welt«, in der sein ökonomischer Erfolg resultiert (These 26). Die situationistische Spektakeltheorie und ihre antispektakuläre Kritik&Praxis ist der »Kritischen Theorie« mindestens an die Seite zu stellen.

Wir möchten diesen Seminartag nutzen, um die bisherigen Resultate unserer Aneignung zusammenzufassen (siehe auch auf der webpage) und den großangelegten historischen Teil »Das Proletariat als Subjekt und als Repräsentation« (4.Kapitel, das eine Aufarbeitung der Revolutionsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts darstellt) abschliessend zu diskutieren. Ein Einleitungsbeitrag wird die situationistische Kritik des Marxismus und auch an Marx selber zur Diskussion stellen.

{Ankündigung 1 → / Ankündigung 3 → / Protokolle →}

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Donnerstag, 10.6.2004 ab 12 Uhr im IVI

Lektürekurs zu MaoZedong »Reden bei der Aussprache in YenAn über Literatur und Kunst«.

Zur Fortsetzung des Seminars »Chinesische Revolution und Ml-Bewegung - Zur Aufarbeitung einer verdrängten Geschichte«.

Die insbesondere für die spätere »Große Proletarische Kulturrevolution« prägenden Topoi vom »Volk«, den Intellektuellen und Künstlern und ihrer »Umformung« in der permanenten Revolutionierung der »Klassenkultur« werden an ihrer Quelle im chinesisch-kommunistischen Gesellschaftsmodell »YenAn«(im Widerstandskrieg gegen die faschistische Achse, d.h. gegen den japanischen Imperialismus) überprüft und sowohl auf die sozialen Triebkräfte der chinesischen Revolution als auch ihre frappierende ideologische Langzeitwirkung bis in die westliche ML-Bewegung hin diskutiert.

 

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Donnerstag 17.6. im IVI 20 Uhr:

Die Rote Mauritius — Klassenkämpfe im Urlaubsparadies

Vortrag von Nadja Rakowitz

Wenn man von Mauritius hört, denkt man wahrscheinlich entweder an »die Blaue« Briefmarke oder an den blauen Indischen Ozean, Traumstrände und vielleicht noch an eine »funktionierende« multikulturelle Gesellschaft. Mauritius hat aber auch eine andere Seite.

Wer weiss schon, dass seine Nike-Turnschuhe und Levis-Jeans dort hergestellt werden, dass es dort allerdings eine starke Gewerkschaftsbewegung und über 300 Gewerkschaften gibt, dass dort viel länger schon als hierzulande über Neoliberalismus, Globalisierung und ihre Folgen diskutiert wird, und dass es dort, nämlich auf Diego Garcia, die größte atomare Militärbasis der USA gibt.

Der Vortrag soll diese andere Seite von Mauritius vorstellen und will zeigen, das sich dort die Bevölkerung nicht jede liberale Zumutung bieten lässt und wie es die linke Bewegung versteht, sich dem Neoliberalismus wie dem Rassismus zu widersetzen.

 

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Politisch-Musikalische Matinee im IVI am Sonntag 27.6. im IVI 14 Uhr

»Kommunist!  Gesänge gegen das vorläufige Ende der Geschichte«

Eine musikalisch-visuelle Arbeit zur Ästhetik der Utopie. Der Komponist Martin Speicher stellt audiovisuell ein Experiment freier Improvisation vor, das im März 2004 in Kassel stattfand.

Es heisst, zeitgenössische Musik existiere in einem Elfenbeinturm. Es heisst auch, dieser Elfenbeinturm habe Schießscharten. Selten jedoch wird erklärt, woher die Munition kommt. Jede wirkliche Kunst ist ein Affront gegens Einverständnis mit den herrschenden Verhältnissen. Demnach politisch. Sucht doch der einzelne Mensch sich in seiner künstlerischen Arbeit konsequent gegen die marktkompatiblen Verwertungsansprüche durchzusetzen. Manchmal aber langt das allein nicht. Manchmal scheinen Künstler sich konkreter politischer Utopien bedienen zu müssen, um gegen den Strom des Zeitgeistes anzukämpfen. Mit ihren Mitteln. Ob diese Mittel taugen, erweist sich immer ganz konkret an ihrer Arbeit. Zur Diskussion um eine besondere Form politischer Musik stellt sich ein Projekt unter dem Titel KOMMUNIST!, das die Utopie einer klassenlosen Gesellschaft, die Assoziation freier und gleicher Menschen, auf der Basis spezifisch neuer künstlerischer Produktionsweisen formuliert. Es geht um die Brauchbarkeit scheinbar veralteter Utopien und gegen ihre obligaten öffentlichen Zerredungstendenzen.

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